Spiegelfechten

Roman zum Thema Provokation

von  Mutter

Der Raum, in dem ich sitze, ist karg, der Plastik-Stuhl bequem. Vor mir stehen eine Flasche Wasser, aus der ich bereits ein Drittel getrunken habe und ein lauwarmer Becher Kaffee. Der ist noch voll.
Ich bin schon eine Weile hier. Der uniformierte Beamte, der an der Tür steht, sieht mich betont nicht an. Schätze, er weiß nicht genau, wie er mit mir umgehen soll. In diesen Stühlen sitzen normalerweise nur Verdächtige. Ich bin nicht verdächtig, hatte mir mein männlicher Begleiter beim Aussteigen in der Parkgarage versichert. Wehmeier wolle mich sehen, die Vernehmung vorziehen. Wenn das für mich in Ordnung wäre. Ich hatte nur genickt. Nehme an, in Verwahrung hätten sie mich eh genommen, weil ich in die Wohnung rein bin. Die wollen nicht, dass ich ihnen die ganzen Spuren versaue. Spuren von wem?
Ich presse den Gedanken sofort wieder weg. Nicht jetzt. Geht gar nicht, das muss warten.
Die beiden hatten mich zu einem Fahrstuhl gebracht, wir waren ein paar Stockwerke hoch gefahren. In der geschäftigen Empfangshalle hatte sich bald rausgestellt, dass sie mich offenbar nur hierher bringen konnten – in eine Vernehmungszelle. Auch die weibliche Polizistin hatte sich entschuldigt. Mir ist es Latte. Von mir aus rede ich auch mit dem Wehmeier hinterm Mädchenklo. Ich greife nach vorne, schraube den Deckel von der Flasche ab. Trinke einen Schluck, beobachte den Bullen dabei. Das macht ihn nervös – der sieht die Bewegung, sein Reflex ist es, hinzugucken, aber meinem Blick will er ausweichen. Beides geht nicht. Ich schraube die Flasche wieder zu, sehe ihn einen Moment herausfordernd an. Er reagiert nicht. Meine Schultern schmerzen, sind völlig verspannt.
Wir befinden uns im LKA 1, in der Keithstraße, hatte der Bulle beim Hochfahren erzählt. Nicht weit vom Zoo, direkt neben der Kurfürstenstraße.
„Wofür steht die Eins?“, hatte ich gefragt. Eigentlich interessierte es mich nicht wirklich.
„Menschliche Delikte“, kam die Antwort von der Polizistin.
Ich hatte für einen Moment an die metallene Decke des Fahrstuhls gestarrt. Müsste es nicht ‚unmenschliche Delikte‘ heißen? Wer tut so etwas? Und warum?
Auch diese Gedanken landen ganz schnell da, wo ich ihre Vorgänger hin verfrachtet hatte. Später.

Die Tür geht auf. Wehmeier kommt herein, erlöst den Beamten mit einem Nicken. Während er auf mich zugeht, mir die Hand schüttelt, betrachte ich den zweiten Mann, der ihm gefolgt ist. Nicht ganz so groß wie sein Kollege, ist er ebenfalls schlank, bewegt sich aber ohne jede Körperspannung. Hängende Schultern, ein runder Rücken – jede Wette, der Kerl hat seit Jahren keinen Sport mehr gemacht. Sein feines blondes Haar wirkt an der Stirn und auf dem Kopf bereits reichlich schütter. Dabei würde ich auf nicht mal Vierzig schätzen. Wehmeier ist ganz klar das Alphatier.
„Das ist mein Kollege Michael Dombrowski. Er wird sich zusammen mit mir um den Fall kümmern.“
Luisa ist das, was er seinen Fall nennt. Das, was von ihr übriggeblieben ist.  Ich nicke. Was soll ich auch sonst tun?
Die beiden ziehen sich Stühle zurück, setzen sich mir gegenüber an den Tisch. Wehmeier faltet die Hände ineinander. Sieht aus, als würde er beten.
„Herr Barbato, die Kollegen habe Sie hergebracht, weil Sie unerlaubt in den Tatort eingedrungen sind.“
Noch ein Nicken. Was er seinen Tatort nennt, ist meine Wohnung. Unsere Wohnung. Luisas Hölle.
Er räuspert sich, wirft seinem Kollegen einen kurzen Seitenblick zu. Der betrachtet mich weiter unverwandt. Vielleicht findet er nicht, dass ich keinesfalls tatverdächtig bin.
„Man hat mit mir Rücksprache gehalten, und man hielt es für das Beste, Sie erst einmal hierher zu bringen. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Aber wenn Sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt der Situation nicht gewachsen fühlen, können wir das Gespräch jederzeit abbrechen und uns später noch einmal treffen. Geht das für Sie in Ordnung?“
Ich bejahe stumm.
„Gut. Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass wir noch sehr wenig wissen. Wirkliche Erkenntnisse werden wir erst haben, wenn die kriminaltechnischen Untersuchungen abgeschlossen sind und die Kollegen von der SpuSi bei Ihnen aus der Wohnung raus sind.“
Mir liegt auf der Zunge, ihn darauf hinzuweisen, dass sie immerhin schon wissen, dass Luisa tot ist. Aber dafür bin ich zu müde.
„Was wir allerdings schon sagen können, ist, dass Ihre Freundin den Mörder vermutlich in die Wohnung gelassen hat. Es gibt keinerlei Spuren von Gewaltanwendung an der Tür.“
„Ich bin durchs Fenster rein“, stelle ich fest, ohne jede Emotion in der Stimme. Die kann ich mir nicht leisten.
Dombrowski nickt. „Das ist korrekt. Diese Möglichkeit werden wir auch nicht außer Acht lassen. Dass Täter am helllichten Tage über ein Fenster in den zweiten Stock einsteigen, ist allerdings eher ungewöhnlich.“
Sein Kollege übernimmt: „Ist es möglich, dass Frau Karmann den Täter gekannt hat? Hatte sie für heute eine Verabredung mit irgendjemanden?“ Er hat sich dabei nach vorne gelehnt, sieht völlig entspannt aus, aber ich weiß, dass er geradezu auf meine Antwort lauert. Natürlich, einen ersten Hinweis, eine heiße Spur.
Ich schließe für einen Augenblick die Augen, kneife die Lider zusammen. Ich will nicht sagen müssen, was ich ihnen jetzt mitteile. Weil ich nicht daran glaube. Er kann es nicht gewesen sein.
„Es war jemand in der Wohnung.“ Meine Stimme klingt löchrig und zerfranst. Die beiden Bullen sind hellwach.
„Das wissen wir bereits.“ Dombrowski sieht zufrieden aus. Wehmeier erklärt: „Wir haben Bettzeug auf dem Sofa gefunden. Wer hat in der Wohnung übernachtet?“
„Oder hatten Sie Streit mit Frau Karmann?“ Dombrowski sieht fast gierig aus, wie er sich zu mir vorlehnt.
„Ein alter Bekannter von mir.“ Ich schaffe es nicht, ‚Freund‘ zu sagen, obwohl es das ist, was ich meine. Komme mir vor wie Petrus, der seinen Kumpel verleugnet. „Sein Spitzname ist Tiger. Wie er wirklich heißt, weiß ich nicht.“
Dombrowski hat so ein Glimmern in den Augen – der ist wie ein Kettenhund, den muss man nur loslassen. Für den ist der Fall praktisch schon gelöst. Wehmeier kneift die Augen misstrauisch zusammen und fragt weiter:  „Was heißt das, ein Bekannter? Woher kennen Sie sich?“
Ich erkläre kurz, wie weit zurück Tiger und ich eine gemeinsame Vergangenheit haben. Dass er nicht wusste wohin, ich ihn also mitgenommen habe. Auch wenn ich weiß, dass die gleichen Worte schon in unzähligen guten und schlechten Krimis ausgesprochen wurden, sage ich: „Aber er war‘s nicht.“
Dombrowski kann sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Versucht es zu verstecken, immerhin, aber ich sehe es über sein Gesicht zucken. Bin ihm nicht böse – in seiner Situation würde ich vermutlich das Gleiche denken: Was für ein Penner – lässt einen Killer in seine Wohnung, der das Mädchen umbringt.
„Wie heißt der Mann richtig?“
„Das weiß ich nicht.“ Ich klinge selbst für meine eigenen Ohren jämmerlich. „Wir haben ihn immer nur Tiger genannt.“
„Dass heißt, wir haben einen Kerl, der zur Tatzeit in der Wohnung war, der keinen Namen und keinen festen Wohnsitz hat. Ich schätze, wir können die Fahndung ausschreiben.“
„Warum glauben Sie nicht, dass er es war?“, will Wehmeier wissen.
Meine Antwort fällt genauso klischeehaft aus wie meine erste Äußerung. Ich zucke mit den Schultern und kann keine andere Erklärung als: „Das ist nicht Tiger. So was macht der nicht“ anbieten.
Dombrowski lehnt sich schnell nach vorne. „Sie kennen nicht mal den Namen von einem Kerl, und Sie wissen aber genau, wie der tickt?“
Der Kerl fängt an, mir auf den Sack zu gehen. Dass ich schon immer vorher weiß, was er als nächstes macht, hilft dabei nicht unbedingt. „Manche Leute kennt man kaum fünf Minuten, und man weiß bereits, wie die ticken“, antworte ich. Mache mir nicht die Mühe, meine Antipathie aus der Stimme rauszuhalten.
Wehmeier ist nicht auf den Kopf gefallen, weiß, dass man uns zwei Hübschen eher nicht eine Nacht alleine lassen sollte.
„Lassen wir das für einen Moment beiseite. Sie sind also morgens aus dem Haus gegangen, zu dieser Event-Agentur, und haben Frau Karmann und diesen Tiger in der Wohnung zurückgelassen?“
Ich nehme zur Kenntnis, dass er seine Worte bewusst neutral wählt. Keinen Vorwurf durchschimmern lässt. Nicke.
„Wissen Sie sonst irgendetwas über …“ Es fällt ihm sichtlich schwer, Tiger einfach Tiger zu nennen. Vielleicht sollte ich vorschlagen, ihn ‚Herr Tiger‘ zu nennen. „Haben Sie noch irgendwelche Informationen zu Tiger?“
Ich erzähle den beiden, wo er gewohnt hat, beschreibe Manne. Gebe ihnen die Details zum Bunker, zu Tomte und was dort Tigers Gewohnheiten sind.
„Wären Sie bereit, uns zu helfen, ein Phantombild von ihm anzufertigen? Auch wenn Sie ihn nicht für schuldig halten – er ist zumindest dringend tatverdächtig und wir müssen ihn unter allen Umständen vernehmen. Ohne einen Namen, ohne ein Bild, dürfte das schwierig werden.“
Ich nicke.

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Kommentare zu diesem Text


 star (15.04.10)
jut!
Mir kommen ein paar Ideen .. aber wen interessierts..(nein, nicht sagen, dass sie dich interessieren, danke). Hier und da könnte der Autor vlt. noch kürzen , oder "verdichten" *yeah*... oder verlängern ... *jupp!* (so in die Richtung) .. aber wer bin ich .. ach ja, ein Leser
(Kommentar korrigiert am 15.04.2010)

 Mutter meinte dazu am 15.04.10:
Die Ideen würden mich interessieren ... :D

Danke!
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