Fall Guy

Erzählung zum Thema Schmerz

von  Mutter

Letzte Instanz meines Planes war, Millwald nach dem Sport abzufangen. Zwei Stunden Eisen pumpen würde bestimmt Wunder für sein männliches Ego tun. Ich hatte ihn vor seiner Wohnung erwartet – nachdem meine ursprüngliche Planung vorsah, ihn bereits nach der Arbeit abzupassen. Aber in Ermangelung eines Autos hatte ich darauf verzichtet. Von seiner Wohnung im Wedding waren es nur ein paar Minuten zu Fuß zum Sportstudio – da konnte ich locker dranbleiben.
Ich stehe an einer Bushaltestelle, versuche, mich aus dem Wind herauszuhalten. Fröstel. Und behalte den Hauseingang des Komplexes, in dem das Sportstudio liegt, fest im Auge. Entschlossen wie ein Habicht, der über einem abgeernteten Kornfeld kreist. Das Problem dabei ist: Ich fühle mich eher wie die Maus und nicht wie der Raubvogel.
In meinem Magen schwappt Eiswasser, und ich habe das dringende Bedürfnis, auf‘s Klo zu gehen. War ich heute auch erst ein Dutzend Mal. Immer wieder bin ich ganz dicht davor, das Ganze abzublasen. Die Aussicht, Gabi anrufen zu müssen, ihm zu erklären, er müsse einen der Jungs ansetzen, hält mich davon ab. Zähne zusammen beißen, Jakob.
Millwald kommt aus der Durchfahrt, zusammen mit zwei seiner Kumpels. Ich schaue auf den Trinkbecher von Burger King in meiner Hand. Ursprünglich wollte ich den größten Teil trinken, um seine Jacke nicht über Gebühr zu ruinieren. Aber ich hatte die kalte Cola nicht runter bekommen, stattdessen war mir schlecht geworden. Also hatte ich einen Gutteil in die Büsche gekippt. Den Rest hielt ich seit über einer Stunde in der Faust, die Knöchel weiß vor Anspannung.
Die drei stehen auf dem Gebäude, unterhalten sich. Ein letztes Mal kneife ich die Augen zusammen, zwinge mich, die verspannten Schultern zu lockern und laufe los. Umrunde das Bushäuschen, schwenke auf den Gehsteig ein. Die drei vor mir – Millwald steht links außen. Erst nehme ich mein Handy aus der Tasche, um den Kopf beschäftigt senken zu können. Stecke es schnell wieder weg. Kein Bock, dass es mir dem Zusammenprall und der Auseinandersetzung verloren geht. Stattdessen halte ich einen alten Einkaufszettel in der Linken, den mir Julia vor einer Woche geschrieben hat. In der Rechten schwappt ungeduldig die Cola in ihrem Becher.
Olivenöl
Noch fünfzig Meter. Mein Kopf ist gesenkt, nur gelegentlich wage ich es, hochzuschielen, ohne die Kopfhaltung zu stark zu verändern.
Spiralnudeln
Millwald macht einen Witz, tritt lachend zwei Schritte zurück. Bevor ich meine ballistische Bahn korrigieren kann, geht er wieder nach vorne, fasst seinen Kumpel an den Arm.
Kräutersalz
Vielleicht noch zwanzig Meter. Erneut versuche ich, meine Schultern zu lockern, ohne dass es zu sehr nach einem Boxer auf dem Weg zum Ring aussieht.
Waldfrucht-Marmelade. Schwartau!!!
Julias Handschrift auf dem zerknitterten Zettel verschwimmt mir vor den Augen. Ich muss mich zwingen, den Cola-Becher nicht zu zerquetschen. Unwillkürlich halte ich die Luft an.
Backpapier. Backpulver?
Aufprall.
Wir stoßen zusammen, die Cola schwappt über seine schwarze Jacke, die bestimmt aus Kamelhaar oder Angora ist.
Bevor er was sagen kann, stoße ich hervor: ‚Pass doch auf, du Pissberger. Dämlicher Sack!‘
Er ist fassungslos. Sein Blick schießt zur Seite, zu den Kumpels, auf die Jacke. Sieht mich an. Einer der anderen macht einen Schritt nach vorne.
‚Lass die anderen nicht die Party übernehmen‘, hatte Eric gesagt. ‚Oft gibt’s einen Leitwolf, der will sofort. Das musst du verhindern – der Arsch hat nicht gezahlt. Ohne Kohle keine Prügel!‘
Ich stoße Millwald leicht gegen die Schulter. ‚Sag was, du Arsch. Das war meine Cola.‘
Endlich sehe ich in seinen Augen eine Reaktion aufblitzen - Zorn. Er macht einen Schritt auf mich zu, schneidet seinem Freund so den Zugang zu mir ab. Sehr gut.
