Bauer, Joachim:

Das kooperative Gen

Abschied vom Darwinismus


Eine Rezension von  JoBo72
veröffentlicht am 10.02.09

Joachim Bauer, zweifach habilitiert (Innere Medizin, Psychiatrie), ist eine Art „Popstar“ der biologischen Anthropologie, breit ausgewiesen als Experte für neurowissenschaftliche Fragen des Menschseins. Seit Jahren popularisiert Bauer erfolgreich die Schlüsselthemen des Hirnforschungszeitalters und fügt seinen Bestsellern „Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone“ (2005) und „Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren“ (2006) nun einen dritten Band zur Verhältnisbestimmung von Biologie und Ethik hinzu – pünktlich zum Darwinjahr 2009. In Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus möchte er zeigen, dass „Veränderungen des Genoms [..] nicht dem reinen Zufall überlassen [sind], wie man bisher glaubte, sondern [..] Regeln [folgen], die im biologischen System selbst begründet liegen.“ Wer also denkt, der Darwinismus und die sich ihm anschließenden evolutionären Ansätze in den diversen philosophischen Disziplinen (man liest von „evolutionärer Ethik“, „evolutionärer Ästhetik“ und „evolutionärer Erkenntnistheorie“, aber auch von „evolutionärer Psychologie“), seien bereits die Revolution des Welt- und Menschenbildes, wird von Bauer eines besseren belehrt, der in seinem Buch eine Revolution des Darwinismus in Aussicht stellt. Sowohl im Original, als auch in der Weiterentwicklung („New Synthesis“-Theorie) lägen unhaltbare Annahmen, die er, Bauer, als solche erkannt habe und durch eigene ersetzen möchte.

Der wissenschaftshistorische bzw. -soziologische Auftakt verweist auf den Ausgang und zugleich die Schwierigkeiten des Bauerschen Denkens. In der Tat: Forscher, die vom (Neo-)Darwinismus abweichende Positionen vertreten, haben es schwer. Bauer erinnert an Barbara McClintock, die Pionierin der These, Gene besäßen neben der Information einen Selbstregulationsmechanismus, der sie in die Lage versetze, diese Information veränderten Umweltbedingungen anzupassen. Die Forscherin wurde jahrzehntelang totgeschwiegen und erst anerkannt, als ihre Vermutungen durch neue Methoden der Genomforschung bewiesen wurden (ihre Entdeckung von 1944 wurde 1983 mit dem Nobelpreis gewürdigt). Bis hierhin zeigt sich an McClintocks Biographie, wie – mit Abstrichen in punkto Fairness gegenüber innovativen Ansätzen – „gute Wissenschaft“ funktioniert. Nun aber verweist Bauer auf einen wissenschaftshistorisch und wohl auch –soziologisch (McClintock war eine der wenigen Frauen in der naturwissenschaftlichen Spitzenforschung) interessanten Umstand: Kurz nach Überreichung der Medaille wurde sie wieder totgeschwiegen, denn: „Was diese außergewöhnliche Frau [...] entdeckte, widerspricht [..] der vorherrschenden darwinistischen Denkschule, deren moderne Variante innerhalb der heutigen Biologie als ,New Synthesis’-Theorie bezeichnet wird.“ Im Klartext: Eine These, die sich als wahr erwiesen hat, aber nicht zur „New Synthesis“-Theorie passt, ja, ihr sogar diametral entgegensteht, bleibt – zum Schutz der Theorie – unberücksichtigt. Man könnte angesichts dessen von „schlechter Wissenschaft“ sprechen. Bauer nimmt Darwin in Schutz, nennt ihn „einen der großen Aufklärer unseres wissenschaftlichen Zeitalters“, um mit einigen seiner Epigonen um so härter ins Gericht zu gehen, denen er „eine unkritische, quasireligiöse, in Teilen sogar sektiererische Glaubenshaltung“, mit anderen Worten: „Fanatismus“ unterstellt.

