Die Gedanken des Herrn Meybaum

Text zum Thema Innenwelt

von  princess

Jeden Tag dieses Sommers sitzt Herr Meybaum auf der Bank am See.

Stunde um Stunde sitzt er dort.
Elegant, dezent und nie ohne Hut.
Mit ihm sitzen seine Gedanken am See.
Konzentriert sitzen sie in den Kanten seines Gehirns.
Akkurat gefaltet und sorgsam geschlichtet wie Herrn Meybaums Taschentücher
in der Schublade seines Wäscheschrankes.

Erfüllt ist er von der Aufgabe, seine Gedanken mit angemessener Strenge zu regieren.
Er ist ein umsichtiger Regent seines Gedankenreiches.
Nur dann und wann, in Sekundenbruchteilen ermüdeter Aufmerksamkeit,
entwischt ihm der eine Gedanke. Oder der andere.
Springt kopfüber auf die Uferpromenade
und stellt sich Herrn Meybaums Regentschaft leibhaftig in den Weg.

Ein Gedanke mit wachen, sanften Kinderaugen.
Azurblau, smaragdgrün, rehbraun.
„Nein!“, denkt Herr Meybaum.
„Ich achte die Unschuld der Mädchen, der kleinen.
Ich bin mit mir selbst und mit ihnen im Reinen.“

Ein Gedanke mit duftendem Kinderhaar.
Vergleichbar einem Wasserfall aus gesponnenem Gold.
Oder kinnlang geschnitten und pechschwarz lackiert.
„Nein!“, denkt Herr Meybaum.
„Ich schütze die Seelen der Mädchen, der süßen.
Ich will für meine Gedanken nie wieder büßen.“

Ein Gedanke mit seidenweicher Kinderhaut.
Perlmuttweiß. Immer perlmuttweiß.
„Vielleicht“, denkt Herr Meybaum.
„Ich schlachte das Fleisch der Mädchen, der zarten.
Ich habe Geduld. Ich kann sehr lange warten.“

Jeden Tag dieses Herbstes sitzt Herr Meybaum auf der Bank am See.

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Kommentare zu diesem Text

steinkreistänzerin (46)
(01.10.09)
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 princess meinte dazu am 01.10.09:
Ist ja auch bäh.
Nur...ich kannte mal so einen Herrn Meybaum...und als er neulich in mir anklopfte, da entstand dieser Text. So wie er jetzt ist.
Und sorry? Wieso sorry??
Ich sehe keinen Grund für irgendein sorry.
Grüße zurück. Noch mehr.

 Martina (01.10.09)
Grausig...etwas was mir auch immer Unbehagen bereitet...wer weiß, welche Gedankenin welchem Menschen haust.
Manches sitzt so tief- wie bei dir beschrieben.
Und von aussen her betrachtet, würde man sagen: Das sah ihm gar nicht ähnlich....seufz. Lg Tina.

 princess antwortete darauf am 01.10.09:
Stimmt, Tina, die menschlichen Abgründe sind im Äußeren nicht zwingend sichtbar... "Trau dem, was du siehst?" Neee, eher: "Trau dem, was du spürst!". Meine ich jedenfalls. Danke für Deinen Kommentar zu einem Text, den zu kommentieren mir selber schwer fiele. LG Ira

 Martina schrieb daraufhin am 01.10.09:
Ja....war wirklich nicht einfach, aber wortlos wollte ich nicht daran vorbeigehen, denn er hat mich schon bewegt, weil es eben auch oft mene Gedanken waren.
BBA (43)
(02.10.09)
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 princess äußerte darauf am 02.10.09:
Herr BBA, Sie machen mich verlegen. Ehrlich.
Danke. Ira
BBA (43) ergänzte dazu am 02.10.09:
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stimulanzia (48) meinte dazu am 03.10.09:
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 princess meinte dazu am 04.10.09:
Danke, Stimu, für Besuch und Kommentar. LG Ira

 Ingmar (05.10.09)
Princess, was für ein Horror, Horror, der so klingt: "Jeden Tag dieses Sommers sitzt Herr Meybaum auf der Bank am See." Echter Horror. Toller Text!

ingmar

 princess meinte dazu am 05.10.09:
Horror zu lesen und zu kommentieren finde ich besonders schwierig. Daher ein besonderes Danke an Dich, Ingmar. Lieber Gruß, Ira

 Ingmar meinte dazu am 05.10.09:
ich auch, ira, ich auch. daher mein lob. gruss zurück, i.

 princess meinte dazu am 06.10.09:
Oh...Ingmar, SO konnte ich das bisher noch gar nicht sehen...jetzt schon...;-)

