Fliegenfischen

Erzählung zum Thema Arroganz

von  Mutter

Gabi knallt die Tüte mit den Croissants auf den Tisch. ‚Bedient euch. Gibt es Kaffee?‘ Juri nickt und greift hinter sich - die Kanne steht auf einem Untersetzer im Regal. Auf dem Tisch befinden sich ein halbes Dutzend Tassen, keine gleicht der anderen. Ich nehme mir eine mit einem flotten Guten-Morgen-Spruch, halte sie Juri hin.
Währenddessen widmen Stecher und Benz den Hörnchen die gleiche Aufmerksamkeit wie ein Rudel Haie einer verwundeten Robbe. Ich warte, bis der erste Fress-Flash sich gelegt hat und die Jungs sich jeder mit ein, zwei Croissants auf ihre Sitze zurückgezogen haben.
Gieße mir Milch in den Becher, schnappe mir eins der noch warmen Gebäckstücke.
‚Morgen Männer‘, verkündet Gabi, sieht zufrieden in die Runde. ‚Heute Nachmittag haben wir zwei Kunden-Termine. Ich hätte gerne, dass Benz und Juri dabei sind.‘
Stecher protestiert, klar. Fühlt sich benachteiligt, aber Gabi schenkt ihm keine Aufmerksamkeit.
‚Grundsätzlich wird sich das Ganze so gestalten, dass Stecher und ich uns um die Kunden kümmern. Werbung betreiben, word-of-mouth. Die Vertragsmodalitäten vorbereiten und den Abschluss machen. Von euch beiden hätte ich gerne, dass ihr euch um die Jungs kümmert.‘ Er sieht Benz und mich an. Wir nicken beide. ‚Bisher haben wir erst Eric und Robert, das sollte nicht das Problem sein, aber ich gehe fest davon aus, dass es bald mehr werden. Wir benutzen die Leute, die schon für uns arbeiten, als Quelle für weiteres Material. Macht Bewerbungsgespräche klar, holt neue Kandidaten ran, die auf Abruf bereit stehen. Ich wette, bei der Kohle, die wir anbieten, haben wir kein Problem, Rekruten zu finden. Ich will, dass wir die Neuen auf Herz und Nieren prüfen.‘
Er geht um den Tisch rum, schiebt die Tüte mit den restlichen Croissants zur Seite. Setzt sich auf die Ecke. ‚Und obwohl Stecher, Juri und ich einen Großteil der Kundenkontakte jonglieren werden, hätte ich gerne, dass ihr alle bei einem der ersten Termine dabei seid. Einzeln. Damit ihr versteht, wie der Hase läuft.‘
Allgemeines Nicken.
‚In den ersten Termin um vier nehme ich Juri mit, um fünf Stecher. Morgen früh wollte noch jemand vorbeikommen, der sich den Laden ansehen wollte. Ein ehemaliger Chef von Stecher. Dort bist du dann dabei.‘ Er sieht mich an. ‚Mehr Termine haben wir erst mal nicht – das Unternehmen läuft schleppend an. Klar. Kann sich ja keiner was drunter vorstellen, was wir machen. Mund-Propaganda braucht eben seine Zeit.‘
Er erhebt sich, geht wieder zu seinem Stuhl. ‚Noch was. Wenn ihr jemanden habt, der für uns als Klient in Frage kommt – sprecht die Leute nicht direkt an. Niemals! Erstens, weil ihr sie bereits kennt. Sie euch kennen. Das ist Scheiße für das Standing der Agentur. Zweitens, weil die Fäden bei mir zusammen laufen, klar?‘ Gabi sieht uns alle nacheinander eindringlich an, bis wir auf die eine oder andere Art signalisiert haben, dass wir es gerafft haben. Visuelles Symbol der Unterwerfung. ‚Wenn ihr einen interessanten Kontakt habt, sagt Bescheid. Gebt uns einen Namen, eine Telefonnummer, zur Not die Mail. Und einen kurzen Abriss, um wen es geht. Position, Charakter und ob derjenige als Kunde oder Klient in Frage kommt.‘
Kunden sind die, die unsere Jungs verdreschen dürfen. Klienten sind die, die dafür bezahlen. Ursprünglich war die Idee, dass beide dieselben sind, aber inzwischen vermutet Gabi, dass die beiden Gruppen keine besonders große Schnittmenge bilden werden.
‚So eine abgefahrene Scheiße bucht der Chef für seinen Mitarbeiter, die Kumpels für den besten Freund, der Vater für den Sohn. Weil der Kick noch größer ist, wenn du gar nicht weißt, dass es uns gibt‘, hatte er mir mit einem Grinsen erklärt. ‚The Game – erinnerst du dich noch? Mit Michael Douglas und … wer war das noch?‘
Sean Penn, dachte ich. Und hielt damals das Maul. Hatte keinen Bock, als Stichwortgeber zu fungieren. ‚Egal‘, fuhr Gabi unbeirrt fort. ‚Jedenfalls so in der Art wird das laufen, glaub mir. Ich hab’s im Urin!‘

