Metric

Erzählung zum Thema Angst

von  Mutter

In meinem Zimmer erwartet mich eine Überraschung. Entweder Misses Armstrong ist im Aufräumen eine absolute Null – oder irgendein Arschloch war hier drin und hat meine Sachen durchwühlt.
Klamotten auf dem Teppich, Seiten vom Koffer aufgeschlitzt, der Inhalt meines Waschbeutels auf dem Boden verstreut. Was für Mistkäfer!
Ohne zu zögern schlüpfe ich raus in den Flur, auf das Klo. Hole meine Knarre aus dem Spülkasten und entsorge den Plastikbeutel, den ich mir von der Misses geliehen hatte, im Müll. Was habt ihr gesucht, ihr Penner? Und was habt ihr gefunden, ergänze ich mit einem Grinsen. Nichts, ist die Antwort.
Unten an der Rezeption empfängt mich Mister Armstrong.
‚Alles in Ordnung?’ will er wissen.
Nicht ist in Ordnung, du dämlicher Hund. ‚Sicher, alles gut. Nur eine Frage: Ist heute jemand hier gewesen? Hat nach mir gefragt?’
Er mustert mich kurz, schüttelt den Kopf. Schaut in das Rezeptionsbuch, findet dort keinen Hinweis auf meinen geheimnisvollen Besucher. Wäre auch ein bisschen billig gewesen. Ich bedanke mich und gehe zurück nach oben.
Sitze auf dem Bett und denke darüber nach, was hier passiert ist. War jemand auf der Suche nach etwas, oder ist das ein Einschüchterungsversuch? Molly? Sicher nicht – die Braut kennt mich. Weiß, dass man mich damit eher noch anspornt. Die ist professioneller als das hier.
Die Bento-Brüder? Falls die wissen, dass ich ihnen auf der Spur bin – warum legen sie mich nicht um? Möglicherweise wollten sie das – haben mich nicht angetroffen. Scheiß-Amateure. Und haben stattdessen meine Sachen verwüstet.
Metriç? Während ich bei ihm war?
Das ergibt keinen Sinn – warum sollte er das machen?

Meine weiteren Grübeleien werden durch das Klingeln meines Handys unterbrochen.
‚Hi Collie. Was gibt’s?’
‚Bist du noch in Belfast?’
‚Yup.’
‚Fuck.’
Schweigen. Ich muss grinsen.
‚Corker, mach keinen Scheiß. Was hast du vor?’
‚Ruhig, Brauner, ganz ruhig. Ich habe alles unter Kontrolle. Da ist eine handfeste Spur, und es gibt jemanden, der mir unter die Arme greift.’
‚Wer?’ Seine Stimme klingt misstrauisch.
‚Metriç.’ Ich weiß, was jetzt kommt.
‚Scheiße. Nicht Metriç. Corker, sag mir, du machst Witze. Der Albaner ist durchgeknallt.’
‚Ich weiß’, beruhige ihn. Benutze die Art von tiefer Stimme, die ein Metzger bei einer Kuh verwenden würde. ‚Die Geschichten über ihn sind mir bekannt. Er ist straight, verstehst du? Wenn man ihn nicht verarscht. Ich habe nicht vor, ihn zu verladen. Ein knackiger Deal, entspannte Abwicklung und wir beide gehen getrennte Wege. Peace’
‚Fuck, nicht Metriç. Mann, die Bowler-Bande, die sind alle von seinen Jungs aufgeschlitzt worden. Und Pesters Männer - Bobby und der kleine Smarty, die sind von ihm im Liffy …’
‚Collie! Hey, Collie! Hör zu – ich weiß, ich weiß. Das ist alles nicht neu für mich. Ich bin mir im Klaren darüber, worauf ich mich einlasse. Im Moment stehe ich vor der Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Und Metriç ist besser als die Alternative. Ich hätte ohnehin mit ihm zu tun. Der steckt zu tief drin. Vertrau mir!’
Collie antwortet nicht.
‚Collie – vertraust du mir?’
Höre ihn atmen. Scheiße, wer lässt sich auf den Albaner ein – er oder ich?
‚Collie?’
‚Ja …’ kommt es zögernd.
‚Sag es’, befehle ich ihm.
‚Ich vertraue dir.’
‚Sag: Ich vertraue Corker. Der wird das Kind schon schaukeln. Corker ist fuckin’ Batman. Los, sag es!’
‚Ich vertraue dir. Du kriegst das klar?’
Dann, mit mehr Überzeugung – ich kann sein Grinsen fühlen: ‚Corker ist fuckin’ Batman!’
Ich lächele. ‚Genau so, Bruder. Ich bekomme das hin. Geschmeidig. Und melde mich bei dir, sobald es was Neues gibt, in Ordnung? Mach dir keinen Kopp – die grauen Haare stehen dir nicht.’
‚Im Gegensatz zu dir, meinst du?’
‚Pass auf – es ist das metric system. Ich halte mich an die Regeln, Metriç hält sich an die Regeln. So ist das System. Keiner baut Scheiße, keiner wird verletzt.’
‚Dein Wort in Gottes Ohr, Corker.’
Mit leichter Resignation in der Stimme verabschiedet er sich. Ich lege auf.
Natürlich hat er Recht. Sich mit dem beschissenen Albaner einzulassen ist hochgradig dämlich. Wenn ich an die Bento-Brüder ran will, bleibt mir keine andere Wahl. Oder ich sage gleich ‚Fuck you, Metriç!’ und zeige ihm den Stinkefinger. Soll er  sehen, wie er seine Kohle aus dem toten Fleisch von Donnie oder Benny schneidet.
Aber dazu fehlt mir sowohl der Mumm als auch die Dummheit. Auf dieser Scheiß-Insel werden sie mich nicht begraben, soviel steht fest.

Als ich ein paar Stunden später die Pension verlasse, fallen mir die beiden Typen in dem Ford schräg gegenüber auf. Sitzen total unauffällig am helllichten Tage zu zweit in einem am Bordstein geparkten Auto. Iss klar.
Für einen Augenblick bin ich versucht, zu ihnen zu gehen. Bisschen zu plaudern. Ihnen ein paar Backpfeifen zu verpassen.
Das lasse ich. Schätze, es sind Metriçs Männer. Weiß nicht, ob der meine Art von Humor verstehen würde. Und ich habe Collie ein Versprechen gegeben. Ein halbes. Ich hatte während des Telefonates meine Finger gekreuzt.
Nachdem ich meinen Kram zusammengelegt und zurück in den zerschnittenen Koffer gelegt habe, gehe ich, um ein paar Besorgungen zu machen.
Auto mieten, ein paar Straßenkarten besorgen und nützliche Dinge wie Taschenlampe, Klebeband und Brechstange einzukaufen. Und eine neue Tasche für meine Sachen.
Die beiden Jungs bleiben an mir dran. Zwischendurch werfe ich ihnen einen Blick zu, lasse sie wissen, dass ich sie bemerkt habe. Verkneife mir die Faxen – kein Lächeln, keine zotigen Gesten. Nichts. Ich bin lammfromm. Fällt mir schwer, aber es zeigt, wie viel verschissenen Respekt ich vor dem Albaner habe. Falls es seine sind.

Am frühen Abend bin ich zurück. Habe mir auf dem Weg zur Pension eine ordentliche Portion Fish’n’Chips reingezogen, über die fettige Ladung verteilt: Einen halben Liter Malt Vinegar. Scheiße, ich liebe das Zeug. Als Kind hatte ich nach dem Fastfood-Essen jedes Mal mit den Fingern das Fett vom braunen Papier der Tüte gekratzt und den Essig-Geschmack von unter den Nägeln heraus gesaugt.
Meine Mutter meinte mal scherzhaft, man könne mich komplett mit Essig ernähren.
Mister Armstrong sitzt noch hinter seinem Tresen und liest Zeitung, als hätte er sich den gesamten gottverdammten Tag nicht einen Millimeter bewegt. Grüßt mich mit einem teilnahmslosen Nicken.
Auf der Hälfte der Treppe ruft er mich zurück. Unten drückt mir einen Umschlag in die Hand, nicht unähnlich dem, den ich von Anne bekommen hatte.
‚Das ist vorhin für Sie abgegeben worden’, bietet er mir als Erklärung an.
Mit einem stummen Nicken nehme ich den Brief und gehe nach oben in mein Zimmer.
Ich stelle die neue Tasche mit dem gekauften Kram zur Seite und setze mich auf das Bett. Schaue kurz durch, was mir Metriçs Leute geliefert haben. Das Meiste deckt sich mit dem Kram, den Molly mir geliefert hatte, beziehungsweise was ich selbst herausgefunden hatte. Ein paar weitere Aufnahmen, wenig hilfreich, und ein Dossier, das aussieht, als stamme es von der RUC - der Polizei. Über die beiden Brüder – detaillierte Schilderungen, die beschreiben, welchen Dreck die beiden in der Vergangenheit am Stecken hatten, wie hoch ihr Gefährdungspotential einzuschätzen ist, blabla. Was soll das? Warum schickt mir Metriç das?
Wütend schmeiße ich die Blätter und Fotos auf das Bett. Gut für meine Pinnwand, sonst nichts.
Scheiß drauf – ich brauche Metriç nicht, ich brauche seine Informationen nicht. Kann das Ding gut alleine durchziehen.
Methodisch gehe ich noch mal alles durch, was ich über die beiden Brüder weiß.

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Kommentare zu diesem Text

blaubeermund (26)
(01.07.09)
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 Mutter meinte dazu am 01.07.09:
Oh, wie wunderschön. :)
Danke sehr.
Ich zieh' artig die Mütze.

Und: I know. Now.
Hatt'sch vergessen. :)
Unterbewusstsein at work, schätze ich. Wobei ich nicht sagen könnt, was zuerst kam, Henne oder Ei.
Weisch?
blaubeermund (26) antwortete darauf am 01.07.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 01.07.09:
Siehst Du übrigens, was Du mit mir machst? :)
Mich verwirrende Gedanken denken machen, und dann auch noch schreibend.

Weicher?
Wenn nur kurz, fürchte ich. Hoffe ich.
Hartweichhartweich ... so isser. :)
blaubeermund (26) äußerte darauf am 01.07.09:
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