Persönlicher Brief an...

Brief zum Thema Mutter/Mütter

von  Fuchsiberlin

Liebe Mutter, oder liebe Mama, oder liebe Mutti(???),

ich weiß jetzt noch nicht einmal, wie ich Dich in der Anrede bezeichnen kann...

Früher, da warst Du einfach "meine Mutter", auch wenn Du Dich nie wie eine solche mir gegenüber verhielst.Ja, und dieser Begriff "Mutter" für mich deshalb oft fremdartig klang, umso mehr ein gefühltes Fremdwort wurde, wenn ich Mütter von Freunden, Klassenkameraden, Sportfreunden etc. in ihrem Handeln und Empfinden erlebte. Denn diese Mutterliebe, dieses Sohn-Sein bei einer Mutter erlebte ich nie...

Ich verdrängte immer, und dies bis zu Deinem Tod, dass Du doch sehr sensibel bist.

Als Kind, Jugendlicher/junger Twen (das letzte Mal...) kämpfte ich um immer wieder sehr um Deine Liebe, und ich suchte die Antworten auf das "Warum" Deines Handelns...

Du hättest mich als Baby körperlich fast verhungern lassen. Doch dies wäre nicht so schlimm, wie die Tatsache, dass Du mich im Herzen hast verhungern lassen. Es war Deine älteste Tochter, meine geliebte Schwester, deren Liebe ich in der kurzen Zeit im Leben, die wir bis zu ihrem Tod zur Verfügung hatten, ja, deren Liebe ich regelrecht in meinem Herzen eintätowierte. Ohne sie, da hätte ich die Liebe in meiner Kindheit gar nicht kennengelernt, nicht gewußt, wie sich Liebe anfühlt, wie man es spürt, dass man geliebt wird und einen anderen Menschen liebt.

Nun bist Du seit über 2 Monaten tot, welch ein merkwürdiger Schicksalszug, dass Du nur einige Tage nach meinem Geburtstag in die jenseitige Welt gewechselt bist.

Ich weiß nicht, ob Du diesen Brief je lesen wirst, ich mache diesen öffentlich, so dass ein anderer nicht den Fehler begeht, den wir beide leider begingen.

Den großen Fehler, dass wir uns vor 20 Jahren aus den Augen, aber nie ganz aus dem Herzen verloren...
Nach Deinem Tod erfuhr ich, dass Du auch immer wieder an mich dachtest, und den Wunsch in Dir trugst, dass die Familie eines Tages wieder zusammen an einem Tisch sitzt, bildlich gesprochen...
Ein Wunsch, der leider nie in Erfüllung ging, einer, den ich Dir leider nicht erfüllen konnte.

Dein Tod machte mir so vieles bewußt. Wir beide verpassten im Leben die Chance uns einander anzunähern.

Ich war bereit Dir zu verzeihen, Dir meine Hand zu reichen, obwohl Deine Liebe seit meiner Geburt mehr dem Alkohol galt. Doch irgendwie hätte ich Dir verziehen, wenn Du wenigstens einmal im Leben auf mich zugegangen wärst. So war einzig und allein ich es, der bis Anfang 20 immer auf Dich zuging. Immer hoffte ich bei diesen Treffen, dass wir beide uns im Herzen sanft annähern. Doch zurück blieb ein Scherbenhaufen von Enttäuschungen...

Ich war nie böse oder wütend auf Dich. Nein, denn ich wollte es verstehen, es begreifen,warum Du mich seit meiner Geburt nie wirklich als Dein eigenes Kind im Herzen angenommen hast. Und ich wollte Dir dann verzeihen.

Der Alkohol veränderte im Lauf der vielen Jahre des Konsums Dein Wesen, und und dennoch, ich habe Dich irgendwo in meinem Herzen so geliebt wie Du bist. Wenn Du doch nur einmal, auch ohne viel Worte, einfach über Augen-Blicke mich hättest spüren lassen: "Ich liebe Dich, mein Sohn...", dann wäre vieles anders gekommen...

Doch dieser Augenblick trat nie ein, nicht einmal kurz vor Deinem Tod.

Wir sahen uns über 20 Jahre nicht mehr. Der kleine Jörg von damals trauert, und der große Jörg von heute begleitet ihn dabei.

Nun bist Du bei meiner geliebten Schwester, ich hoffe und wünsche es mir sehr, dass ihr beide dort Euren Frieden gemeinsam gefunden habt.

Ich gehe auch für Euch Zwei meinen Weg im Leben weiter, und dies konsequent.

Ich frage nicht mehr nach dem Warum, doch eines sollst Du wissen:

Irgendwie habe ich Dich trotz allem immer geliebt, Dich meine Mutter und verzeihe Dir, auch wenn ich keine Antworten mehr auf die vielen "Warums" erhalte...

Dein Sohn Jörg(i)


Anmerkung von Fuchsiberlin:

Begeht bitte nie diesen großen Fehler, den ich und meine Mutter begingen...Den des Schweigens und Nicht-aufeinander-Zugehen-Könnens... Gerade und insbesondere in einer Familie sollte man doch über alles reden können und sich einander von Herz zu Herz die Hand reichen.

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Kommentare zu diesem Text

seelenliebe (52)
(28.06.10)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 30.06.10:
Liebe Anne,

ja ich verstehe es...Ich danke Dir ganz lieb und drücke Dich auch ganz lieb.
Ich weiß es sehr zu wertschätzen, dass Du Deine sanften Spuren unter diesem für mich sehr wichtigen Text hinterlassen hast.
Ganz liebe sonnenstrahlige Herzgrüße
Jörg
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