Filibart und Brunhilde

Kurzgeschichte zum Thema Liebe und Freundschaft

von  Mondsichel

Kunigunde die Fee wohnte ganz oben im Dachgiebel des Günthersenschen Einfamilienhauses und ärgerte sich jedes Jahr zu Weihnachten darüber das ihr die schöne Zeit verdorben wurde. Doch in diesem Jahr sollte alles anders sein. Einen Zauberstabschwung später war der gesamte Weihnachtsbaumschmuck im Hause zum Leben erweckt worden. Es war nur eine Laune gewesen, doch es war eine mit ungeahnten Folgen.

Alle waren erleichtert und seufzten einhellig auf als das Licht im Hause Günthersen erlosch. Endlich war es Nacht. Endlich war es still. Das Seufzen war so inbrünstig, das alle Glöckchen zwischen den Zweigen bimmelten. Es war schrecklich gewesen, wie immer am ersten Weihnachtstag.
Wenn Filibart richtige Hände gehabt hätte, er hätte sich die Ohren zugehalten. Doch seine Arme waren nur aufgemalt. Auch seinen breiten Mund hatte er nie benutzen können um nach Ruhe zu schreien. Er war eine dicke Weihnachtsmannkugel, die prächtigste am ganzen Baum.
Natürlich hatte der Schmuck sich zusammengetan um endlich etwas für den Frieden an den heiligen Tagen zu tun, wo sie zwischen den Nadeln um die Wette funkelten. Aus Leibeskräften hatten sie versucht gegen die Lautstärke anzubrüllen. Doch wie sehr die Tanne auch von ihrem Getobe gewackelt hatte, sie konnten sie einfach nicht übertönen. Deprimierend. Wahrhaftig.

Die gesamte bucklige Verwandtschaft war zu den Günthersens gekommen. Wie immer wenn sie sich sahen, bekamen sich Vater Günthersen und sein Zwillingsbruder in die Haare. Und an allem war nur Nellchen schuld. Nellchen war die Tochter von Vater Günthersens Bruder. Und sie war Gothic aus Leidenschaft. Vater Günthersen störte das überhaupt nicht, aber sein Bruder konnte bis heute nicht verstehen warum aus seinem kleinen Zuckerschneckchen ein Gespenst geworden war. Und auch heute konnte er es sich einfach nicht verkneifen scharfe Spitzen in die Richtung seiner Tochter zu werfen.
„Na wer ist denn heute wieder gestorben? Fasching ist erst in zwei Monaten! Mein Gott, Du siehst aus als wärst Du unter die Nähmaschine gekommen mit dem ganzen Gebimmsel da im Gesicht. Hast Du beim kämmen Deiner Haare den Kopf wieder zu tief in den roten Farbeimer gesteckt?“ Das junge Mädchen verdrehte nur die Augen als der Streit zwischen den Brüdern losging. Am Ende konnte Opa Günthersen nur mit dem obligatorischen Faustschlag auf den Tisch für Ruhe sorgen.

Es ruckelte im Geäst und ein hohes Fiepen war zu vernehmen. Das musste dieses komische Ding sein das Nellchen mitgebracht hatte. Kritisch beäugte Filibart das schwarze Etwas, das dort nur wenige Zentimeter von ihm entfernt zwischen den Zweigen hing.
„Was war das?“, raunte der Engel von der Spitze herab.
„Ich glaube das war die Neue“, zwitscherte der Vogel von rechts.
„Woher willst Du wissen das es eine Sie ist?“, sagte die große Glocke blechern von unten.
„Der Vogel geht doch auf alles ab was nach Weibchen riecht“, sagt der Stern von links und kicherte.
„Das musst Du grade sagen, Du spitzer Kerl“, empörte sich eine rote Schleife direkt über ihm.
„Werd mal locker Süße“, sagte der Miniaturnussknacker hinter ihr.
„Ruhe jetzt!“, zischte das Lametta. „Wir hatten heute Streit genug!“
„Ja, genießen wir die Ruhe“, quietschte der Wichtel von hinten.
Nach einer kurzen Zeit, ruckelte es erneut zwischen den Ästen. Das Fiepen wurde lauter.
„Es ist eindeutig dieses schwarze Ding“, stellte Filibart fest.
„Ich habe Angst“, piepste ein kleines Glöckchen aus der Mitte und bimmelte.
„Shhh, ich bin ja da. Dir wird nichts passieren“, sagte der Lebkuchenmann.
„Ich guck mir das mal aus der Nähe an“, brummte Filibart und begann vorsichtig in die Höhe zu springen. Wie gut das unter ihm ein Ast war, an dem er sich abfedern konnte. Als er sich von seiner Aufhängung gelöst hatte, kugelte er den Ast herunter. Bevor er jedoch zu Boden fallen konnte, hielt das Lametta ihn mit aller Kraft fest.
„Sei vorsichtig!“, rief die Kugel die wie ein Schneeball aussah.
„Ich hab Dich, keine Angst.“ Das Lametta zitterte.
„Warte ich komme auch.“ Der Lebkuchenmann war mutig.
„Nein, bleib lieber oben.“ Doch es war zu spät.
Gerade als Filibart das gesagt hatte, begann der dunkle Schatten vor ihm an erneut zu fiepen. In einer Lautstärke die ihm fast das Gehör weggepustet hätte. Der Lebkuchenmann war gerade dabei sich von seinem Ast zu lösen und erschrak sich so sehr, dass er abrutschte. Man hörte nur noch einen Aufschrei, das Rauschen der Äste und einen unangenehmen Aufschlag der gerade so klang, als würde jemand von einem Plätzchen abbeißen.
„Lebkuchenmann!“, schrie das Glöckchen. Ein erschrockenes Raunen ging durch den gesamten Baum. Die Glocken bimmelten und einige der Figuren klimperten aneinander, so dass die gesamte Tanne zu schwingen begann. Das Lametta hatte ihn nicht halten können.
„Ist alles in Ordnung Lebkuchenmann?“ Filibart war besorgt. Doch statt einer Antwort hörte er nur ein seltsames mahlendes Geräusch und das Geschnüffel des Familienhundes Fido.
„Oh nein!“, jammerte die Zuckerstange die ganz unten hing.
„Was ist passiert?“, rief der Engel von der Spitze.
„Er hat ihn gefressen!“, quietschte ein kleines goldenes Geschenkpaket. Der gesamte Baum war vom Schrecken wie erstarrt.
„Wie furchtbar!“ Das Glöckchen weinte.
„Ruhe! Ihr macht ihn noch auf uns aufmerksam!“, rief Filibart. „Lametta, kannst Du die Zuckerstange hochziehen?“
„Ich versuche es!“, rauschte es im goldenen Geflecht. Fidos Geschnüffel wurde immer lauter. Die Zuckerstange wippte nervös an ihrem Ast.
„So helft mir doch!“ Sie weinte bitterlich, während das Geschniefe des kleinen Terrier immer näher kam. Das Lametta versuchte vergeblich die Zuckerstange nach oben zu ziehen. Es riss immer wieder durch. Sie war einfach zu schwer.
„Ich werde mich fallen lassen, dann wird er bestimmt verschwinden“, rief Filibart.
„Nein, das geht doch nicht! Du wirst zerbrechen! Ohne Dich wird der Baum nie mehr so schön sein!“, trötete die Trompete.
„Es ist schon in Ordnung Filibart! Irgendwann wäre eh meine Zeit gekommen“, sagte die Zuckerstange schniefend.
„Ich will so was nicht hören! Verstan...“ Ein lautes Fiepen unterbrach Filibart. Plötzlich glühten zwei Augen in dem Schatten vor ihm auf. Vor Schreck wäre er fast noch wirklich den Ast herunter gerollt. Dann flatterte der Schatten vor ihm auf und stürzte sich hinab.
„Wiiiiiii Wiiiiiii, verschwinde Du dummes Tier“, hörte man eine spitze Stimme schreien. Der Hund jaulte auf und rannte davon.

