Der Mulatte

Text

von  Quoth

Als ich meine Eltern fragte, ob ich meinen exotischen Studienfreund mit nach Hause bringen dürfe, antworteten sie: „Ja, gern – natürlich!“ Aber so natürlich war es wohl doch nicht – denn er war Haitianer, und meine Mutter sagte einen Tag später: „Lass es doch lieber. So ein schwarzer Mann in meinen weißen Laken!“

Als wir nach dem Besuch des Repetitors schwimmen gingen und unter den Duschen standen, sah ich, dass sein Rücken nicht schwarz, sondern gelbbraun war. Ich fragte ihn danach, er grinste und sagte: „Das ist meine polnische Großmutter!“ Er hieß André Toussaint Louverture und war ein Nachfahre des „schwarzen Napoleon“ von Haiti, François Toussaint Louverture, den die Franzosen so schmählich im Fort Joux im Jura verschmachten ließen. Bescheiden fügte André hinzu: „Es gibt an die dreihundert meines Namens auf Haiti.“

Seine Familie musste die Insel verlassen, als der Arzt François Duvalier, genannt Papa Doc, die Präsidentschaft von seinem Vorgänger Paul Eugène Magloire übernahm und mit seinen Schergen, genannt Tontons Macoutes, eine Voodoo-Diktatur des Schreckens errichtete. Alle hofften auf seinen Tod – doch nach seinem Ableben kam sein Sohn Jean-Claude Duvalier, genannt Baby Doc, an die Macht, und der betätigte sich mehr als Partylöwe, ließ aber die Tontons Macoutes weiter wüten.

„Ich bin ein Mulatte,“ erklärte André, „und die Duvaliers mochten die Mulatten nicht, ganz anders als Magloire, unter dem hätte mir eine diplomatische Laufbahn offen gestanden.“ Ich wunderte mich über das Wort Mulatte. André sagte: „Dieser Begriff vergleicht uns Mischlinge mit Maultieren: Der weiße Elternteil ist natürlich das edle Pferd, der schwarze der Esel. Eine Zeitlang glaubte man, wir wären nicht fortpflanzungsfähig.“ „Und wie viele weiße Vorfahren müsstest du haben, um dich Weißer nennen zu können?“ „Noch nie von der Eintropfenregel gehört? Wenn auch nur ein Tropfen deines Blutes aus Afrika stammt, bist du ein Schwarzer. Lies mal Licht im August von Faulkner! Weißt du, warum der Nagellack in Mode kam? Weil er die Lunula weißer Frauen verbarg, die einen Tropfen schwarzen Blutes hatten, denn an dem Möndchen am Grund des Fingernagels kann man das erkennen.“

André war stolz darauf, aus dem ersten Land zu stammen, das sich aus eigener Kraft von der Sklaverei befreit hatte. „Aber,“ fügte er hinzu, „wir Kreolen haben die Gewalt, der wir als Sklaven unterworfen waren, verinnerlicht – nehmen sie als selbstverständlich hin und üben sie nur allzu furchtbar aus. Kaum war Haiti frei, hat Jean-Jacques Dessalines es aus einer Republik in ein Kaiserreich verwandelt – und wurde ermordet.“ Heute ist Haiti das ärmste Land des Westens, von Korruption, Drogenbandenkämpfen und Naturkatastrophen heimgesucht, und kann sich nur mit Hilfe von außen erhalten. Was mag aus Dir geworden sein, André? Rechtsanwalt in der kleinen französischen Stadt, in der Deine Schwester mit dem Bürgermeister verheiratet war?



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (30.04.24, 17:23)
Beeindruckend!

(Mit dieser damaligen Unterscheidung von Mulatten, Mestizen und Kreolen komme ich immer durcheinander. Hier nennst Du ihn einmal Mulatte, einmal Kreole.)

 Quoth meinte dazu am 30.04.24 um 23:30:
Ich glaube, Mulatte bezieht sich mehr auf die Herkunft, Kreole auf den Kulturkreis. Vielen Dank für Empfehlung und Lieblingstext mit Kommentar!

 Graeculus antwortete darauf am 30.04.24 um 23:38:
Gelesen habe ich mal, daß man in Amerika von drei Menschenarten ausgegangen ist: Schwarze, Weiße und Indianer. Daraus ergaben sich drei mögliche Mischlingstypen: Schwarze/Weiße, Indianer/Weiße und Schwarze/Indianer. Dafür sollten die drei Bezeichnungen gelten: Mulatte, Mestize und Kreole. Wobei die Mischlinge aus Schwarzen und Indianern als die allerverächtlichsten galten, sozusagen doppelte Diskriminierung.
Ist schon kompliziert, diese Rassentheorie.

