Ravin' Mad

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mutter

Die nächsten zwei Stunden treibe ich mich genau wie der Großteil der anderen Clubbesucher in den dunkleren Ecken rum, nippe abwechselnd an einem Ginger Ale und einem Gin Tonic und halte wachsam die Augen offen. Wenn mich einer der Jungs zu ausdauernd mustert, bekommt er mein evil eye. Ich starre bösartig zurück, bis er den Blick abwendet. Die jungen Ladies, denen ich auffalle, lasse ich mehr Zeit, bevor ich ihnen die kalte Schulter zeige.
Ich nehme an, hier gibt es eine Menge straighte Frauen, die auf der Pirsch nach knackigen Gays zum Umdrehen sind. In besseren Zeiten würde ich hier gerne mal zum Jagen kommen. Einer von den Kleinen weiß machen, sie hätte einen harten Schwulen mit Dreitagebart erst um den Finger gewickelt und dann umgedreht. Die Masche könnte gut funktionieren.
Heute Abend nervt mich die Aufmerksamkeit, die mir sonst schmeicheln würde. Kann ich nicht gebrauchen – schön niedrig unter dem Radar bleiben, heißt die Devise.
Der Raum ist dreistöckig, besitzt ein hohes Atrium. Auf den Rundgängen einen Stock höher lehnen Gäste an der Balustrade, schauen sich mit ihren Drinks in der Hand das Gequirle auf der Tanzfläche an. Zu Nu Rave und Elektro schieben sich verschwitzte, gutaussehende Leiber durcheinander – sieht von oben bestimmt nicht schlecht aus.
Noch einen Stock höher ist niemand zu sehen. Ab und an taucht da ein Kerl mit kurzgeschorenen Haaren oder einer im Anzug auf – ich nehme an, dass die VIP-Loungen direkten Zugang zu dem Ring oben haben.

Als ich zurück an die Bar kehre, um mein Ginger Ale gegen einen Tonic auszutauschen, lächelt mich die großgewachsene Frau hinter der Bar an, lehnt sich nach vorne und fragt, die Stimme gegen den Lärm aus dem Off erhoben: ‚Wie ist das mit den Drinks? Jeder Zweite alkoholfrei. Bist du der Fahrer? Dann hattest du bereits zu viel‘, stellt sie gutgelaunt fest.
Ich zögere. Sie ist älter als die anderen Schnecken, die dort hinter der Bar geschäftig Drinks verteilen, vielleicht Anfang Dreißig. Die Haare stehen ihr wie eine blonde Wolke um den Kopf, und sie mustert mich mit wachen Augen. Wahrscheinlich sind wir beide die einzigen im Raum, deren Augen kein Kajal geküsst hat. Obwohl eine Ex mir mal gesagt hat, ich sähe umwerfend aus mit schwarz geschminkten Augen.
Während ich sie mustere, denke ich darüber nach, was ich antworte. Ich hatte mir Mühe gegeben, mein Muster zu tarnen. Immer bei anderen Barkeepern bestellt, um nicht aufzufallen. Eine gute Barfrau merkt sich die Drinks. Diese hier scheint der Chef zu sein -  offenbar merkt sie sich alle Drinks.
‚Leichte Schizophrenie‘, entgegne ich endlich, ebenfalls vorgelehnt - mein Mund berührt fast ihr Ohr. ‚Mein eines Ich ist Mitglied bei den AA, das andere ist Wirkungstrinker. Die beiden haben einen Deal zu laufen …‘
Zucke mit den Achseln, als sei das nicht meine Schuld.
Ihr Kopf  zieht sich zurück, zeigt mir ein Lächeln, kommt erneut vor. Zeit, ihr mein Ohr anzubieten. Der endlose Tanz jenseits der 120 Dezibel.
Ihre Lippen berühren kurz mein Ohr, während sie spricht. ‚Dir ist klar, dass mir der Teil Deiner Persönlichkeit mit AA-Membercard lieber sein muss, oder? Von Berufswegen?‘
Ich nicke, spüre nochmal ihre Lippen. Gehe ebenfalls kurz auf Abstand, warte darauf, dass sie den Kopf neigt. Stattdessen sind unsere Gesichter kaum noch Millimeter voneinander entfernt. Mit einem feinen Lächeln wendet sie sich wieder ab, bietet das Ohr an.
‚Nächstes Mal lassen wir den Part Langweiler zu Hause – wie wär das?‘
Bevor wir mit dem schreienden Flüsterballett weitermachen können, erfordert irgendetwas hinten am anderen Ende der Theke ihre Aufmerksamkeit. Eine der jüngeren Frauen gibt ihr ein Zeichen. Sie zögert, wendet sich dann mir zu, will was sagen. Ich lächele, nicke kurz, und schiebe mich mit meinem leeren Glas weiter die Bar runter, zur nächsten Bedienung.
Die Barchefin versteht, nickt und wendet sich dem Problem zu.
Ich ordere meinen nächsten Tonic.
In der nächsten Stunde ziehe ich regelmäßig meine Kreise durch die Party – habe ein Auge auf die Balustrade im zweiten Stock und lasse das andere fortwährend, aber unauffällig auf der Barchefin ruhen. Um zu sehen, ob sich die Gelegenheit bietet, unser rüde unterbrochenes Gespräch fortzusetzen. Sie ist die ganze Zeit über beschäftigt, rotiert hinterm Tresen
Um kurz nach Zwölf ist es soweit: Neben einem fetten Kahlköpfigen steht Metriç am Geländer und schaut nach unten. Ich nehme an, der unappetitliche Kerl ist Kreuter. Der zeigt nach unten, auf die Tanzfläche, redet. Der Albaner nickt und lächelt höflich. Die zwei unterhalten sich noch einen Moment, dann macht der Niederländer eine Geste mit dem Arm, und die beiden entfernen sich aus meinem Blickfeld.

Ich muss nicht lange warten. Vor ihnen ein gepumpter Kerl im Nadelstreifen-Anzug, kommen sie die Rundtreppe herunter geschlendert, die vom Clubraum auf die höheren Etagen führt. Die drei schieben sich durch die tanzenden Gäste und suchen sich einen Weg an die Bar. Sobald sie dort angedockt haben, stelle ich mein halbleeres Glas Ginger Ale auf einem der kleinen, hohen Tische ab und mache mich auf den Weg zur Bar.
Die beiden Bosse bekommen ihre Getränke sofort – der Kontinentale trinkt einen bunten Cocktail, der Drink des Albaners sieht nach einem White Russian aus.
Da sich der Bodyguard auf die linke Seite der beiden positioniert hat, kreuze ich auf die andere rüber, nähere mich von rechts. Auf der Seite steht Metriç.
Lehne mich rückwärts an die Bar, drehe ihnen halb den Rücken zu, warte.
Sie scheinen zum Ende zu kommen: Der Niederländer lacht, ich nehme aus dem Augenwinkel wahr, wie Kreuter den alten Albaner an der Schulter berührt. Sind offensichtlich gute Kumpels, die beiden.
Ich drehe mich um, tippe Metriç an. Kreuter sieht mich, nimmt mich unter die Lupe. Meine Aufmerksamkeit gleitet von ihm auf meinen ehemaligen Arbeitgeber, der anderthalb Köpfe unter mir steht.
‚Corker‘, zischt er.
Ich lächele.
Kreuter stößt sich von der Bar ab, wittert Ärger: Ich mache seinen Gast an. Der Bodyguard folgt, hat noch nicht gerafft, worum es geht.
Metriçs Kopf zuckt rüber, er hebt den Arm. Stoppt Kreuter damit.
‚Du hast Nerven – hier aufzutauchen.‘
‚Hast du eine Minute?‘
Unsere Köpfe sind dicht beieinander – ich muss an die Barfrau denken. Und mich zurückhalten, meinem Gegenüber nicht einen Glasgow Kiss zu verpassen. Es zuckt mir in den Nackenmuskeln.
Er mustert mich mit geschlitzten Augen, wahrscheinlich geht es ihm nicht anders. Allerdings würde er dafür den Graubart rufen, denke ich, und grinse. Provoziere ihn weiter.
‚Schieß los!‘
‚Unter vier Augen? Soweit das hier geht‘, füge ich mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu.
Er nickt, dreht sich zum Niederländer um. Der hat verstanden, zieht sich mit dem Bodyguard zurück. Weiter hinten an der Theke.
Mein Blick fällt auf die Barfrau, die uns beobachtet. Zusieht, wie ich ihrem Boss und seinem Gast in ihrem Laden Ärger mache. Damit hat sich eine erneute Aufnahme unseres gebrüllten Plausches erledigt. Egal.
‚Ich sollte dich fertigmachen, Corker!‘, quetscht Metriç zwischen den Zähnen hervor.
Jetzt lächele ich nicht mehr. ‚Ich sollte DICH fertigmachen, alter Mann. Auf der Straße heißt es, du seist straight. Würdest niemanden verarschen.‘
Er antwortet nicht, funkelt mich stattdessen an.
‚Du hast versucht, mich zu benutzen. Hast gedacht, den dämlichen Corker, den kann man voll vor die Wand fahren, und dabei noch zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Die Scheiß-Verwandtschaft loswerden.‘
Kurz will er sich aufregen, mir ins Wort fahren, lässt es lieber.
Ich fahre fort: ‚Ich lass mich nicht aufs Kreuz legen – jedenfalls nicht von jemand mit Haaren am Arsch. Deswegen bin ich hier – ich hab’s dem Graubart bereits gesagt: Unser Deal ist off!‘
Er braucht eine Sekunde, nickt langsam.
‚Ihr habt mich verscheißert, ich habe Thomassini für Euch plattgemacht. Scheißegal. Ich sage, wir sind quitt. Ihr bleibt mir vom Arsch weg, und ich komme nicht nachts und mache dich fertig. Wie ist das?‘
Der Albaner starrt mich bösartig an.
‚Haben wir einen Deal?‘
Immer noch keine Reaktion. Ich beuge mich weiter nach vorne, bin ihm genauso nah wie der Kleinen vorhin. ‚Sind. Wir. Quitt?‘, will ich wissen.
Endlich nickt er. ‚Wir sind quitt.‘
Glücklich klingt er nicht. Fügt hinzu: ‚Wenn du mir noch mal begegnest, Corker, mache ich dich fertig. Ist das klar?‘
Mein Lächeln kehrt zurück. ‚Wenn wir uns zufällig begegnen, meinst du?‘
Zähneknirschend nickt er.
Ich entgegne: ‚Gut. Das verstehe ich. Geht mir nicht anders, alter Mann. Denkst du, ihr macht mir Angst? Alles, was ihr mir antun wollt, habe ich bereits gesehen, Metriç. Alles, was ihr euch ausdenken könnt, habe ich schon gemacht.‘
Schweigend starren wir uns an.
‚Glaubst du mir das, Metriç?‘
Ringe ihm noch ein Nicken ab – zögernd, aber es kommt. Ich denke nicht, dass er mir geglaubt hätte, dass ich all diese Dinge bereit wäre zu tun. Wäre ich nicht – nicht der neue Corker. Der von vor drei, vier Jahren schon.
Mit neu gefundenem Respekt lösen wir uns, treten Schritt für Schritt zurück. Waffenstillstand - diesmal fließt kein Blut. Nicht seins, nicht meins.
Ich muss bloß noch mit heilen Knochen aus dem Club raus.

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Kommentare zu diesem Text

Max (43)
(09.10.09)
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 Mutter meinte dazu am 09.10.09:
Quatsch, nie unnötig.
Wir produzieren alle auch immer wieder Rotz.
*schnaub*

Danke. :)
Alegra (41) antwortete darauf am 23.11.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 02.12.09:
Kann ja nicht immer nur Blut fließen ... ;)

Danke.
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