Irish Eric steigt ein ...

Erzählung zum Thema Aggression

von  Mutter

Unser erster ‚Prospect’, unser erster Anwärter, ist Eric. Eric aus Irland – the real Mick, wie Gabi ihn nennt. ‚Nich so’n falscher Fuff’zger wie Mick, der nur irisch aussieht, rote Haare hat und einen irischen Namen trägt, dabei aber nich’ mal richtig Englisch kann.’
Eric hatte sich eine Weile als Stuntman in Babelsberg versucht, und arbeitet jetzt als Fahrer für so einen Limousinen-Service. Er hatte sich auf Gabis Anzeige hin gemeldet, und wir treffen ihn in einer Kneipe in Mitte. Gabe hatte darauf bestanden, dass ich mitkommen sollte. Um ihn zu ‚screenen’. Keine Ahnung, worauf – Drogen?
Der Ire ist entspannt – ein schlaksiger, etwas nichts-sagender Typ, natürlich mit roten Haaren, und einer zu groß geratenen Nase. Er scheint nett, aber als Gabi ihn bittet, uns eine Szene zu machen, gleich da in der Kneipe, und aggressiv zu werden, hat er kein Problem, das durchzuziehen.
Er geht raus, und guckt sich einen Moment lang um. Wir beobachten ihn, auf einer alten durchgesessen Couch, durch die fleckige Scheibe, jeder eine Flasche Bier in der Hand. Kino, quasi.
Der Ire visiert so einen Kerl im Anzug an, der telefoniert gerade, aber Eric bricht sofort ab, als er merkt, dass der Yuppie sich konzentrieren muss. Der verkauft wahrscheinlich gerade einen kleinen Farben-Hersteller in Castrop-Rauxel an einen amerikanischen Private-Equity-Hai. Und hat deswegen keine Zeit, dem Iren die Fresse zu polieren.

Als nächstes steuert Eric ein Pärchen an. Pärchen sind schwierig – sind die beiden zu lange zusammen, kennen sich gut, hat er keine Chance. Wenn die Beziehung fest genug zementiert ist, ist kein Mann gezwungen, den Helden zu spielen. Im Gegenteil. Dann wollen ihre Frauen eher die sensible Seite sehen. Die kann Eric aber gerade gar nicht gebrauchen.
Aber er hat Glück – die beiden sind offenbar noch nicht so lange zusammen, vielleicht sogar auf einem ersten Date. Eric rempelt ihn an, pöbelt sofort los, sucht den Körperkontakt. Drohgebärde. Rückt dem Kerl auf die Pelle, zwingt ihn, ihn anzufassen oder zurückzuweichen. Der Kerl ist ein Cowboy, wie Mick sagen würde. Weicht nicht zurück, sondern pumpt sich wie ein liebestoller Maikäfer die Brust auf, gibt Contra.
Sie versucht ein, zwei Mal, ihn zurück zu halten, weg zu ziehen, aber sie traut sich nicht so richtig. Wenn die beiden lange genug zusammen wären, würde SIE dem Iren jetzt an die Gurgel gehen.
Eric gibt nicht nach, provoziert den Typen weiter. Später erzählt er uns, er muss sich zurückhalten, dem Kerl nicht irgendwann einfach einen Glasgow Kiss zu verpassen – Kopfstoss direkt ins Gesicht, auf die Nase. So werden angeblich die meisten Konflikte auf irischen und schottischen Straßen eröffnet. Die Diskussion gestaltet sich deutlich einfacher, wenn man dem anderen erstmal die Nase gebrochen hat und der blutend am Boden liegt, sagt Eric. Kann man sich irgendwie vorstellen. So wie die Jungs, die eine Weile um die Skalitzer rum nachts Geld von Leuten auf offener Straße geklaut haben. Haben denen ein Messer ins Bein gesteckt und erst hinterher nach der Kohle gefragt. Ich nehme an, da wird dann weniger gezögert und gefeilscht, beschleunigt die gesamte Transaktion etwas.

