Fog of War

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mutter

Wir passieren die ersten paar Häuser, viele davon traditionell weiß gekalkt. Manche noch mit Strohdächern. Im Sommer will man die wenigen Touristen, die auf die Insel kommen, mit Ursprünglichkeit beeindrucken.
Dichter Nebel hat sich vom Wasser in den Ort herein gerollt und umschmeichelt die Häuser, verhüllt sie. Lässt uns gerade mal ein Dutzend Fuß weit sehen, dämpft jedes Geräusch. Cineastischer hätte man unser Erscheinen in dem kleinen Ort nicht inszenieren können. Der Nebel des Krieges.
Zielstrebig führe ich uns auf das langgestreckte, große Haus zu, das mir Jill beschrieben hat. An das ich mich von früher gut erinnern kann. Viel Neues hat mir die Transe nicht erzählen können – hat mir bloß geholfen, alte Puzzlestücke auf dem Dachboden meiner Vergangenheit wiederzufinden.
‚Wer ist das?‘ , fragt Molly, als ich an die blau gestrichene Holztür klopfe. ‚Timmons‘ steht auf einem kleinen, ovalen Porzellanschild, dass auf das Holz geschraubt ist.
Ungeduldig schüttele ich den Kopf – nicht jetzt. Schlechter Zeitpunkt um ihr von den Schweinereien, für die ‚Trickster‘ Timmons früher bekannt war, zu erzählen.
Als niemand antwortet, drücke ich die Klinke und lasse uns ein in das Bed&Breakfast der Familie Timmons.
Wir gehen durch einen mit Trockenblumen, kleinen Läufern und selbst-gemalten Bildern geschmückten Flur auf eine halb offen stehenden Tür zu.
Vorsichtig stecke ich den Kopf in den großen Raum dahinter – das Esszimmer.
An einem Tisch sitzen zwei Männer, denen eine stämmige Mittfünfzigerin gerade Kaffee serviert. Beide tragen die stereotypen Tweedjacken mit Lederflicken auf den Ärmeln von harmlosen College-Professoren. Oder Bird-Watchern.
Der eine ist untypisch jung, nicht mal Dreißig, würde ich schätzen, mit wirrer Out-of-bed-Frisur, die jedem männlichen Unterhosen-Model zur Ehre gereichen würden. Der andere hat kaum noch Haare – ist nicht älter als Mitte Vierzig, aber auf einem finnischen Berghang gibt es mehr Bewuchs als auf seinem Schädel. Einzelne, geisterhafte Haare stehen davon ab.

Die Lady des Hauses kommt auf uns zu, nachdem sie die Kaffeekanne abgestellt hat und begrüßt uns lächelnd – überspielt ihre Verwirrung. Versteht nicht, wie wir es um diese Uhrzeit, zu dieser Jahreszeit, auf ihre Insel geschafft haben. Obwohl ihre Welt in Schieflage geraten ist, fängt sie sich souverän. ‚Guten Tag – möchten Sie ein Zimmer? Ein Doppelzimmer?‘
Nach einem kurzen Moment des Zögerns, in dem mir Mollys Präsenz neben mir bewusst wird, will ich ansetzen, was sagen. Wir hatten uns darauf geeinigt, bei Timmons ein Zimmer zu nehmen – falls wir über Nacht würden bleiben müssen. Molly hatte die Aussicht, am Strand in unsere Jacken gewickelt zu verbringen, mit wenig Begeisterung quittiert.
Ich hatte nicht darüber nachgedacht, dass wir den Bewohnern der Insel wie ein Pärchen erscheinen würden. Als Cover nicht gerade ungeeignet.
Molly kommt meinem verunsicherten Räuspern zuvor, indem sie sagt: ‚Ein Doppelzimmer wäre großartig.‘
Die Wirtin schenkt ihr ein breites Lächeln. ‚Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.‘
Während wir der watschelnden Frau hinterher gehen, Molly vorne, ich hinten, werfen uns die beiden Vogelmänner neugierige Blicke zu. Ich mustere sie feindselig. Für mich gehören sie zur selben verachtenswerten Spezies wie Briefmarkensammler oder Pufferküsser. Der Alte sieht sofort weg, als er mich bemerkt, während der andere mich weiter unverfroren anstarrt. Ich verzichte darauf, ihn verbal anzuschießen, schiebe ihm einen letzten drohenden Blick rüber. Wende meine Aufmerksamkeit Mollys Hintern zu. Dass sie vor mir läuft, erspart mir, sie ansehen zu müssen. Darüber nachzudenken, was dieser kurze Dialog zwischen ihr und Misses Timmons für mich bedeutet.
Scheiß Vivid-Girls!
‚Bitte, das ist das Zimmer. Mit Blick auf die Bucht.‘
Als würden mich ihre Worte fernsteuern, trete ich ans Fenster, ziehe die Spitzen-Vorhänge zurück und sehe hinaus auf das diesige Wasser.
‚Schön‘, sage ich flach. Drehe mich zu ihr um, sehe, wie sie freundlich nickt.
‚Nicht wahr? Zu dieser Jahreszeit natürlich kein Vergleich zum Sommer – Sie sollten mal …‘
‚Danke schön‘, unterbricht Molly ihren Redefluss. ‚Wie sieht es mit Frühstück aus?‘
Die Wirtin zögert. ‚Normalerweise bekommen Sie Ihr Frühstück morgen früh‘, beginnt sie, unsicher.
Molly nickt aufmunternd.
‚Aber bei Ihnen kann ich eine Ausnahme machen‘, beschließt Misses Timmons mit einem Lächeln.
‚Das wäre großartig. Für eine Tasse Ihres Kaffees würden wir sogar jemanden umbringen.‘
Ich schnaube missbilligend.
‚Oh nein, das muss nicht sein – kommen Sie runter, wenn Sie sich frisch gemacht haben, und ich serviere Ihnen etwas zu essen und eine heiße Tasse frisch Gebrühten.‘
Molly bedankt sich, während die alte Kröte aus dem Zimmer verschwindet und die Tür hinter sich schließt.
‚Was war das?‘, will ich grollend wissen.
‚Wie bitte? Redest du vom Kaffee?‘, fragt Molly unschuldig. Zuckt mit den Schultern. ‚Du musst nicht, wenn du nicht willst.‘
‚Hör auf. Du weißt, wovon ich rede. Warum das Doppelzimmer?‘
‚Ach Corker, du alter Spießer. Entspann dich. Auf diese Weise gehen wir als Ehepaar durch – hast du nicht gesehen, wie sie sich gefreut hat? Wir hätten ihr erzählen sollen, wir verbringen unsere Flitterwochen hier.‘
Sie setzt sich auf das Bett, um sich die Schuhe auszuziehen. ‚Wovor hast du Angst? Dass ich dich in Unterwäsche sehen könnte?‘
Ich gehe um das Bett herum, um mich vor sie zu stellen – habe keine Lust, eine Unterhaltung mit ihrem Rücken zu führen. ‚Keine Spielchen mit mir, Molly. Auf so eine Kinderkacke stehe ich nicht.‘
Sie hält darin inne, sich frische Socken anzuziehen, sieht mich an. Lächelt mich mitleidig an. ‚Entspann dich. Falls ich so geil werden sollte, dass ich es gar nicht mehr aushalten kann, dringend einen Schwanz brauche – sag ich dir vorher Bescheid, in Ordnung?‘
Sie hat mir mein Momentum genommen, meine Energien umgelenkt. Geschlagen nicke ich kurz, erkenne an, dass sie mich aufs Kreuz gelegt hat. Der sexbesessene Corker, der gerne vorab geklärt hätte, wer wann wen ficken darf. Scheiße.
‚Wie geht’s weiter?‘, will sie wissen, während sie sich ihre Schuhe anzieht. Die sind noch feucht - trockene Socken sind trotzdem angenehm.
Mit einem Lächeln quittiere ich ihren Versuch, die unangenehme Situation zu beenden. ‚Ich würde mich gerne mit dem Mann der Lady unterhalten. Trickster Timmons.‘
‚Du kennst ihn von früher?‘
Ich antworte mit einem grimmigen Nicken. Als ich mit Money zusammen gearbeitet hatte, war der Trickster der Dreh- und Angelpunkt der Jungs auf der Insel gewesen. Absolutes Alphatier. Mit dem würde ich kein leichtes Spiel haben – der hatte sich auch früher nicht sonderlich von mir beeindrucken lassen.
‚Lass uns nach unten gehen – ich sehe zu, dass ich eine Tasse Koffein bekomme und du guckst nach deinem alten Spielkamerad.‘
Mit einem nachdenklichen Nicken folge ich ihr aus dem Raum, die Treppe hinunter in den Gastraum.

‚Richard? Nein, tut mir leid – der ist mit Charly Park draußen bei den Hummerbänken. Glaube nicht, dass er vor heute Abend zurück ist. Woher kennen Sie meinen Mann?‘ Sie sieht uns beide nacheinander erstaunt an.
‚Vom Hörensagen. Ein alter Bekannter hat seinen Namen genannt. Meinte, es gäbe keinen besseren Fremdenführer als Richard Timmons‘, erkläre ich beiläufig und verbrühe mir an dem heißen Kaffee die Lippen.
Fluche leise. Ich hatte eine lauwarme Brühe erwartet, aber wie versprochen hat sie extra für uns neuen aufgesetzt. Die beiden Vogelmänner sind aus dem Esszimmer verschwunden.
Unsere Gastgeberin strahlt bei meinen Worten. ‚Das ist er – Gott segne ihn. Alles weiß er über die Insel. Vor allem ihre Geschichte – wussten Sie, dass es früher Strandräuber auf Rathlin Island gab?‘ Bei ihren Worten beugt sie sich verschwörerisch vor und ihr fülliger Busen kommt Molly bedrohlich nahe. Sie richtet sich auf. ‚Und natürlich über die Vögel.‘
‘Sehr gut‘, unterbreche ich sie. ‚Wir werden uns ein wenig umsehen und im Laufe des Tages noch einmal nach ihm schauen. Möglicherweise haben wir dann mehr Glück.‘
‚Sicher‘, stellt sie zuversichtlich fest und lässt uns alleine.
Molly greift nach einer Scheibe Toast. ‚Was machen wir jetzt?‘
Mit einem Lächeln antworte ich: ‚Es gibt noch ein paar andere Kühe, die wir für Informationen melken können. Iss auf!‘
Sie nickt und beißt in die marmeladenbestrichene Scheibe Weißbrot.

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