Blackout

Erzählung zum Thema Aggression

von  Mutter

Als Erstes muss ich die beiden Penner loswerden. Ich hole meinen Mietwagen von der Central Station ab, einen anthrazitgrauen Audi A6 mit ordentlich Power unter der Haube. Kurve durch die Stadt, schlage Haken. Warte, beobachte die beiden Affen, die mir folgen.
Nach einer Weile weiß ich, wie sie ticken. Wie sie fahren.
Wir fahren die Crumlin Road hoch. Ich vorne weg, die beiden ein paar Wagen hinter mir. Hinter dem Mater Hospital biege ich in die Oldpark ein und kurz danach links in eine Seitengasse. Ballere das kleine Sträßchen hoch, mit achtzig, neunzig Sachen, und lege hinten in der Wendeschleife eine filmreife Drehung hin. Belfast Drift.
Trete den Wagen und jage zurück. Sehe die beiden kommen. Sie biegen vorsichtig ein, sind sich nicht sicher, ob sie mir folgen wollen. Ist ihnen zu klein, die Gasse.
Der Beifahrer zeigt aufgeregt nach vorne, während ich, ohne die Geschwindigkeit zu senken, auf sie einzoome. Hoffen wir mal, dass die Kids noch in der Schule sind und mir nicht vor die Karre laufen.
Fünfzig Meter vor ihnen steige ich voll in die Eisen. Das EPS und ich bemühen uns, den Audi auf Kurs zu halten.
Der andere Wagen hat verschreckt angehalten - ich nehme an, die Penner haben sich bereits in die Hose gemacht.
Kontrolliert hin und her zuckend, kommt der A6 vor ihnen zum Stehen, streift mit dem Vorderrad sanft den Bordstein. Die beiden Wagen stehen Zentimeter voneinander entfernt. Gott, bin ich gut.
Mit einer schnellen Bewegung steige ich aus und ziehe die Desert Eagle. Baue mich vor der Motorhaube der beiden Idioten auf, zeige ihnen die dunkle Mündung der Kanone. Kintopp, Ladies. Schön lächeln - ihr seid im Fernsehen. Eigentlich bräuchte ich zwei von den Knarren, um John-Woo-mäßig mit beiden Armen ausgestreckt da zu stehen. Ich sollte Dale anrufen, noch eine ordern.
Meine Linke fischt mein Handy aus der Tasche und ich wähle die Nummer, die mir der Graubart gegeben hat.
Beobachte die beiden aufmerksam beim trockenen Schlucken.
Graubart geht ran. Ich mag seine Stimme.
‚Ja bitte?’
‚Corker hier. Ich brauche keine Kindermädchen.’
‚Wovon reden Sie?’
‚Von den beiden Wichsern, die mir bereits den ganzen Tag hinterher laufen. Und ehrlich gesagt, werde ich wenig müde.’
‚Wo sind Sie?’
‚Keine Ahnung – ich stehe in einer kleinen Gasse vor dem Wagen der beiden, ziele mit der Desert Eagle auf ihre Fressen und überlege, ob es nicht einfacher wäre, die beiden Penner einfach umzulegen.’
‚Hören Sie, Corker …’
‚Scheiße, nein!’, brülle ich das Handy an. ‚Sie hören mir zu! Ich habe einen Deal mit Metriç. An den werde ich mich halten. Was ich nicht brauche, sind irgendwelche Arschlöcher, die mir die Show vermasseln, okay? Ich will, dass Sie die beiden anrufen und zurück pfeifen. Ist das klar?’
Schweigen am anderen Ende. Ich klemme mir das Telefon zwischen Wange und Schulter und ziehe den Schlitten der Eagle mit der Linken zurück. Tschacktschack. Noch mal Kino.
‚In Ordnung. Ich ruf sie an.’
‚Mit einem anderen Handy. Ich will, dass Sie am Apparat bleiben. Mir gut zureden, damit ich keine Dummheiten mache - die wir später alle bereuen werden. Ich will, dass Sie hören, wie das klingt. Wenn was schief geht.’
‚Geht klar.’
Er deckt die Sprechmuschel ab, um mit jemandem im Hintergrund zu reden.
Eine endlose halbe Minute später sehe ich den schwitzenden Beifahrer ans Handy gehen. Beide sehen mich weiter mit aufgerissenen Augen an. Ihren Dirty Harry.
Im Auto findet ein kurzes Telefongespräch statt. Es wird wiederholt genickt. Die Beiden sehen mich gespannt an.
‚Mister Corker?’
‚Ich höre …’
‚Die Jungs werden jetzt langsam zurücksetzen. Lassen Sie sie fahren.’
‚Dann los.’
Der Beifahrer nickt, sagt was zu seinem Kumpel. Die Kupplung kommt, der Motor greift. Mit zusammengezogenen Brauen halte ich die Eagle noch drohender – die sollen bloß nicht auf dämliche Gedanken kommen.
Kommen sie nicht. Vorsichtig rollt der Wagen zurück, fünfzig, sechzig Meter, schlägt ein. Wendet und fährt weg. Jede Wette, die Mutterficker sind erleichtert wie die Hölle.
‚Alles in Ordnung?’
‚Ja. Alles schön. Danke für das Gespräch.’
Am anderen Ende kann ich ihn denken hören. Klar, passt ihm nicht, wie das gelaufen ist. So hat er sich das heute Morgen nicht vorgestellt, als er sich unter der Dusche einen runtergeholt hat. Sich besonders clever vorkam - Sackgesicht.
‚Bis bald, Mister Corker.’ Er versucht, das wie eine Drohung klingen zu lassen. Ich bin nicht beeindruckt.
Es ist früher Abend. Ich habe noch ein paar Stunden Zeit totzuschlagen, bevor ich mich um die Bentos kümmern kann. Ich gehe in eine Starbuck’s Filiale, trinke gemütlich ein halbes Dutzend Kaffees in verschiedenen Geschmackssorten. Bis ich mich mit rasendem Puls und einem hämmernden Herz, auf das jede Bassbox neidisch wäre, auf den Weg mache. Auf die Jagd.

