Sumak Kawsay - Großstadtgeflüster

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  bluedotexec

Und so sitze ich hier, hier, auf dem Boden, dem kalten Betonboden, zwischen Antifaschisten und Antikapitalisten, unter einem großen Banner, das das Gesicht eines rollstuhlfahrenden Politikers ziert und der Spruch:

"Big Schäuble is watching you!"

Winston Smith lässt Grüße ausrichten.
Hier sitze ich und notiere Belanglosigkeiten über Globalisierung und die Tobin-Steuer, schreibe Gedanken auf wie:

"Sumak Kawsay ist Fei hua!"

Ich habe keine Ahnung von all dem, von Kapitalismus und Privatisierung, Neo-Liberalismus oder Volksentscheiden.
Ich kann Kapitalismus nicht vernünftig definieren, aber ich weiß, was es der Definition nach ist. Damit ist Schluss.
Ich notiere, meine Wiesen sind voller Post-it-notes, Vergissmeinnicht oder Erinnermichs, und einen Blitz später gleite ich mit dem Auto durch die Straßen, die nassen, dunklen Straßen Berlins, nur um nach 18 Std. wach mal 4 1/2 Std. zu schlafen, und ein Pfeil bohrt sich in mein Gehirn und schreit:

"Zurück zur TU!"

Und dann das Gleiche wieder. Quäle mich mit marginalem Wissen durch den Wald aus Worten, den Professor Kapikon sowieso ins Mikrofon doziert. Suche mir aus Kubikmetern Wissen gedankenweise Fäden heraus, um meine geliebte Tobin-Steuer einzuweben. Und irgendwann auch Steuern auf Rohstoffe.
Es ist nicht die Lösung, es gibt keine Lösung. Es gibt kein Paradigma für den Menschen, an dem er sich messen kann, und so bleibt die Megalomanie.
Das ist das Ergebnis, zu dem mich jeder Vortrag, jedes Forum, jedes Seminar, jeder Workshop bringt, aber:

HALT DEIN MAUL UND SEI WENIGSTENS LEISE DUMM!

Ich hasse es.

Und jetzt bin ich hier, in der Attacafeteria. Ich bin Kaffee-und-Pizza-Duft, ich bin das Putzmittel, dessen charmanter Geruch aus den Toiletten hoch zieht. Ich trinke Milch, esse Schwarzbrot und schreibe unter Dekaden von Menschen, die im Gegensatz zu mir einen Grund haben, hier zu sein, davon, dass ich keinen Grund habe, hier zu sein.
Ich sehne mich nach einer Diskusion über Glauben und Religion. Woran ich glaube?
An das hier.
An die Feder.

Und dann stehst du auf, du stehst auf und du gehst raus, stehst in Berlin und riechst in der Luft Enttäuschung, in der Gosse findest zu zerschlagenen Traum, den du in Tüten füllen und bei Ebay versteigern könntest.
Nein, die Scherben reflektieren deinen kalten Blick und du frierst. Kfz-Spiegel trifft aggessive Langeweile. Hochleistungsscheinwerfer projizieren kleine Blasen Hoffnung an den schwarzen Himmel, der dir dafür dankbar ist, und dir entgleiten die ziellosen Straßenlampen. Menschen flackern auf und erlöschen in deinem Rücken.
Rasen durch die nassen Straßen, folgen den U-Bahn-Trassen, stehen niemals still - surreal blitzend, die Fensterscheiben, die hellen Lichter, die da wie schwarze Zahnlücken ins Dunkel der Stadt strahlen? Wie kann schwarz leuchten?
Alles kann leuchten, wenn man es anstrahlt.
Das sardonische Lachen eines tödlich Getroffenen, wie ihn die Sanitäter, die erst zu spät am (Un)glücksort eingetroffen sind, und die an ihren scheinverzweifelten Versuchen zu verzweifeln drohen, bis ins vermutlich Wahnsinnige amüsieren und weiterlaufen, bis das alles hinter dir liegt, der Schmutz, aus dem der Alltag wächst, die Steine, auf denen die Blumen einer besseren Welt keinen Platz mehr finden und keinen fruchtbaren Nährboden und bei den kläglichen Versuchen einer neuen, besseren Welt, neues Leben zu finden, zusehen und lachen, und dabei erschreckt festellen, dass zwischen fruchtbar und furchtbar nur eine Symbolstelle liegt und dass man gerade selbst abstumpft, und wieder weiter laufen, weiter aus der Welt, in den Zug einsteigen, der Zukunft heißt, oder ist das sein Ziel? Wird er abfahren oder terminiert? Oder ist dieser Zug nur eine Metapher, eine Metapher für eine nichtssagende Stelle in einem Text, den ein (Autor - Slammer - Lyriker) Mensch bereitstellt, um damit seine (Hörer - Leser - Kritiker) ins geistige Nirwana zu fahren?
Vielleicht ist das mein Ziel.
Das ist der Mittelpunkt. Und wir legen einen Schalter um. Der Mittelpunkt des Universums, das Eichmaß der Zivilisation, dorthin bewegen wir uns. Jeder von uns kann seine Antworten oder die passenden Fragen finden.
Finden in einem Gullydeckel, unter eine Autobahnbrücke oder finden hinter beziehungsweise jenseits eines

"BETRETEN DES RASENS VERBOTEN!!!"

-Schilds.

So schreibt man Subversion. Und wir legen diesen Schalter um, den, der vor uns schwebt. Er schwebt einfach da und ist vor uns, aber niemand will ihn berühren, doch wir legen ihn trotzdem um.
Jedermanns Glück liegt in den Straßen unserer Stadt, lauscht dem Stadtgeflüster, folgt den Rufen dröhnender Motoren, die motorisiert durch die Straßen dröhnen, und schläft mit den Engeln, die um halb drei bei Burgerking sitzen und existieren, damit philosophieren, und ihrer ist der Schalter.
Und ihr Glück sezernieren sie, laufen aus wie ein labbriger Cheese-Burger, hauchen sich selbst aus, dass sich Kondenswolken voll Glück bilden. Das Glück blidet einen Schaum, einen zähen Schaum, und wir beschweren uns, dass wir darin so schwer voran kommen, statt dass wir ihn erkennen und darauf gleiten? Wir sind einbetoniert, einbetoniert in etwas, das gegen Statik arbeitet, und wir sehnen uns nach dem Himmel, meinetwegen auch aus Konserven. Wir beneiden um ihre Flügel die Vögel, die uns die Augen auspicken, und wir berühren den Schalter.

Es ist die Subversion der Straße. Die Ambivalenz der sarkonisch - ob sardonisch oder sarkastisch - dir entgegenstarrenden Häuser. Es sind die Verkehrszeichen, die subtextlich lachend in deine Richtung blicken.
Und zurück bleiben Glut und Asche, rieseln auf den nassen, heißen Asphalt, liegen zwischen klebrigen Kaugummi oder GAUgummi-Idealen -

"Auspacken - durchkauen - wegspucken!"

- Und dem, was bleibt, wenn eine Stadt im Seelenbrand verglüht.


Anmerkung von bluedotexec:

Überarbeitete Fassung, ich habe zwei alte Texte zusammengelegt, weil ich die beiden erstens in dieser Form slamme, und zweitens so zusammen gelegt schöner finde.

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Kommentare zu diesem Text

Abrakadabra (41)
(18.03.11)
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