Profil-Beratung

Groteske zum Thema Schein und Sein

von  Mutter

Ich war gestern bei einer Typ-Beratung. Für Internet-Profile – Pimp My Profile. Der Kerl hatte mich wohl zufällig gefunden und angeschrieben, und weil das Angebot ganz gut klang, habe ich mich dann drauf eingelassen.
Eigentlich sei gerade ‚Take one, get one for free’-Woche, also hätte er eigentlich zwei Profile von mir pimpen können. Ich hab’ aber nur eins. Der hat die üblichen Kandidaten abgefragt – MySpace, StudiVZ, Facebook. Alles Essig, da war ich nie. Nur KV konnte ich ihm bieten. Hat er mit den Schultern gezuckt und gemeint, dann sei er eben doppelt gründlich. Er hat mich schief angesehen und gelacht. Habe ich nicht verstanden, war aber vielleicht auch nicht so wichtig.

Er hat sich erstmal in alle Ruhe mein bestehendes Profil durchgelesen, und dabei immer wieder Notizen in einem Ringbuch gemacht. Und viel gemurmelt, und den Kopf geschüttelt. Manchmal hat er kurz hoch gesehen, und da lag so was Trauriges in seinem Blick. Mir wurde ganz bang.
Endlich hat er die Lippen aufeinander gepresst und mich angesehen. Lange und ernsthaft, und dann meinte er, da gäbe es viel zu tun. Das würde noch ein langer Abend werden, für uns beide.
Oh je, habe ich geseufzt. Ich hatte eigentlich noch was vor. Ein bisschen was im MEMA einkaufen, und einen Text einstellen. Da hat er mich missmutig angesehen und gemeint, ich müsse schon Prioritäten setzen. Was jetzt wichtig sei.

Ein Profil sei das Antlitz eines Autoren, meinte er. Völlig egal, wie gut die Texte seien, wenn das Profil nicht ansprechend sei, dann wäre das eine Einbahnstraße. Einmal drauf und niemals wieder, wie bei einer polnischen Nutte, meinte er und hat wieder so komisch gelacht.
Ich weiß nicht – ich war noch nie in Polen.
Jedenfalls – wo sei denn mein Zitat?
Ich wusste nicht, was er meint. Da hat er mit den Augen gerollt, und wieder den Kopf geschüttelt. Man ließe andere für sich sprechen, meinte er. Ein cleveres Zitat sei ein Muss. Das würde den Leser, den Besucher ‚abholen’. Hat er mich gefragt, was ich mir denn für ein Zitat vorstellen könnte, etwas, was mein ‚Standing’ beschreiben würde. Ich habe dann ein paar Vorschläge gemacht, aber das fand er alles irgendwie fad. Wollte er alles nicht.
Provozieren müsse so ein Zitat. Polarisieren, und den Zeitgeist fühlen lassen. Und vor allem: Unterschwellig Selbstironie und Cleverness transportieren.

Geeinigt haben wir uns dann auf einen Songtext von den Toten Hosen:
„Wann auch immer wir vereinbart waren,
mein Leben kam zu spät.
Immer wenn es wichtig war,
ließ es mich im Stich.
Es war ständig nur auf Parties,
ich saß allein zu Haus.
Ganz egal, was es auch zu feiern gab,
mein Leben das ging aus.

Mein Leben war eine Schlampe,
es ließ sich dauernd gehen,
stand stundenlang vorm Spiegel
und fand sich dabei schön.

Es blieb oft bis mittags liegen,
kam meistens gar nicht aus dem Bett,
schlief endlos seinen Rausch aus,
jetzt ist es aufgequollen und fett.“


Er schien zufrieden, wandte sich gleich dem nächsten Punkt zu. Wo sei mein Link, wollte er wissen. Was denn für ein Link, entgegnete ich und irgendwie wusste ich, dass das eine Fangfrage ist. Hatte sich mein Profil ja angesehen, er wusste also schon Bescheid.
Einen Link auf ein cooles YouTube-Video wollte er von mir. Etwas, was meine ‚Message’ unterstreichen würde.
Aber ist meine Botschaft denn nicht in meinen Texten enthalten, wollte ich wissen. So ich denn eine habe.
Quatsch, sagt er – die Botschaft würde sich nicht ergeben, die müsse man konstruieren, komponieren. Sorgfältig erschaffen, die sei Teil des Images. Elementarer Teil des Images, betonte er mit gewichtiger Miene.
Also gut – wir gingen meine YouTube-Favoriten durch, um zu sehen, ob da was Brauchbares dabei wäre.
Monty Python, da gibt’s ein paar coole Sachen, Klassiker, schlug ich vor. „Climbing the North Face of the Uxbridge Road“, zum Beispiel. Den fand ich immer schon großartig. Wollte er nicht – zu abgedroschen.
Wie wär’s mit La Linea, bot ich an: Lustig, zeitlos und sehr clever gemacht, weil interakiv. 'Interaktive Videos sind doch noch nicht verbrannt, oder?' wollte ich zaghaft wissen. Nein, verbrannt seien die noch nicht. Und interaktiv sei prinzipiell gut, aber ob es wirklich La Linea sein müsse? Der sei so … altbacken.
Andere interaktive Videos mit stylisherem Content konnte ich ihm leider nicht anbieten, also verwarfen wir die Idee wieder.
Als nächstes schlug ich ihm eins dieser Schwäbisch-Videos vor: Die Hard 4 oder 24 Stunden auf Schwäbisch, aber da hat er nur geschnaubt. Wer denn Schwaben witzig finden würde, und überhaupt sein die Dinger doch schon so endlos im Netz, die würde sogar der Schäferhund seiner Oma kennen.
Meine letzte Hoffnung waren ein paar Animationsfilme, da gibt es ein paar wirklich schöne bei meinen Favoriten, aber die waren ihm auch alle nichts. Wir müssten damit richtig Gas auf die Straße bringen – die Braut schmücken vor der Hochzeit. Die Videos seien niedlich – aber ob ich niedlich sein wolle, als Autor?
Wollte ich nicht, das musste ich schon zugeben.