Der Kuhfuß erwischt Benny Bento an der Schläfe. Mit einem Stolpern sackt er nach vorne, erst in die Knie, schlägt der Länge nach hin. Ich packe ihn an der Jacke und zerre ihn rein. Damit die Füße nicht die Tür blockieren. Das eiserne Ding liegt gut in der Hand – hat einen gummierten Griff. Damit könnte ich den ganzen Tag Türen aufbrechen und Leute niederschlagen, ohne Blasen zu bekommen.
Ich schließe mit einem letzten Blick nach draußen die Haustür. Die nächtliche Szenerie bleibt ruhig.
Irgendwo bellt ein Köter – wohl kaum, weil ich dem Penner gerade eins verpasst habe.
Mit einer geschickten Bewegung drehe ich den Bewusstlosen auf den Rücken. Checke seinen Puls. Weder ich noch Metriç fänden es witzig, wenn er mir auf dem Läufer krepiert. Vor lauter Übereifer den Schädel eingeschlagen.
Ich schnappe mir seine Knöchel, drehe ihn geschickt auf dem kleinen Teppich um hundertachtzig Grad und zerre ihn an den Füßen nach hinten raus. Flur, Küche, Garten. Jede Schwelle nimmt er wenig elegant mit dem Kopf. Sorry, ducky.
Die kleine Tür, die von der Küche raus führt, lehnt nur an. Hier habe ich mit dem Nageleisen am mickrigen Schloss das Urteil vollstreckt. Den Draht der Alarmanlage hatte ich vorher oben am Fenster gekappt – da ranzukommen war mit dem Glasschneider kein Problem.
Selbst wenn die Anlage ein Hindernis dargestellt hätte – drei, vier Mal den Alarm ausgelöst, jedes Mal frustrierte Sicherheitsbeamten beobachten und der Weg ist frei. In einem Land, wo alle halbe Stunde ein Alarm von Haus oder Auto losgeht, verliert jeder die Lust.

