Beidseits

Sonett zum Thema Spiel(e)

von  Möllerkies

Dieser Text ist Teil der Serie  Spitzen-Verse*
Die Schafe grasen friedlich auf den Deichen,
als existierte noch der Garten Eden.
Septembermorgen, keine Lust zu reden –
auch aufgeräumte Keller bergen Leichen.
 
Karierte Forstbeamte fällen Eichen,
reflexhaft wölbt der Himmel sich nach innen.
Orakel schweigen. Mit betäubten Sinnen
steht man versteinert vor perfekten Teichen.
 
Trompetenklang ertönt. Jetzt lasst uns eilen,
im bunten Rock, an dem die Motten nagen.
Chianti fließt in Strömen. Starke Verben
 
hofieren die zu Eis erstarrten Erben.
Oasen schimmern fern, wo Palmen ragen.
Nun hängt der Abend dämmernd in den Seilen.

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Kommentare zu diesem Text


 GastIltis (27.03.17)
Andererseits

Die Deiche stehn bzw. liegen.
Der Garten Eden ist inzwischen Steppe.
Und hinterm Deich da wartet schon die Eppe.
Die rechte Ebbe ist nicht mehr zu kriegen.

Und Schafe schlafen, glaub ich, statt zu grasen,
Beim Reimen ist es wie beim Buchstabieren:
Die Angst hilft keinem Doofen beim Regieren,
was hilft sind Luft-, Sprech-, Schwimm- und Wasserblasen.

Lasst Vater, Mutter und Morgana sehen,
wer heut nicht kommt, verpasst die Abendröte.
Was die Kapelle spielt, ist überflüssig.

Die Gegner sind der Töne überdrüssig.
Am Ende hört man nur des Hirten Flöte
und selbst die Leichen lässt man wieder gehen.

LG (mit Achtung!) Giltis.

 AZU20 (27.03.17)
Sehr gelungen. LG

 Möllerkies meinte dazu am 31.03.17:
Danke, Armin.

 Irma (27.03.17)
Ich musste es schon zweimal lesen, lieber Möllerkies, bevor ich „das Akrostichon“ entdeckt hatte.

Eigentlich erschien mir das Ganze sehr kryptisch und irgendwie apokalyptisch: Hier die treudummen, braven Schafe, die nichtsahnend grasen, ohne auch mal auf die andere Seite des Deiches zu schauen. Dort sorgsam polierte Flächen, hinter denen sich der Dreck erschreckend stapelt. Der Zerfall setzt unbemerkt ein, von innen her: wie ein Krebsgeschwür. Wie die Larven des Eichen-Prozessionsspinners, die irgendwann aktiv werden und unübersehbar Schaden anrichten.

Was bedeutet Perfektion im Licht der wahren Erkenntnis? Spätestens mit den Terzetten müssen wir erkennen: Die Fäulnis hat sich nach außen verlagert, ist nun für alle unübersehbar. Da hilft auch kein Hoffen mehr auf ein nahendes Paradies. Der Tag (bzw. der Abend) der Abrechnung ist gekommen.

Soweit so gut. Lässt sich wenig zu sagen, außer dass mir das zweite Quartett in sich am unvollkommensten erscheint. Am gewolltesten, den Schein nach außen aufrecht erhaltend. Die Terzette haben mich treudummes Schaf wieder brav eingelullt. Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass du den Leser mit deinem Sonett zum Thema „Spiel(e)“ hier noch auf einer ganz anderen Spielwiese grasen lassen wolltest.

Ich bin leider kein Fußballprofi. Aber deine unbeweglichen Schäfchen könnten auch auf einem Spielfeld stehen, naiv träumend vom Sieg, während hintenherum schon die Konter eingeleitet werden. Erstarrung pur! Die perfekt ausgearbeiteten Pläne zerstieben und die Fanfaren zeigen an: Niedergang. Am Ende eilt man in zerfetzten Trikots zum Ausgang, immer noch mit dem hoffnungsfroh-trügerischen Bild eines Sieges vor Augen.

"Beidseits" anregend, auf jeden Fall! LG Irma
(Kommentar korrigiert am 27.03.2017)

 Möllerkies antwortete darauf am 31.03.17:
Vielen Dank, Irma, für deine Gedanken zum Gedicht!

Ja, ich wollte den Leser auf einer anderen Spielwiese grasen lassen. Auf »das Akrostichon« bist du ja schon gestoßen, aber es gibt eben beidseits etwas zu knabbern: dieselbe Pflanze, hier unter botanischem, dort unter deutschem Namen. Aus solchem Spiel ergab sich der kryptische Text mit zugegebermaßen etwas bemühtem zweitem Quartett.

Viele Grüße
Martin

 Irma schrieb daraufhin am 15.04.17:
Bin kein Schuster und habe deshalb natürlich nicht beidseits nach irgendwelchen Leistenversen Auschau gehalten.

Aber ich muss schon sagen, Martin, da hast du dir ja einiges geleistet! Ziehe den Hut!

Du hast echt einen an der Waffel! ) LG Irma
(Antwort korrigiert am 15.04.2017)

 plotzn (08.04.17)
Chapeau, Martin!
Gleich zwei Akrosticha in einem Gedicht.
Hab ich noch nirgends gesehen und ich muss zugeben - ohne die Hinweise in den Kommentaren wären sie mir auch entgangen.

liebe Grüße, Stefan

 Möllerkies äußerte darauf am 10.04.17:
Danke, Stefan. Das wäre wohl auch zu viel verlangt, dass ein Leser die Akrostichen ohne Hinweis entdeckt. Ausnahmen mag es geben, ich habe mal eine bedichtet:  »Hälfte des Lebens«.

 plotzn ergänzte dazu am 10.04.17:
:-)) Ich sollte wie L. versuchen, ihnen mehr auf der Spur zu sein

 Didi.Costaire (08.04.17)
Man sieht hier mal wieder - wenn auch in meinem Fall spät - dass deine Verse oftmals Erstaunliches leisten. Hut ab!
Beste Grüße, Dirk
(Kommentar korrigiert am 08.04.2017)

 Möllerkies meinte dazu am 10.04.17:
Danke, Dirk. Wobei ich gestehen muss: Am Ende habe ich die Mühe gescheut, meinem Gedicht wirklich Sinn zu verleihen, und bin ins Kryptische ausgewichen.
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