Das Herrenhaus

Erzählung zum Thema Geister

von  Mondsichel

Es war soweit, der Tag war da an dem ich endlich die mysteriöse und nette Unbekannte treffen sollte, mit der ich schon seit einiger Zeit in Kontakt stand. Wie und wo wir uns kennen gelernt hatten weiß ich gar nicht mehr, ich weiß nur eines, sie hatte mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Und da ich schon absolut gespannt war wie sie ist, machte ich mich auf den weiten Weg nach Hessen. Ich wohnte in Berlin, eine lange Fahrt stand mir also bevor, doch ich wusste, ich musste fahren. Irgendetwas zog mich unaufhörlich dort hin, irgendetwas rief nach mir, etwas das mir so unbekannt und doch vertraut vorkam. Es war, als wäre es meine Bestimmung diesem Ruf zu folgen....

Die Zeit lief wie ein Schatten an mir vorbei, genauso wie die vielen Bäume, die während der Fahrt am Fenster vorbeirauschten. In meinem Kopf spann ich mir die schlimmsten Szenarien vor, ich hatte Angst davor verletzt und enttäuscht zu werden. Im Grunde konnte ich doch gar nichts verlieren, trotzdem ließen mich diese Gedanken nicht in Ruhe. Ich merkte nicht einmal mehr wirklich das es mein Freund war der mit mir an diesem Tag nach Hessen fuhr, so viel ging mir durch den Kopf, so viel bewegte meine Seele und ließ mich in Aufruhr harren... Irgendwann dann kamen wir an. Die Zeit hatte mir Unendlichkeiten vorgegaukelt und doch waren es nur wenige Stunden gewesen. Fast unmerklich schob sich ein grauer Schleier auf meine Gedanken, die mich nun in Ruhe ließen. Was blieb war Schweigen, das Erstaunen, die Ehrfürchtigkeit vor diesem Haus, das fast wie eine Ruine vor uns in den Himmel ragte. Es war alt, uralt... es schien als würde es im nächsten Moment fast zusammenzubrechen, doch es blieb stehen, als letztes Zeichen seiner Zeit... Das nächste was ich sah war sie, als sie freudestrahlend um die Ecke gelaufen kam. Sie, das war Mona, wohl eine der bedeutendsten Menschen die ich je kennen gelernt hatte. Und im realen Leben wirkte sie noch viel überzeugender, viel echter, kein Trugbild, kein Schatten, kein Schein. Mein Herz machte einen lauten Seufzer, die Anspannung und meine Befürchtungen verflogen zugleich im Wind.... Sie sah wunderschön aus, tief in schwarz gehüllt und doch so damenhaft und mysteriös das es den Toten den Atem verschlagen hätte, wären sie an diesem Orte gewesen. Ein kleines Kettendiadem schmückte ihre Stirn und das lange, wallende rote Haar, mit dem der Wind seine Spielchen trieb. Unter ihrem Herzen wuchs ein kleines Leben heran, ihr Bäuchlein blitzte keck unter ihren Sachen hervor, eine Hoffnung die langsam aber sicher heranwuchs und die düsteren Vergangenheiten vergessen machen ließ... Nach dem kurzen Begrüßungsgespräch und einer Umarmung blickten wir uns in die Augen, es funkelte so hell und klar vor den Gedanken. Es war als würde eine Epoche auf eine andere treffen, eine Verwirrung der Gezeiten und doch war es weder merkwürdig noch erschreckend. Irgendetwas in meinem Herzen sprach zu mir in sanften Melodien, hieß mich willkommen an einem Orte der mir fremd und doch bekannt... Wir waren die ersten Gäste, Mona schien uns voran zu schweben und führte uns mit ausführlichen Erzählungen durch das alte Haus. Es war das Haus in dem sie in ihrer Kindheit oft gewesen war, wie eine Prinzessin auf ihrem Schlosse, auch wenn sie keine war. Sie kannte jeden Winkel, jeden Raum, so zeigte sie uns die bedeutendsten Orte des Hauses. Am Eindrucksvollsten fand ich den unglaublich großen Tanzsaal, eine überwältigende Kulisse die man nie erwartet hätte, nach dem was man von draußen gesehen hatte. Vieles im Haus war baufällig, die Treppen knarrten wie man es aus uralten Horrorfilmen kannte, die Gänge waren eng und verworren. Die Wände schienen fast zu zerbrechen unter der Last der Zeit und doch gaben sie dem Streben nicht nach, verharrten unbeeindruckt vor unseren Augen. Man fühlte sich wie verzaubert, von jedem kleinen Stück das man mehr entdeckte an diesem uralten Orte der so viele Sonnen und Monde schon gesehen hatte... Wir suchten uns ein Zimmer aus und kehrten dann zu Mona zurück, die noch immer in den Vorbereitungen für ihre Feier steckte. In der riesigen Küche köchelte das Chili vor sich hin und draußen war alles für das Grillen vorbereitet... Musik klang in den Apfelbäumen die hinter dem Haus standen, der Wind wehte sein raues Lüftchen über die Tische, die schon in Biergartenmanier aufgestellt waren. Hier würde jeder sein Plätzchen finden dachte ich bei mir, Platz war hier mehr als reichlich. Und im rauschenden Konzert der Apfelbäume begann meine Seele zu lächeln und in beruhigenden Wogen aus Freude zu versinken... Nach und nach trafen weitere Gäste ein, die dann den selben Rundgang durch das Haus genießen konnten wie wir bei