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Nanny 

Elfmeter-Killer

Kurzgeschichte zum Thema Beziehung

von  Mutter

Julia steht in der Küche, den lauwarmen Tee in der Hand, sieht mich mit feuchten Augen an und ich weiß: Ich kann jetzt was sagen, was unsere Beziehung grundlegend verändern wird. Was möglicherweise ihr Bild von Männern und von der Welt insgesamt verändern wird.
Äußerlich ist sie ganz ruhig, aber innerlich, vor ihrem Auge, laufen wahrscheinlich die eine Million Streits und Diskussionen, die sie mit Männern in ihrem Leben bereits gehabt hat, ab, und sie hat kaum noch Hoffnung. Am Ende sind die Typen immer ein Arsch, und sagen Sachen, für die man sie am liebsten schlagen würde. Manchmal sagen sie’s mit Absicht, oft genug rutscht es ihnen nur so raus. Aber weh tun tut es immer.

Ich hasse diese Gespräche. Man steht als Mann einer Frau gegenüber, meistens der eigenen Freundin oder Frau, manchmal aber auch einem One-Night-Stand oder  anderen flüchtigen Bekanntschaft, und geht fieberhaft alle Optionen durch. Da sieht man sie dann da stehen, Dich mit den vorher bereits erwähnten Rehaugen ansehen, und irgendwie weiß man – du hast eh keine Chance.
Es gibt so einen Film – „Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter“. An den Film selbst kann ich mich nicht mehr erinnern, vielleicht habe ich ihn auch nie gesehen. Vielleicht war’s auch gar kein Film, sondern ein Buch.
Aber an den Titel erinnere ich mich noch. Weil ich, als ich den das erste Mal gehört habe, schon verstanden habe, wie wahr dieser Satz ist. Alle reden beim Elfmeterschießen immer davon, dass der Schütze alles zu verlieren, der Torwart dagegen alles zu gewinnen hat. Ein Teil davon stimmt ja auch – wer einen Elfer vergeigt, der schießt sich selbst ins Aus, besonders beim Finalschießen einer EM oder WM. Kein Mensch erinnert sich Jahre später noch an die Kerle, die kurz angerannt kamen und dann mit Wucht ihr Ding im Netz versenkt haben. Aber alle erinnern sich an die arme Sau, die Nerven gezeigt hat, oder vielleicht besonders clever sein wollte, und wegen dem anschließend die ganze Nation bluten muss.
War da nicht sogar mal ein Kolumbianer, den sie erschossen haben, weil er bei einer WM einen Elfer daneben gesetzt hat? Oder war das, weil er ein Eigentor geschossen hat? Keine Ahnung, jedenfalls ist es sicher nicht angenehm, einen wichtigen Elfmeter schießen zu müssen.
Aber zu denken, der Torwart habe es einfach, heißt, den Ernst der Lage völlig zu verkennen. Kein Torwart springt nach dem Ball und denkt „Och, den krieg ich eh nicht, aber ich versuch’s einfach mal …“. Auch wenn neunzig Prozent aller Schüsse (keine Ahnung, ob so viel, aber irgendwo in dem Bereich wird es wohl liegen) rein gehen, hat der Keeper trotzdem bei jedem Schuss potentiell die Chance, ein Held zu werden. Das Leder zu halten, und zur unsterblichen Legende zu werden. Selbst der Name für diese Männer macht schon Rückenschauer: „Elfmeter-Killer“!
Bei jedem Schuss die Möglichkeit, zum Helden zu werden. Aber immer wieder klappt es nicht. Immer wieder pushed sich der Keeper auf, macht sich bereit, will das Ding auf jeden Fall halten, und fast jedes Mal geht es trotzdem rein. Du weißt, du hast eigentlich keine Chance, aber die musst du nutzen! Mann, muss das anstrengend sein. Wer will so was? Ich habe lieber faire Chancen …

Und während sie so mit ihrem Tee dasteht und darauf wartet, womit ich sie diesmal verletzen werde, da stehe ich ihr gegenüber und habe die Chance, zum „Elfmeter-Killer“ zu werden. Was zu sagen, was schlau, einsichtig und empfindsam zugleich ist und was dazu führt, dass sich ihre Pupillen erst etwas weiten, vor leisem Erstaunen, und sich dann ihr trauriger  Blick etwas aufhellt. Sie anfängt, zu lächeln, eine kleine Bewegung auf mich zumacht. Was zu sagen, was alles andere wieder vergessen macht, was die Welt ein kleines bisschen heile macht. Unsere Welt.
Aber mich befällt die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter. Scheißegal, dass neun von zehn Schüssen eh in den Kasten gehen, ohne dass ich was machen kann. Wenn ich das Ding jetzt nicht halte, dann war’s das. Dann fahren die Jungs nach Hause, kein Pokal für keinen von uns. Es wird eine traurige Stimmung im Bus sein, und alle werden sagen „Heh, mach dir nichts draus, der war unhaltbar.“
Aber alle werden denken „Ach, hätten wir doch bloß einen Elfmeter-Killer in der Mannschaft – der hätte uns jetzt rausgepaukt.“
Und ich stelle fest – ich bin kein Elfmeter-Killer. Heute nicht. Nicht bei Julia.
Ich sage einfach gar nichts. Versuche es ein, zwei Mal, druckse ein wenig rum, aber es kommt nichts. Nichts Einsichtiges, und schon gar nichts Empfindsames. Irgendwann ertrage ich ihre feuchten, wissenden und so weisen Augen einfach nicht mehr, und ich zucke ein letztes Mal die Schultern und verlasse ihre Küche. Und ihre Wohnung, vielleicht ihr Leben.
Kleinlaut ziehe ich die Tür hinter mir zu, in der Hoffnung, sie würde mir nachkommen, noch was sagen. Selbst wenn es nur wäre, um mich zu beschimpfen, um laut zu werden. Aber dazu hätte ich erst meinen Teil des Dialogs erfüllen müssen – hätte überhaupt was sagen müssen. Ich habe mich einfach feige verpisst, mich entzogen. Und nicht geschossen. Bin vom Elfmeterpunkt einfach wieder weg gegangen, im strömenden Regen mit hängenden Schultern.
Jetzt bricht sie gerade in ihrer Küche zusammen, krümmt sich schluchzend, weil sie wieder mal an so einen typischen Kerl geraten ist, einen Versager.
Keinen Killer.
Die dreckigen Hinterhaus-Stufen verschwimmen vor meinem Blick und ich blinzele die Tränen aus den Augen. Der Rotz läuft und ich wische ihn mit dem Ärmel ab. Hätte ich mir auch vorher denken können, dass ich hinterher Taschentücher brauchen würde. Rotz und Wasser. Das heulende Elend. Alles Scheiß-Sprüche. Genau wie „Die Angst des Torwarts vor dem Elfmeter“.
Aber irgendwie stimmen sie ja doch.

