Stahlbeton

Erzählung

von  Mutter

Sie lässt uns langsam an einem Rohbau vorbeirollen, Einkaufszentrum, Parkhaus, was weiß ich. Stahlbetongerippe, offener Bruch.
Einen halben Block weiter parken wir und laufen zurück in Richtung Rohbau. An der Seite führt eine kleine Gasse rein, angefüllt mit knöcheltiefem Schlamm und zerbrochenen Styrodurplatten. Wenn das Ding fertig ist, wird das mal ein Liefereingang. Jetzt dient er nur den Bauarbeitern. Kein Mensch zu sehen – ich erinnere mich: Es ist Sonntag. Nicke Molly zu, als wir in eine Öffnung treten, noch ohne Tür.
Drinnen finden wir einen Lastenaufzug, in rostigem Stahlkäfig, von dem ich das Vorhängeschloss mit einem großen Kalksandstein wegschlage. Nicht gerade elegant. Immerhin geht es schnell.
Knirschend setzt sich das Vieh in Bewegung und transportiert uns ruckelnd nach oben. Ich versuche, mitzuzählen wie hoch wir fahren. Jenseits des zehnten Stockes verliere ich den Überblick.
Der Bau wird primitiver, je höher wir kommen. Als wir auf dem obersten Stockwerk, über uns freier Himmel, aussteigen, gibt es nur vereinzelt Außenwände. An manchen Stellen bildet Absperrband das einzige Hindernis vor dem freien Fall.
Noch höher kommt man ausschließlich über die Stahlstreben.
‚Und jetzt?’, will ich wissen. Sehe mich unruhig um. Ich habe nicht gerade Höhenangst, aber das Ganze hier ist mir zu exponiert. Überall hängen Plastikplanen, komplett oder in Fetzen, und knattern im Wind, der ordentlich bläst. Erinnert mich an A Chinese Ghost Story.
Ich würde mich gerne an etwas festhalten.
‚Du bleibst hier. Passt schön auf uns auf. Ich brauch nicht lange.’ Damit verschwindet Molly durch eine der unverputzten Öffnungen und lässt mich stehen.
Ich fluche leise. Miststück. Würde sie nicht umbringen, mal das Maul aufzumachen und mir was zu erklären, zur Abwechslung.
Missmutig lehne ich mich an eine der unfertigen Wände, schlage den Kragen hoch und gucke raus über den Wedding.
Ein beschissener Stadtteil, alles Atzen hier. Da will nicht mal ich wohnen.
Vergrabe die Fäuste tiefer in der Jackentasche und denke weiter über das walisische Problem nach. Und über das Treffen mit Stout. Wenn ich mit ihr rede, sollte ich ihn fragen, ob sein Bruder zurück aus England ist. Der könnte nützlich sein, wenn es richtig Ärger gibt. Toffer der Todesstern.
Plötzlich setzt sich der Aufzug hinter mir laut in Bewegung - ich fahre erschrocken herum. Ach du heilige Scheiße, was ist das?
Habe es versäumt, das Mistding zu blockieren. Irgendein Penner hat unten auf den Knopf gedrückt und holt ihn zu sich runter.
Miss Molly – muss ich ihr Bescheid sagen? Verwerfe die Idee gleich wieder – keine Ahnung, ob sie schon da hockt, ihre Hardware ausgepackt hat. Angefangen hat, die Knarre zusammen zu setzen. Glaube kaum, dass sie begeistert wäre, wenn ich angeschissen käme.
Abwarten.

Der Aufzug ist eine Ewigkeit unterwegs. Erst runter, dann hoch.
Nach ein paar Minuten werde ich unruhig. Der hätte längst anhalten müssen – einen Penner von der Bauaufsicht im fünften Stock ausspucken müssen. Im Zehnten? Hier oben knirschen Rollen und Stahlseil - das Monster macht keine Anstalten, inne zu halten. Keine Ahnung, wie hoch der ist - bald ist er bei uns.
Ich schlucke, verfluche erneut, dass ich nichts dabei habe. Nicht mal eine Signalpistole, nur mein verschissenes Einhandmesser.
Vorsichtig ziehe ich mich in einen Gang zurück, beobachte den Bereich vor dem Fahrstuhl.
Die Kabine scheppert weiter nach oben. Ich höre meinem Herzschlag bei seinem ungesunden Tempo zu. Wer sollte an einem Sonntag die diesen Rohbau untersuchen?
Derselbe, der bereits auf dem Hausboot nicht fündig geworden ist.
Mit einem mechanischen Klacken kommt der Aufzug zum Stehen. Hier oben bei uns.
Ich halte den Atem an, drücke mich weiter nach hinten.
Die Tür öffnet sich, ich höre glatte Schuhe über den Estrich schaben. Männerschuhe, elegante - keine Bauarbeiter-Stiefel.
In meinem Sichtfeld tauchen drei junge Männer auf. Zwei groß, einer kleiner. Alle mit kurz geschnittenen Haaren und dem selbstsicheren Auftreten von Professionellen. Alle drei in Bomberjacken. Sie schieben ihre breiten Schultern durch die Gegend wie Models ihre Hüften auf dem Laufsteg.
Ich blecke die Zähne, schaue zu, wie sie sich kurz umsehen. Die Köpfe in unfertige Türdurchgänge stecken, nahezu lautlos miteinander kommunizieren. Lasse den Kopf vor und zurück schnellen. Kontrolliert, wie Feuerstöße aus einer Voll-Automatik, um sie im Auge zu behalten. Ohne gesehen zu werden.
Sie gehen geradeaus, nehmen den Weg, den Molly genommen hat. Rüber, zur Straßenschlucht, mit Blick auf die Baubrache gegenüber.


Anmerkung von Mutter:

*edit: So, auch den hier umgebaut, nach AK-Blau. Danke schön ... :)

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(15.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 17.04.09:
Ja, WIE spannend?

Denn?

:D
Kitten (36) antwortete darauf am 17.04.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 17.04.09:
:D

Ja, weiß ...
Leyla (29)
(18.04.09)
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 Mutter äußerte darauf am 18.04.09:
Nee, Styrodur iss dieses blaue oder rosane Zeug, wird oft auf'm Bau verwendet (und auf'm Bau geklaut, von Leuten, die damit basteln ... :D), hat eine höhere Dichte als Styropor und bröselt nich so eklig ... :)
Leyla (29) ergänzte dazu am 18.04.09:
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 Mutter meinte dazu am 19.04.09:
Yoah, die ganze Zeit, die de mit dem Lesen von dem Blödsinn verschwendet hast - die kannste als Bildungsurlaub absetzen ... ;)
Leyla (29) meinte dazu am 19.04.09:
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