Schattenspiele

Erzählung zum Thema Besessenheit

von  Mutter

‚Ich gehe davon aus, dass Blocher hier in Berlin einiges in Bewegung bringen wird. Und ich habe fest vor, ihn dabei im Auge zu behalten. Ihm an den Karren zu fahren, wenn sich die Gelegenheit ergibt.‘ Nach einem Moment der Musterung fügt er hinzu: ‚Ob Sie mich nun dafür bezahlen oder nicht - ich bin sicher, dass die Story ein Knaller wird.‘
Für einen Augenblick drehen sich Gedanken wie Brummkreisel in meinem Kopf. ‚Kann ich versuchen, Sie Herrn Sutter auszuspannen?‘
‚Wie das?‘
‚Jedwede Information, die Sie über Blocher noch bekommen – handfeste Infos! Übernehme ich. Melden Sie sich bei mir – ich sehe mir das Zeug an, und vermutlich lasse ich es Sie dann noch an Sutter weitergeben. Dann kassieren Sie doppelt.‘
‚Und der Artikel?‘
Ich zucke souverän mit den Schultern. ‚Den Job bekommen Sie von dem, der von uns beiden übrigbleibt. Die Welt ist eine Löwengrube.‘
Thalmann lächelt leicht. Hält mich wahrscheinlich für ein Riesen-Arschloch. Ich würde zu gerne wissen, welche Rolle Gabi ihm gegenüber spielt – was für ein Magazin wir machen, dass uns Thalmann diese großspurige Rolle so problemlos abkauft. In unserem Alter.
‚Klingt hochgradig unmoralisch. Immerhin ist Herr Sutter mein Auftraggeber gewesen.‘
Ich lächel, weiß jetzt schon, dass er einwilligen wird. Keine Ahnung, ob er das Geld so dringend braucht, oder ob Blocher sein persönlicher Kreuzzug ist, aber ihm ist das Ding furchtbar wichtig.
‚In Ordnung, ich mach’s. Wühl mich da weiter rein, und soweit ich was ausgrabe, erfahren Sie es als Erster.‘
Kurz darauf haben wir uns verabschiedet, und ich warte, bis er Richtung Siegessäule davongeht. Will nicht, dass er mich mit meinem Rad sieht. Irgendwo hat sicher auch das Bild des unkonventionellen und trotzdem erfolgreichen Jungunternehmers Grenzen.
Während ich langsam und in einem niedrigen Gang zurück Richtung Zentrum rolle, Passanten und Jogger umschiffe, denke ich nach. Wie ich mit dieser ganzen Blocher-Geschichte umgehe. Ich weiß immer noch nicht genau, was und ob der Kerl mit der Agentur zu tun hat. Aber nach Gabis Hydra Projekt beschleicht mich der Verdacht, dass ich besser daran täte, sicher zu stellen, dass dem wirklich nicht so ist.
Mein erster Impuls ist es, mit Juri zu reden. Der kennt Leute, die man besser nicht kennen will, sagt Stecher immer. Aber mir ist klar, dass ich da wieder auflaufe, solange ich nicht mehr als dieses blöde fotokopierte Dossier habe. Solange ich nicht mal weiß, was Gabi von diesem Ruhrpott-Ganoven wirklich will.
Einen Entschluss fassend, grabe ich mich in die Pedalen. Plötzlich weiß ich, was ich machen muss.

