Butterring

Erzählung zum Thema Begehren

von  Mutter

Als ich Nanni das nächste Mal sehe, habe ich genau zwanzig Sekunden Zeit, bevor sie mir auf die Pelle rückt. Bevor sie sich ganz dicht an mich heran schiebt, dort im türkischen Bäcker, und ich ihre Wärme durch die Jacke spüren kann.
Ihre langen Finger liegen auf der Theke, und ganz entzückend beugt sie sich vor, wie, um besser sehen zu können. Ich kann gut sehen.
‚Beine bis zum Arsch’ – Gott, wie ich diesen Spruch von Gabi hasse, aber in diesem Augenblick kann ich nichts anderes denken. Sie hat Beine bis zum Arsch, und streckt auch noch den Rücken durch. Ihre kurze, auf Taille geschnittene Jacke ist hoch gerutscht, und ich habe das Gefühl, ich muss sie nur noch um die Hüfte packen, und mit ihr davonrennen. Ist ganz einfach.
Dann gleitet sie langsam am Glas herunter, drückt sich die Nase platt, als könne sie sich bei den ganzen Leckereien nicht entscheiden. Ist egal, will ich sagen, schmeckt eh alles gleich. Ich bin nur wegen der Butterringe hier, warm, weich und vor Fett triefend in meiner Tüte.
Da unten, so zusammen gekauert, berührt ihr feines Haar ganz leicht meine Hände. Das feine Haar, was ich so doof fand, bei unserer ersten Begegnung. Kann ich mir fast gar nicht vorstellen. Ich muss schlucken.

Sie schwankt leicht, umfasst, um nicht zu fallen, meinen Oberschenkel. Ich kann ihre langen Finger fühlen, auf der Innenseite meiner Jeans. Ich werde hart.
Sie schaut hoch, grinst breit. Zeigt mir die Zähne.
Für einen ganz kurzen Moment stelle ich mir vor, wie ich herablassend den Kopf schüttele und ihre Hand von mir löse, so dass sie entweder hinfallen oder sich am Boden abstützen muss. Wie ich mit einem letzten Blick auf dieses mannstolle Mädchen die Bäckerei verlasse, um nach Hause zu gehen und Butterringe zu essen.
Ich stöhne kaum vernehmlich.
Sie scheint Schwierigkeiten mit der Schwerkraft zu haben, muss nachfassen. Jetzt deutlich höher.
Mit starrem Blick sehe ich auf die Bäckerei-Fachverkäuferin, die freundlich einen anderen Kunden bedient. Offenbar hat sie gesehen, dass Nanni sich nicht entscheiden kann. Sich bereits entschieden hat.

Mit einem leisen Scharren verändert Nanni die Position ihrer Füße, kommt langsam wieder hoch. Ihre Hand berührt mein Bein aber immer noch, jetzt mit dem Handrücken. Als will sie den Kontakt nicht abbrechen lassen. Hat vielleicht Angst, ich könnte vor lauter Schreck aus der Tür rennen. Hat vielleicht gar nicht so Unrecht, die Nanni.
Aber ich komme nicht weg. Sie lässt die Hand da, bis sie was ausgesucht und bezahlt hat, bis sie die Tüte in der anderen Hand hat, und dann bewegt sie sie nur, um sie mir fest um die Hüfte zu legen. Dann steuert sie mich mit dieser Hand an der Hüfte raus aus der Bäckerei, an die frische Luft.
Draußen schaut sie neugierig auf meine Tüte und fragt: ‚Was hast du gekauft? Wollen wir teilen?’
Scheiß Backwaren. Scheiß Butterringe. Geht es ihr darum, dass ich mich wieder wie ein Erstklässler fühle? Ja Nein Vielleicht?
Hat sie geschafft. Von Null auf Hundert in zwanzig Sekunden. Und ich bin genauso hilflos wie damals, als die Marie mir gesagt hat, dass sie vielleicht doch lieber mit dem Depp Torben Behning gehen wollte. Die dumme Kuh. Hoffentlich hat sie den geheiratet und ist fett geworden.
Jedenfalls scheint Nannis Interesse an meinen Butterringen nachzulassen, und sie dreht sich weg von der Tüte und her zu mir. Sieht mich mit diesem überlegenen Blick an, der mir Angst macht, und schiebt ihren Kopf immer dichter. Zuletzt das Kinn etwas vor, wie um die letzten Zentimeter zu überbrücken.
Ihre Lippen sind nichts Besonderes, nett halt, nur mit Gloss, aber die Zähne sind wunderschön. Hell und glatt, und einer steht etwas schief. In den verliebe ich mich sofort. Sie verzieht das Gesicht zu einem Lächeln, als könne sie meine Gedanken lesen. Dann ist der Zahn plötzlich egal, weil ich ihre Lippen schmecke, und ihre Zunge spüre. Ganz vorsichtig erst, dann richtig forsch. Das hingegen kommt mir aufregender vor als damals in der ersten Klasse.

