Zimtzucker

Text zum Thema Achtung/Missachtung

von  princess

Rechts und links zierte eine rote Schleife ihre blonden Zöpfe.
Über ihrem dunkelblauen Kleid trug sie eine weiße Schürze.
Adrett.
Es roch nach Bohnerwachs in deutschen Haushalten.

Noch war keine Bombe auf Vietnam gefallen,
hatte kein Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt.

„Ich will sterben, Mama“, sagte sie.
Damals, an einem Samstag.

Ihre zahllosen Engel hatten sie verlassen.
Ihre Welt existierte lediglich als Kopfgedankenspiel.
Worte, wieder und wieder gehörte Worte
surrten in ihrem Schädel.
Schandfleck…
Webfehler…
Dachschaden…
Meise…
Knall…
Stich…
In Nebelschleier gehüllte Wirklichkeit.
Kein Fühlen mehr möglich.
Kalte Zeit.

„Ich will sterben, Mama“, wiederholte sie.
Damals, an einem Samstag.

Sie standen in der Küche.
Beide.
Auf dem Herd blubberte Milchreis
mit dieser lästigen Tendenz zum Anbrennen.
Es sollte Zimtzucker dazu geben.

„Walter“, klagte die Mutter „sie spinnt schon wieder.“
„Walter, hörst du? Komm und bring sie zur Räson!“

Widerwillig trennte sich der Vater von seiner Bierflasche.
Während im Radio Bill Ramsey sang:
- Die Zuckerpuppe von der Bauchtanztruppe -
griff er zum Stock und tat sein Bestes,
sie Vernunft zu lehren,
ihr die Flausen auszutreiben
und das Sterben zu verbieten.

Damals, an einem Samstag.

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Kommentare zu diesem Text


 Martina (14.06.10)
Na, bei solchen Eltern würde ich auch sterben wollen =(((
Aber so war das- oder ist das auch huete noch...manchmal scheinen sie nichts anderes zu kennen
- als mit Schläge alles wieder hinzubekommen...Klasse Text-genauso stark-wie traurig...Lg Tina.

 princess meinte dazu am 14.06.10:
Kinder erziehen streng verboten...
wäre mir bisweilen ein großes Anliegen...
Danke Dir, liebe Tina, und herzliche Grüße, Ira

 Liadane (14.06.10)
Damals!
Allein der Gedanke war schon eine Todsünde und es drohte die Hölle. Im Vergleich zu ihrem Dasein wäre diese wohl eher das Paradies. So lernte sie nur ihren Mund zu halten und ganz leise für sich zu sterben...
Macht betroffen dein Text, typisches altes Spießbürgertum,
das leider auch heute noch zu finden ist!
lg, Li

 princess antwortete darauf am 14.06.10:
Liebe Li,
die von Dir beschriebene Haltung des Spießbürgertums,
damals wie heute:
Gegen alles sein, das auch nur annähernd anders scheint
als es der eigenen Vorstellung nach sein sollte.
Sogar dann, wenn es das eigene Kind betrifft.
Irgendwie unvorstellbar...
Herzlichen Dank und liebe Grüße, Ira
(Antwort korrigiert am 14.06.2010)
supernova (51) schrieb daraufhin am 15.06.10:
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 princess äußerte darauf am 15.06.10:
Liebe Bea,

ich sehe, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Dass es zu jeder Zeit quer durch alle Schichten und nahezu unabhängig von äußeren Umständen Gewalt, Prügel und/oder Missbrauch in Kindheiten gab und gibt. Manchmal frage ich mich sogar, wie es sein kann, dass unter dem Eindruck dieser Erfahrungen - die echt keine Seltenheit sind - überhaupt noch einigermaßen fröhliche Menschen heranwachsen können.

Irgendwie ist es ein großes Rätsel, dieses Leben.

Ich habe Dir zu danken. Für Deine Auseinandersetzung mit "so einem" Thema.

Herzliche Grüße, Ira
schrotflinte (23)
(15.06.10)
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 princess ergänzte dazu am 15.06.10:
Das glaube ich Dir. Da hättest Du Deine Schrotflinte sicher gewinnbringend einsetzen können.
schrotflinte (23) meinte dazu am 15.06.10:
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 princess meinte dazu am 15.06.10:
Danke, das freut mich.
BBA (43)
(15.06.10)
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 princess meinte dazu am 16.06.10:
Lieber BBA,

laut UNICEF-Studie 2006 zur Gewalt gegen Kinder:

- Weltweit wird für das Jahr 2002 die Zahl der Morde an Kindern und Jugendlichen auf 53.000 geschätzt. Allein in den OECD-Ländern sterben nach einer Untersuchung von UNICEF jedes Jahr 3.500 Kinder an den Folgen von Misshandlungen und Vernachlässigung.