Am Ende einigten wir uns auf einen Kurzfilm, mit leichtem Hang zum Surrealen und einem cleveren Plot:  Die Liebe kennt keine Größe
 
Eigentlich war ihm der zu lang: Zehn Minuten, meinte er, wer hat die denn, heutzutage? In den Zeiten von Ten-Second-Commercials und ADS? Wusste ich auch nicht, aber ich fand den Film wirklich toll.
Am Ende hat ihn dann überzeugt, dass Josh Hartnett drin mitspielt, der sei seit ‚Sin City’ und ‚30 Days of Night’ ja schon ein ganz guter Imageträger, was Pop-Kultur angeht. Außerdem hätten wir ja nun definitiv nix Besseres.

Dann wollte er noch einen krachigen Titel für den Link. Damit konnte ich erst nicht dienen, wusste auch gar nicht, was er von mir wollte. Ich rede über die Meta-Ebene, meinte er beschwörerisch. Mit der Titel-Vergabe sei ich direkt am kreativen Pulsschlag des medialen Contents, würde quasi Teil des Ganzen.
Aber irgendwann habe ich’s dann begriffen, und gemeinsam knobelten wir dann „Die Liebe kennt keine Größe“ aus. Mir war das ein wenig zu unhandlich, aber er fand es super. Leicht mystisch und prätentiös. Nur nicht zu viel erklären, belehrte er mich. Wer zu viel Klarheit, zu viel Wirklichkeit auf seinem Profil hat, der habe schon verloren, im großen Rennen um die Klickzahlen und Page-Impressions. Seiten-Aufrufe, übersetzte er mir das.
Page-Impressions, oder kurz ‚PIs’, sei die große neue Währung im 21. Jahrhundert. Bald würde auch ich Millionär werden – PI-Millionär.
Dann wirft er einen weiteren Blick auf den Bildschirm, erschrickt fast. Die Bezeichnungen, meint er. Ich habe keine Ahnung wovon er redet.
Kein Mensch will wirklich wissen, was ich mache, erklärt er mir. Diese beiden Felder, ‚Beruf’ und ‚Zur Zeit tätig als’ seien nur weitere Geschmacksknospen der Kreativität. Ölfelder, auf denen ich mich begehrlich machen könne. Das solle ich gefälligst tun.
Aber er scheint mit seiner Geduld am Ende, vielleicht ist unsere Zeit auch um, jedenfalls erhebt er keine weiteren Einsprüche, als ich versuche, die Felder möglichst poetisch und phantasievoll zu füllen.
Dann sind wir durch.

Allerdings wird es eine Weile dauern, bis die Seite komplett ge-revamped und ge-rebrushed ist. Bis dahin sei sie ‚Under Construction’, aber das mache nichts, meinte er. So was würde die Leute neugierig machen, genau wie ein Cliffhanger in modernen Serien funktionieren.
Jedenfalls bin ich schon ganz gespannt.
Ich finde, das Geld für die Typ-Beratung habe ich gut angelegt.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(10.02.09)
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 Mutter meinte dazu am 10.02.09:
Na, immerhin haste das mit dem Beruf und der Tätigkeit instinktiv richtig gemacht ... ;)

Und zur nächsten Beratung kann ich Dich ja mal mitnehmen - der Steckbrief steht nämlich noch aus. Das kostet allerdings extra.