Dass diese Ignoranz jenseits von Eitelkeiten zwischen konkurrierenden Forschern auch in der Sache dramatische Konsequenzen hatte, weil aus schlechter Wissenschaft noch schlechtere Wissenschaft werden konnte, legt Bauer nahe, indem er den Maschinenvergleich Dawkins’ als fundamentale Fehleinschätzung rügt: „[W]ürden Genome wie eine Maschine arbeiten, das heißt, ohne die Fähigkeit lebender Systeme, die eigene Konstruktion nach inneren Regeln immer wieder neu zu modifizieren und auf äußere Stressoren kreativ reagieren, wäre das ,Projekt Leben’ wohl schon vor langem gescheitert.“ Auch Dawkins’ Vorstellung eines „egoistischen Gens“ sei „unsinnig“, was auch von anderen Evolutionsbiologen, etwa Kutschera und Niklas, „diskret eingeräumt“ werde. Doch Einsicht in die Problematik der Annahmen ihrer eigenen Disziplin hin oder her: „[H]eute [scheint] in manchen Kreisen fast jeder Unsinn Narrenfreiheit zu genießen, solange sich sein Verfasser zu Darwin bekennt.“

Bauer wendet sich in seinem Buch gegen drei „zentrale Dogmen des modernen Darwinismus“: gegen das Zufallsprinzip, das Prinzip langsam-kontinuierlicher, linear auftretender Veränderungen und das Selektionsprinzip, soweit es ausschließlich an der maximalen Fortpflanzung des im ewigen Konkurrenzkampf stehenden Genoms orientiert sein soll. Was setzt Bauer nun positiv dem Neodarwinismus entgegen? Zunächst kündigt er Großes an: „Mit diesem Buch möchte ich Einblick in neuere, wissenschaftlich gesicherte, in der breiteren Öffentlichkeit bisher nur wenig – oder gar nicht – wahrgenommen Erkenntnisse geben. Ich werde zeigen, über welche inhärenten, also in ihnen selbst angelegte biologische Strategien Organismen und ihre Gene verfügen, um Herausforderungen zu meistern, und wie es möglich war, dass sich das Leben, herausgefordert durch eine respektable Serie äußerst bedrohlicher Situationen, die unser Globus im Verlauf der Evolutionsgeschichte durchlief, behaupten konnte.“

Man darf feststellen: Bauer hält sein Versprechen. Er entfaltet eine Alternative zum Darwinismus (insoweit er diesen kritisiert), gespickt mit Daten aktueller Studien, von deren korrekter Rezeption man freilich ausgehen muss, will man den Autor überhaupt ernstnehmen. Bauer setzt den drei Credos des Darwinismus drei eigene Wirkprinzipien der Evolution entgegen: Kooperativität, Kommunikation und Kreativität.

Leider kann Bauer auch nicht klären, worin eigentlich die von McClintock diagnostizierte „Weisheit der Zelle“ ihren Ursprung hat, warum sich lebende Organismen so verhalten, wie sie sich verhalten. Die Überführung dieser Frage in die Schöpfungstheologie, die dafür eine Erklärung hätte, unterlässt der Autor. Es bleibt bei Andeutungen: So seien die Erkenntnisobjekte der Evolutionsbiologie, die Gene, nicht Ursprung des Lebens, sondern das Ergebnis der Kooperation und Kommunikation zwischen zwei Biomolekülen (RNS und Proteine), also Ergebnis „des Erkennens und der Übermittelung von Information“, die in den Molekülen enthalten ist, während die „von Richard Dawkins als Startpunkt des Lebens postulierten egoistischen ,Replikatoren’ (seine Bezeichnung für die Vorläufer der Gene) nie existiert haben“. Also: Im Anfang war die Information. Wo die herkommt? Bauer schweigt. Womit? Mit Recht! Er kennt die Grenzen seiner Kompetenzen. Der Ursprungsfrage öffnet er trotzdem neue, interessante Perspektiven.

Auch zur Humanisation weiß Bauer Interessantes zu referieren. Die Evolution bringe durch „Transpositionselemente (TE)“ genetische Veränderungen in Richtung Rationalität hervor („Was Primaten zu Primaten werden ließ, war unter anderem eine massive Zunahme von Genen des Gehirns [...]“). Die TE verursachten zugleich den diesbezüglich großen Unterschied zwischen Mensch und Menschenaffe: „Dem Genom des Menschen wurden dadurch zwanzig neue Genfamilien beschert (die der Schimpanse nicht hat)“, die „vor allem das Gehirn [betreffen]“. Wer oder was diese „Bescherung“ durch die TE initiiert hat, bleibt offen, doch es war, wie Bauer meint, wohl nicht der „reine Zufall“. Abschließend stellt er fest: „Das darwinistische bzw. soziobiologische Dogma jedenfalls, die Lehre von der rein zufallsbestimmten, auf Punktmutationen basierenden Veränderung des biologischen Substrats, hat ebenso ausgedient wie das Phantasieprodukt egoistischer Gene.“

