Cherchez La Femme

Erzählung zum Thema Verfolgung

von  Mutter

‚Brauchst du einen Doc?‘, fragt Stout, während er mir die Autotür aufhält.
Mit einem Stöhnen lasse ich mich vorsichtig in den Sitz gleiten, schüttele den Kopf. ‚Ich habe bloß Seitenstechen.‘
Stout steigt ein, sitzt kurz rüber. Im Dunklen blitzen seine Zähne beim Grinsen auf, das Weiße seiner Augen leuchtet diabolisch. ‚Du musst deine beschissene Atmung kontrollieren, hat der Coach gesagt. Dann passiert das nicht.‘
Keuchend fange ich an zu lachen, höre auf, als dunkelroter Schmerz durch mich pulsiert, mir feine Schleier vor die Augen webt.
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie er mich beobachtet.
‚Ich bin okay‘, grummele ich, schiebe mich im Sitz hin und her. Versuche, eine Position zu finden, die nicht wie die Hölle schmerzt.
‚Tape?‘, fragt er.
Ich nicke. Mit Tape lässt sich alles fixen. Die Umkleide vor einem wichtigen Spiel sah immer aus wie eine alt-ägyptische Ausgrabungsstätte. Wer nicht ein paar hundert Meter Tape für Knöchel, Knie und Schultern brauchte, spielte einfach nicht hart genug.
Stout zieht den Wagen aus der Parklücke, fädelt sich in den Verkehr. Fährt einmal um den Block, wird langsamer. Ich weiß, wonach er sucht. Von den Pennern, die uns oben aufgelauert haben ist keine Spur zu sehen. Kein Wagen, der zu ihnen passen könnte.
Am Ende der Straße schleift uns Stout durch eine Chicago-Wende, dann cruist er langsam ein weiteres Mal zurück. In einem Hauseingang geht Licht an – Bingo! Nach und nach tauchen ein halbes Dutzend Gestalten auf, zwei von ihnen stützen einen Mann zwischen sich. Die haben sich sogar die Zeit genommen, Kid was anzuziehen. Stout biegt um die nächste Ecke, stoppt dann abrupt, so dass wir durch die Scheibe hinten links die Gruppe gerade noch sehen können. Sie besteigen zwei Wagen, im Abstand von mehreren Autos abgestellt – einen dunklen Audi und einen beigen Chrysler. Stout nickt zufrieden und gibt Gas.
Dreht eine Runde um den Block, kurz darauf biegen wir ein weiteres Mal in die Straße von Kid ein.
‚Was zum Teufel wird das?‘, will ich wissen.
‚Mir ist kalt, du Arsch.‘
Er hält in zweiter Reihe, steigt aus. Sieht sich suchend um, während er die Fahrbahn überquert, zügig zur Tür rennt. Kurz darauf im Hauseingang verschwindet und kaum zwei Minuten später wieder mit unseren Klamotten auftaucht. Noch  auf dem Weg zum Auto zieht er sich den Sweater an.
Wirft mir meine Sachen auf den Schoss, sobald er im Wagen sitzt. Grinst mich an, startet den Motor.