‚Spinnst du?‘ Sein Finger sticht mir gegen die Brust. ‚Hast du keine Augen im Kopf, du Spast?‘
‚Alter, drehst du frei?‘, spucke ich zurück, schiebe das Kinn aggressiv nach vorne. ‚Ich mach dich fertig!‘ Sofort sehe ich, wie er eine Handbreit zurückweicht. Ich habe ihm zu viel Angst gemacht, komme zu psychomäßig rüber. Gleich überlässt er das Feld seinem Rudel, dann bin ich im Arsch.
‚Du kleine Schwuchtel in deinem Lackaffen-Kostüm!‘ Persönlicher Angriff hilft, hatte Eric gesagt. Damit würde er sich nicht einfach zurückziehen können.
Millwald kommt zurück – die Handbreit, und noch einen Schritt mehr. Ich kann seinen frischen Atem riechen. Hat sich bestimmt beim Duschen im Studio gleich noch die Zähne geputzt. Ist so einer, der beim Dönermann immer ohne Zwiebeln und mit Kräuter- statt Knoblauchsauce bestellt. Mein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, diesmal ist die Verachtung echt.
‚Hast bestimmt auch Gel in der Kimme, eh?‘ Mein Kinn zuckt hoch in Richtung seines Haars, das dunkelschwarz glänzt.
Er schubst mich. Ich komme sofort zurück, stehe ganz dicht vor ihm. ‚Was denn, was denn? Häh?‘, will ich wissen. ‚Du kleiner Stricher!‘
Von hinten kommt der zweite Freund, will nach ihm greifen. Sagt: ‚Marko!‘
Millwald schüttelt die Hand ab, ich sehe seine angespannten Kiefermuskeln zucken.
‚Komm schon, du Schwuchtel. Arschwichser! Dein Atem stinkt nach Sperma.‘
Heftiger Schmerz durchzuckt meinen Magen. Keuchend krümme ich mich zusammen, alles dreht sich um mich. Dann trifft mich ein weiterer Schlag im Gesicht, auf dem linken Wangenknochen.
Ungespielt gehe ich zu Boden. Meine Handflächen schrammen sich auf dem Asphalt auf. Ich sehe seine spiegelnd geputzten Schuhe, erwarte einen Tritt.
‚Los, hoch, du kleine Ratte‘, zischt er über mir. Ich nehme die anderen hinter ihm aus dem Augenwinkel wahr. Wahrscheinlich könnte ich mich jetzt zusammenrollen, klein beigeben. Der Job wäre durch.
Mit einem Grinsen rotze ich ihm auf die Schuhe. Versuche, wieder hochzukommen, schaffe es nur halb. Seine Hand greift brutal nach meinen Haaren, fixiert meinen Kopf. Ich schließe die Augen, bevor mich seine Faust erwischt. Schläfe, linke Augenbraue. Sofort noch ein Hieb in die Magengrube. Als ich wieder zusammensinke, erwischt mich sein Knie im Gesicht.
Ich küsse noch mal den Asphalt. Diesmal muss ich nicht überlegen, ob ich freiwillig liegen bleibe. Mir ist speiübel, ich unterdrücke den Würgreflex.
Auf meinen Lippen schmecke ich Blut.
‚Hast du genug, Arschloch?‘, brüllt er mich an. Das Ding ist durch, die anderen beiden sind bei ihm, halten ihn zurück.
Ich nicke schwach. Im Spiel und in echt.
‚Gut. Du ätzendes Stück Scheiße!‘ Unter weiteren Beschimpfungen entfernen sich die drei. Ich lächel in das Blut hinein, das mir aus der Nase tropft. Muss an Monty Python denken. Einigen wir uns auf Unentschieden?
Ein stummes Lachen schüttelt mich, tut mir weh. Der Schmerz, der aus meiner Nase hochstrahlt, treibt mir Tränen ins Gesicht. In der linken Hand steckt noch der Zettel.
Couscous
Damit haben sie im Altertum Wunden versorgt. Könnte ich mir in die Nase stopfen. Mein Lachen wird zu einem Schnauben, Blut und Rotz kommen gemeinsam raus, vermengen sich auf dem Pflaster.
Mühsam stemme ich mich hoch.


Anmerkung von Mutter:

Mal ein paar Sachen nach Bleisetzers Anmerkungen geändert.
Danke ... :)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Georg (54)
(01.02.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 01.02.10:
Sehr gut, danke schön. :)
Für die Klicks, für den Kommentar aber am Meisten: Für die Korrekturen. Gerne auch öffentlich. Ich bin ein Arbeiter. ;)

Werde mich gleich mal ransetzen und Deine Vorschläge durchgehen - aber ich sehe schon. Da hat viel Hand und Fuß ... :)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram