White Lies

Erzählung zum Thema Angst

von  Mutter

Mit schnellen, kontrollierten Schritten durchquere ich Flur und Wohnzimmer. Alles ruhig. Bennys Zimmer zeigt mir seine erbärmliche Figur auf dem Stuhl.
Rüber zu seinem Bruder. Tür mit dem Fuß aufgestoßen. Donnie sitzt noch so, wie ich ihn zurückgelassen habe.
Sorgfältig checke ich den Rest der Räume. Nur weil ich paranoid bin, heißt das nicht, dass niemand hinter mir her ist. Das Cottage ist sauber.
Entspannt stecke ich die Eagle zurück in die Hose und packe die Einkäufe weg. Trinke einen frisch gepressten Orangensaft. Biete den Brüdern ebenfalls einen an – die wollen nicht.
Nach einer Weile habe ich genug von dem Vorspiel und gehe zu Benny rein. Jetzt wird’s ernst, Arschloch.
Verpasse ihm zum Aufwärmen ein paar lockere Schläge in die Magengrube, bis ich Angst haben muss, er kotzt mir in das Klebeband.
Unförmig krümmt er sich, so weit seine Verschnürung das zulässt. Grunzt, stöhnt, bekommt keine Luft.
Mit einem Ruck reiße ich ihm das Tape vom Mund. In großen Schlücken schnappt er nach Luft.
Ich lehne mich nach vorne und bringe meine Lippen dicht an sein Ohr.
‚Weißt du, wo du bist, Fickfrosch?’
Er zuckt panisch zurück. Windet sich. Statt zu antworten.
‚Du bist im Nirgendwo, mein Freund. Niemand hört dich schreien. Niemand kommt, um dich zu holen. Dein Arsch gehört mir – verstehst du?’
Schüttelt sich.
Ich fahre fort: ‚Nur dein Bruder. Der hört dich. Sitzt nebenan. Mit dem habe ich angefangen. Hast du eine Ahnung, was ich mit dem gemacht habe?’ Ich lache leise, meine Stimme rau wie mein Dreitagebart, der die weiche Haut an seinem Ohr streift. Verschrecktes Zucken.
‚Weißt du nicht? Ich habe mit seinen Fingern angefangen. Jeden von ihnen einzeln gebrochen. Hat eine Weile gedauert, aber das war’s wert. Sieht grotesk aus, so eine Hand. Schon mal gesehen?’
Ein sanftes Wimmern entweicht seinen Lippen. Ich wusste, dass Benny die Handtasche von den beiden ist.
‚Der harte Hund wollte mir nichts sagen – hat bloß weiter die Zähne aufeinander gebissen. Bis er keine mehr hatte. Bloß noch Blut gespuckt, die arme Sau. Kannst du dir das vorstellen?’
Er schüttelt den Kopf. Will, dass ich aufhöre, meinen Mund wegnehme. Ich fahre mit dem Bart über seine Wange. Benny versucht, dem Sandpapier zu entkommen.
Du bist zu weich, Benny Bento!
Mit einem Seufzer richte ich mich auf, streiche mit den Fingerrücken über sein Gesicht – wie eine Verabschiedung. Er peitscht zur Seite, als hätte ich ihn geschlagen. Das kommt noch, Benny-Boy, keine Angst.
Ich gehe rüber zum anderen Spross von Bento Sr.

Beginne mein Spiel auf die gleiche Weise wie bei dem jüngeren Bruder. Donnie lässt sich nicht beeindrucken. Zuckt kaum, weicht nichts aus. Der erträgt, was kommt. Denkt, das hält er aus.
Erst als ich anfange, ihm zu erzählen, was ich mit seinem Bruder gemacht habe, beginnt er aufzutauen.
‚Ich weiß, dass du knallhart bist, Donnie. Der kleine Benny auch? Ist der aus demselben Holz wie du? Hält er aus, wenn ich ihm die Zehen abschneide? Mit dieser Geflügelschere hier?’
Das metallene Werkzeug klackt bedrohlich an seinem Gesicht. Diesmal zuckt er.
‚Hält er dicht? Und du? Kannst du zuhören, wenn ich es bei ihm richtig krachen lasse? Sollte ich euch in den gleichen Raum schleppen? Willst du zusehen, wie ich ihn fertigmache? Kannst du sehen, ob er ein echter Bento ist.’
Der erste Anflug eines Kopfschüttelns.
Ich brauche eine Pause. Verkleb ihm das Maul und gehe zurück ins Wohnzimmer, was trinken.
Scheiße, wenn mir egal wäre, wie die beiden Kerle hinterher aussähen, wäre ich bereits durch. Hätten die mir alle ihre Sünden gebeichtet.
Ich trete vor die Tür, bleibe einen Moment im Wind stehen. Unten am Wasser kann ich die Möwen kreischen hören.
Kurz überlege ich, ob ich eine Jacke brauche. Brauch ich nicht. Ziehe den Reißverschluss meines Wollpullovers hoch und gehe in Richtung Strand.
Langsam fädele ich mich zwischen den Klippen durch – an manchen Stellen kann ich auf dem groben Sand laufen, an anderen muss ich über die Steine klettern.
Bald bin ich unten an den Klippen. Setze mich auf einen der erhaben auf die See blickenden Felsen und betrachte Gischt und Brandung, die dort unvernünftig gegen das Gestein toben.
Als ich noch hier oben gewohnt habe, sind ganze Nachmittage und Abende vergangen, an denen ich am Meer gesessen habe. In denen mir der Atlantik mit Macht an der Seele gezogen hatte. Vielleicht war das der Grund, warum ich damals nicht bei ihr bleiben konnte. In genau so einem weiß gekalkten Cottage.

