Lila - Die Begegnung

Roman zum Thema Begegnung

von  Mutter

‚Wollt Ihr Euch nicht zu uns setzen - jetzt, wo das Feuer wieder brennt?‘, fragte er höflich und nahm selbst erneut Platz. Ferron bedachte ihn mit einem Seitenblick und folgte seinem Beispiel.
Der Fremde zögerte einen kurzen Augenblick, grinste dann plötzlich. ‚Rosh, Sola, kanteye! Se ton yoné!‘, rief es, an seine Begleiter gewandt. Die Hunde gehorchten offenbar seinen Befehlen aufs Wort und zogen sich ein paar Schritt vom Feuer zurück, um sich dort niederzulegen. Er selbst ging in den Schneidersitz hinunter und streckte die langen Finger nach den Flammen aus, um sich zu wärmen.
Nachdem er den beiden Tabak aus seinem Beutel angeboten hatte und Tibao sich erfreut seine Pfeife gestopft hatte, sagte der Fremde: ‚Es tut mir leid, ich habe zwar meine Hunde, aber nicht mich selber vorgestellt. Ich bin Harlan.‘
Tibao dankte ihm noch einmal für den Tabak, entzündete seine Pfeife mit einem brennenden Kienspan und antwortete: ‚Ich bin Tibao. Mein Freund hier ist Ferron der Schmied.‘ Er inhalierte kräftig und blies mit sichtlichem Vergnügen schiefe Rauchringe in die Luft. ‚Ein vortreffliches Blatt, das Ihr mit Euch führt. Ich habe Derartiges bisher nur in Bragan geraucht, und selbst das ist schon Jahre her. Ebenfalls einige Jahre her ist es, seit ich einen Menschen Elfisch sprechen gehört habe. Ihr seid offenbar ein Mann mit vielen Überraschungen.‘
Harlan sah scharf auf. ‚Woher sprecht Ihr Elfisch, wenn Ihr mir die Frage gestattet?‘
Mit einem kleinen Lächeln antwortete Tibao: ‚Ich habe nicht gesagt, dass ich Elfisch spreche. Allerdings bin ich durchaus in der Lage, es zu erkennen.‘
Jetzt war an Harlan, zu lächeln. ‚Ich hatte fast so etwas vermutet. Mit Eurer Statur und Euren Fremdsprachenkenntnissen könnt Ihr eigentlich nur ein Waldmensch aus dem Osamui sein. Euer großer, schweigsamer Gefährte hier ist bestimmt ein Tua.‘
Die drei Männer beobachteten sich abschätzend für einen kurzen Moment, bis Tibao seine Flasche mit Pflaumenwein entkorkte und anbot.
‚Es kümmert mich nicht, welch‘ seltsame Vergangenheit Ihr mit Euch herumtragt, und genauso wenig soll es Euch kümmern, wer wir sind. Schnaps für Tabak, eins ums andere edel, das soll uns heute Abend reichen.‘
Statt einer Antwort setzte Harlan die Flasche an und nahm einen tiefen Zug. ‚Seid Ihr auf der Durchreise, falls die Frage unverfänglich genug und damit gestattet ist?‘
Tibao nickte und nahm die Flasche wieder entgegen. ‚Wir sind auf den Weg in die Nähe von Aaden, zu einem Weingut, wo wir mehrere Fässer Wein abholen sollen.‘
Harlan lächelte, aber seine Augen blitzten kurz zu Ferron herüber. ‚Ein Schmied und seine Wanderesse werden geschickt, um Wein einzukaufen?‘
Sich zurücklehnend, warf ihm Tibao ein entwaffnendes Lächeln zu. ‚Ich dachte, die Frage wäre unverfänglich? Nein, eigentlich bin ich alleine unterwegs, aber da mein Freund den ganzen Sommer über meinen Wagen für seine Wanderschmiede benutzt, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn mitzunehmen. Und da auch jemand die schweren Fässer heben muss, kam mir das Ganze nicht ungelegen.‘
Plötzlich ernst, sagte Harlan: ‚Ihr reist genau in das Gebiet, welches der Wolfsorden für sich beansprucht. Ihre Laune könnte im Moment nicht aggressiver sein. Seid vorsichtig.‘
Ferron lehnte sich langsam vor. ‚Was habt Ihr mit dem Wolfsorden zu schaffen?‘
Harlan sah sein Gegenüber einen Augenblick an, bevor er antwortete: ‚Ich bin Wolfjäger - wir sind natürliche Konkurrenten. Aber davon abgesehen sind die Kerle Abschaum. Der eher einem Söldnertrupp gleicht, der sich marodierend durch’s Hinterland bewegt – nur, dass sie dafür auch noch bezahlt werden.‘
Tibao hatte bereits von dem Orden gehört. Sie ließen sich in besonders harten Wintern von Dörfern und kleinen Adeligen dafür bezahlen, dass sie der Wolfsplagen Herr wurden und Haus und Vieh beschützten. Zumindest jetzt war es noch viel zu warm für die Wolfsjagd.
‚Was auch immer Eure Schwierigkeiten mit dem Orden sind, wir haben mit ihnen nichts zu schaffen. Uns werden sie keine Scherereien machen.‘
Harlan nickte und sagte: ‚Aber bei Schwarz, denkt an meine Worte, falls es anders kommen sollte.‘
Nach diesen Worten fiel die Runde für eine Weile in Schweigen und Tibao legte neues Holz auf das Feuer. Er bemerkte Harlans prüfenden Blick, entschloss sich aber, nicht darauf einzugehen. Der Wolfsjäger musste sich fragen, was das Feuer so plötzlich wieder in Gang gebracht hatte. Tibao hatte nicht vor, ihm die Erklärung dafür anzubieten.
Er kündigte an, sich zum Schlafen hinzulegen. Harlan erklärte, dass es nicht nötig sein würde, eine Wache aufzustellen, da die Hunde jede Gefahr bemerken würden. Tibao nickte, nahm aber an, dass Ferron ohnehin kein Auge zutun würde, solange Harlan bei ihnen weilte.

Tibao erwachte das zweite Mal in dieser Nacht, als Harlan kurz vor Morgengrauen aufstand und mit den Hunden lautlos im dämmrigen Grau verschwand. Der Waldmensch setzte sich auf und sah zu Ferron rüber, der zusammengesunken dasaß, die Ellenbogen auf den Knien. Der blonde Schmied erwachte ebenfalls, setzte sich auf und dehnte und streckte sich ausgiebig. ‚Ich dachte schon, der würde niemals gehen.‘
Tibao lachte leise und sagte: ‚Du kannst dich hinlegen - ich bleibe wach. Ein weiteres Mal finde ich ohnehin nicht in den Schlaf.‘
Ferron nickte kurz und rollte sich in sein dichtes Fell zusammen.
Mit dem Fuß die letzten Reste Glut zusammenschiebend, versuchte Tibao, eine bequeme Position zu finden. Seine Gedanken kreisten noch um ihren nächtlichen Besuch, aber er wusste, dass er auf seine Fragen keine Antworten finden würde.

Kurz nach Sonnenaufgang kam er von einem kleinen Bach zurück, an dem er die Ponys getränkt und Wasser zum Kochen geholt hatte und fand Ferron bereits wach vor.
‚Hattest du erwartet, dass er noch einmal zurückkommt?‘ fragte er den Schmied. Ferron schüttelte den Kopf und benutzte einen Teil des Wassers, um sich Gesicht und Oberkörper zu waschen. ‚Ich glaube nicht, dass wir den so schnell wiedersehen. Er hat sich benommen, als sei auf der Flucht.‘ Der Waldmensch nickte nachdenklich.
Nach dem Frühstück half Tibao Ferron, die Ponys einzuschirren und kurz darauf machten sich die beiden auf den Weg.
Der Morgennebel begann sich bereits aufzulösen, als sie den Wald verließen und kurz darauf auf die Weggabelung stießen, die sie tags zuvor in die Bäume geführt hatte. Die Sonne schien fahl auf die kargen Berghänge und stand tief genug, so dass Ferron sich ab und zu genötigt sah, die Hand vors Gesicht zu halten.
Der ungnädigen Stimmung seines Gefährten zum Trotz überließ Tibao ihm kurz darauf die Zügel und begann, auf seiner silbernen Flöte zu spielen.
Die fröhlichen Melodien wurden weit über das dichtbewaldete Tal zu ihrer Rechten hinaus getragen und schienen sich in der frischen Morgenluft zu verselbstständigen.
Immer öfter tauchten jetzt auch an den Hängen über ihnen vereinzelt Nadelbäume auf und sie reisten bald nicht mehr neben dem Wald, sondern durch seinen lichten Rand. Der Weg blieb trocken und die Ponys hatten keine Mühe, mit dem Wagen voranzukommen.

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