Wir suchen eine Apotheke. Finden eine, die führt uns weiter zur nächsten Nachtapotheke. Dort bekomme ich Tape.
Direkt am Wagen lässt mich Stout das Hemd ausziehen, die Arme heben. Jeder Atemzug schmerzt, manchmal pfeift es, wenn ich tiefer Luft hole. Unbeeindruckt stößt er mir an verschiedenen Stellen den Finger in die Seite, begleitet von einem: ‚Tut das weh?‘
Mir wird schwarz vor Augen, ich stütze mich auf dem Wagendach ab. Fachmännisch wickelt er meinen Oberkörper in das weiße Klebeband ein, um ihn für die Nachwelt zu erhalten. Ich bin längst nicht mehr bei Bewusstsein.
‚Wenn das eine Serien-Fraktur ist, hast du ein Problem‘, stellt er unnötigerweise fest. Leck mich, Stout.
Befriedigt mit seiner Arbeit macht er einen Schritt zurück, schmeißt die beiden leeren Plastik-Spulen in den Rinnstein.
‚Zieh dich an, du Luder‘, befiehlt er mit einem Grinsen, geht rum ums Auto, um wieder einzusteigen.
Ich zwänge mich umständlich und unter Schmerzen in meinen Sweater und die Jacke. Kurz darauf sind wir zurück auf der Straße.
‚Was jetzt, Meister?‘
Ich überlege kurz. Was werden die Sackratten gemacht haben? Ich nehme an, sie haben Kid zu Bowman gebracht, in sein Appartement. Dorthin lotse ich Stout ein weiteres Mal.
‚Willst du jetzt reingehen?‘, will er ungeduldig wissen.
Ich schüttele den Kopf. ‚Ich gehe davon aus, dass wir sie ein bisschen wachgerüttelt haben. Kann mir nicht vorstellen, dass die dort oben hocken bleiben. Warten wir, bis sie ausschwärmen.‘
Under my umbrella von Rihanna driftet durch den Innenraum des Wagens.
‚Was ist das für eine Scheiße?‘, frage ich alarmiert.
Stout greift nach der Arschtasche seiner Jeans. ‚Toffer.‘
‚DAS ist dein Klingelton für Toffee?‘ Ich schnaube und sehe aus dem Fenster, während er lenkt und telefoniert. Bekomme nur seine Seite der Konversation mit.
‚Yo, Bruder. Was geht?‘
‚Sicher.‘
‚Nein, Corker.‘
‚Ja, hab‘ ihn vorhin abgeholt.‘
‚Keine Ahnung …‘
‚Mach das.‘
‚Lichtenberg, Nähe Frankfurter Allee.‘
‚Nein, noch nichts. Corker ist aus dem Zweiten gesprungen und hat sich weg getan.‘
Tiefes Lachen.
Ich verdrehe die Augen.
‚Die Penner haben versucht, uns umzulegen.‘
‚Ich sag doch, nichts.‘
‚Okay, bis später.‘
Er legt auf, fährt schweigend weiter.
‚Was wollte Toffer?‘, frage ich, als ich es nicht mehr aushalte.
‚Er ist auf dem Weg zurück. Wollte, dass wir ihm was übriglassen.‘
‚Kein Problem – wir packen ihm ein paar der Pisser in eine Doggybag‘, lache ich – und verziehe unter Schmerzen das Gesicht.
Stout hält in zweiter Reihe, nicht weit von Bowmans Condo entfernt. Will eine Entscheidung von mir.
‚Wir warten‘, teile ich ihm mit. Zeige auf eine Parklücke weiter vorne.
Er will protestieren, setzt an, etwas zu sagen, schüttelt den Kopf. Fährt die paar Meter nach vorne, parkt lässig ein.
‚Jede Wette, Bowman lässt sich von Kid erzählen, was wir wissen wollten. Was er ausgeplaudert hat‘, setze ich zur Erklärung an.
‚Und? Was hat er erzählt?‘
‚Dass es einen Insider gibt. Jemand, der mich kennt, der von der Kohle wusste. Nur, dass es sich nicht um einen „der“, sondern um eine Lady handelt.‘
‚Schön – und weiter?‘
‚Offensichtlich ist sich Bowman der Brisanz um diese Person bewusst. Jordan Kid hat normalerweise seinen Johnny in demselben Dreck stecken wie Bowman. Wie Dougherty damals. Die beiden waren so …‘ Ich zeige Stout meinen Zeige- und Mittelfinger, eng umschlungen. ‚Jetzt erfährt Bowman, dass ich von dieser Dame weiß. Eine Spur davon habe, dass sie existiert. Der bleibt doch nicht in seinem Wohnzimmer sitzen und wartet darauf, dass ich vorbeikomme.‘
‚Du glaubst, dass er zu ihr geht?‘
‚Denke schon. Oder ein paar seiner Jungs schickt. Vielleicht die Maschine. Er kann sich nicht hundertprozentig sicher sein, dass ich sie nicht finde.‘ Mit einem langen Seufzer hämmere ich meine geballte Faust gegen die Scheibe. ‚Auch wenn ich keine verfickte Ahnung habe, wer die Schlampe sein könnte.‘
‚Hey, lass die Karre in Ruhe. Einem Kerl die Karre zu demolieren ist schlimmer als seine Frau zu verprügeln.‘
Ich lache. ‚Der Wagen gehört dir nicht mal. Das ist, als würde ich einer Nutte, über die du mal drüber gerutscht bist, eine verpassen.‘
‚Wichser.‘

Die nächste dreiviertel Stunde passiert nichts. Stout geht zweimal los, um mehr Kaffee und Softdrinks aus einem Burgerking zu holen, mault rum. ‚Die Arschkrampen bleiben da hocken. Trauen sich nicht raus.‘
‚Hör mal auf zu heulen, Stout. Geduld, Bruder, Geduld.‘ Tatsächlich glaube ich mir selbst. Bin fest davon überzeugt, dass meine Gleichung stimmt. Und Bowman mir die fehlende Variable liefern wird.
‚Fuck, yeah!‘, rufe ich triumphierend, als ich Gavin Bowman und drei seiner Jungs unten auf der Straße vor dem Haus sehe.
‚Jesus Christus, du hattest Recht.‘ Stout feuert seinen halbvollen Becher Kaffee aus dem offenen Fenster, legt die Hand auf den Zündschlüssel. Währenddessen beobachte ich gebannt die vier Männer, die auf einen Minivan zusteuern. Vier Kerle, keiner größer als eins neunzig. The Machine ist nicht dabei. Das kann nur heißen, dass Bowman den an seine Kleine gehängt hat.
Diese Tatsache sagt mir zwei Dinge: Bowman hält sich selbst für hart genug, um auf den falschen Batman verzichten zu können. Zweitens: Seine Insider-Lady ist ihm so wichtig, und er hält sie für gefährdet genug, um ihr einen VIP-Bodyguard zu verpassen. Das sagt mir, ich bin auf der richtigen Fährte.
‚Häng dich dran.‘
Stout wirft mir bei meiner Bemerkung einen bösen Blick zu. Hält sie für so überflüssig wie einen Kropf.
Der dunkelblaue Minivan zieht seine Spuren durch den Kiez, als wollten sie Verfolger abschütteln. Aber nicht Stout - den werden sie nicht los.
Nach circa zwanzig Minuten scheinen wir eine Pause einzulegen: Der Van biegt auf das Gelände einer Nachttanke ein, in das gelbliche Licht von zu vielen alten Neonröhren getränkt.

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Kommentare zu diesem Text

shadowhunter (28)
(08.12.09)
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 Mutter meinte dazu am 08.12.09:
Mal sehen ... ;)

Danke schön - das ist ein schönes Lob.
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