Fußballfreunde, zieht euch warm an! Die TV-Strategen und FIFA-Bosse machen jetzt Nägel mit Köpfen. Ihr Produkt „Fußball“ wird – den Erfolgsformaten „Let´s dance“ oder dem quotensicheren ESC folgend - noch viraler und noch fernsehgerechter … weil: interaktiver!
Vorbei die verlorenen Minuten bei teuer bezahlten Primetime-Matches, wo überforderte Schiedsrichter am Spielfeldrand auf einen Mini-Bildschirm eine Abseits- oder Handspiel-Szene nach-interpretieren. Nein, diese medial kaum genutzten Minuten werden jetzt proaktiv umformatiert in ein hoch emotionales, alle einbindendes Voting. Voten dürfen die im Stadion Anwesenden und natürlich die Fans an ihren Pay-Sendern. Was vorher einem einsamen Schiri vorbehalten war und seiner oft nicht nachvollziehbaren Willkür, das wird jetzt ein transparentes, dramaturgisch genutztes – ja, demokratisches Publikumsurteil.
Klar, dass dabei der Spielfluss etwas leidet. Aber die Spieler – so sehen es die neuen Regeln vor – werden natürlich am Voting beteiligt. Die Trainer - entsprechend für ihre Auftritte geschminkt und TV-gerecht gekleidet – sind zum spontanen Interview zwischen geschaltet. Sie geben sozusagen ihren Experten-Tipp ab und kommentieren aus erster Hand die dann ins Bild geholten Voting-Results. Entsprechend hübsch gestylte Moderatorinnen jubeln und trauern anschließend mit, ganz so wie bei den „Ninja Warriors“ eingeübt.
Je nach medialem Aufwand und der zu erwartender Dramatik könnten natürlich auch erste Reaktionen von Spielern – vor allem aber auch der Spielerfrauen – eingefangen werden. Hier, so sind sich die Vermarkter absolut sicher, ist noch ein enormes Potential an Fußball-begleitenden Bildern abzugreifen. Im Großbild auch die Spielerfrauen zu beteiligen, das brächte Quotenzuwachs vor allem beim weiblichen TV-Publikum, das für die Fußball-Sponsoren bislang zu wenig an ihr FIFA-Produkt fixiert ist.
Natürlich wissen die TV-Strategen und FIFA-Bosse, dass dies alles ein Weniger an Sport und ein deutliches Mehr an Show bedeuten wird. Dafür aber haben sie schon eine höchst attraktive Kompensation in Vorbereitung, ein Golden Goal sozusagen: Die Fußballübertragungen werden vom eigentlichen Spiel abgekoppelt und nur noch auf Dramatik reduziert.
Das heißt: Jedes Match im Fernsehen beginnt erst mit der 90. Minute. Ja, man schaltet das Publikum erst nach Ablauf der regulären Spielzeit zu. Und dann, so kurz vor Ende, hat die beliebtere Mannschaft, oh Schreck – was ist denn da schief gelaufen -, einen schier unaufholbaren Zwei-Tore-Rückstand. Die Nachspielzeit läuft unaufhaltsam ab. Wird die Serie der Unbesiegbarkeit halten? Ist das große Finale noch erreichbar, geschieht tatsächlich noch das Wunder??
Jetzt, jetzt erst, aber jetzt richtig! - inszeniert man die oben beschriebenen spielentscheidenden Szenen. Rote Karte? Handspiel oder nicht Handspiel? Abseits oder doch gleiche Höhe?? Zählt das Tor???
Wie gesagt, die Nachspielzeit verrinnt gnadenlos. Aber dann haben wir ja das beschriebeneVoting. Alle im Stadion und alle zu Hause an den Pay-Sendern kriegen die Szene noch und nöcher vorgespielt, multiperspektivisch, sauber mit Kalibrier-Linien nachgezeichnet, die Trainer machen ihre Expertensprüche, und dann: die Spielerfrauen...– kurzum: So eine hoch spannende Nachspielzeit lässt sich locker auf zwei Stunden aufpusten. Denn dann kippt ja erfahrungsgemäß das Spiel doch noch. Dreizehn Minuten wurden nachgespielt, nein, vierzehn! Der Schiedsrichter hatte schon auf die Uhr geschaut, die Pfeife angesetzt zum Schlusspfiff – und dann das Nicht mehr für Möglichgehaltene! Unfassbar!!
Ein derartiges Wunder dann emotional zu begleiten, mit den schweißnassen Helden am Mikro, mit den quiekenden Spielerfrauen, den weinenden Fans der Verlierer-Mannschaft...... das ist geiler Fußball, würden die TV-Macher und FIFA-Bosse jetzt sagen. So muss es sein!
Und so wird’s! Wie gesagt, Leute: Zieht euch warm an!
