Josef

Groteske zum Thema Weihnachtsgeschichte

von  Ephemere

Er ist eine tragische Figur, der kleine Mann, dem der Allmächtige die Frau ausgespannt hat. Das folgenschwere ius prima noctis ist für ihn unfassbar, doch unausweichlich. Es wirft ihn aus der Bahn...die Schwangerschaft von einem Anderen, das Kind, das er trotz alledem verpflegen muss, obwohl es nie ihn als Vater anerkennen wird...die Skandale und letztlich das Todesurteil...zuviel für einen Schreiner, dessen Traum vom Glück so bescheiden war. Nun sehen wir ihn vor Netto stehen, betrunken und unrasiert. Er grölt uns seine Geschichte entgegen:
Neulich nach dem zweiten Bier
Sprach auf einmal Gott zu mir:
„Geiler als Naturgewalten
Sind die Möpse Deiner Alten
Und was ich will, das nehm’ ich Dir“

Man ist pikiert, schaut in die andere Richtung, lacht ihn aus. Auch, als er erzählt, wie am Tag nach dieser Verkündung der Zeuge Jehovas vor der Tür stand. Gediegen gekleidet, von ansehnlichem Körperbau und ausgestattet mit einem Schreiben des Schöpfers – dem klaren Auftrag, Josefs Frau zu schwängern.
Die Geschichte nimmt absurde Züge an. Man macht einen möglichst weiten Bogen um Josef. Schließlich kommt die Polizei, nimmt den Mann so freundlich, wie es die rohe Zeremonie erlaubt, mit aufs Revier wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Die Nacht verbringt er in der Ausnüchterungszelle.
In einem anderen Universum hat man seine Geschichte geglaubt. Er wurde zum Inventar der Mythen. Belächelt vielleicht, aber geehrt. Immerhin doch geehrt.
In diesem unserem Universum ist kein Platz für betrogene Ehemänner.

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (27.07.08)
Lieber Jan,
du hast sehr anschaulich dargestellt, wie so ein gehörnter Josef abstürzen kann. Eine freche neuzeitliche Version der Weihnachtsgeschichte und für mich eines der Highlights der kV-Lesung in Minden.
lg, didi

 Ephemere meinte dazu am 27.07.08:
Lieber Didi,

danke für die Blumen. Freut mich sehr, dass der Text Euch Spaß gemacht hat. Es steckt durchaus auch eine nachdenkliche Komponente darin (in einer entmystifizierten Welt kann man das Schicksal nicht mehr für seine Schläge verantwortlich machen. Der davon Getroffene ist heute nur noch profan ein "Verlierer". Hiob z.B. - oder eben auch Josef - war dagegen eine Art Held...). Doch finde ich es schöner, das hier komödiantisch auszudrücken, so wirkt es nicht moralingesäuert.

Liebe Grüße und bis bald,

Jan

 Unbegabt (27.07.08)
DAS Highlight überhaupt. ;)

Grüße, n. (ele)

 Ephemere antwortete darauf am 27.07.08:
Danke
Grufti.Ente (28) schrieb daraufhin am 28.07.08:
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JeanDark (21)
(27.07.08)
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 Ephemere äußerte darauf am 28.07.08:
Danke! In Wirklichkeit habe ich natürlich nur nach einem entschuldigenden Rahmen gesucht, um den vulgären Reim mit den "Möpsen" anzubringen )

 mondenkind (28.07.08)
ich habe ihn schon immer bedauert, den armen tropf. :)
klasse geschrieben! gern hätte ichs auch gehört, aber ich war ja nicht da. will meinen: mach eine hörfassung! :) nici

 Ephemere ergänzte dazu am 28.07.08:
Danke Und: das nächste Treffen kommt bestimmt!

 ViolaKunterbunt (28.07.08)
Bitterbüse, aber einfach herrlich!
Du hast den auch so toll vorgetragen, dass alle bei der Lesung total begeistert waren. Und ich auch. Sehr sogar.
Kunterbunte Grüße
Viola

 Ephemere meinte dazu am 29.07.08:
Danke, das freut mich sehr! Man merkt im Allgemeinen selten, wie viel im Grunde Böses und Bitteres in der ach so hoffnungsfrohen Geschichte des Jesus - von Verkündigung bis Auferstehung - steckt...zumal Josef in so mancher Hinsicht stellvertretend für den heutigen abgehängten "Verlierer" leidet, den wir vor Plus und REWE antreffen. Statt Gott ist es nun die "Globalisierung", die "wirtschaftliche Gesamtlage", der "Qualifizierungsdruck", der dem machtlosen Männchen sein - wesentlich profaneres - Schicksal verkundet...
(Antwort korrigiert am 29.07.2008)

 Mutter (07.01.09)
Sehr cool ... Ich glaube, vor meinem Plus in Kreuzberg stand der auch schon mal ... :D

 Ephemere meinte dazu am 07.01.09:
Bei mir blökte er immer vorm Plus in Jena-Lobeda rum. Ein ewiger Wiedergänger eben. Seit ich in Bremen wohne, habe ich ihn aber nicht mehr gesehen...
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