Mit einem Seufzer denke ich an die beiden Mistkäfer da oben. Verfluche Metriç und den beschissenen Deal, den ich eingegangen bin. Spucke in die See.
Der Penner ist mein Klotz am Bein. Wegen unseres Abkommens bekomme ich nichts aus den beiden raus. Kann nicht ordentlich zulangen, sondern muss mich zivilisiert verhalten.
Bullshit, denke ich mit einem Grinsen.
Ich mache mir was vor, wenn ich vorgebe, Metriç wäre mein Grund.
Die Wahrheit ist: Dem Albaner wäre egal, ob denen an jeder Hand ein paar Finger fehlen, ein oder zwei. Ihm wäre Latte, ob ich die Autobatterie an ihren Säcken anklemmen würde, ob ich sie mit Schlafentzug oder anderen Arten Weißer Folter mürbe machen würde. Er will, dass sie danach im Business bleiben können, um seine Kohle ran zu schaffen.
Ich hätte freie Hand, so lange ich sie nicht zu stark und dauerhaft beschädige.
Kann ich nicht. Ich bin nicht mehr derselbe Corker wie damals gestehe ich mir mit einem Seufzer ein. Die gleiche Scheiße, die ich früher gebracht hätte, ohne mit der Wimper zu zucken, lässt mich heute das Gesicht verziehen. Ich will die Kerle nicht foltern. Scheiße, ich will nicht mal hier sein.
Müde sehe ich rüber zum Horizont, wo sich Dutzende von Meilen entfernt Trawler und Frachter am äußersten Ende der Welt entlang schieben.
Wenn ich den Jungs nicht ernsthaft weh tun will, muss ich einen anderen Weg finden, sie zu überzeugen. Ihnen genug Angst zu machen. Ich denke an Belfast und an Molly.
Daran, dass wenn ich nicht bald einen Ausweg aus diesem Labyrinth finde, sie kommt und mich holt. Mich kaltmacht, ausknipst.
Wie war das – Exit Corker? Nicht die Art, wie ich mir meinen Bühnenabgang wünsche.
Lasse den Blick über die harschen Felsen gleiten. Möglicherweise sollte ich hierbleiben, auf sie warten. Nicht mehr weglaufen.
Ich sehe hoch zu den Möwen, die arrogant über mir kreisen, mich anschreien. Sie wollen mich los sein, den Störenfried aus ihrem Territorium vertreiben.
Mit einem Ruck stehe ich auf und sehe auf die See. Schaue, ob ich Seehunde entdecken kann. Mittlerweile hat der zunehmende Wind das Meer angepeitscht, aufgewühlt. Ich kann nicht erkennen, ob einer der dunklen Köpfe dort draußen schwimmt.
Macht nichts – ich kann später wieder kommen.
Langsam gehe ich zurück zum Haus, die harschen Schreie der Vögel in meinem Rücken. Ziehe auf halbem Wege die Eagle und bereite mich gedanklich darauf vor, das Cottage erneut zu stürmen. Dem Hinterhalt, der mir dort eventuell droht, zu entkommen.
Muss grinsen. Bin doch nicht müde, spiele das Spiel weiter.

Drinnen ist alles ruhig. Kein Aufstand, kein Angriff. Die beiden Brüder sind ruhig – bis auf ein gelegentliches Stöhnen oder Zucken.
Ich setze mich ins Wohnzimmer, und denke darüber nach, wie ich weiter vorgehe. Wie ich an die Informationen komme, die ich von ihnen haben will. Wie weit ich bereit bin zu gehen.
Draußen wird es langsam dunkel, und das Wohnzimmer versinkt in Düsternis.
Ich gehe nach Benny sehen. Seine Hosen sind nass. Bei seinem Bruder wird es nicht anders aussehen. Wenn ich vorhabe, sanfter mit den beiden umzugehen, sollte ich ihnen was zu trinken geben. Ihre Klebestreifen lockern, zumindest für eine Weile.
Oder ich sollte ihnen richtig die Fresse polieren. Damit die ganze Scheiße schnell vorbei ist. What’s it gonna be, Corker?
Unruhig tigere ich im dunklen Wohnzimmer auf und ab. Kann mich nicht entscheiden. Versuche, mich zu zwingen. Vergeblich.

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Kommentare zu diesem Text

AnnaKarenina (31)
(06.07.09)
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 Mutter meinte dazu am 07.07.09:
Ach siehste, die AK wollte ich eigentlich als Hommage an Dich noch irgendwo einbauen - mal schauen. :)

Danke schön - und ja, dass mit dem Anfang iss mir leider (schmerzlich) bewusst. :/

:)
AnnaKarenina (31) antwortete darauf am 07.07.09:
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Kitten (36)
(07.07.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 07.07.09:
Mmmmh, okay. Zu viel behauptung, ja?
Mist ...

In Ordnung, ich lass mir was einfallen.
Danke. :)
Kitten (36) äußerte darauf am 07.07.09:
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AnnaKarenina (31) ergänzte dazu am 07.07.09:
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kontext (32) meinte dazu am 08.07.09:
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 Mutter meinte dazu am 08.07.09:
Bläht sich der Corker gleich noch mehr auf. :)
Danke schön.

Ich versuche beim Einfrickeln nichts kaputt zu machen - versprochen.
kontext (32) meinte dazu am 08.07.09:
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Kitten (36) meinte dazu am 08.07.09:
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Alegra (41)
(11.11.09)
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