Paco

Erzählung zum Thema Einsicht

von  Mutter

Ich ziehe den Inhalt des Umschlages heraus. Obenauf liegen drei schwarz-weiß Fotografien, A4. Die erste zeigt einen Mann, vielleicht Mitte Vierzig, mit kurzgeschorenem Haar und hartem Gesicht. Sieht ein wenig aus wie der Vater von Stecher – der ist Offizier bei der Bundeswehr. Offenbar kein Portrait, da er gerade misstrauisch zur Seite wegguckt. Vielleicht mit extremen Tele aufgenommen.
Das zweite zeigt ihn mit zwei anderen Männern an einem Cafétisch sitzend – nur ihn kann man wirklich erkennen, die andren zwei sind im Halb-Profil angeschnitten.
Das letzte zeigt ihn am Flughafen, offenbar an einem Taxistand, an der Hand eine Laptop-Tasche.
Ich schiebe die Bilder hinter den Stapel, sehe mir die restlichen Papiere an.  Das Deckblatt verrät, dass es sich um ein Dossiers namens ‚Blocher‘ handelt, mit der Adresse eines gewissen Paco Thalmann links unten.
Rasch überfliege ich den Text, versuche zu erfassen, um was es geht. Karsten Blocher ist der Kerl auf den Bildern – kommt aus dem Ruhrgebiet. Bottrop.
Thalmann muss eine Art Privatdetektiv zu sein – das Dossier sind die gesammelten Informationen zu Blocher. Scheint im Pott ein kleines Licht im Milieu zu sein – die Sachen, mit denen ihn Thalmann in Verbindung bringt, sind Vergehen wie illegales Glücksspiel, leichte Erpressung und in einem Fall Raub. Zwei schwebende Verfahren, mehrere Vorstrafen.
Ich raffe nicht, was ich da in der Hand halte. Was das mit Gabi zu tun hat. Mit verkniffenem Gesicht massiere ich mir den Nasenansatz, will die einsetzenden Kopfschmerzen vertreiben.
Es ist bestimmt kein Zufall, wenn Gabi diese Unterlagen hier hat – hat ganz sicher was mit dem Fight Club zu tun. Und damit mit mir.
Kurzentschlossen speichere ich Thalmanns Nummer, die auf der ersten Seite steht, in meinem Handy. Stelle sicher, dass ich keine Spuren hinterlasse und gehe wieder. Das Dossier habe ich dabei.
Bereits im Treppenhaus hänge ich am Handy, während ich die Stufen ungeduldig in Paaren herunterlaufe.
‚Thalmann?‘, meldet sich eine männliche Stimme.
‚Paco Thalmann? Guten Tag, mein Name ist Jakob Herfeld. Ich bin ein Partner von Gabriel Sutter. Es geht um Ihr Dossiers.‘
‚Blocher?‘
‚Genau. Können wir uns treffen?‘
Er scheint einen Augenblick zu überlegen. Antwortet dann: ‚Sicher. Halb zwölf? Ist irgendwo in der Nähe vom Tiergarten okay?‘ Nicht gerade mein Kiez, aber ich habe keine Einwände. Wir verabreden uns in einem Gartenlokal in der Nähe des 17. Juni, direkt am Wasser.
Nachdem wir uns verabschiedet haben, laufe ich ein Stück, bis ich vorne am Kottbusser Tor zu einem Copy-Shop komme. Ich  jage die gesamten Unterlagen durch den Kopierer und bringe danach Gabis Zeug zurück in seine Wohnung.
Es sind noch anderthalb Stunden bis zu dem Treffen mit Thalmann, aber ich fahre trotzdem schon los. Bin zu unruhig, um die Zeit anders totzuschlagen.
Auf dem Weg zum Treffpunkt fahre ich am Zoo vorbei – der derbe Tiergeruch steigt mir in die Nase. Ich muss an die Sonntage denken, die ich früher mit meinen Eltern im Zoo verbracht hatte. Seit Ewigkeiten war ich nicht mehr dagewesen. Julia konnte den Zoo nicht ausstehen – der Anblick der Käfige würde ihr Magenschmerzen bereiten.
Ich schließe das Rad an und mit einem letzten Blick auf das Café gehe ich runter zum Wasser, um dort spazieren zu gehen.

