Als ich den Rock n' Roll zu lieben begann

Text

von  Mondscheinsonate

Mit elf Jahren kam ich zu Privatstunden bei Emilia (die gerade im Krankenhaus liegt, sieht nicht gut aus) ins Konservatorium, wobei sie sehr bedacht darauf war, dass ich die Klassik richtig und gut spielte. Das Klavierspielen sei eine ernsthafte Angelegenheit predigte sie mir stetig und immer. "Sitz gerade!", "Sei konzentriert!", "Keine Späße!" oder "Bleib im Takt!"

Und, obwohl ich sonst so ein Wildfang war, kaum zu bändigen, quirlig und frech, flößte sie mir einen enormen Respekt ein, ihr folgte ich auf das Wort. 


Eines Tages, es war kurz vor meinem zwölften Geburtstag, kam ich etwas früher ins Konservatorium, ging den Korridor entlang, an einer verschlossenen Türe vorbei, wo Klänge herausdrangen, die ich nicht kannte, blieb abrupt stehen, lauschte, es zog mich in den Bann, was ich hörte, es klang nach... Spaß. So öffnete ich die große Flügeltüre einen Spalt und lugte hinein. Es spielten ganz junge Studenten in einer Band-Formation, einer saß vor dem Klavier und spielte, sang und während mein Kopf im Raum war, tanzte mein restlicher Körper noch auf dem Korridor. Als es fertig war, schrie ich entzückt: "Toll! Nochmals!" 

Sie sahen mich verwundert an (für mich waren die "ur alt", Respektspersonen) und ich schämte mich, zog den Kopf aus der Tür und schloss sie schnell wieder, wollte weitergehen, da kam ein Student heraus, fragte: "Bist du nicht eine, der Kleinen von Emilia?" Ich nickte verschüchtert. Er winkte mich zu sich, sagte: "Magst du mitspielen?" Da lachte ich, sagte: "Ich kann das ja nicht, was ihr da spielt!" Er kniff ein Auge zu, fragte: "Kannst du auf einem Klavier spielen?" Ich nickte eifrig und stolz. Da sagte er: "Dann kannst du auch mit uns spielen."

Ich folgte ihm in den Raum, er wies mich ans Klavier zu seinem Kollegen, der mir die Hand reichte, sagte: "Servus, ich bin der Johann, Johnny", dann sagte er: "Ich beginne zu spielen und du fühlst in den Takt hinein, improvisierst dazu, ja?" Wieder nickte ich artig und stocksteif. Er lachte. Dann drehte er sich um, nickte den anderen zu und wir spielten eine Improvisation von "Great Balls of Fire", die Improvisation fiel mir schwer. Da hörte er auf zu spielen, die anderen auch, dann sagte er lieb: "Cori, fühle es! Schau mir zuerst zu, das fixt!" Ich fragte, was fixt bedeutet? Da antwortete er: "Das merkst du dann schon!" 

Und sie spielten nochmals ohne mich, ich sah nur auf die Finger, wippte mit dem Popo hin und her, dann setzte ich ein und es funktionierte, ich ließ mich anfixen. Das war so lustig, dass ich gar nicht bemerkte, dass das Lied längst zu Ende war, da klatschten die Jungs. Ich saß selig da, sagte: "Bitte nochmals, ohne mich, ich will auf deine Hände sehen." Und so spielten sie alle, ich sah ihm genau zu, sog die Klänge von Jerry Lee Lewis auf, hörte Jhonny singen.

Natürlich war ich, wie es für ein kleines Mädchen gehört, sofort schockverliebt, in den Gesang, das Spiel und den jungen Mann. Zu Emilia kam ich zu spät. Sie fragte: "Warum? Du bist ganz erhitzt, Kind!" Ich sprudelte alles heraus, sagte: "Ich bin angefixt!" Sie rümpfte die Nase, sagte: "Kind, so reden Junkies!" Ich verstand sie nicht, aber war so selig. Mir war in dieser Stunde Mozart zuwider, das bemerkte sie, ging vom Klavier weg, sagte am Ende des Raumes: "Bitte, wenn du nicht anders kannst, spiele, was du willst!" Sie setzte sich beleidigt spielend in ihrer theatralischen Art auf einen Stuhl und sah mich wartend an. Und da spielte ich aus der Erinnerung, verspielte mich, was mir egal war, steigerte mich hinein, ich war glücklich, so glücklich. 

Danach stand sie auf, sagte: "War's das jetzt?" Ich nickte artig (aber erhitzt und enttäuscht), "dann können wir uns ja wieder Mozart widmen."