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Nanny 
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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(26.11.08)
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 Mutter meinte dazu am 26.11.08:
Na, EIGENTLICH denken wir in dieser Tee-von-heiß-zu-lauwarm-Pause darüber nach, warum der dämliche Bayern München dauernd Meister wird, und warum die tollen Vereine wie Pauli noch nicht in der Champion League spielen ... aber manchmal, ganz manchmal, kommt man von DIESEN Gedanken halt auch schnell mal zu Beziehungs-relevanten Fußball-Gedanken - passiert aber nicht immer. Meistens denken wir wirklich einfach NUR an Fußball ...
(Antwort korrigiert am 26.11.2008)
Kitten (36) antwortete darauf am 24.02.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 24.02.09:
Rantanplan?

O.o
Kitten (36) äußerte darauf am 24.02.09:
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 Sylvia (26.11.08)
Hallo Mutter....
Deine Geschichte berührt so sehr, weil sie Gedanken und Verhaltensweisen auf eine witzig geschriebene Art herüber bringt. Ich finde es schön, wenn Mann, anderen einen tiefen Blick auf sein Spielfeld gewährt.
Am Anfang der Geschichte war schon abzusehen, dass der Elfer nicht geschossen wird. Die Gedanken waren zu zweifelhaft und verdammt realistisch. Dann sollte Taktik herhalten. Ein Stellungsspiel, dass den Partner mit einbezieht und nicht in die gegenüberstehende Position drängt. Die Meter sind dann Kontrahenten. Beim nächsten Mal, nützt es vielleicht sich daneben zu stellen?
Gerne gelesen und für mein Empfinden hast du einen sehr offenen, ehrlichen Einblick in Gedanken und Gefühle der Männer gewährt, dem manche Frau ewig verschlossen bleibt.
Lieben Gruß Sylvia

Ach, zwinker dir zu....die Bayern sind nicht immer meister...und Pauli trumpft mit mir als Herzensfan

 Mutter ergänzte dazu am 26.11.08:
Danke schön, Sylvia - und da Jakob (der dort am Elfer steht) ja noch durchaus mehr Zukunft vor sich hat - wenn auch vermutlich NICHT mit Irina - gibt's auch noch Hoffnung. Für ihn, dass er zum Schuß kommt (ahem, Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht ... =_=), für uns, dass wir weiter seine Psyche sezieren dürfen und für ... ja, für wen noch? Keine Ahnung ...

Und zu den Bayern - anders als so viele andere Bayern-Hasser DARF ich das. Mich wollte nämlich früher auf dem Schulhof der doppelt so große Thorsten Krüger zwingen, zu sagen, ich sei Bayern-Fan, sonst gab's Kloppe. Ich war aber HSV-Fan - und zu blöd für ein einfaches Lippenbekenntnis. Deswegen gab's Ärger vom dicken Krüger, und deswegen liebe ich diesen Song:  Die Toten Hosen - Bayern und deswegen werden die Münchner NIEMALS ihren Weg in mein Herz finden ...

Aber das mit Pauli - da bin ich voll Mainstream-schuldig ... ;) Pauli mag schließlich jeder.
(Antwort korrigiert am 26.11.2008)

 Sylvia meinte dazu am 26.11.08:
ooohhh...rutschen auf dem Platz ist erlaubt....:O))

 RainerMScholz (11.02.09)
Das war Jupp Derwal. Oder Oliver Kahn oder so.
"Am Ende sind die Typen immer ein Arsch" ist ein super Satz!
Der Rest auch.
Grüße,
R.

 Mutter meinte dazu am 12.02.09:
Danke Dir, besonders für die Trockenheit.
Da steh' ich drauf. :D

Gruß, M.
Überreflexion (28)
(01.03.09)
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 Mutter meinte dazu am 02.03.09:
:)

Danke.

 Janoschkus (22.05.10)
ich kenne den rest des romans nicht, aber da muss sich lyrich ja ziemlich in die bredoullie geeigentort haben, wenn es auf das elfmeterschießen für die entscheidung ankommt. da hätte es wohl besser im verlauf der regulären spielzeit 1, 2 tore machen und im eignen kasten reflexe zeigen müssen. ;)
wenn es so weit kommen muss, ist es wohl nicht die richtige frau. ich mag deinen erzählstil. bisher bin ich nicht wirklich bei dir zum lesen gekommen, weil meist die zeit fehlt. da komm ich mit kurzen gedichten besser zurecht. aber es lohnt sich.
gruß janosch

 Mutter meinte dazu am 25.05.10:
Tja, nach dem Spiel weiß man meist, was schief lief. :)

Danke schön ...
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