Brecheisen, Stimmgabel, Stift

Kurzgeschichte

von  Watsche

Langsam lasse ich das schmerzhaft reale Prisma des Brecheisens aus der Geborgenheit meines Ärmels in die zähe, silbrige Morgenluft gleiten. Genau im richtigen Moment verenge ich den Ring meiner Finger und spüre, wie die Verlängerung meines Willens nun, unzerstörbar und felsenfest, in meiner trockenen Faust verankert ist.

Er ist nur noch einige Meter von mir entfernt. Seine warmen, unsichtbaren Fußstapfen sind dazu geschaffen von mir ausgefüllt zu werden und in einem Paroxysmus immer schnellerer Schritte überwinde ich den hämisch klaffenden Abstand zwischen uns, beschreibe mit der funkelnden Spitze meines stählernen Zepters einen Kreis, dessen Lichtskulptur wohl noch Tage später sichtbar sein wird und lasse das gebogene, gespaltene, seltsam anmutige Ende mit unnötiger, aber umso befriedigenderer Kraft in seinen Hinterkopf eindringen. Wie jedes Mal zerreißt das Papier bereitwillig, erlaubt  dem Metall freudig durch sich und das nachlässig aufgeklebte Haar zu gleiten und ich habe beinahe mehr Mühe die Zentrifuge meines Armes zum Stillstand zu bringen, als es mich kostete die Bewegung einzuleiten.
Wie ein Bogen, dessen Sehne immer stärker gespannt wird, biegt er sich nach hinten durch und bleibt quälend lang in einer unmöglichen, die Schwerkraft herausfordernden Position stehen. Langsam, nacheinander, fallen aus dem schwarzen Riss inmitten der braunen Kunsthaare vier kleine Säckchen aus tiefrotem, seiden glänzendem Stoff, beschreiben im Fall eine Trajektorie, deren Abweichung von einer Geraden nur mein geübter Blick zu erkennen vermag und zerplatzen auf dem feuchten Asphalt, vor dessen Hintergrund das austretende, dunkelgraue Pulver sofort fast unsichtbar wird.

Als wäre nun ein empfindliches Gleichgewicht gestört, stürzt er plötzlich, tonnenschwer zu Boden und bleibt regungslos liegen, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, wie um einen unerwarteten, aber willkommenen Besucher zu umarmen, die Beine angewinkelt, mit Knien, die mahnend gen Himmel deuten.
Ich bücke mich über ihn und blicke aufmerksam und angeekelt in sein Gesicht, so wie man in den Spiegel blickt, wenn man das erste Mal das Monster darin entdeckt hat. Sein Antlitz ist zweigeteilt.
Die untere Hälfte beherrscht der Mund, röchelnd, feucht, bebend und verzerrt. Die obere ist statisch und zweidimensional, von den Papieraugen geprägt, gedankenlos aufgemalt, schwarz auf braun auf weiß. Mit einer Bewegung, die ich aus mir tretend von allen Seiten gleichzeitig betrachte, ramme ich mein Werkzeug in den Tintenklecks seiner Pupille. Ohne Widerstand, beiläufig, durchschlägt es die Papiermembran und trifft mit einer Wucht auf den Asphalt, die nicht von mir zu kommen scheint. Und dann höre ich ihn.

Den unbeschreiblichen, durchdringend, zertrümmernd schönen Flageolettton der Saite, die man das Universum nennt, deren eigentlicher Klang nicht wahrnehmbar ist, weil er alle Klänge, alle Bewegung und auch all die Stille ist. Und erfüllt von einer brodelnden Dankbarkeit, schreie ich, rufe ich, bis mein Papiertrommelfell reißt und jede Faser meines Körpers zu Schall wird, zu einer Schwingung, die andauern wird, solange die Ruhe des Weltalls existiert, von der sie sich abheben kann.

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Kommentare zu diesem Text

Jonathan-B (22)
(05.12.11)
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 Watsche meinte dazu am 05.12.11:
Vielen dank!
Genau das wollte ich erreichen und finde es sehr schön, dass es zumindest bei dir funktionierte.
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