Aber, Mozart reichte mir ab da nicht mehr. Ich begann den Rock n' Roll zu lieben, heimlich, das hätte sie sonst nicht ausgehalten. 


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (17.05.24, 22:37)
Jerry Lee Lewis, der konnte einen wahrlich anfixen. Wenn Du mal die Gelegenheit hast, seinen Live-Auftritt 1963 im Hamburger Star Club zu hören ... Für mich ist es eines der besten Konzerte, die ich aus der Geschichte des Rock kenne. Es endete mit "Whole Lotta Shakin' Goin' On", und dann haben die Fans den Saal demoliert.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.05.24 um 23:29:
Meinst du nicht 64?

 Graeculus antwortete darauf am 17.05.24 um 23:37:
Da hast Du wohl recht. Ich hatte 63 gespeichert, und auf der Schallplatte steht das Jahr nicht. Jetzt habe ich nachgeschaut, und ja, es war 64.
Übrigens war ich nicht dabei, noch zu jung. Ich weiß auch nicht, wie ich mich unter den Stühlezertrümmerern gefühlt hätte.

 Graeculus schrieb daraufhin am 17.05.24 um 23:42:
Gelesen habe ich jetzt noch, daß die Aufnahme, also die Langspielplatte, ein Meilenstein war. Sicher eine der ersten Stereo-Aufnahmen eines Live-Konzertes.

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 17.05.24 um 23:49:
Das beste Album überhaupt auf diesem Planeten. Ich habe es noch auf Platte (dies in meinem Keller). Ich sah ihn Live 1990 mit Papa. Mein erstes Konzert im Leben. 🤩

 Graeculus ergänzte dazu am 17.05.24 um 23:59:
Ach, Du hast die Platte selbst und warst sogar in einem seiner Konzerte. Na, was rede ich da!

 Mondscheinsonate meinte dazu am 18.05.24 um 02:07:
Ich war (jetzt nicht mehr) süchtig danach! Das mag ich an Teenager, die sind immer so herzig vernarrt. Das fehlt mir als Erwachsene.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 18.05.24 um 02:20:
Das hab ich noch gerne. 

 Graeculus meinte dazu am 18.05.24 um 02:21:
Ach. Manchmal kommt das noch, wenn auch nicht mehr so intensiv wie früher. Oder? Wirklich gar nicht mehr?

Meine Empfehlung: Versuch's mal mit Eric Claptons Live-Album "Just One Night". "Double Trouble", da muß man aus Holz sein, wenn einem das nicht ans Herz greift.

(Allerdings weiß ich nicht, ob's das im weltweiten Netz gibt.)

 Graeculus meinte dazu am 18.05.24 um 02:24:
"That Lucky Old Sun" kannte ich nur in der Version von Ray Charles. Tief depressiv.
Danke für den Link.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 18.05.24 um 02:27:
Kenn ich nicht, werd ich stöbern. 
Für das Gesellschaftsrecht brenne ich so, aber - nein - so schwärmerisch bin ich nicht mehr, zuviel im Lebensbuch. Das haben Kids ja nicht.

 Graeculus meinte dazu am 18.05.24 um 02:35:
Ist das nicht schade? Eine so sympathische Eigenschaft von Kindern, ganz und gar begeistert sein zu können, völlig in etwas aufzugehen. High sein von einem Spiel, einem Buch, einer gemeinsamen Unternehmung, einem Lied ...

Beim Gesellschaftsrecht kann ich mir das gar nicht vorstellen. Aber wenn Du es sagst, wirst Du es so erleben. Dann bist/wirst Du eine Juristin mit Leib und Seele.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 18.05.24 um 11:17:
Oh, was du beschreibst, habe ich bei ProfessorInnen, die gut vortragen können, da kippe ich komplett rein und in der Mathematik. Da werde ich komplett high. Ich nenne es aber Flow. 
Ja, Kinder sind süß, weil sie auch sofort schwer verliebt sind, in Dinge oder Menschen, aber auch so gnadenlos entliebt.

 Graeculus meinte dazu am 18.05.24 um 22:29:
Man kann das auch einen Flow nennen, auch wenn ich dieses Wort lieber auf Tätigkeiten anwende, z.B. das Schreiben. Aber das ist nebensächlich angesichts des Umstandes, daß man dann sein Leben in vollen Zügen genießt. Man zweifelt nicht, man grübelt nicht, man ist ganz und gar bei einer Sache.
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