Jolly Jumper

Kurzgeschichte zum Thema Helden

von  Judas

Ich raste durch den Flur, stürzte die Treppe hinab, die letzten fünf Stufen waren ein Sprung. Durch die Küche, einen Stuhl laut polternd zu Fall gebracht, riss die Hintertür auf, raus in die Nacht und mit einem Satz über das Geländer der Veranda. Beinahe hätte ich einen Schuh fallen lassen, doch es kümmerte mich nicht. Ich hob den freien Arm schützend vor’s Gesicht und stürzte durch die Buchsbaumhecke. Äste knackten und Blätter raschelten aufgebracht, ich zog mir mehrere, kleine Schnitte auf der Haut zu. Hinter der Hecke wagte ich es kurz inne zu halten. Das Blut rauschte durch meine Adern und ich atmete so hart in dieser nächtlichen Stille, dass ich fürchtete, jemand würde mich hören.
Nach den zweieinhalb Sekunden Verschnaufpause huschte ich, nun nicht mehr ganz so panisch, durch den Nachbarsgarten, sprang über dessen Zaun, riss einen Gartenzwerg mit und verpisste mich.

Etwa eine Stunde später schlug ich mich durch die eher schäbigen Gassen dieser Stadt. Die Hände hatte ich in den Hosentaschen vergraben, die Schuhe mittlerweile wieder an den Füßen und nicht mehr in der Hand haltend und ich hatte feststellen müssen, dass mir eine Socke fehlte.
Meine Hosentasche vibrierte. Ich zog die Hand und damit auch das Handy heraus, warf einen Blick auf das Display, lächelte kurz halbherzig nachdem ich die Kurznachricht gelesen hatte und bog zwei Straßen später in eine Seitengasse ein, wo die „Unbrauch Bar“ lag. Dass draußen neben vielen Motorrädern auch ein weißes Pferd stand verwirrte mich nur einen kurzen Moment.

Ich betrat die Bar und blickte mich um. Ganz in der Stimmung für saufen war ich eigentlich nicht, aber ich musste mit jemandem reden. Und wenn dieser jemand mich nebenbei zum saufen einlud... naja, wieso auch nicht.

Ich entdeckte ihn an einem kleinen Tisch mit nur zwei Stühlen, hinter den breiten Rücken bärtiger Harley Davidson Fahrer. Zielsicher steuerte ich zwischen den Altrockern hindurch und nahm am Tisch Platz.
„Ah sehr geil, du hast mir schon einen Tullamore bestellt.“, sagte ich anstelle von ’Hallo’. Er grinste. „Kenn’ doch deinen Geschmack. Hey wie kommt’s, dass du es so schnell hier her geschafft hast?“ - „Oh ich war... in der Nähe.“ Ein kritischer Blick traf mich. Ich trank meinen Tullamore in einem Zug, dann schaute ich mich kurz verstohlen um und beugte mich ein wenig nach vorne. Ein kritisches Stirnrunzeln traf mich.
„Hör ma, Terence...“, begann ich, biss mir auf die Unterlippe, suchte nach Worten, fand sie, ließ sie aber ungeschickt wieder fallen, hob sie wieder auf, pustete den Dreck runter und sortierte sie neu. Ich atmete tief ein und aus. Tat das noch mal. Dann sah ich ihm direkt in die Augen.

„Ich hatte Sex mit Supermans Frau.“

Terence riss die Augen auf, ihm klappte die Kinnlade runter. „Boah!“, war alles, was er sagte. Jetzt war es an ihm, seinen Whiskey in einem Zug zu leeren. Ich lehnte mich in meinen Stuhl zurück und nickte bedächtig. Dass sah ziemlich dämlich aus, weil ich dabei mein leeres Glas in der Hand hielt und so tat, als wäre noch was drin.
Langsam wandelte sich Terence Erstaunten in ein Grinsen. „Du verdammtes Schlitzohr.“, sagte er fröhlich und beugte sich über den Tisch, um mir in den Arm zu knuffen.
„Ja, ich verdammt totes Schlitzohr.“, grollte ich. „Du hast nicht zufällig ein bisschen Kryptonit irgendwo rumliegen oder kennst wen, der das irgendwo rumliegen hat...? Man, Terence, ich bin hart am Arsch. Der Kerl kam früher nach Hause, als wir gerade mitten drin war, wenn du verstehst was ich meine... Gott, ich hoffe, der hat mich nicht gesehen sondern nur gehört.“ Ich stellte das Glas ab und raufte mir die Haare. Mein Gegenüber grinste immer noch. „Ey selbst wenn, das war’s doch wert, oder? Außerdem glaube ich nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Superman ist fett und krank. Der passt doch nicht mal mehr in seinen Anzug, der Mann hat abgedankt. Ich meine warum sonst sollte seine Frau mit dir...?“ Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, der verhinderte, dass er seinen Satz beenden konnte. „Vielleicht weil ich unheimlich sexy bin?“, maulte ich, aber beendete mit einer herrischen Geste jegliche weiteren Diskussionen, die sich irgendwie um meine Potenz drehten.