- Schätzungsweise 150 Millionen Mädchen und 73 Millionen Jungen unter 18 Jahren werden sexuell missbraucht oder zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

- Über eine Million Heranwachsende leben in Gefängnissen – die meisten wegen Betteln, kleineren Diebstählen oder anderer geringfügiger Straftaten.

....

Arno Schmidt hat Recht. Ich bin froh, dass Du ihn zitiertest.

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und die Empfehlung.

Liebe Grüße, Ira

 ZornDerFinsternis (19.06.10)
Einfach nur furchtbar...furchtbar erschreckend. Grauenvolle Wahrheit, die man hinter dem Titel garnicht vermuten mag.
Trotz der schlimmen Thematik lässt sich mal wieder nichts anderes sagen, als, dass du wieder Meisterin über Worte und Satzgewalt bist.
LG, Anni

 princess meinte dazu am 19.06.10:
Liebe Anni,
erschrecken wollte ich Dich gewiss nicht.
Und: Du weisst ja, wie das so, mit Schattenpflanzen...
;-)
Danke für Deinen Kommentar und die Empfehlungen.
Ich habe mich sehr über Deinen Besuch gefreut!
Herzliche Grüße, Ira
SigrunAl-Badri (50)
(20.06.10)
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 princess meinte dazu am 20.06.10:
Liebe Sigrun,

ja, schlimm ist das. Und kaum fassbar, dass es so viele Kinder trifft.
Weltweit. Niemand ist Gewalt schutzloser ausgesetzt als Kinder, noch dazu im eigenen "Zuhause". Allein die Vorstellung... und mir wird schlecht.

Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und die Empfehlung.

Liebe Grüße, Ira
janna (61)
(20.06.10)
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 princess meinte dazu am 20.06.10:
Danke. Ich habe mich sehr gefreut.
Leyla (29)
(20.06.10)
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 princess meinte dazu am 20.06.10:
Zumindest ist das Thema als Thema deutlich präsenter.
Das ist wenigstens ein Anfang...
Danke. Ira
Manu (56)
(21.06.10)
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 princess meinte dazu am 21.06.10:
Das kann man sich nicht unbedingt aussuchen...
aber einen Versuch ist es allemal wert.
Danke für Deinen Kommentar. LG Ira

 Dieter Wal (24.06.10)
Glücklicherweise schweigen viele Kinder mit besonders großer Fantasie heutzutage, also kann man ihnen keine Flausen austreiben. Beeindruckend als Text. Das "spießig" würd ich rausnehmen. Überlass dem Leser dieses Urteil. Er wird auch von selbst auf diesen Gedanken kommen.

 princess meinte dazu am 25.06.10:
Die Vorstellung, Fantasie könne schützen, gefällt mir. Doch das Schweigen der Kinder dürfte auch heutzutage weniger ihrer Fantasie als ihren Erfahrungen entspringen...

Deinen "spießigen" Hinweis übernehme ich gerne. Recht hast Du. Herzlichen Dank!
Susa (55)
(24.10.10)
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 princess meinte dazu am 24.10.10:
Und wenn sie spürte, dass du... erkennst, dann fühlte sie Trost... vielleicht. Danke für dein Hiersein. Lieber Gruß, Ira
minichili (21)
(15.11.10)
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 princess meinte dazu am 15.11.10:
Danke, du minichili, für diesen tollen Kommentar! Ob ich mich wohl in der Gesellschaft von solchen Jungs wohl fühlen werde? Mhh...:-) Jedenfalls weiß ich die Ehre zu schätzen. Liebe Grüße, Ira
Gabililith (54)
(28.12.10)
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 princess meinte dazu am 28.12.10:
Gabi, für diesen Kommentar danke ich dir sehr. Eigentlich habe ich einfach nur aufgeschrieben, was ich innen drin sah...
Herzliche Grüße von mir zu dir, Ira
bbx (68)
(12.03.17)
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 princess meinte dazu am 13.03.17:
Mehr kann man zu dem Text fast nicht sagen, um Betroffenheit auszudrücken, bbx. Ich danke dir für diesen Kommentar! Liebe Grüße, Ira

 Dieter_Rotmund (26.11.20)
Nostalgischer Suizidkitsch.

 Terminator meinte dazu am 26.11.20:
Danke fürs Herauskramen, Dieter.

 LotharAtzert meinte dazu am 26.11.20:
Ja danke, Dieter.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 27.11.20:
Bitte, gern geschehen.
Ich bin ja ein Fan der Funktion "Zufallstext".

 princess meinte dazu am 27.11.20:
@Dieter: nein. @Terminator und Lothar: ja. Danke!
blackdove (37)
(28.11.20)
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 princess meinte dazu am 29.12.20:
Das sind sehr schöne, sehr berührende Gedanken zum Text, liebe Stefanie. Ich danke dir. Herzlich. Ira
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