Ich verschwinde von der Bildfläche. Schlafe nur noch in Intervallen und kurz, bin kaum noch zu Hause. Zwei Anrufe von Julia auf dem Handy ignoriere ich. Das mit ihr muss ich später wieder in Ordnung bringen. Mick ruft öfter an – den drücke ich jedes Mal weg. Der verschissene kleine Wichser. Die Meetings der Agentur schwänze ich – ich will dem Team nicht begegnen, bis ich mehr weiß.
Jede freie Minute verbringe ich mit Gabi. Ich bringe ihn abends nach Hause, lasse mich hinter ihm in den Hof und beobachte seine Fenster, bis da oben Licht ausgeht. Ich bin morgens früh schon da, mit einem Kaffee vom Kiosk in der Hand und warte, dass er seinen Tag beginnt. Ich begleite ihn durch die Stadt, bin sein surrender Schatten, wenn er Rad fährt.
Zwischendurch tauche ich bei ihm Zuhause auf, schnüffel in seinen Sachen, nehme seine Moleküle in mich auf. Ich kontrolliere die Bücher in den Büros, beobachte, mit welchen Kunden er sich trifft, wie er unser Business führt.
Eines Abends trifft er sich nach dem Agentur-Meeting mit Corben bei einem Araber, die beiden essen zusammen. Der Waliser erzählt viel, gestikuliert. Gabi nickt, kaut. Die beiden scheinen sich einig zu sein, Corben telefoniert.
Ich hatte früher daran gedacht, bei Corben einzusteigen, um zu schauen, was ich dort finden würde. Ehrlich gesagt hatte ich Angst – Schiss, einen Schritt in sein Leben zu machen, Furcht davor, was ich finden würde. Also hatte ich es gelassen.
Die beiden verabschieden sich vor dem Restaurant, Corben schlägt seinem Boss auf die Schulter. Ich weiß, dass Gabi die Geste hasst. Jetzt ignoriert er sie. Ich nehme an, er will noch mit Corben ins Bett. Auf dem Weg zu einem One-Night-Stand erträgst du die blöden Witze der Braut ja auch ohne zusammenzuzucken.
Ich bringe Gabi nach Hause, warte, bis er zu Bett geht. Die innere Anspannung drängt mich, nicht in meine Wohnung zu fahren. Bei ihm zu bleiben, vor seinem Fenster. Sicherzugehen, dass mir nichts entgeht. Aber meine Kräfte sind am Ende. Zu wenig gegessen, zu wenig getrunken. Kaum Schlaf, keine Ruhe. Gleichzeitig vollkommen fiebrig. Ich kenne dieses Gefühl – so habe ich mich schon einmal gefühlt. Mit Mischa. Dieses Mal ist es anders. Diesmal gibt es einen Grund, für das, was ich tue.
Rede ich mir ein.

Am nächsten Morgen beziehe ich nach ein paar Stunden Schlaf um halb fünf meinen Posten vor seiner Haustür. Zusätzlich zu dem starken Kaffee habe ich mir zwei Brötchen geholt, noch warm. Die zwinge ich herunter – ohne Appetit, mit reiner Willensanstrengung. Und fühle mich, als müsste ich gleich kotzen. Werfe einen Blick auf den Spielplatz. Dort gibt es genug Büsche, in denen ich verschwinden könnte.
Die morgendliche Kälte kriecht die Straße entlang und in mich hinein. Ich muss daran denken, dass Gabi damals befand, ich sei zu weich fürs Blocken. Schnaube durch die Nase. Was weiß der Kerl schon?
Um halb sieben taucht Gabi endlich auf. Ich hatte erneut auf meiner Parkbank Stellung bezogen, auf der Lehne sitzend. Mein Kopf war zwischenzeitlich immer wieder weggesackt, die Müdigkeit forderte ihren Tribut. So musste ich alle paar Minuten aufstehen und mich bewegen, um trotz der Kälte nicht einzuschlafen.
Steif schiebe ich mein Rad auf den Bürgersteig, während Gabi bereits auf die erste Ecke zuschnurrt. Ich beeile mich, aufzusteigen und ihm zu folgen. Unser Weg führt uns nach Westen, am Wasser lang. Kurz vorm Potsdamer Platz wechselt er an einer Brücke über das Wasser, sucht sich einen Weg parallel zur Potsdamer Straße. Ich hasse Kopfsteinpflaster.
Kurz darauf schert er nach rechts rüber, wir rollen die Potse hinunter.
Von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachte ich, wie Gabi sein Rad anschließt. Passende Gegend für den Kerl – ein Stückchen weiter die Potsdamer runter kommt recht ein ganzer Block, wo sich ab nachmittags die Straßenschwalben herumtreiben. Koksnutten und verbrauchte Hausfrauen – erscheint mir als das richtige Ambiente für einen Wichser wie Gabi.
Er ist als Erster in dem kleinen Café. Hat sich einen Kaffee bestellt, seine Unterlagen ausgebreitet und das kleine Netbook auf den Tisch gelegt, als Corben kommt.
Ich hatte mich vorsichtig genähert, um durch die großen Scheiben besser sehen zu können, als mich der Waliser aufschreckt. Sieht mich aber nicht – geht schnurstracks in den Laden, begrüßt Gabi.
Die beiden scheinen immer noch zu warten. Langsam ergreift ein ungutes Gefühl von mir Besitz. Ich hoffe, dass jetzt nicht kommt, von dem ich erwarte, dass er kommt.
Aufmerksam lasse ich meinen Blick die Straße auf und ab wandern, suche rastlos, will den Verdacht zerstreuen.
Corben und Gabi würden mir einen mordsmäßigen Gefallen tun, wenn jetzt einer der Jungs aufkreuzen würde. Stecher oder Benz vielleicht, oder einer der Neuen.
Irgendwer, der belegen würde, dass es mit der Agentur zu tun hat. Normalbetrieb.
In eine Seitenstraße biegt eine schwarze S-Klasse ein, der Wagen stellt sich schräg in eine Parklücke, die locker groß genug wäre. Aus der Fahrertür wuchtet sich Blocher.

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