Irgendwann löst sie sich von mir, schaut mich immer noch an. Ihr Blick hat inzwischen die gleichen Traktorstrahl-Qualitäten wie vorher ihre Hand, und dann fasst sie mich ganz freundlich an, und nimmt mich mit. Zu sich.
Sie wohnt irgendwo am Park, Nähe Schlesische, sagt sie, und wir sind einen Moment unterwegs. Zwischendurch zieht sie mich immer wieder in Hauseingänge und küsst mich solange, bis ich denke, ich wohn da. Aber immer müssen wir noch weiter, noch ein Stück, und irgendwann halte ich es nicht mehr aus.
Es ist eine Hofeinfahrt, neben einer alten Kneipe – entweder noch zu oder komplett dicht, kann man in Kreuzberg immer nicht so genau sagen.
Wir taumeln eng umschlungen ins Dunkle, und ich sehe einen Kellereingang. Da schiebe ich sie rein, stöhne in ihren Mund.
Ich drücke sie gegen die Wand, löse den Gürtel. Erst ihren, dann meinen. Ich fühle ihren flachen Bauch, die Muskeln unter der braunen Haut, und ich spüre die feinen blonden Härchen. Ich kann mir genau vorstellen, wie ihre Scham aussieht, auf die sich meine Hand jetzt zu bewegt. Ich zwänge mich in ihre Hose, aber sie lacht mir in den Mund, während wir uns küssen, und hilft mir. Ohne von ihren Lippen abzulassen, zerre ich die Hose herunter, erst ihre, dann meine. Sie geht mir zu Hand, wenn es nötig wird, ansonsten ist sie damit beschäftigt, mir über den Kopf zu fahren, mich an den Haaren zu ziehen.
Während ich im Stehen in sie eindringe, zieht sie meinen Kopf schmerzhaft nach hinten, und ich kann ihre Zähne an meinem Hals spüren. Mein erstickter Laut des Schmerzes wird aufgesogen vom Taumel aus Gier, Hunger und Staub, und als es vorbei ist, ich mich schwer atmend von ihr löse, muss ich mich mit der Hand an der Mauer abstützen. Die Wand fühlt sich schmutzig an.

Nanni zieht ihre Hose langsam wieder hoch, schließt ihre Gürtelschnalle. ‚Wie war ich?’ fragt sie dann strahlend und streicht mir sanft eine Strähne aus dem Gesicht.
‚Was?’ Ich habe keine Ahnung, was sie von mir will. Ich dachte, so was fragen nur Kerle, und auch nur in billigen Schundromanen.
‚Wenn ich gut war, sollst du Gabi anrufen. Ich glaube, Hanni hat auch bestanden’, fügt sie dann mit einem Augenzwinkern hinzu. Sie geht zurück in die Durchfahrt, wartet auf mich. Schiebt sich die Haare hinter die Ohren.

Ich muss daran denken, dass Gabi gesagt hat, die Mädchen können sich die Jobs aufteilen. Auch Hanni und Nanni, hier bei der Probe? Falls ja, kann ich vielleicht kleine Fragmente meines Egos retten. Dann wollte mich Nanni immerhin mehr als – keine Ahnung, wer war die Alternative? Will ich das wirklich wissen?
Gabi sicher nicht. Stecher oder Benz? Dann wäre Nannis Wahl kein wirkliches Kompliment.
Ich versuche, diese Gedanken zu unterdrücken. Würden auch nicht dazu führen, dass ich mich weniger beschissen fühlen würde. Ich gehe langsam zu ihr.
Nanni beugt sich nach vorne, und fasst mich leicht am Kinn. Meinen Kopf sanft zu sich drehend, küsst sie mich lange auf die Lippen.
‚Danke schön, Jakob. Bis bald …’
Dann geht sie aus der Durchfahrt ins Licht, und ich sehe fassungslos zu, wie sie um die Ecke verschwindet.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(26.02.09)
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 Mutter meinte dazu am 26.02.09:
Danke ... *breitgrins*

Zu 'mannstoll': Ich hab's klein geschrieben, und dann Bill Gates, bzw. seine Büroklammer so lange rumngenörgelt, bis ich die beiden das hab verbessern lassen. Fand auch, dass das voll komisch aussah.

Passiert aber seit der Neuen Deutschen Welle mit ganz vielen Adjektiven - kenne nur leider die Regeln nicht. :D

*edit: Nee, ich glaub', Du hast Recht ... Macht ja auch Sinn.
*änderngeht*
(Antwort korrigiert am 26.02.2009)
Elvarryn (36) antwortete darauf am 26.02.09:
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Kitten (36)
(26.02.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 26.02.09:
Jo, verstehe. Bin da im Kopf weiter als im Text ... :D
Passiert - werde ich mal ein bisschen zurechtstutzen, dann passt das.

Danke schön. :)
Steinwolke (65)
(01.03.09)
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Samhain (23)
(19.02.10)
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 Mutter äußerte darauf am 19.02.10:
Ein Job .... ;)

Danke.
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