alle

Text

von  Ricardo

alle sitzen ständig in cafes und reden.
alle rufen mich ständig an und fragen, was sie tun sollen.
wohl, weil ich den eindruck vermittele, dass ich weiß, was ich will.
weiß ich auch, aber selbst ich habe momente, in denen ich das vergesse.
dann pimpere ich ein halbes jahr in der gegend rum, trinke am abend einen kasten bier
und frage fremde leute auf der straße nach dem grund.

alle erzählen ständig den gleichen blödsinn, stellen ständig die gleichen fragen.
keiner weiß, was er will, macht dann irgendetwas und weiß noch nicht einmal, ob er das darf, was er da gerade macht. ob das gut ist, werde ich oft gefragt und es fällt niemandem auf, dass diese frage ungefähr genauso viel sinn macht, als würde man sich erdbeeren in den arsch schieben.

egal wohin ich gehe, ich lerne nur noch vermeintliche künstler kennen. alle wollen sie von der kunst leben, jagen der kunst hinterher und wollen auch so independent sein. nur bloß nicht unabhängig.

alle lesen bukowski und wenn ich dann mal besoffen einer an den arsch lange und ihren freund verprügeln will, weil er so tut, als hätte er sie verdient, beschweren sich alle.
alle wollen große liebe und ehrliche gefühle, jemand der einen versteht und verstecken sich weinend in der ecke, sobald der andere zu lange oder zu viel da ist. kein unterschied mehr zwischen qualität und quantität. "die hölle, das sind die anderen", mein freund.

alle haben voll die idee und den riesen plan, alle sitzen über ihrem rotwein, was ja immerhin noch besser ist als weißwein aus weißweingläsern zu trinken, und halten große reden, bleiben aber allesamt lokalgrößen, manche noch nicht mal das. ich kann das gut verstehen. mich haben schon frauen mit nach hause genommen, nur weil ich gesagt habe, ich sei drehbuchautor. läuft ganz gut, die masche. aber dann sollte man am nächsten morgen auch kein frühstück und keine gespräche über den vater erwarten.
keiner versteht das, obwohl es dermaßen offensichtlich ist, sodass ich manchmal angst habe, dass ich doch nicht der einzige bin, der das prinzip verstanden hat, dass man seine kunst nicht verkaufen kann, wenn man sich nicht überwindet und die größte scheiße als beginn einer neuen epoche verkauft.

immer diese moral. und dann auch noch eine moral, die eigentlich keine ist, sondern nur angst davor, sich selbst preiszugeben. das muss man nämlich in der kunst, genau wie in der liebe. der einzige unterschied ist, dass man in der liebe auch zugeben muss, zugeben kann, dass man scheiße ist. in der kunst darf man das zwar von sich selbst, als person, auch, die eigene kunst als solche jedoch, muss man immer so verkaufen, wie ein autohändler es bei einem zwanwig jahre alten gebrauchtwagen tun würde. ohne fehler. perfekt in schuss. denn keiner hält jemanden aus, der sich offenbart, solange er nicht jemandem gegenüber sitzt, dem er sich ebenso offenbaren kann. aber selbst das verstehen die meisten menschen nicht, denn dazu bedarf es dialektischem denken und, dass das rar gesät ist, beweist ja das vorhandensein von freier marktwirtschaft.

ich möchte mir bei meiner lesung jedenfalls nicht anhören, wie klein der penis, wie schlecht die welt, wie mies der job meiner zuhörer ist und das weiß auch jeder, der mir fünf minuten lang zugehört hat.
ich höre mir nur probleme von leuten an, die mich interessieren.

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Kommentare zu diesem Text

ungesagt (34)
(10.12.08)
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