Himmel und Hölle

Satire

von  JoBo72

Es handelt sich um den Anfangsmonolog eines (bislang) unvollendet gebliebenen Kabarettprogramms. Dessen mangelnde Aktualität erklärt sich daher, dass der Text im Jahr 2005 entstand.

Ich glaube, irgendwo im Himmel gibt es eine Schaltzentrale, vergleichbar der BVG-Leitstelle am U-Bahnhof Osloer Straße, also mal vom Prinzip her, bloß viel größer, auf der arbeiten alles Ein-Euro-Engel, die den ganzen Tag nix anderes machen, als sich zu überlegen, wer als nächstes eine Einladung zur Weinprobe, eine kostenlose 5-Tages-Reise in den Hegau oder ein Los der Norddeutschen Klassenlotterie bekommt.

Und neben dran ist eine Riesen-Druckerei. Und ein Riesen-Copyshop. Da arbeiten auch Engel, aber die studieren noch. An der Kasse muss man immer 10 Minuten warten, bis sie das Kapitel zuende gelesen haben. „Einführung in die klinische Psychologie“ oder „Absatzwirtschaft 2“. Dann blicken die immer hoch und sagen: „Oh, ’tschuldigung, gar nich’ gesehen.“ Ja, und dann können die nie wechseln. Ich mein, im Himmel zahlt man ja nicht mit Geld, sondern mit Liebe. Wenn man dann so scheiß-freundlich kommt und meint: „Macht doch nichts! Hab ja Zeit! Und Das Versmaß im klassischen byzantinischen Trauergedicht ist schließlich wichtiger als ein bisschen Kundenfreundlichkeit!“, dann sagen die immer: „Ach, Sie sind der erste heute. Und so nett! Ich kann Ihnen gar nicht rausgeben!“

Aber was ich eigentlich sagen wollte, ist was ganz anderes. Denn: In dieser Riesen-Druckerei machen 10 Millionen ABM-Kräfte nur eine einzige Sache: Faltblätter für Pizzaservice. „Wenn Sie für mehr als 20 Euro bestellen, bekommen Sie eine Flasche Wein gratis.“ In allen Sprachen. Da gibt es extra eine Abteilung mit ehemaligen Maschinenbaustudenten, die sind für die Rechtschreibfehler zuständig. Und die Grammatikfehler. „Wählen sie 2 verschieden Belag nach Ihr Geschmack.“ Jaja, aber Basisvektoren aus n-dimensionalen Matrizen berechnen!

Das war der Himmel.

Jetzt komme ich zur Hölle. Ich wollte schon die ganze Zeit über die Hölle sprechen. Kenn ich mich aus. War ich schon. Ich war nämlich bis gestern Kulturreferent bei RTL3. Da muss man dann alles in 0:45 packen. Es gibt nicht mehr als 0:45. Ich wollte 3, dann 2, dann 1, aber bekommen hab ich 0:45. Jetzt versuchen Sie man die Passionsgeschichte in 0:45. Da kommen Sie ja beim Letzten Abendmahl nicht über die Vorsuppe hinaus! Die Epen des Homer: Da kriegen Sie nicht für die Ilias 0:45 und für die Odyssee noch mal 0:45... Nahein! Da müssen Sie beides zusammenpacken. „Machen Sie ein Summary für den Overview, das reicht.“

Oder jetzt: Schiller-Jahr. Die Glocke. „Festgemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt, heut noch soll die Glocke... Werbung!“ Ja, und dann ist es einigen immer noch zu langatmig. Passiert ja nix!

Ich sollte zum Kant-Jahr 2004 irgendwas über Kindesmissbrauch in Königsberg sagen. Wegen der Quote. Kant hat aber keine Kinder missbraucht. Der hat sie gehasst, aber nicht missbraucht! „Dann sagen Sie eben was zu Nietzsche. Peitsche und so.“ Der hat aber kein Jubiläum. „Das weiß doch keiner! Jetzt stellen Sie sich nicht so an!“ Also hab ich was zu Nietzsches 160. Geburtstag gesagt, letztes Jahr. Zwischen einem Bericht über die NPD und der Wahl zur Domina des Jahres. 0:45. Ganz genau eingehalten. Reicht aus, um alle Vorurteile zu bestätigen.

Im Vorfeld der Fußball-WM planen die jetzt eine Reihe „Die grüne Bühne“, Klassiker des Dramas und der Fußball.

Das geht dann so:
Julia: „Romeo, oh, Romeo. Was gäb mein Herz, wenn heute Nacht Dein weicher Atem in den meinen fließt und unsre Liebe diesen Raum auf’s Neue füllt.“
Romeo: „Äh... Heut’ Nacht? Du, is’ schlecht! Champions-League-Viertelfinale: Liverpool, Lissabon. Andermal gerne, O.K.?“

Oder im Faust springt der Abramowitsch aus dem Pudel und sagt (mit russischem Akzent): „Gut, kriegst Du ewige Jugend und Gretchen, krieg ich Rosicky, Pizarro, Ballack, Beckham und den Kleinen, der immer so traurig ist. Deisler!“

Und Antigone sagt nicht: „Oh, Vater!“, sondern: „Ey, Schiri!“

Ja, und ich mein, jetzt regen sich viele darüber auf, dass die heutige Generation von Abiturienten die Glocke von Schiller nicht mehr auswendig kann. Na, das müssen sie ja auch nicht. Die gehen ins Internet und tippen bei „suchmich.de“ ein: „Glocke“ – „Schiler“. Und selbst wenn sie den mit einem „l“ schreiben, sagt der Computer nicht: „Guten Tag, Herr Außenminister!“, sondern fragt nach: Meinten Sie „Schiller“? Und dann kann man immer noch sagen: „Oh, ja. Richtig. Schiller mit Doppel-l!“.

Ja, ich mein, ich bin ja so eine Zwischengeneration, zwischen der, die noch Horaz auf Latein rezitiert hat und für die Mathematik noch „Päckchenrechnen“ hieß, die noch geschlagen wurden, wenn sie das Turnseil nicht hochklettern konnten. Und der Generation von heute – ich sag nur: PISA!

Festgemauert in der Erden, steht die Form aus Lehm gebrannt, heut noch soll die Glocke werden...

Ja, Zwischengeneration. Bei uns gab es in der Grundschule nur zwei Kleidungsvarianten: Parka mit Fell für den Winter und ohne Fell für den Sommer. Später dann, als sich Helmut Kohl durchsetzte und die Wende kam, hatten wir plötzlich alle bunte Jacken. Daran und an der extrem niedrigen Inflationsrate konnte man den Aufschwung erkennen.

Ich komm’ vom Thema ab.

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