24. Ein Nordmann und ein Pflaumenkopf – Der Auftrag [24]

Schundroman zum Thema Wahrheit

von  DIE7

24 Ein Nordmann und ein Pflaumenkopf  Der Auftrag

24 Ein Nordmann und ein Pflaumenkopf – Der Auftrag [24]

„Aber, mein Tschacka…“
„Fynn, das mit dem ‚Tschackalacka’ war nur so daher gesagt, irgendeinen Namen brauchtest du doch, sonst hättest du mich, ich meine – uns doch nie an Bord genommen, oder?“
„Hmnja, gut, Milchling, aber, was ich immer noch nicht begreife, ist, wozu du mich brauchst, warum du mich hierher gebracht hast.“
„Den Grund hast du eigentlich schon gesehen, Fynn. Es geht um den Jätti.“
„Den Jätti?“
„Ja. Es gibt Menschen, die Böses mit ihm vorhaben. Sie haben Jäger in Lappland angeheuert, die ihnen einen der letzten Jätti fangen und hierher schaffen. Schreckliches haben sie mit ihm vor, glaube mir, gerade so, nein eigentlich noch schlimmer, als die alten Herrscher von Turku es damals zur Zeit um Weihnachten machten, und, glaube mir, das waren keinesfalls bloße Schauergeschichten, die man sich dann zu deiner Zeit noch darüber erzählte, Fynn.“

„Und, was hast dann du mit dem Jätti vor, Milchmann?“ Lander bemühte sich um Klarheit.
„Ich brauche die Jätti, Fynn, weil ich alle paar hundert Jahre wieder aus einem von ihnen den guten alten Mann vom Korvatunturi mache, und dessen Weibchen, äh Frau.“
„Nein“, Landers Augen weiteten sich zu andächtig kindlichem Staunen, „den gibt es also doch?“
„Natürlich, Fynn, gibt es ihn, und auch das ganze Drumherum, nur sind die Dinge eben immer ein wenig komplizierter, als ihr Menschen sie euch vorzustellen vermögt.“
„Warum aber dann diesen einen? Klar, Suomen Lappi wimmelt nicht gerade davon, aber hier und da, vor allem weit genug nördlich des Polarkreises, trifft man schon Jätti an.“
„Traf, Fynn, traf. Mit den Jahren wurden sie immer seltener. Die Krise hat einen Punkt erreicht, an dem ich auf jeden Jätti dort oben angewiesen bin, auf jeden, verstehst du? Und erst recht auf das Männchen, das man in einer Kiste hierher brachte und zu illegalen Zwecken missbrauchen will.“

„Ach? Und warum gehst du nicht zu den örtlichen Behörden, zur Polizei, einem Staatsanwalt oder dem Bürgermeister und klärst die Angelegenheit selbst? Wozu brauchst du mich?“
„Fynn“, der Milchige lächelte, „sieh mich an!“ Wieder breitete er seine Ärmchen aus – glaubst du wirklich, dass die Menschen jemandem wie mir, der so aussieht“, dabei strich er die Kontur seines zierlichen Körpers entlang, „auch nur ein Wort glauben würde? Ich denke, dass man eher versuchen würde, mich zu töten, um mich ausstopfen und in der Eingangshalle des Rathauses ausstellen zu können. Oder gar in vielen nur zu diesem Zweck erbauten riesigen Häusern, in die man Abbilder von mir hängen würde, Merchandising nennen die Menschen das mittlerweile, ach“, er machte eine wegwerfende Geste, „das haben wir schon durch und es führt zu nichts. Nein, ich brauch dich, Fynn Lander, den Fallensteller und Seemann. Du hast den Jätti noch erlebt, bist kein Noaidi * und kennst dich doch mit ihm aus - und hast vor allem die Ruhe weg. Du bist der richtige Mann, ach was, der einzige.“

„Warum nimmst du nicht deine Quantstringdings da und holst dir einen Jätti aus der Vergangenheit?“
„Fynn, das geht nicht – ich bräuchte dazu doch ein Vehikel, und dort, wo die Jätti sich herumtreiben, gibt es nichts dergleichen, erst recht nicht in der Vergangenheit, also …“
„Aber“, Lander war nicht erpicht darauf, ein Abenteuer mit dem Jätti zu erleben, den er soeben noch hatte wüten sehen, „warum holst du dir denn nicht einen anderen Mann aus der Vergangenheit? Es gab da sicherlich viele Jäger und Fallensteller …“
„Fynn!“ Der Milchige unterbrach ihn und wiegte bedächtig seinen Pflaumenkopf, „Fynn; Fynn, Fynn …“, und seine Stimme war erfüllt von einer derart verständnisvollen Behutsamkeit und Güte, dass man mit ihr, so wusste Lander inzwischen durch die Spezialbehandlung, ganze Kopfjäger- und Kannibalenvölker bekehren und an ‚Telefon’ genannten Sprachübermittlungsgeräten jede Hausfrau der westlichen Welt zum Kauf nutzloser Dinge bewegen konnte, „was glaubst denn du, wen anderen als dich wir erwischt hätten, wenn wir weiter zurück in die Vergangenheit gereist wären?“

Fynn Lander spürte, wie seine Kinnlade abwärts glitt.
„Und nun, mein lieber Käpt’n Lander, mach das Beste aus der Sache und bringe mir den Jätti heil durch diese Sache hier, schaffe ihn mir zurück an den Polarkreis, er wird dort dringend gebraucht!“ Wieder breitete der Milchige seine Arme aus, doch nun hob er dazu noch vom Boden ab und schwebte in der Mitte des Raumes.
„Ach, fast hätte ich das vergessen, hier, nimm das bitte an dich, du wirst es brauchen“, reichte er Lander eine Tüte, aus der Spekulatiuskekse dufteten und einen Quader aus Pappe, von dem Lander jetzt wusste, dass es sich um einen Tetra-Pack mit Vollmilch darin handelte, „ aber jetzt – Tschüssi!“, breitete er wieder die Arme, der Goldring am „Stiel“ über dem Kopf gleißte und hüllte die filigrane Gestalt in eine strahlende Lichtkugel – und sie verschwand. Fynn Lander stand wieder allein in dem kleinen Raum und durch die Fenster fiel das spärliche Licht der Laternen.

„Na ja“, Lander sprach mit sich selbst, „dann woll’n wir ’mal“, ergriff abermals sein Bündel und machte sich wieder auf den Weg zu der Ruine am Ende des Hafengeländes, in der er den Jätti hatte verschwinden sehen. Dort angelangt, stieg er in eines der oberen Stockwerke, rollte sich ein paar Decken zurecht, und nach einem ordentlichen Bissen Wurst und Brot, den er mit einem gehörigen Schluck Rum hinunter spülte, fiel er in tiefen Schlaf.


Anmerkung von DIE7:

Noaidi = samisch für Schamane

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