Am nächsten Morgen stehe ich vor der Tür des Büros, Gabi macht mir auf.
‚Auf dem Tisch steht Kaffee‘, ruft er mir aus dem offenen Bad zu. Ich höre ihn pinkeln. Gehe ins Büro, nehme mir eine Tasse.
Gestern hatte ich ihn noch gefragt, ob es für das Treffen eine Kleiderordnung gäbe. Ob ich meinen Anzug rauskramen sollte.
‚Spinnst du?‘, hatte er mich angefahren und gegrinst. ‚Sollen die etwa denken, wir sind ein paar Yuppie-Pisser, die Geld für ein beschissenes Start-Up brauchen? Irgendeine Internet-Klitsche, mit der man in tausend Jahren kein Geld macht? Quatsch – komm so wie immer.‘ Er war näher an mich herangetreten, hatte mich mit dem Finger gegen die Brust gestupft. ‚Wir sind aus dem Kiez, Jakob. Wir sind Kreuzberg. Wir sind zwischen Straßengangs aufgewachsen, haben uns im Import-Export mit sechs das erste Butterfly-Messer gekauft.‘ Als ich schief das Gesicht verziehe, lacht er. ‚Das hier ist Alltäglichkeit für uns – das musst du ihnen verkaufen. Jemandem für Geld die Fresse polieren – keine große Sache. Passiert. Für Geld die Fresse poliert bekommen? Auch kein Ding. Wo ist die Kohle, hier ist meine rechte Wange. Die andere kostet extra. Verstehst du?‘
Ich puste auf meinen Kaffee. Eigentlich hatte ich keine Ahnung, was er da faselte, aber ich hatte eine Vorstellung davon bekommen, was er von mir wollte.