Oh je.
Elvarryn (36)
(16.02.09)
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 Mutter antwortete darauf am 16.02.09:
Habe wahrscheinlich nur zu lange mit den Jungs vom Sales-Department zusammen gearbeitet, damals in der Konzeption. :D

Die sagen echt so Sachen, und meinen das ernst ... O.o

 Unbegabt (16.02.09)
grins...

viel mehr gibts da nicht zu sagen...
Überreflexion (28) schrieb daraufhin am 16.02.09:
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 Mutter äußerte darauf am 16.02.09:
Danke Euch beiden ... :)
Nuancist (31)
(16.02.09)
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 Mutter ergänzte dazu am 17.02.09:
Ich danke Dir - und zur Vertonung: Bin da in letzter Zeit nicht so oft zu gekommen, aber vielleicht probiere ich das mit dem hier mal wieder aus. Hat ja vermutlich auch eine ganze andere Art als die meisten anderen meiner Texte, könnte also ganz spannend sein ...
Nuancist (31) meinte dazu am 17.02.09:
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PerpetuumMobile (22)
(23.02.09)
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 Mutter meinte dazu am 23.02.09:
Watt mutt datt mutt ... :D

Danke.

 Pameelen (02.03.09)
Allein um einen solchen Text zu kreieren, würde ich einen solchen Muntermacher immer Einlaß gewähren!

Herzlichst

Ralf

 Mutter meinte dazu am 02.03.09:
Pssst, sonst willer dafür noch was extra ... :D

Danke.
Ti_Leo (33) meinte dazu am 10.03.09:
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Perkele (40)
(31.03.09)
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 Mutter meinte dazu am 01.04.09:
Ich weiß, ich weiß ... hab' ja auch nur mit den Augen gerollt ... :D

Hier ist übrigens der Link zu den interaktiven Videos, falls Du da Spaß dran hast. Ich fand die Idee super ...

 La Linea interactive
mannemvorne (51)
(16.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 16.04.09:
Hehe ... :)

Aber der Typ hat mir nie verraten, wie ich dann damit Kohle mache.
*grummel*
mannemvorne (51) meinte dazu am 16.04.09:
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ThisWitheredSoul (20)
(16.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 16.04.09:
Nein ... :)

Danke für den Kommentar.
Leyla (29)
(20.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 20.04.09:
:)

 Judas (22.04.09)
Ich fühle mich irgendwie ertappt, nur dass es sich bei mir um Mediengruppe Telekommander handelt und nicht um die Toten Hosen ;)
Corker Affair (7) meinte dazu am 22.04.09:
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 Mutter meinte dazu am 22.04.09:
Arrrgs, multiple Persönlichkeit ... :D
'Tschuldigung.

Und: Danke. :)

 bratmiez (05.05.09)
achso?! ;o)

 Mutter meinte dazu am 05.05.09:
Ja, siehste? :)
eklisabuk (50)
(14.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 14.05.09:
Bei Stau kosten Strandkörbe nur die Hälfte ...
Immerhin! :)

Und zu den Anglizismen - liegt am Text. Nimm einen anderen, und Du wirst deutlich weniger davon finden ... :)
Obwohl ich von Berufs wegen besonders anfällig bin für solche.
Aber ich kämpfe, ich kämpfe!

 MagunSimurgh (12.09.09)
Erinnert mich an einen Animationsfilm, den ich mal auf dem DOK-Festival in Leipzig gesehen habe:  Prokastination heißt, das Unausweichliche zu meiden.

Wirklich witzig.

Ich mag die Seitenhiebe und lasse sie natürlich zum einen Auge reingehen und am Arsch wieder vorbei.


Mag das da oben.

Liebe Grüße,
Magun

 Mutter meinte dazu am 14.09.09:
Sehr cooles Video, danke für den Link.

Und Danke. :)
FrauGeheimrätin (23)
(31.10.10)
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 Mutter meinte dazu am 31.10.10:
Danke schön ... :)

 RomanTikker (07.06.11)
Kompliment für einen für meinen Geschmack wirklich schön geschriebenen Text - vor dem Hintergrund deiner Profil-Seite und der Tatsache, dass er um die zwo'nhalb Jahre alt ist doppelt pfiffig.
Eins ist mir aufgefallen: "des mdialen Contents" - ich bin kein Fachmann, aber muss das nicht medial heißen? Oder lässt man das heute weg (ich weiß es wirklich nicht, in zeiten von SEO, LOL und XML ist doch alles drin ...).
Profiliert grüßt: Roman
(Kommentar korrigiert am 07.06.2011)

 Mutter meinte dazu am 07.06.11:
Hey, vielen Dank - Du hast natürlich Recht.
Muss 'medial' heißen, hab's mal geändert.

Und danke auch für den Kommentar ... :)

 Dieter Wal (05.09.11)
Üs wützüsch!

 Mutter meinte dazu am 05.09.11:
Dünke?
Dünkü? :D
kontext (32)
(04.03.13)
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Mirror (41) meinte dazu am 07.01.14:
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Mirror (41) meinte dazu am 07.01.14:
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Mirror (41)
(07.01.14)
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 RainerMScholz (05.02.16)
Mir wird auch schon ganz bang. Banger noch. Ich glaube, ich bin am gebangsten. Und dann die ganzen Fremdwörter. Ich glaub´, ich hau ab.
Den Film hab´ ich auch nicht kapiert. Der ging auch zu lang.
Grüße,
R.
(Kommentar korrigiert am 05.02.2016)
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