 Ingmar meinte dazu am 06.10.09:
ooops. i see...
SueL. (32)
(13.03.10)
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 princess meinte dazu am 14.03.10:
Ich freue mich sehr, liebe Sue, über diese Einschätzung! Danke und herzliche Grüße an Dich, Ira
(Antwort korrigiert am 14.03.2010)

 Dieter Wal (01.04.10)
Literarisch bis in allerkleinste Details ausgearbeiteter Text, bei dem man mit jedem Lesedurchgang neue Feinheiten entdeckt. Das Monströse eines Kinderschänders wird ungeheuer beeindruckend zur Sprache gebracht.

 princess meinte dazu am 01.04.10:
Ich danke Dir für diesen Kommentar... Liebe Grüße, Ira

 Dieter Wal meinte dazu am 27.02.13:
Warum reimtest du die Schlusscouplets der 3. bis 5. Strophe, die von S. 1 und 2 jedoch nicht? Das Gedicht wirkt auf mich immer noch so grauenvoll vom Inhalt her und gleichzeitig wortmächtig und präzis. Ein Monster sprachlich ansprechend dargeboten. Uuaah! Geisterbahn.
(Antwort korrigiert am 27.02.2013)

 princess meinte dazu am 27.02.13:
In diesen drei Strophen sollte die Innensprache des Herrn Meybaum von der Außensicht des übrigen Textes abgehoben werden. Daher die drei Reimpaare. So habe ich mir das jedenfalls gedacht. Vielen Dank, Dieter, für's Nachfragen und Mitteilen und Geisterbahn fahren! Liebe Grüße, Ira

 Pingui (26.06.11)
Hey Ira,
ich muss sagen die Geschichte gefällt mir echt gut. Schön schaurig eigentlich, denn niemand weiß was in des nächsten Kopfes vor sich geht.
Was mich besonders anspricht, ist deine Wortwahl. Es sind nicht einfach alltägliche Wörter, die einem grade so im Kopf herumschwirren. Du hast dich bemüht und wirklich nachgedacht, so kommen auch diese vorzüglichen Stilmittel, wie zum Beispiel die Personifikationen zu Beginn des Textes zu stande.
Liebe Grüße,
Benni
(Kommentar korrigiert am 26.06.2011)

 princess meinte dazu am 26.06.11:
Hallo Benni, der " Herr Meybaum" ist einer der Texte, deren Idee und Struktur ich schnell hatte... und an dem ich dann ewig tüftelte, bis er so weit war, dass er mir innerlich "passte". Nur mal so als Beispiel zu unserem Thema heute. Danke für deine Rückmeldung und liebe Grüße, Ira

 Kontrastspiegelung (23.09.11)
Hallo, liebe Ira,

Als ich den Anfang von deinem Text lies, so dachte ich sofort an meine Schulzeit, die Zeit in der wir lernen sollten mit der Kalligraphie umzugehen. Wir haten sogar ein Gedicht mit einem Bild abschreiben/malen müssen (weiss nicht mehr wie es heisst^^). Es ging um die Herbstzeit und um einen "Schwarzen" Mann, der seinen Hut halten musste, um Ihn nicht zu verlieren. So in etwa interpretiere ich deinen Text. Auch, wenn es ein anderes Thema war. Doch, wenn man etwas sinniert, dann kommt man auf soviele vergleiche, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind.

Auf jeden fall, finde ich deinen Text für sehr gut geschildert. Halt poetisch ;P
Na, man weiss wirklich nicht (IMMER) was in einem so vorgeht und wen man Gegenüber sitzt.

Mit nachdenklichen Grüßen, Kathi

 princess meinte dazu am 24.09.11:
Liebe Kathi,

man weiß wirklich nicht (immer), was in einem anderen vorgeht. Manchmal weiß man ja sogar nicht mal, was in einem selber vorgeht. Um so spannender finde ich es, hier genauer zu gucken. Und Dinge zu entdecken, die vielleicht alles andere als "schön" sind ... und dennoch sind. Leben halt, in all seinen Facetten.

Danke für deine Gedanken. Ich habe mich sehr darüber gefreut!

Liebe Grüße an dich, Ira
ues (34)
(24.10.11)
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 princess meinte dazu am 26.10.11:
Manchmal klingt das Stumme besonders laut. Ich danke dir! Liebe Grüße, Ira

 Perry (08.07.12)
Hallo Ira,
das Zwiespältige der menschlichen Psyche schimmert gut durch deine Zeilen. Nicht Umsonst heißt es, dass Genie und Wahnsinn bzw. Gut und Böse oft sehr nahe beieinander liegen.
Da es eine sichere Aussage nicht gibt (auch wenn manche Psychologen dies glauben) bleibt nur mit offenen Augen durch die Welt zu gehen.
LG
Manfred

 princess meinte dazu am 08.07.12:
Hallo Manfred,
ja, mit offenen Augen und wachen Sinnen. Im übrigen sehe ich es wie du: Eine sichere Aussage gibt es nicht. Leben ist fragil. Ich danke dir für's Hinspüren und Hinschauen.
Liebe Grüße, Ira
(Antwort korrigiert am 08.07.2012)
rumpelsophie (49)
(04.08.12)
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 princess meinte dazu am 04.08.12:
Liebe rumpelsophie, ich glaube, ich könnte diesen Text selbst nicht oder nur sehr schwer kommentieren. Obwohl ich ihn selbst schrieb. Vielleicht auch gerade deswegen. Umso mehr freue ich mich über deine Worte. Dankeschön und liebe Grüße, Ira

 RomanTikker (21.09.12)
Den hatte ich auch noch nicht gesehen (den Text, nicht Herrn M.). So gefällt mir die Autorin am besten. Kurz, tief und zwischenzeilig. Die Reime fand ich erst ein bisschen zu konstruiert, aber beim zweiten Lesen - naja, ich meine, wenn er sich das halt so denkt? Hat auch was von Kinderversen und macht die Sache gleich noch ein wenig FSK-18-mäßiger.
Gern gelesen!
Herrliche Grütze
R
(Kommentar korrigiert am 21.09.2012)

 princess meinte dazu am 21.09.12:
Ja, irgendwie spinnt der Mann echt ... in Reimen zu denken! Das dachte ich mir auch, als ich das Teil schrieb. Aber was sollte ich machen? FSK-18-mäßig? Also P18? Da müsste ich mal in mich gehen. Der Gedanke kam mir bis jetzt jedenfalls noch nicht. Danke und liebe Grüße, Ira

 RomanTikker meinte dazu am 21.09.12:
Naja, jedem das Seine .. ;°)
Nein, P18, um Gottes Willen nicht! Ich meinte damit nur, dass es den Gruselfaktor steigert irgendwie. So "Eins, zwei, Freddy kommt vorbei"-mäßig. Wenn Unschuld und Unbedarftheit auf Gewalt trifft, dann ist das eben so. Aber P18 noch lange nicht.

 princess meinte dazu am 22.09.12:
Ui, da bin ich nun doch erfreut, dass meine gestrige Mutmaßung nur in meinem Kopf war und nicht in deinem. Danke für's Mitteilen und Klarstellen!

 HerrSonnenschein (26.10.12)
Das mir dieser Text bisher durch die Lappen ging! Sehr brilliant geschrieben.Meinen großen Respekt! LG Jörg

 princess meinte dazu am 26.10.12:
Vielen Dank, Jörg. Ich freue mich sehr über deine Einschätzung. Weil .. das Thema ist speziell. Und die Umsetzung mag auch nicht jedermanns Sache sein. Insofern: Toll, dass du hier mitschwingen kannst! Liebe Grüße, Ira
Adrian (65)
(03.11.12)
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 princess meinte dazu am 03.11.12:
geht ins Hirn und Herz, dein Text
Dann ist er richtig gelandet. Genau richtig. Dankeschön und liebe Grüße, Ira
janna (66)
(20.07.13)
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 princess meinte dazu am 20.07.13:
Deine Frage kann ich leider nicht beantworten. Aber: Was ist denn eine Klesse? Eine innovative Mischung aus Klappe und Fresse?
Ein Text, der unter die Haut geht, obwohl man ihn dort lieber nicht hinlassen möchte.
Dafür sage ich einfach danke, Janna. Liebe Grüße, Ira
(Antwort korrigiert am 20.07.2013)
janna (66) meinte dazu am 20.07.13:
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 princess meinte dazu am 20.07.13:
:-)
Teichhüpfer (56)
(09.04.16)
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 princess meinte dazu am 10.04.16:
Danke, Jens, für deinen Besuch und die Spuren, die du hier gelassen hast.
Teichhüpfer (56) meinte dazu am 12.04.16:
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 harzgebirgler (19.01.18)
so monster die werden nicht alle
und manch kind gerät in der'n falle.

herzliche abendgrüße
henning

 princess meinte dazu am 19.01.18:
Ja, so ist das leider. Das menschliche Leben empfinde ich manchmal als rätselhaft. Vorsichtig formuliert.

Danke, lieber Henning, und herzliche Grüße
Ira
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