 Kardamom (30.04.24, 17:50)
 was mag aus Dir geworden sein, André? Rechtsanwalt in der kleinen französischen Stadt,
Versuche es doch herauszufinden. Das ist doch heutzutage nicht schwer. Viell. freut er sich von dir zu hören?

Kommentar geändert am 30.04.2024 um 17:51 Uhr

 Quoth schrieb daraufhin am 30.04.24 um 23:28:
Habe es versucht, glaube, er ist spätestens nach der Absetzung von Baby Doc im Jahr 1986 zurückgekehrt.

 Kardamom äußerte darauf am 01.05.24 um 05:34:
Wenn du Interesse hast, suche weiter. Es gibt überall soziale Medien, Foren usw.
du brauchst nur 1 Anknüpfungspunkt zu finden, ein quentchen Glück dann ergibt sich alles von selbst. (keine scheu vor Sprachbarrieren, dank übersetzungsprogrammen sind die weitgehend geschrumpft.) Dort ist ja zwischenzeitlich viel passiert, Erdbeben usw. Gesprächsstoff zuhauf, euch wird nicht langweilig werden.

Kennst du den Film Mord auf Haiti? Sehr empfehlenswert, wg. intensiver stimmung (das Krimiformat ist jnur ein Rahmen).


Antwort geändert am 01.05.2024 um 05:40 Uhr

 EkkehartMittelberg (30.04.24, 18:16)
Das geht mir unter die Haut.
Ekki

 Agnetia ergänzte dazu am 30.04.24 um 18:45:
deine Geschichte berührt, Quoth, und zeigt, dass Rassismus nicht nur auf weißer Seite vertreten ist. Was ich schon mehrfach erwähnte, aber niemand hören will.
Ich selbst habe die Erfahrung gemacht im Gambia, wo ich mit einer Österreicherin befreundet war, die einen gambianischen Mann und zwei Kinder hatte.
Sie erzählte mir, dass in Gambia die Menschen ihre Kinder abfällig "Weiße" nannen und in Österreich abfällig "Schwarze".
So räumen wir doch endlich mal mit dem Vorurteil auf und fragen uns lieber, warum Menschen verschiedener Hautfarben sich zwar lieben können, aber der Nachwuchs nicht akzeptiert wird...
gute Geschichte. LG von Agnete

Antwort geändert am 30.04.2024 um 18:46 Uhr

 Quoth meinte dazu am 30.04.24 um 23:33:
Vielen Dank für die Empfehlung mit Kommentar, EkkehartMittelberg und Agnetia!

 AchterZwerg (01.05.24, 16:21)
Spannend erzählt.
Ich war eine Zeitlang mit einer Frau aus Haiti befreundet, die mir einiges über ihr korruptes Land berichtet hat ...

 Quoth meinte dazu am 01.05.24 um 22:15:
Es ist der Inbegriff eines gescheiterten Staats. Danke für Empfehlung mit Kommentar.

 TassoTuwas (01.05.24, 18:52)
Das macht nachdenklich!
Wie viele der Zig-Tausend Alin-Touristen, die sich beim Sonnengang in der Dom-Rep ihrer Mojito schmecken lassen, wissen von dem Elend auf der anderen Seite der Insel?

 Quoth meinte dazu am 01.05.24 um 22:18:
Die Kellner u.a. Hilfskräfte in der Dom-Rep sind fast alle Haitianer. Der Tourismus ist also nicht nur gedankenlos, sondern auch nützlich! Danke für Empfehlung mit Kommentar!

 Lluviagata meinte dazu am 03.05.24 um 13:00:
Ich war vor 2  Jahren auf DomRep, die Hälfte der Urlauber im Resort bestand aus Einheimischen - laut, überheblich und ohne jegliche Tischsitten auftretend. 

Die Insel faulte vor sich hin nach Corona, wir waren erschüttert.

 Quoth meinte dazu am 04.05.24 um 19:38:
Ich habe Dir noch die Empfehlung mit auf den Weg gegeben, dort Die Verlobung in St. Domingo von Kleist zu lesen. Darin kommen die Mulattin Babekan vor und ihre Tochter von einem Weißen, in die sich der Held der Geschichte, der brave Schweizer Gustav von der Ried, verliebt ... Die Insel entsprach nicht Deinen Erwartungen - aber das lag natürlich auch an diesen!  :)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram