Humvee

Erzählung zum Thema Aufbruch

von  Mutter

Die Informationen über Rathlin Island und der Trip dorthin hatten mich davon abgelenkt, dass ich bereits eine direkte Spur zu meinem Peiniger besaß. Mir vorgegaukelt, dort oben im Wind würde ich schneller zu einem Ergebnis kommen. Stattdessen hatte sich das Ganze als Sackgasse erwiesen, eine Abbiegung, die statt Resultate zu bringen lediglich Molly zerlegt hatte.
Jetzt befand ich mich wieder auf dem richtigen Weg, hatte allerdings nur noch einen Namen auf der Liste. Jodie Thompson war tot - blieb mir als letzter Strohhalm Damian Brewster, wohnhaft im bezaubernden Derry. Hatte ich Lust auf eine Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Special Forces-Mann?
Hell no!
Hatte ich Lust, in dieses Shithole Derry, oder Londonderry für die Loyalisten, zu fahren?
Hell no!
Hatte ich eine Wahl?
Hell no!
Damian würde mich weiter an den Pulsschlag des Bösen heranbringen, der seit Wochen mein Leben kontrollierte – Gavin Bowman. Bruder des unglücklichen Mannes, der das Pech hatte, vor knapp acht Jahren von zwei irischen Wichsern um eine halbe Million Pfund betrogen zu werden. Und stattdessen seine Schulden in Fleisch bezahlt hat.
Sein Bruder hatte vor, die gleiche Art Bezahlung von mir einzufordern – nicht ganz unwahrscheinlich, dass er bereits für den Tod von Money verantwortlich zeichnete.
Warum war ich noch am Leben? Wenn es ihm nicht reichte, mich umzulegen – genug Gelegenheiten, mich einzusacken, um mich langsam zu Tode zu foltern, hatte es gegeben. Hamburg, Carndoragh.
Scheißegal – alle Fragen, die ich noch hatte, würde ich aus dem beschissenen SAS-Mann herausprügeln. Musste den nur noch in die Finger bekommen.

Für meinen Trip nach Derry brauche ich einen Wagen. Vor der Tür steht zwar noch Mollys BMW, aber für das, was ich mit der Karre vorhabe, sollte ich mir lieber einen anderen besorgen. Bin nicht sicher, ob sie mir zusätzlich noch verzeihen würde, wenn ich ihr Auto schrotte.
Also hatte ich meine Finger ein wenig in den Yellow Pages spazieren lassen und stehe jetzt vor der einzigen Autovermietung in Belfast, die mir weiterhelfen kann.
Die Türglocke ertönt dezent, als ich hereintrete und vor den großen Counter trete. Der junge Mann, mit Sicherheit Student, sieht von einem Motorrad-Prospekt hoch und fragt: ‚Womit kann ich Ihnen helfen?‘
‚Ich habe vor ‘ner Stunde angerufen. Ich brauche einen Geländewagen.‘
‚Aber sicher – wie wär’s mit einem Audi Q7. „Vorsprung durch Technik“ – das ist eines unserer beliebtesten Modelle.‘
Okay, mit diesem Clown hatte ich offenbar nicht telefoniert. Energisch schüttele ich den Kopf. ‚Der ist zu klein. Zu petite.‘
Seine Augen weiten sich, ich lächele.
Fahre fort: ‚Ihr Kollege hatte mir gesagt, Sie hätten auch einen LM002 auf dem Hof stehen.‘
‚Der Lamborghini? Aber sicher …‘
Er klingt verunsichert, kramt aber sofort nach den Schlüssel. Bittet mich, ihm zu folgen.
Durch eine Seitentür treten wir auf den windigen Hof, auf dem vor allem Geländewagen, hauptsächlich Landrover und Jeeps, stehen. Und der silberne Audi.
‚Hier entlang‘, sagt er unnötigerweise. Ich wäre ihm ohnehin gefolgt.
Die Mehrzahl der Wagen ist schwarz, oder zumindest dunkel-metallic, mit der einen oder anderen silbernen Ausnahme. Meiner sieht aus wie der bunte Hund – in knallrot.
‚Das ist er‘, bestätigt der Student.
Ich nicke, inspiziere den Wagen, indem ich einmal um ihn herumgehe.
‚Entspricht er Ihren Vorstellungen?‘
Die Daten des Monsters kenne ich – Gewicht fast drei Tonnen, Beschleunigung von Null auf Hundert in fast Sekunden. Und dass das Viech mehr als dreißig Liter schluckt. Die Farbe ist ätzend, viel zu auffällig, aber daran lässt sich wohl nichts ändern. Der Lamborghini kommt dem, was ich für den Job in Derry brauche, am nächsten. Ein militärisches Humvee wäre das nächste Level – glaube kaum, dass mir das Royal Irish Regiment eins von ihren Fahrzeugen zur Verfügung stellen wird. Obwohl Tarnfarbe geil wär.
‚Brauchen Sie eine Probefahrt?‘
Ich schüttele energisch den Kopf, gehe an ihm vorbei zurück auf den Bungalow zu. Will den Vertrag machen. ‚Ich bin so eine Karre schon mal gefahren. Kein Problem.‘
‚Wollen Sie in die Berge?‘
Was für Berge – auf dieser Insel hat’s höchstens Hügel, denke ich. ‚Nein, runter an den Lower Lough Erne. Zum Angeln.‘
‚Um diese Jahreszeit hat mein Vater mich immer dorthin mitgenommen. Brown Trout – davon gibt es ein paar echt kapitale Burschen in dem See.‘
Da ich vor ihm gehe, kann er mein Augenrollen nicht sehen. Ich hoffe, der Pisser hält die Klappe, bevor ich ausfallend werden muss. Je weniger er sich an mich erinnert, umso besser.

Drinnen setzt er den Vertrag auf – ich schiebe ihm den gefälschten Ausweis über die Theke.
‚Wünschen Sie einen Verzicht auf Selbstbeteiligung, Mister Adams?‘, will er als nächstes wissen.
Lehne ich ab – wenn er den Wagen das nächste Mal sieht, dann vermutlich auf dem Hänger eines Abschleppwagens. Vielleicht auf dem Weg zu Jill und ihrem Junkyard. Die Kohle kann ich mir sparen.
‚Gut – bitte unterschreiben Sie hier.‘
Elegant setze ich eine Unterschrift unter den Vertrag, die jeden Adams stolz gemacht hätte und schnappe mir die Schlüssel.
‚Viel Spaß mit dem Lamborghini. Ich hoffe, er erfüllt alle Ihre Erwartungen‘, schickt er mir mit einem Lächeln hinterher, während ich hinausgehe. Über mir klingelt die Tür.
Das wird er – mit jedem einzelnen seiner 455 PS. Es ist lange her, dass ich hinter dem Steuer von so viel Wucht gesessen habe, ich hoffe, dass Brewster sich darauf genauso freut wie ich es tue.
Als ich den Motor starte, muss ich grinsen. Kommt mir vor wie ein Turbinenstart, die gesamte Karosserie vibriert. Muss den Tower um Erlaubnis fragen, bevor ich hier vom Hof brennen kann.
Mit kaum unterdrückter Erregung steuere ich meine Neuerwerbung durch Belfasts Straßen, suche mir meinen Weg nach Norden.
Dort fahre ich zügig eine Weile weiter, bis die Gegend ländlicher wird und ich in einen Feldweg einbiegen kann. Training Ground.
Die nächsten zwei Stunden übe ich auf Asphalt, auf Schotter und auf Erde. Beschleunigen, Bremsen, Lenken - ich bekomme sogar einen Drift mit dem Schlachtschiff hin.
Ramme ein Gatter aus Eisen und drücke es ein, nachdem ich mich vergewissert habe, dass dort kein Vieh rumsteht.
Auf der Weide gibt es einen Hügel mit einem steilen Hang, an dem ich mich reiben will. Knalle einen höheren Gang rein und lasse das Monster sich durch die saftige Wiese fräsen, bis ich den Hügel erreiche. Die nächste halbe Stunde ruft Erinnerungen an meine Fahrstunden mit Uncle Dobson in mir wach. Anfahren, gegenlenken, Gas geben.
Mehrfach rutscht mir die Scheiß-Kiste am Hang weg, droht einmal sogar, zu kippen, aber ich bekomme sie jedes Mal gerade noch in den Griff. Reite das Vieh ein, zeige ihm, wer im Sattel sitzt.
Befriedigt schiebe ich mich mit dem schlammbedeckten Wagen gerade aus der Ausfahrt, als ich vor mir den blinkenden Traktor bemerke. Der grauhaarige Kerl am Steuer starrt auf sein zerstörtes Gatter, das braune Schlachtfeld, das einmal seine Wiese gewesen sein mochte und den Übeltäter, das Knallrot unter dem ganzen Dreck gerade noch zu erahnen.
Ohne auf seine Reaktion zu warten, gebe ich Gas. Verstreue weitere Stücke Grasnarbe großzügig hinter mir, während die Räder durchdrehen und schlingere auf die Straße, als die groben Stollen endlich greifen.
Ich lasse mein Übungsgelände schnell hinter mir, suche mir ein paar Meilen weiter einen Feldweg mit großen Felsbrocken an der Seite, um den Lamborghini gnadenlos darüber zu jagen. Der Student würde jetzt schon in Ohnmacht fallen, wenn er sein Prachtstück sehen würde – aber ich bin noch lange nicht fertig mit dem Teil. Dem steht Schlimmeres bevor.

Als ich mich davon überzeugt habe, dass ich weiß, wie sich das Ungeheuer verhält, fahre ich Richtung Westen, auf Derry zu. Dort erwartet mich Damian Brewster.
Dale hatte mir alles, was er über den Mann wusste gegeben, und ich bin zuversichtlich, dass das für meine Zwecke ausreichen würde.
Zwischendurch habe ich den Wagen auf einer Tankstelle durch die Waschstraße gejagt. Auffällig ist das Ding ohnehin – kein Grund, zusätzlich auch noch auszusehen, als sei ich im Regen auf dem Bauch über die Wicklow Mountains gerutscht.

Siebzig Meilen, anderthalb Stunden und vierzig Liter Sprit später rolle ich auf das kleine Städtchen zu.

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