Ikarus

Erzählung zum Thema Angst

von  Mutter

Wenn ich es irgendwie schaffen würde, Gabi in Pillen- oder Pulverform zu bringen, ihn in kleine Tütchen zu verpacken – ich würde den Weltmarkt erobern. Den Weltmarkt für Drogen.
Gabriel, oder Gabi, wie ihn die meisten seiner Freunde nannten, ist meine Droge der Wahl. Meine Designer-Droge. Scheiß auf den Kater am nächsten Morgen, oder den Entzug. Scheiß auf den Verstand.

Kurz bevor ich mit ihm losziehe, meistens abends, um die Häuser, gehe ich mental die Liste durch: Rettungsweste? Check. Karabiner eingehakt? Check. Bindung überprüft? Check.
Und dann sitze ich da, auf meinem gedanklichen Steg, atme noch einmal tief durch, und versuche, meine Angst zu verbeißen. Sie runterzuschlucken, ihr nicht den Raum zu geben, den sie so unerbittlich einfordert. Und wenn dann das Dröhnen der Motoren meinen Kopf ausfüllt, und ich mit einem Ruck vom Steg aufs Wasser gerissen werde, mit Gabi vorne am Steuer – dann gibt es nur eins: Auf den Beinen bleiben, Gleichgewicht halten, oder ein Sturz ins Wasser ist die Folge.
Und bei diesen Geschwindigkeiten soll Wasser angeblich so hart wie Beton sein. Ich weiß das nicht. Bisher hatte ich mich immer aufrecht halten können.

Zusammen mit Gabi konnte ich meine Angst im Zaum halten. Konnte vergessen, dass es sie überhaupt gab, diese Angst.
Früher war das nicht so. Früher habe ich Gabi nicht gebraucht. Da war ich genauso wie er – hab dem Leben die Zähne gezeigt, immer breit gegrinst.
Wir hatten mal zusammen die Theorie aufgestellt, dass das Leben deine Angst riechen kann. Und dann kommt es, und holt dich.
Vielleicht hatte ich irgendwann genau diese Angst gezeigt, sie für einen kurzen Augenblick nicht verbergen können. Und dann ist es gekommen, und hat mich geholt. Und dann, dann bin ich mit geschmolzenen Flügeln aus der Sonne gestürzt. Seitdem beobachte ich den Himmel nur noch als Unbeteiligter. Als Fußgänger.
Außer in den kleinen Fenstern aus gestohlener Zeit, in denen mich Gabi mitnimmt, auf seine Bahn dort oben.

Narben bringen Glück, behauptet Gabi immer. Hat er auch genug davon – kommt zusammen genommen sicher auf anderthalb Meter, so über den ganzen Körper verteilt. Aber wie ist das – gilt das auch für innere Narben, für Verletzungen der Seele? Ich bin da nicht so sicher.


Anmerkung von Mutter:

Das hier ist das Bindeglied zu dem Anfang und den späteren Sachen - der Teil, der früher am Anfang stand, aber zu lahm war, um es hier zu schaffen.

Das ist der nächste Versuch ...

Und anders als die anderen Texte ist der noch nicht abgehangen, noch nicht wirklich gereift. Gibt also noch genügend Unebenheiten zum Wegschleifen. Aber ohne dieses Zwischenstück funktionieren die anderen Texte hier vermutlich nicht wirklich gut - und weil ich ein ungeduldiger Mensch bin, kommt der eben jetzt. Um den Weg zu bereiten für den Rest ...

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Kommentare zu diesem Text

Luca85 (24)
(31.12.08)
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 Mutter meinte dazu am 31.12.08:
Oh, wie nett, danke schön. Und das bei diesem Text, der sonst eher keine beachtung gefunden hat. Freut mich besonders ...

Und klar: Benutz' zu Deinem 'heart's content', kein Problem ... :)
thammü (22)
(03.02.09)
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 Mutter antwortete darauf am 09.02.09:
Das ist auch einer der Grundsteine des Textes - wie angemerkt, gab's den schon mal in einer etwas behäbigeren Fassung, und wurde dann für KV noch mal neu geschrieben. Aber manche Bausteine sind halt erhalten geblieben.
So wie der Satz. :)
AnnaKarenina (31)
(28.05.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 29.05.09:
Oh, cool ... :)

Sehr schön.
Aber komm, ich bin sicher, Du findest noch was - los, ich glaub an Dich! :D
AnnaKarenina (31) äußerte darauf am 30.05.09:
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 Mutter ergänzte dazu am 30.05.09:
Na gut ...

*zähneknirsch*

:D

Danke schön ... :)

 theatralisch (12.10.09)
Das ist nicht mal so grottig.

 Mutter meinte dazu am 12.10.09:
:D
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