‚Herr Herrfeld?‘ Ein schlanker, großgewachsener Mann Mitte bis Ende Dreißig streckt mir seine Hand entgegen. Ich sehe von den Papieren hoch, auf dem Tisch liegt das fotokopierte Bild von Blocher.
Ich erhebe mich halb, wir schütteln uns die Hände und setzen uns. Mit einem Blick zur Seite schiebt er das Bild unter einige restliche Papiere, so dass es nicht mehr zu sehen ist. Ich ziehe die Augenbrauen ein wenig nach oben, sage allerdings nichts.
Kurz darauf kommt die Bedienung, nimmt die Bestellung entgegen. Er bestellt einen Caro-Milchkaffee, ich noch einen Latte Macchiatto. Den dritten. Lange hat es mich nicht am Wasser gehalten.
Thalmann mustert mich aufmerksam, scheint zu warten.
‚Paco. Ist das ein Spitzname?‘
Er lächelt, schüttelt den Kopf. ‚Leider nicht. Meine Mutter war Achtundsechzigerin – Kinderläden, Hippie-Bewegung. Sie fand Paco passend.‘ Zuckt mit den Achseln.
‚Immerhin hat man ein Gesprächsthema‘, sage ich, aber er neigt nur leicht den Kopf. Hat keine Lust, dass ich weiter seine Zeit vertrödel.
‚Also gut‘, sage ich, lehne mich nach vorne. Die Arme auf das Dossiers gestützt. ‚Reden wir Klartext. Sie haben dieses Dossiers im Auftrag meines Partners erstellt.‘
Er nickt.
‚Das Ganze ist ohne mein Wissen passiert.‘
Paco zuckt mit den Schultern, als wolle er sagen: Nicht mein Problem.
‚Geld haben Sie bereits erhalten?‘ Erneutes Nicken.
‚Erzählen Sie mir von Blocher.‘
Thalmann räuspert sich, setzt sich anders hin. ‚Nur damit ich verstehe, was hier passiert – Sie wissen nichts über den Artikel, oder Sie wissen nicht, dass Herr Sutter mich hinzugezogen hat?‘
‚Artikel?‘
Er lächelt. ‚Ich sehe, wir kommen dem Ganzen langsam auf die Spur. Herr Sutter hat mich kontaktiert, und mir Fragen zu Blocher gestellt. Wir haben uns getroffen, darüber gesprochen. Er meinte, wenn ich ihm das Dossiers zusammenstellen, und das Material befriedigend genug ist, könnte ich den Artikel schreiben.‘
‚Okay‘, erwidere ich lahm. Habe keine Ahnung, wovon er redet.
‚Ich bin davon ausgegangen, dass Sie sich mit mir treffen wollen, um über den Artikel zu reden.‘ Lehnt sich zurück, kneift die Augen zusammen. ‚Aber das wollen Sie gar nicht – weil Sie nichts darüber wissen. Und Herr Sutter hat keine Ahnung, dass wir uns hier treffen, richtig?‘
Kann man so sagen. Ich lasse ihn weiter reden.
‚Hören Sie, Herr Herfeld, ich weiß nicht, was da bei Ihnen hinter den Kulissen abläuft – will es auch gar nicht wissen. Ich weiß, wie das in manchen Redaktionen läuft, wie da die Kompetenzen gesplittet werden. Auch wenn ich bisher nur als freier Journalist gearbeitet habe, habe ich weiß Gott genug Redaktionen von innen gesehen. Da würde ich mich also gerne komplett raushalten.‘ Er spreizt die Finger, schickt mir ein schüchternes Lächeln rüber. Ich nicke verständnisvoll.
‚Wenn Sie gestatten, würde ich gerne zweigleisig fahren.‘ Diesmal ist das Lächeln etwas koketter. ‚Vielleicht kann ich Sie ebenso von dem Stoff überzeugen – und wie die interne Papstwahl dann ausgeht, kann mir egal sein.‘
Ich beginne, mich in die neue Rolle als Chef-Redakteur einzufühlen. ‚Erzählen Sie mir, was Sie haben.‘ Ich nicke mit dem Kinn in Richtung Dossiers.
Er scheint sich kurz zu sammeln, beginnt dann übergangslos. ‚Blocher sieht auf dem Papier nach einer kleinen Nummer aus. Harmlos. Das ist er meiner Ansicht nach aber nicht.‘ Sein Kopf streckt sich wie der einer Gans beim Wassertrinken nach vorne, unwillkürlich lehne ich mich ebenfalls nach vorne.
‚Wie ich Ihrem Kollegen bereits geschildert habe, ist das, was in dem Dossiers steht, eine Sammlung aus Fakten und Indizien. Zusätzlich dazu gibt es aber noch eine Menge Gerüchte. Und wenn man denen Glauben schenkt …‘ Er macht eine melodramatische Pause, fährt fort: ‚Jedenfalls bleibt Blocher sicher kein Einzelfall. In letzter Zeit hat eine kleine Migration aus dem Milieu im Ruhrpott stattgefunden – nach Hamburg, Frankfurt, Berlin. Wenn man die Spuren sorgfältig verfolgt, finden sich am Ende dieser Spuren meist Konfliktherde, Auseinandersetzungen. Wer aufbricht, um Neuland urbar zu machen, darf keine Samthandschuhe tragen.‘ Er sieht mich aufmerksam an, wartet darauf, dass ich ihm signalisiere, dass ich ihn verstanden habe. Ich nicke.

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (41)
(22.02.10)
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 Mutter meinte dazu am 22.02.10:
:)

Danke ...
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