„Naja aber er ist immer noch... Superman!“, sagte ich ein wenig verzweifelt. „Laserstrahlen aus’m Auge und so!“ Ich seufzte und rutschte etwas nach unten. Dann sah ich kurz zu Terence und bemerkte etwas hinter ihm. Die Tür ging auf und jemand Blaurotes stand plötzlich in der Bar. „Fuuuuuuck...!“, flüsterte ich, die Augen aufgerissen und rutschte noch etwas tiefer. Bald würde ich mit dem Kinn auf der Tischkanten landen. Terence sah mich verwirrt an, drehte sich um und entdeckte dann das Objekt meiner Panik.

Supermans Gesicht war mindestens so rot wie sein Cape. Kleine, fiese Schweinchenaugen suchten die Bar ab. Nach mir – nach wem sonst?! Seine Haare klebten verschwitzt und glänzend von zu viel Gel auf seiner Stirn. Er schob seine fette Wampe wie einen Keil durch die Motorradmännermassen, die sich aber nicht für ihn interessierten. So wenig wie er sich für sie interessierte – sein Blick suchte nur eine Person.
Mich.

„Ich bin sowas von tot!“, jammerte ich mit fiepsiger Stimme und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Terence behielt entspannt Ruhe und einen kurzen Moment hasste ich ihn dafür. Aber gut, was sollte er machen außer sich so hinsetzen, dass er mich verdeckte? „Ich muss hier raus!“, flüsterte ich. „Hinter der Bar ist die Küche, da ist auch ein Ausgang.“, sagte Terence. „Wie komm ich da hin?! Ohne dass der mich sieht! Kacke, ich bin sowas von tot...!“

Superman hatte zum Glück beschlossen, erst das andere Ende der Bar abzusuchen. Aber jetzt bewegte er sich so unaufhaltsam und ästhetisch wie ein Seeelefant an Land auf mich und Terence zu. Es war nur eine Frage von Augenblicken, bis er mich entdeckte. Wieviel Zeit blieb mir? Fünf Sekunden? Vielleicht zehn? Ich wollte einen brachialen Fluchtplan ersinnen, aber mein Gehirn schaltete auf den „Kaninchen-vor-der-Schlange“-Modus um: Ich saß also da wie gelähmt und starrte mit weit aufgerissenen Augen mein persönliches Kryptonit an.

Der Sex mit Supermans Frau war super gewesen, ich würd’s jedes Mal wieder tun, aber jetzt fragte ich mich, ob es das wirklich wert gewesen war. Ich würde geröstet werden, im schlimmsten Fall ließ er mich leben und als Krüppel zurück. Und just in dem Moment, wo ich über meinen schrecklichen, grausamen Tod, den ich sterben würde, nachdachte, da sah er mich.
Seine Augen starrten direkt in meine. Ich fühlte mich wie Mowgli und er war Kha, nur fetter und nicht annähernd so sympathisch. Aber er hatte mich mit seinem Blick festgesetzt und jetzt würde er mich mit einem Haps runterwürgen.

Danach geschah alles sehr schnell. Terence sprang auf, was vornehmlich daran lag, dass ich in einem Anfall haltloser Panik den Tisch umriss um Superman den Weg zu mir zu blockieren. Ich hörte ihn brüllen, es waren irgendwelche unschönen Beleidigungen. Sein ohnehin schon wutrotes Gesicht wurde noch dunkler. Dann kam auch schon der erste Stuhl in meine Richtung geflogen. Ich hechtete in Deckung – also... genau genommen warf ich mich schreiend auf den Boden und überlegte ernsthaft, einfach in Tränen auszubrechen - einen Wimpernschlag später kam ein bärtiger Altrocker in meine Richtung geflogen, der mit wild rudernden Armen versuchte zum Vogel zu mutieren. Superman warf mit allem nach mir, was er packen konnte.

Ich flüchtete nach hinten, aber dort war nur die Wand. Das war’s. Superman hatte eine Bierflasche zerbrochen und stand nun mit wutverzerrtem Gesicht und aufeinandergepressten Kiefern über mir. Seine Zähne knirschten hörbar. Er hob die improvisierte Waffe an und ich hob schützend die Arme vor’s Gesicht, als ich ein Keuchen hörte. Verwirrt darüber, dass mein Schädel noch nicht gespalten war, senkte ich die Arme langsam und schielte zitternd nach oben. Superman schnappte nach Luft. Seine freie Hand hatte sich auf seiner Brust verkrampft. Er taumelte. Und fiel einfach um.

Für einen Moment herrschte in der ganzen Bar unheimliche Stille. Terence schließlich war der erste, der sie brach. Er kniete sich neben Superman, fühlte seinen Puls und sah mich schulternzuckend an. Dann erhob er sich und wählte die Nummer des Notdienstes, erklärte ihm die Lage und sagte irgendwas von einem Herzinfarkt.