unserer Ankunft. Man verwickelte sich gegenseitig in interessante Gespräche und vergaß völlig, das es wildfremde Leute waren mit denen man redete. Ja man kann sagen es war als würde man mit jemandem sprechen den man schon seit Jahrtausenden kannte, als wären die Seelen nach langer Reise und Suche endlich wieder heimgekehrt... Mit der Zeit wurde es dunkler und kühler, der Stimmung tat das jedoch keinen Abbruch. Es wurde kraftvolle aber auch romantische Musik gehört, heiß diskutiert und viel gelacht und gescherzt. Mit der anbrechenden Dunkelheit entzündeten sich die Kerzen auf den Tischen und ein riesiger Scheinwerfer beleuchtete den Grill, um den wir uns rumgesetzt hatten, da es doch dort noch am wärmsten war... Doch irgendwann wurde es mir zu kalt und ich ging ins Haus zurück um mir wärmere Sachen anzuziehen. Ich begegnete Mona, die sich ebenfalls umgezogen hatte. Sie trug jetzt einen dicken Pulli und Hosen, ich hatte das Gefühl wieder von einer Epoche in die andere geworfen zu werden. Aus der Prinzessin war eine typische moderne junge Frau geworden, die trotzdem noch immer diese Wärme und Freude ausstrahlte die ich ein paar Stunden zuvor erlebt hatte. Ich schwatzte noch ein wenig mit ihr und ich war mir sicher das ich jemanden rufen hörte als sie wieder nach draußen ging. Ich wunderte mich, ging dann jedoch die Treppe hoch, die mir ihr berühmtes Horrorfilm-Liedchen knarrte... Im obersten Stockwerk war unser Zimmer, dort war es angenehm warm. Ich trat zum Fenster, lauschte den Stimmen und der Musik, schaute hinunter zum Grill und musste lächeln als ich sie da unten um den Grill herum sitzen sah... Nachdem ich mich umgezogen hatte wollte ich eigentlich wieder hinunter zu den anderen, doch plötzlich rief wieder dieses Gefühl in mir das ich während der ganzen Hinfahrt schon in mir gespürt hatte. Neugier wurde in mir geweckt, Unternehmungslust, die Gelegenheit war günstig eine kleine Entdeckungsreise im Haus zu machen... Ich lief die Treppe hinunter und begann die einzelnen Räume da unten zu erkunden. Sie waren leer, doch sie hatten eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich, so das ich vorsichtig hineintrat. In diesem Momente war es als würden Stimmen in meinem Kopf sprechen. Uralte Stimmen, die längst mit dem Wind verflogen waren. Es schien als würde ihr Echo noch immer von den alten brüchigen Wänden herniederschallen, auf jeden der diese Räume betrat... Ich wandelte weiter durch die Eingangshalle und sah dort die riesige Glocke stehen, die einst noch in einem Kirchenturm geschlagen hatte. Ich berührte sie, strich über das uralte Zeugnis der Zeit, klopfte mit den Fingerknochen an die Außenwand wobei sie leise zu klingen begann. Und obwohl mich meine schrillsten Gedankenschreie davon abhalten wollten klopfte ich wieder und wieder gegen die Glocke, damit sie leise und sanft ihre Stimme erheben möge. Damit sie mir erzählen konnte aus den Zeiten als sie noch glänzend über den Häusern der Welt ihr Lied erklingen ließ... Ein Rufen durchbrach meine Versunkenheit, ich zog meine Hand blitzschnell zurück und folgte dem was ich zu hören glaubte. Ich wandelte durch die dunklen Gänge, das Holz unter meinen Füßen knarrte mit jedem Schritt, es war als wäre ich hineingezogen worden in einen Film der nun meine Geschichte erzählte. Eine Atmosphäre die vor Geheimnissen nur so explodierte... Dunkelheit um mich herum, ich tastete die Wand nach einem Lichtschalter ab. Es klickte und ich stand wieder im Tanzsaal, dessen Anblick mir den Atem raubte. Uralte Kerzenleuchter hingen herab, die Farbe bröckelte von den Wänden, die Fenster so weit und groß, die Decke so unglaublich hoch, Verzierungen die längst nicht mehr in alter Schönheit glänzten. Es war so innerlich zerrissen und doch so wunderschön, dieses Haus, dieser Saal... Ich schaltete das Licht wieder aus und wollte gehen, doch in diesem Augenblick hörte ich die Musik. Ich drehte mich wieder um und es schien als würde die Seelen jener zurückgekehrt sein, die einst vor unendlichen Zeiten hier zu tanzen pflegten. Schatten die sich zu seltsamen alten Klängen so leicht über die Tanzfläche bewegten, Stimmen die kicherten und tuschelten. Ich war wie verzaubert in diesem alten Saal, deren Geheimnis sich mir nun offenbarte. Ein Schatten nahm meine Hand und tanzte mit mir durch den Saal, seine Anwesenheit gab mir die Ruhe zurück die mich verlassen hatte. Ich war nun ein Teil dieser Geschichte, dieses Geschehnisses, unweigerlich hineingezogen. Es war mir so bekannt, es war so angenehm, als wäre ich nach Hause gekommen. Ich tanzte, ich vergaß die Zeit, ich vergaß die Menschen die auf mich warteten. Es war einfach so schön, ich spürte eine tiefe Sehnsucht nach den Unendlichkeiten, nach diesem Moment, auf das er ewig währen möge...