Zehn Minuten später klingelt es. Gabi geht, um die Tür zu öffnen, ich stelle mich ans Fenster. Stütze die Arme hinter mich auf das Fensterbrett – vielleicht biete ich als Silhouette vor dem Fenster eine beeindruckendere Figur. Komme mir vor wie ein Hochstapler.
Gabi führt einen kleinen, drahtigen Kerl im Dreireiher ins Büro.
‚Das ist mein Partner Jakob Herfeld.‘ Der potentielle Kunde geht mir entgegen, wir schütteln uns die Hände. ‚Hartwig‘, kommt es kurz und trocken von ihm.
‚Setzen Sie sich doch – Kaffee?‘, beschäftigt ihn Gabi. Er nickt.
Er setzt sich in einen Stuhl vor dem Schreibtisch, mein Partner nimmt dahinter Platz.
‚Was wissen Sie von uns?‘, fragt Gabi mit einem schmierigen Kleinkriminellen-Lächeln. Der Kerl zuckt mit den Achseln.
Gabi fragt: ‚Stefan Stech hat Ihnen von uns erzählt, ist das richtig?‘ Hartwig nickt. Es ist das erste Mal, dass ich Stechers richtigen Namen höre. ‚Er hat nur kurz umrissen, worum es geht. Keine Details genannt.‘
Gabi nickt. Und beginnt dann seinen Vortrag. Eine abgewandelte Form seiner Ansprache, mit der er uns damals in der Stiege für den Plan geködert hat.
Hartwig hat allerdings keine Lust, auf die rhetorischen Fragen zu antworten. Genau einmal versucht Gabi es mit mir, aber nachdem ich maulfaul und mit wenig Enthusiasmus als Ping-Pong-Partner fungiere, macht er den Rest lieber alleine. Stellt seine Fragen, wartet kurz, beantwortet sie selbst. Meistens mit einem vorangestellten: ‚Richtig!‘
‚Fragen Sie sich selbst: Wenn Sie bei uns ein Event gebucht haben – hätten Sie dann noch Angst?‘
Er antwortet nicht. Gabi macht weiter: ‚Der junge Türke, der Sie an der Dönerbude anrempelt, den wilden Blick aufsetzt. Senken Sie den Blick, gehen weiter, murmeln vielleicht eine Entschuldigung? Oder steigen Sie da voll drauf ein?‘
Jetzt grinst Hartwig. Fängt an, die Zusammenhänge zu raffen. Gabi nickt, erwidert das Grinsen. ‚Sehen Sie, sehen Sie? So wird ein Schuh draus.‘ Er breitet die Arme aus, als gäbe es zu unseren Fights noch eine Waschmaschine gratis dazu. ‚Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir noch am Anfang stehen. Aber wir wissen, was wir tun. Dann geht‘s ab wie Gras durch die Gans. Sobald überall angekommen ist, was genau wir hier eigentlich anbieten.‘
‚Wie sieht es mit Diskretion aus?‘
‚Die meisten unserer Klienten buchen die Events nicht für sich selbst, sondern für Freunde, Verwandte, Geschäftspartner. Deswegen ist einhundertprozentige Verschwiegenheit natürlich eine Selbstverständlichkeit für uns.‘
Gabi umreißt weiter, wie das Ganze abläuft. Will wissen, ob Hartwig sich eher als Kunde oder Klient sieht. Erklärt den Unterschied. Die Antwort kommt sofort: Hartwig ist Klient.
Zeigt ihm den Ordner mit unseren Jungs. Eric, Robert und irgendwelchen anderen Kerlen, deren Fotos er aus dem Internet geklaut hat. Laut dem Ordner arbeiten bereits zwei Dutzend Kerle für uns.
‚Ansonsten würde es natürlich wenig Sinn machen, Ihnen unsere Jungs vorzustellen‘, sagt Gabi mit einem Zwinkern. ‚Obwohl jede Woche neue Mitarbeiter dazu kommen.‘
‚Haben Sie einen Flyer, Infomaterial, das ich mitnehmen könnte?‘
Gabi lächelt gönnerhaft, lehnt sich mit gefalteten Händen auf dem Schreibtisch nach vorne. ‚Herr Hartwig, bei allem Respekt – glauben Sie ernsthaft, das könnten wir uns leisten? Wir reden hier vom Untergrund!‘ Die letzten Worte spricht er gedämpft verschwörerisch.
Hartwig scheint zu verstehen – er nickt. Erhebt sich, verabschiedet sich von uns beiden per Handschlag, verspricht, uns anzurufen. Gabi bringt ihn zur Tür.
Als er wieder kommt, sagt er: ‚Den sehen wir noch mal wieder. Der hängt am Haken. Damit kenne ich mich aus, war mal Jugend-Meister im Fliegenflischen.‘ Zwinkert mir zu.
Willkommen im Untergrund, denke ich lakonisch.


Anmerkung von Mutter:

Danke an das Kitten und den Bleisetzer ...

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(12.02.10)
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 Mutter meinte dazu am 12.02.10:
Danke ... :)
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