Höre. Und.

Kurzprosa zum Thema Entwicklung(en)

von  BrigitteG

Höre nichts, außer dem Wind. Fordernd und ewig ist er, und später erst werden die gedämpften Töne wahrgenommen, die dunklen Sprachfetzen der Erwachsenen, zwischendurch das Aufklingen von hohen Kinderstimmen. Höre das morastige, zähe Geräusch, wenn sich Beine in Gummistiefeln aus dem Watt herausziehen. Ein einzelnes Möwenkreischen, das Sirren der Drachen im Wind, aufsteigend, trudelnd. 

Ein Ehepaar vor einer verwitterten Holzbank, er wischt die Tropfen des letzten Regens fort, sieht seine Frau fragend an. Sie schüttelt den Kopf und sie gehen weiter, der Sonne abgewandt.

Sieh doch hin. Der Sonnenuntergang, halb hinter Wolken verdeckt, die Wolken mit Rändern, so golden und rot glühend, als ob sie sich wichtig machten, etwas Besonderes wären. Sieh die Sonne, die sich aus den Wolken heraus schiebt und mit ihrem plötzlichen Gleißen die Oberfläche des Watts verwandelt, das Raue lackiert - wie eine Eisfläche, schrundig, verwundet, aber unerträglich strahlend. Dieser Glanz hat keine Farbe, so wenig, wie das innere Augenlid eine hat.

Spüre. Eine fremde Hand auf der Haut, flüchtig und intensiv. Sie ertastet Verkrampfungen, hart gewordene Verletzungen, und sie streicht sie fort, für den Moment. Spüre den Fluss.

Und schmecke die Wehmut auf den salzigen Lippen.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (06.07.07)
Eine (für mich) ganz neue Brigitte...! So zart. So zarte Poesie. Gute Entwicklung, denke ich.

 BrigitteG meinte dazu am 06.07.07:
Ja Uli, ich kann zart, und ich kann rustikal. Zumindest im Leben *g* - dann wird es wohl auch im Schreiben klappen. Es ist noch nicht ganz so, wie ich es gerne hätte, aber ich arbeite dran... Liebe Grüße, Brigitte.
JuSophie (53)
(06.07.07)
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 BrigitteG antwortete darauf am 06.07.07:
Oh, das ist interessant, was Du daraus liest - es war von mir nicht so beabsichtigt, wirft aber ein neues (und auch passendes) Bild auf den Text... LG Brigitte.

 toyn (06.07.07)
oh ... das schönste was ich heute hier lesen durfte! sehr fein und zart. ein wunderbar melancholisches stimmungs-bild. wehmütig eben. sehr sinnlich. treffend. einnehmend und mitnehmend formuliert. gefällt mir. außerordentlich gut. lg toyn.

 BrigitteG schrieb daraufhin am 06.07.07:
Hui, da bleibt mir nur noch, "danke" zu sagen. LG Brigitte.

 mondenkind (06.07.07)
so winzige, wertvolle momente sind es meist. und plötzlich ist alles so klar. als hätte man zuvor immer über eine antwort hinweggesehen. gefällt mir sehr. :) lg, nici

 BrigitteG äußerte darauf am 06.07.07:
Der Moment selber hatte soviel Klarheit, dass das Hirn freigepustet wurde, Nici - schön, dass es Dir gefällt. LG Brigitte.
Elias† (63)
(06.07.07)
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 BrigitteG ergänzte dazu am 06.07.07:
Dann hat es geklappt mit der Stimmung, Elias - es ist eine Weite und ein Ruhe, und der Wind über Allem. Liebe Grüße, Brigitte.
LudwigJanssen (54)
(06.07.07)
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 BrigitteG meinte dazu am 06.07.07:
Ah - ein Kommentar zum Nachdenken, Ludwig *g*. Das mit den Möwen: zuerst hatte ich "vereinzelt" da stehen, ich meinte damit einfach nur, dass nicht dauernd Möwen kreischten, sondern dass es als Geräusch die Ausnahme war. Das mit dem "schrill" als Doppelung ist natürlich ein berechtigter Einwand von Dir, ich fand es malerischer *g* mit dem "schrill", aber inhaltlich ist es natürlich nicht notwendig. Zu den Kinderstimmen kannst Du gerne einen Vorschlag machen - es ging darum, dass es wie bei dem Möwen nur ein gelegentliches Geräusch war, und nicht permanent. "später als ewig ist schon ziemlich spät" - das ist eine ziemlich witzige Stelle bei Deinem Kommentar. Ich meinte damit, dass die erste Wahrnehmung der Wind war, und erst im Laufe der Zeit andere Geräusche bewusst wahrgenommen wurden. Muss mal nachdenken, wie ich das anders und klarer formulieren kann. Das mit dem "und" zum Schluss, da denke ich auch mal drüber nach. Deine Idee, den Leser unmittelbarer hineinzuziehen in die Situation, das wollte ich allerdings nicht. Es wäre bei dem Ehepaar problemlos gegangen, das in Wirklichkeit zwei Ehepaare mit einem schrecklichen, undefinierbaren Akzent war, die permanent gequatscht hatten, und sich schon als Comedyfiguren geeignet hätten - aber die Dialoge habe ich wieder herausgestrichen, weil ich mehr Distanz wollte. Danke für Deinen Kommentar und liebe Grüße, Brigitte.
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 07.07.07:
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LudwigJanssen (54) meinte dazu am 07.07.07:
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 BrigitteG meinte dazu am 07.07.07:
Das mit den Kinderstimmen lass ich mal so, wie ich es verbessert hatte. Diese Sch...möwen - das Kreischen als Substantiv lasse ich, das passt besser zum Sirren, finde ich. Ich nehme einfach nur mal das "schrille" raus. Das Ehepaar ist jetzt textlich kürzer (nein, ich kürze nicht ganz so radikal, Regine *g* - aber ein bisschen schon). Und es ist der Sonnenuntergang, und nicht einer. Den Rest lasse ich mal so.
Ich finde es sehr gut, bestimmte Anregungen und Fragen zu bekommen (meistens ärgere ich mich, dass ich nicht selber darauf gekommen bin *g*).
Schwierigkeiten habe ich dann, wenn ein Text zu sehr umgebaut werden müsste. Natürlich kann so etwas inhaltlich absolut berechtigt sein, keine Frage, aber wenn ich Grundsätzliches ändere, dann habe ich das Gefühl, dass hinterher nur noch die Hälfte des Textes meine eigene Kreativität ist, und die andere Hälfte von Autor X, Y oder Z. Selbst wenn es hinterher besser wäre - ich will, dass so ein Text meine derzeitigen Fähigkeiten wiederspiegelt :).
LudwigJanssen (54) meinte dazu am 07.07.07:
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 leorenita (07.07.07)
heyyyyy, das gefällt mir sehr gut Brigitte. Sehr stimmungsvoll, ich wähne mich dort.
Ich würde nur den ABsatz mit dem Ehepaar der restlichen Stimmung anpassen, sie nicht so konkret heraustreten lassen.
Aber das ist Geschmackssache.Lieber Gruuuß, Regine

 BrigitteG meinte dazu am 07.07.07:
Das Ehepaar ist jetzt kürzer - allerdings nicht in dem Ausmaß, wie Du Dir das vorstellen konntest *g*. Aber schön, dass es Dir ansonsten gefällt. Liebe Grüße, Brigitte.

 ViolaKunterbunt (07.07.07)
Das ist ein wunderschöner Text. Der gefällt mir sehr,sehr gut. Du hast die Stimmung toll eingefangen und ich kann das alles beim Lesen nachspüren.
Hören, sehen, spüren - voller Empfindungen. Vor allem das Spüren - mit den hart gewordenen Verletzungen ....
Ich spüre das Wohltun des Fließens, aber auch die Wehmut.
Hach ... es ist wirklich schön geschrieben.
Ganz besonders liebe Grüße, Viola

 BrigitteG meinte dazu am 07.07.07:
Ach, danke schön, Viola... sowas lese ich gerne... Liebe Grüße, Brigitte.

 Martina (09.07.07)
Ups...das ist wirklich von dir? Jetzt hast du mich ganz schön irritiert :0)) Wow.....Lg Tina

 BrigitteG meinte dazu am 09.07.07:
:). Hey, das gefällt mir mit dem Irritieren, Martina - ja, ich kann auch sanfter, und nicht nur ironisch und schäbig *g* (ich darf nicht zuviele alberne limericks schreiben, ist zu einseitig für's Image). Danke für das "Wow"! Liebe Grüße, Brigitte.
Sunset (38)
(09.07.07)
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 BrigitteG meinte dazu am 09.07.07:
Dankeschön - und schön, dass die Gefühle so rübergekommen sind. Liebe Grüße, Brigitte.

 Theseusel (16.07.07)
"Höre.Und." - die Kurzprosa Text gefällt mir so gut, dass es ein Augenlied wird ... Schwingungen eben wie Hände flüchtig und intensiv...also mit Nachdruck!;) Grüße von Gerd

 BrigitteG meinte dazu am 17.07.07:
Das mit dem Augen-Lied gefällt mir gut, Gerd... schön, dass der Text bei Dir "angekommen" ist. Liebe Grüße, Brigitte.
Adeline (37)
(22.07.07)
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 BrigitteG meinte dazu am 22.07.07:
Ach, das finde ich aber schön - danke für Deinen Kommentar, Adeline. LG Brigitte.
Angelika Dirksen (62)
(15.05.08)
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 BrigitteG meinte dazu am 15.05.08:
Ja, man könnte Geschichten daraus machen, das denke ich auch, Angelika. Es sind keine geworden, weil die Hauptperson des Textes fast identisch ist mit mir, und ich habe mich wohl damals eher fragmentarisch gefühlt... Liebe Grüße, Brigitte.
DanKo (32)
(29.12.08)
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 BrigitteG meinte dazu am 30.12.08:
Ach. Ach, ist das ein schöner Kommentar. Hach, danke.
vetinari (18)
(24.04.10)
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 BrigitteG meinte dazu am 25.04.10:
Ja, das ist auch drin, Vetinari - eine Mischung aus Trauer, Aufbruch und dem intensiven Erleben des Moments. Wie das Leben halt so spielt :).
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