Einer der Wichtel hatte sich ebenfalls losgemacht und drehte mit seinen Chenilledrahtarmen an der einen Kerze im Baum, die locker war. Augenblicklich ging die Weihnachtsbaumbeleuchtung an. Und alle sahen wie eine kleine Fledermaus ihre Kreise um den Baum zog. Schließlich setzte sie direkt vor Filibart wieder zur Landung an. Sie war schwarz und aus Glas. Man hatte ihr rote Augen und ein paar Vampirzähnchen aufgemalt. Sie war anders. Eindeutig.
„Ich darf mich vorstellen. Mein Name ist Brunhilde.“ Ihre Stimme war die einer Diva. Hochtrabend und Naserümpfend. Aber irgendwie süß.
„Ähm, ja. Also ich bin Filibart und ... ja ... Willkommen in unserer Mitte.“
„Sowas, Filibart wird ja ganz rot“, sagte die Trommel. Ein allgemeines Kichern ging durch den Baum.
„Seid ihr wohl ruhig!“, schimpfte er. „Ja.“ Er räusperte sich.
„Du bist schuld das der Lebkuchenmann vom Baum gefallen ist“, sagte das Glöckchen und schniefte. Ein berechtigter Vorwurf!
„Der kleine Hund lief die ganze Zeit um den Baum herum. Ich habe versucht Euch zu warnen. Aber ihr habt mir ja nicht zugehört.“
„Also deswegen dieses Gepiepse!“, stellte der Engel fest.
„Tut mir leid, aber diese Sprache verstehen wir leider nicht“, sagte Filibart.
„Oh, das habe ich nicht gewusst.“ Brunhilde ließ ihre Flügel hängen. Doch dann hatte sie eine Idee. „Vielleicht muntert es Euch ja auf wenn ich ein Liedchen singe?“
„Du kannst singen? Wir wärs mit einem Duett?“, zwitscherte der Vogel.
„Oh Vogel, kannst Du nicht einmal Deine Klappe halten?“, sagte die Schleife entnervt.
„Da ist wohl jemand eifersüchtig“, bemerkte der Nussknacker.
„Sei nicht immer so bissig!“, zischte der Stern.
„Das liegt in meiner Natur“, antwortete er trocken.
Nun mussten alle lachen.

Als Brunhilde anfing zu singen, da war gebannte Stille im ganzen Hause. Mit Inbrunst sang sie die schönsten Operetten und Balladen. Selbst Kunigunde die Fee lächelte im Schlaf. Als wüsste sie das es ab dem nächsten Jahr bei Familie Günthersen keinen Streit mehr geben würde. Brunhilde würde dafür sorgen. Denn sie sprach nicht nur wie eine Diva, sie war auch eine. Eine die das Herz berührte und Frieden in die Herzen aller brachte, die von Traurigkeit, Schmerz und Wut erfüllt waren. Und all das war nur Nellchens Schuld...

(c)by Arcana Moon

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Kommentare zu diesem Text

SigrunAl-Badri (52)
(16.12.11)
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 Mondsichel meinte dazu am 18.12.11:
Liebe Sigrun ich danke Dir ganz herzlich das Du so mtgefiebert hast und freue mich das die kleine Geschichte Dir gefallen hat. Wenn Du magst kannst Du ja am heute abend gerne mithören, wenn ich die Geschichten live auf dem Stream vorlese :)

Ganz liebe Grüßle
Deine Arcy
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