Die Helligkeit brannte mir in den Augen, ich versuchte wieder klar zu denken, zu verstehen was geschehen war. Doch es entzog sich mir die Zeit der letzten Nacht. Mit Traurigkeit dachte ich daran was ich versäumt habe, denn mein kleiner Ausflug hatte mir den Ausgang der Feier verwehrt. Nur schemenhaft erinnerte ich mich an Feldermäuse die vor dem Fenster ihre Beute jagten. Doch die letzte Nacht holte mich mit rasender Geschwindigkeit ein, als ich die Schreie vernahm die das Haus erfüllten. Erst jetzt merkte ich den seltsamen Umstand das ich zu schweben schien, ich blickte hinunter auf den Boden. Mit Schrecken sah ich meinen zerschellten Körper am Boden liegen. Mona blickte hinauf zur Decke und mir direkt in die Augen, als könne sie mich sehen. Ein Schmerz erfüllte meine weinende Seele, in meinen Ohren sprach die süße Stimme die mich gerufen hatte, ihre Arme zogen mich sanft in unbekannte Weiten hinfort. Da begriff ich das es der Tod gewesen war, der mich zum letzten Tanz gebeten hatte...

(c)by Arcana Moon


Anmerkung von Mondsichel:

Diese Geschichte habe ich meiner Freundin Mona gewidmet, deren Geburtstag wir in besagtem Herrenhaus gefeiert haben. Die Ortschaft hat mich zu dieser Geschichte inspiriert.
Mona gefiel die Geschichte so sehr, dass sie den Text in ihrem vierteljährlichen Fanclub-Magazin ("Schwarze Rose" - Lacrimosafanclub) veröffentlichte. :)

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Kommentare zu diesem Text

witch96 (17)
(04.07.09)
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