Aufgespießt

Unverschämtheiten aus Politik, Promiszene und Alltag


Die Kolumne des Teams " Aufgespießt"

Montag, 13. Februar 2012, 23:35
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Sichtbare Armut

von  AlmaMarieSchneider


Vor einer Woche war ich beim Zahnarzt. Das Wartezimmer war gut gefüllt, vermutlich, wie ich, mit lauter Notfällen. Natürlich fielen mir die vielen Zahnlücken bei den Wartenden auf. Nichts Außergewöhnliches. Schließlich vermutete ich dahinter eine umfangreiche Behandlung, an deren Ende neue Zähne stehen.
Doch meine Zahnärztin erzählte mir Anderes. Viele kommen sowieso erst, wenn es bereits wummert im Kiefer, weil sie sich schon nicht mehr die zehn Euro Praxisgebühr leisten können. Eine Überkronung oder gar ein Implantat, das wäre ein nicht mehr finanzierbarer Luxus.

War noch vor zehn Jahren Armut, außer bei Obdachlosen, kaum sichtbar, beginnt der Sparkurs der Krankenkassen langsam Wirkung zu zeigen. Studien zeigen auf, dass in den sogenannten „unteren“ Schichten Armut bereits stark sichtbar wird. Zahlen belegen, dass dort die schlechtesten Zähne, die übergewichtigsten Menschen und auch die meisten Raucher zu finden sind. Sehr häufig fehlen auch Hörgeräte und Brillen. Diese sichtbaren Zeichen der Armut führen leider nur all zu oft zur Ausgrenzung. Eine Zahnlücke vermittelt einfach einen ungepflegten Eindruck und auch Personalchefs lehnen solche Bewerber aufgrund sichtbarer Mängel häufig ab. Gleiches Schicksal ereilt Übergewichtige. Gelten sie doch als träge, schwerfällig und undiszipliniert. Natürlich sind das Vorurteile. Doch wer sich schon einmal gegen Vorurteile wehren musste, weiß welches sinnlose Unterfangen das eigentlich ist.
Mit der Ausgrenzung ist jedoch kaum mehr ein Weg aus der Armut möglich. Das Kainsmal „Zahnlücken“ wird für viele ein unüberwindliches Hindernis gesellschaftlich oder im Job wieder Fuß zu fassen.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (14.02.12)
Liebe Dolphi,

danke für Deinen Kommentar. Das Aussehen ist leider elementar heutzutage und es sollte jedem etwas wert sein. Da hast Du recht.
Das Problem bei Zähnen sind tatsächlich fehlende Zähne. Die Eigenleistung ist hier sehr hoch. Die 100% Versorgung bei Hartz IV wurde meiner Kenntnis nach auch gekänzelt.
Manchmal ist mit blombieren nichts mehr zu machen und das ist die einzige Leistung, die Kassen noch bezahlen.
Zusatzversicherungen halten sich mit echten Leistungen auch sehr zurück, außer man bezahlt horrende Beiträge. So erstatten sie z.B. bei einem günstigen Beitrag nur 50% der Kosten (abzüglich der Kassenleistung). Für Viele auch unerschwinglich. Für diese Leute bringt eine Zusatzversicherung nichts, weil sie sie nicht in Anspruch nehmen können.

 Dieter_Rotmund (15.02.12)
Interessantes Thema mit gesellschaftspolitischem Bezug! Könnte man durchaus noch mit einer kleinen Prise Humor würzen, es muss nicht gleich alles spiegel-like werden...

Ich bin meines Wissens bei keinem Luxus-Arzt, trotzdem sind bei meinen Termin (arbeitnehmerfreundliche 8 Uhr) maximal ein bis zwei andere Patienten da und ich komme auch sehr zügig dran. Übrigens kostet der reine Kontrolltermin keine Praxisgebühr!
Und für eine sog. professionelle Zahnreingung beim Zahnarzt bekommt man bei meiner 08/15-Krankenkasse immerhin Bonuspunkte, die ich wiederum eintauschen kann...

Dass es mit billigen Essen schwieriger (aber nicht unmöglich) ist, sich gesund zu ernähren, kann ich noch verstehen. Kein Verständnis habe ich für die Raucherei, die ja oft gleich mehrere Euro pro Tag kostet. Es mag vielleicht auch (m)ein Vorurteil sein, aber den genannten "Armutsschichten" scheint die neuste Play-Station und ein großer TV-Flachbildschirm wichtiger zu sein als die Zahngesundheit. Was soll man davon halten? Ich kenne Leute (übrigens alles Nichtraucher), die schuften lieber als Hartz IV zu beantragen, obwohl sie damit mehr Geld und Freizeit hätten. Über solche Menschen wird aber in unserer Gesellschaft kaum geredet und berichtet...

 AlmaMarieSchneider (15.02.12)
DEN Raucher kann man nicht für alles hernehmen. Eine Bekannte bekam 470 € Rente und sollte für ein Gebiss 1260 € zuzahlen. Die hatte bis sie starb kein Gebiss. War übrigens Nichtraucherin, besaß sonst auch keinen Luxus und als sie ein Hüftgelenk bekam, mußte sie die Reha absagen, weil 10 € pro Tag nicht vorhanden waren. Für die 470 € Rente hat sie übrigens 40 Jahre gearbeitet. Dabei lag sie noch deutlich über der Durchschnittsrente für Frauen in Westdeutschland.
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