Zu diesem letzten Postulat äußert sich Bauer im folgenden Kernkapitel seines Buches. Darin zeigt er, wie unbegründet die Rede vom „egoistischen Gen“ und vom „Aggressionstrieb“ in der darwinistisch inspirierten Anthropologie ist. Aggression sei kein primärer Instinkt, es gebe keine „Angriffslust“, wie in den Arbeiten von Konrad Lorenz und Richard Dawkins behauptet. Lorenzens Fehler lägen bereits auf der methodischen Ebene: Teils würden Faktoren, die gegen seine Thesen sprechen, systematisch ausgeblendet, teils fehlten empirische Nachweise gänzlich. Auch bei Dawkins mangle es an derartigen Befunden. Zudem übertrage er „ökonomische Konzepte auf die Biologie“.

Dass Dawkins Charles Darwin auch in diesem Punkt folgt, ist ein weiteres pikantes Detail, das Bauer gut herausarbeitet. Während für Darwin der frühkapitalistische Nationalökonom Thomas Robert Malthus Vorbild war (und zwar so sehr, dass Bauer behauptet, der Kern der Evolutionstheorie Darwins basiere nicht auf biologischen Erkenntnissen, sondern auf einem ökonomischen Kalkül), sei für Dawkins die „angloamerikanische (inzwischen weltweit herrschende) Wirtschaftsordnung“ maßgebend gewesen, so dass seine Variante der Evolutionstheorie „gleichsam das biopsychologische Korrelat“ dieser Ordnung sei.

Bauers Kritik des Darwinismus gipfelt in einem Thesenpapier mit 10 Säulen einer neuen postdarwinistischen Theorie, in der beschrieben wird, dass und wie die Bildung und Entwicklung neuer Arten durch die inhärente Dynamik kreativer, kommunikativer und kooperativer Genome realisiert wird. Im Hinblick auf die spannungsgeladene Beziehung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften führt Bauers Kritik zu dem Appell an den notwendigen Respekt der Forschungsgebiete füreinander, der sich vor allem in der Achtung der je eigenen Grenzen zeigen sollte. In bezug auf die Reizthemen „Ursprungsfrage“ und „Menschenbild“ heißt das: „Der Kreationismus ist ein aus wissenschaftlicher Sicht völlig unbrauchbares Konzept. Seine Positionen haben in biologischen Lehrbüchern nichts zu suchen. Umgekehrt steht der Biologie eine Bewertung religiöser Fragen nicht zu, denn wissenschaftliche Methoden sind nicht geeignet, zur Gottesfrage eine positive oder negative Auskunft zu erteilen.“ Bauer exerziert diese Nichteinmischung selber eindrücklich vor, indem seine Argumentation dort endet, wo sein Forschungsfeld endet. Doch meint er damit nicht, die Menschen dürften die Kreise der Forschung nicht stören: „Die Zuständigkeit dafür aber, was Wissenschaft darf, wem sie zu dienen hat und zu welchen Zwecken sie eingesetzt wird, besitzen keineswegs nur Naturwissenschaftler, sondern alle Mitglieder einer Gesellschaft. Es ist das Recht und die Aufgabe aller gesellschaftlichen Gruppen, dafür zu sorgen, dass die Würde des Menschen auch im Bereich der wissenschaftlichen Forschung gewahrt bleibt und dass eine faire Teilhabe aller an den Nutzenanwendungen der Wissenschaft sichergestellt wird.“

Joachim Bauers Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus ist zwar populärwissenschaftlich angelegt, weist aber nebst einem nützlichen Index auch einen wissenschaftlichen Apparat auf. Warum es aber nötig schien, in einem solchen Band auf zehn Seiten die komplette Liste der wissenschaftlichen Publikationen Bauers abzudrucken, die z. T. mit dem Thema nichts und den Bedürfnissen der Leserschaft wenig zu tun haben, bleibt das Geheimnis des Erfolgsautors.
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