Jedenfalls sind die beiden vor unserem Fenster jetzt schon beim leichten Schubsen. Der Kerl will Eric aus seinem Gesicht raus haben, vielleicht hat er ja auch vom Glasgow Kiss gehört. Eric will nicht zurückstehen. Ist ein bisschen wie auf dem Schulhof damals. Dann holt der Typ das erste Mal aus, droht einen Schlag an, und Eric kommt daraufhin noch näher, berührt fast seine Nasenspitze. Noch ein, zwei Mal Schubsen, Stolpern, wieder aufeinander losgehen und Eric hat den Kerl soweit – er schlägt zu.
Der Ire geht zu Boden, springt sofort wieder auf. Wischt sich das Blut mit dem Handrücken vom Mund, grinst. Die Zähne sehen unglaublich weiß auf, umrandet mit Blut. Keine Ahnung, ob der andere die Nase oder die Lippen erwischt hat, Blut ist überall. Jetzt kommt es darauf an, Eric muss dranbleiben, sonst war’s das, Dominanz etabliert – Kampf zu Ende, schwadroniert Gabi.
Eric lacht den Kerl aus, spuckt ihm ein wenig Blut aufs Hemd, schubst ihn noch mal. Macht noch eine Bemerkung in Richtung der etwas unglücklich aussehenden weiblichen Begleitung, lacht erneut. Der Typ tickt aus – springt Eric an, schlägt ihn mehrfach und stößt ihn zu Boden. Er fängt an, auf ihn einzutreten, bis sein Date und zwei junge Männer ihn von Eric wegziehen. Der Ire bleibt liegen, bis sie es endlich schafft, den Schläger den Gehsteig entlang zu schieben. Weiter zu ihrem romantischen ersten Date. Wenn die Braut nicht ein wenig schräg gestrickt ist, und auf so was steht, dann wird’s zumindest heute wohl nichts mit dem ersten Fick. Möglicherweise hat Eric dem Kerl auch gleich die ganze Beziehung versaut – dann war die Tracht Prügel, die er gerade bezogen hat, vermutlich sogar gerechtfertigt.
Die meisten Frauen wollen, wenn sie an ihren Freund denken, eher ein Bild im Kopf haben, bei dem er mit den zukünftigen Kindern spielt, oder vielleicht ein Auto repariert. Oder mit großen Schwüngen selbstbewusst auf einer Leinwand malt. Jedenfalls wollen sie keine Vorstellung von ihm, wie er mit blutigen Fäusten über einem zusammengeschlagen Iren auf dem Bordstein steht. Kriegen sie vermutlich nie ganz aus dem Kopf raus …

Eric kommt wieder rein, lässt sich auf die Couch fallen. Wischt sich mit dem Ärmel seines Sweatshirts über den Mund.
‚Wie war ich?’ fragt er, obwohl er die Antwort bereits kennt. Großartig!
Gabi reicht ihm seine Bierflasche, und Eric trinkt, verzieht das Gesicht. Trinkt sich vermutlich Scheiße, mit aufgeschlagener Lippe. Er nimmt noch einen Schluck, schräg auf der Seite aufgesetzt, als würde er Trompete spielen.
Gabi klatscht leicht theatralisch leise in die Hände. ‚Unglaublich, Mann. Genau so was brauchen wir.’
Der Ire nickt, stellt die leere Flasche auf den Tisch. Dann lehnt er sich business-like nach vorne und fragt: ‚Und was zahlt Ihr für den Shit?’

Der nächste, den wir treffen ist Robert. Ein ehemaliger Schweißer, bulliger Kerl. Mit Stiernacken und kleinen, wulstigen Adern auf der Stirn. Dem nimmt man das Aggro-Potential sofort ab. Bei ihm hatte ich nur Sorge, ob er sich wirklich als Opfer, als ‚Fall Guy’ eignete, oder ob er dann nicht doch lieber den Klienten fertig machen würde. Aber Gabi teilt meine Bedenken nicht – er mag Robert, und die brutale Energie, die er ausstrahlt. Damit hatten wir zwei Männer, und die Aktion konnte anlaufen.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(02.12.08)
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 Mutter meinte dazu am 02.12.08:
Verwunderte Blicke? Mmmmh ... stimmt, kennste Dich sicher mit aus. :D

Im Ernst - ich geh' das noch mal durch - vielleicht läßt sich das noch etwas mehr herausarbeiten, die ganze Szene plastischer machen.

Danke schön Dir ...

 RainerMScholz (11.02.09)
Na ja, weiß nicht, es gibt auch Paare, die schon so lange zusammen sind, dass eine Schlägerei (mit einem Dritten) auch ein bisschen Abwechslung bringen kann, oder sie sind schon so lange zusammen, dass sie sich schon daran gewöhnt hat, dass ihr Partner verbal nicht alles auf der hohen Kante liegen hat, oder sie sind schon so lange zusammen, dass sie nur besoffen Spaß haben und sie ohnehin nicht mitbekommt, was ihr Alter gerade macht, oder sie ist so eine verdammte Rockerbraut, oder wir befinden uns gerade in einer Lokalität, in der das die übliche Verhandlungsstrategie ist, oder...
Die Namen der Protagonisten gefallen mir gut.
Grüße,
R.

 Mutter antwortete darauf am 12.02.09:
Stimmt schon - manche haben ja sogar 'ne BUlle Benzin dabei, für's Aufs-Feuer-Gießen, bei sowas ... :D

Sehr geil, inzwischen warte ich schon immer auf Deine letzten Sätze bei den Comments ... ;)

Danke.
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