Ich schleppe ihn über das vom Tau feuchte Gras hinten zur Gartentür. Entriegele sie und wuchte mir sein schlaffes Gewicht in den Arm. Meine Rechte hält seine Hüfte gepackt, seinen linken Arm hat er mir innig um die Schulter geschlungen. Besoffene Kumpels, mehr nicht.
Wir stolpern raus auf die Straße, die paar Meter zum Audi, den ich hier vor einer halben Stunde geparkt habe. Es braucht zwei, drei Versuche, bis ich es schaffe, die Tür hinten rechts zu öffnen, ohne ihn fallen zu lassen. Wuchte ihn rein, wische mir den Schweiß von der Stirn. Ums Auto rum, steige ein, lasse den Wagen an. Muss mich beherrschen, den Motor nicht zu sehr aufheulen zu lassen. Schotter fliegen lassen – so eine Aktion kann ich hier nicht brauchen.
Wir fahren in den Norden von Belfast, ins Industriegebiet. Suchen uns einen großen Parkplatz, auf dem wir alleine sind. Ich hole das Gaffer-Tape aus dem Kofferraum und fange an, Benny zu verpacken. Hände auf den Rücken, Füße zusammen, einen Streifen um den Kopf, über den Mund. Zwei einzelne auf die Augen. Fertig ist das Mondgesicht – niedlich sieht er aus.
Ich steuere den Wagen zurück Richtung Innenstadt. Zeit, unseren nächsten Fahrgast einzusammeln.

Den Wagen lasse ich eine Ecke weiter stehen. Das hier ist ein echter Suburb. Da fällt ein unbekanntes Auto schnell mal jemandem auf. Selbst zu nachtschlafender Zeit.
Ich suche mir den Stromkasten, stemme ihn auf. Betrachte ratlos die ganzen Kabel und Steckverbindungen.
Ein Kumpel von Collie hatte mir auf einem Job mal gezeigt, wie man auf diese Weise einen Straßenzug lahmlegt. Den Saft abdreht. Dazu schnitt er mit einem kleinen Seitenschneider zwei kleine Kabel durch. Ich habe vergessen, wo. Oder bereits damals nicht aufgepasst.
Mit einem Schulterzucken mache ich mich daran, das gesamte Innere des Kastens zu zerstören. Hoffe, dass die Gummierung des Nageleisens mich schützt.
Während ich mich ruppig aber gründlich an der feingliedrigen Elektronik zu schaffen mache, sehe ich aus dem Augenwinkel das Licht ausgehen. Straßenlaternen, einzelne beleuchtete Fenster und eine einsame Lichtdekoration in einem Garten – alles tot.
Ich blecke die Zähne in einem triumphierenden Grinsen und gehe die Straße runter. Die kleine Carryall mit dem Werkzeug und dem Gaffer trage ich in der rechten, den Kuhfuß in der linken Hand.
Eine Minute später stehe ich vor dem friedlich daliegenden Haus von Donnie Bento. Komm schon, Motherfucker, dein Bruder wartet.
Das niedrige Tor lässt mich ohne Protest in den Vorgarten ein.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(02.07.09)
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 bluedotexec (07.11.09)
Huhu,
ich verfolge den Text jetzt vom Anfang bis hier her, und das ist erstaunlich, weil mir das bei keinem anderen Mehrteiler auf dieser Seite so viel Spaß gemacht hat wie hier. Ich habe in der letzten Zeit einige Bücher gelesen, die es hiermit nicht aufnehmen können^^.
Ich kann jetzt nicht mehr an mich halten und muss es einfach sagen - das hier ist großartig. Awesome. Ich liebe deinen Erzählstil und kann davon nicht genug bekommen.
Liebe Grüße,
Patrick

PS: Es heißt "Gaffa-Tape"...^^
EDIT: Heißt es doch nicht ausschließlich, sorry..^^
(Kommentar korrigiert am 07.11.2009)

 Mutter meinte dazu am 07.11.09:
Wow, was für ein großartiges Kompliment an einen Text.
Danke schön ... :)

Das freut mich sehr. Macht das momentane Überarbeiten, was ansteht, ein kleines bisschen leichter.

M.

 bluedotexec antwortete darauf am 08.11.09:
Ich will es mir nicht nehmen lassen, anzumerken, dass "Call me Corker" mich inspiriert hat. Seit langem schon will ich eine Art... Film Noir als Roman schreiben (Für das Genre gibt es ein Wort, das mir gerade entfallen ist...^^), und dieser Text gab mir einen Einstieg, einen... hmm... für den Leser unsichtbaren Cliffhanger. Danke daher eher von mir^^

 Mutter schrieb daraufhin am 11.11.09:
Und, wann bekommen wir was zu sehen? ;)
Alegra (41)
(10.11.09)
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 Mutter äußerte darauf am 11.11.09:
Ja, stümmt. War etwas abrupt. Habe ich mal was eingeschoben, um den Übergang etwas softer zu gestalten ...

Danke. :)
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