Betäubt kroch ich auf allen Vieren zu dem Fettsack und starrte ich in sein speckiges Gesicht.
„Ein Herzinfarkt?“, fragte ich.
„Ein Herzinfarkt.“, sagte Terence, nachdem er aufgelegt hatte. „Komm. Lass uns gehen.“, fügte er noch an und half mir auf die Beine.
Ich nahm eine Flasche Tullamore vom Thresen. Den Wirt störte es nicht.

Draußen in der kühlen Nachtluft begann ich langsam zu realisieren, was passiert war. Terence Hill setzte seinen Cowboy-Hut auf.
„Und? Was machst du jetzt mit dieser angefangenen Nacht?“, fragte er mich. „Ich weiß nicht.“, sagte ich müde und setzte die Flasche an, trank aber nicht. Nachdenklich blickte ich einige Sekunden an Terence vorbei, dann verzog sich mein Gesicht zu einem schmalen Lächeln. „Vielleicht schau ich bei Supermans Frau vorbei.“ Er lachte leise und schüttelte mit einem breiten Grinsen den Kopf.

Dann sattelte Terence sein weißes Pferd Jolly Jumper und ritt die einsame Straße hinab in die Nacht. Ich trank die Flasche Whiskey aus und sah ihm noch lange nach.

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Kommentare zu diesem Text


 RomanTikker (22.02.12)
Hehe :0) Abgefahren. Also, ich bin gestern auf Jameson umgestiegen. Immer auf Eis.

Feedback? Bitte: Cool. Daumen hoch für die Handlung! Die Dialoge wirken - so, wie ich sie lese - manchmal (aber nur manchmal) ein bisschen konstruiert ("Ah, sehr geil" ... "Hör ma" ... "Ey" ...) Vielleicht ist durch die "Jugendsprache" oder "Umgangssprache" nichts gewonnen. Aber das hängt auch sehr von der Vortragsweise ab, mag an mir liegen.
Der Text liest sich insgesamt spannend und flüssig und überrascht alle Nasen lang mit Unerwartetem. Es hat was von Alice im Wunderland und eben, ja, "Marvel". Ich mag diesen abgeklärten Erzählstil, der so klingt, als sei das aber alles eh klar und nichts Ungewöhnliches. Perfekt ist er nicht, an ein paar Stellen könnte man moch feilen, aber so what? Mit Freuden gelesen. Noch was?
Äh ...Kann grad nicht beurteilen, ob mein Kommentar qualifiziert ist. Ich wollte mehr schreiben als "gefällt mir" ... Oh man. Ich bin ein bisschen betrunken.
Jollyge Grüße! r

 Judas meinte dazu am 22.02.12:
Hallü Herr Tikker!
Danke für die ausführliche Kritik, das Lob und den Klick. Ich bin auch ein bisschen betrunken, das ist ok. Aber! Mein Freund! Superman ist von DC - Marvel ist Hulk, X-Men und Thor und so ;)
Ich hab grad jemanden den Text vorlesen lassen, da klang das konstruierte nicht mehr so konstruiert. Ansonsten kannst du mir gerne die Stellen, an denen man feilen kann, weiterhin aufzeigen und... Tipp-Fehler werden ausgemerzt (schreibt man das so?) :) Danke!

 RomanTikker antwortete darauf am 23.02.12:
Oh, ah, naja, OK. Trotzdem marvelesk, die ganze Geschichte. Jaa: Lies vor, ich sag stopp. Skoal: Boozeman Bibber
X°P

 Judas schrieb daraufhin am 24.02.12:
Ich habe gerade herausgefunden, dass Terence Hill in der Realverfilmung Lucky Luke gespielt hat. Das nenne ich mal witzigen Zufall!
Chino (32)
(20.04.12)
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 Judas äußerte darauf am 20.04.12:
Vielen vielen Dank!

 Untergänger (14.06.12)
an sich schöner Text.

nur eine kleine Stelle nervt mich ungemein:

"Dann erhob er sich und wählte die Nummer des Notdienstes, erklärte ihm die Lage und sagte irgendwas von einem Herzinfarkt. "

finde das klingt scheiße. Ich weiß auch nicht wieso. Aber dieses
"sagte irgendwas von einem Herzinfarkt". Ich glaube so würde der Protagonist das nicht schreiben.

ansonsten eine sehr tolle Idee.
Habe zufällig im Hintergrund 3 Doors Down laufen gehabt. Fällt mir jetzt gerade erst auf.

HöHö... die Realität hat einfach Humor.

mömmel,
Alfons

 Judas ergänzte dazu am 14.06.12:
Hmm jetzt wo du's sagst... eh schreibst... ich denk über 'ne bessere Formulierung nach :)
bluesman (37)
(04.07.12)
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 Judas meinte dazu am 04.07.12:
Bitte schön, gern geschehen!
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