Zweisam

Kurzgeschichte zum Thema Abgrund

von  mondenkind

Man hat es im Gespür, dass etwas nicht stimmt. Auch wenn man es nur einen winzigen Augenblick betrachtet hat. So erging es mir, als ich meine Wohnung betrat: Etwas hatte sich verändert. Eine Unruhe erfasste mich, doch so sehr ich mich auch umsah, ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Ich beschloss, es zu ignorieren, doch in jener Nacht schlief ich sehr schlecht.
Am folgenden Abend wiederholte sich dieses Gefühl, doch diesmal war es stärker. Fast war ich mir sicher, dass jemand in meiner Abwesenheit hier gewesen war. Als läge der Geruch von etwas Fremdem in der Luft. Ich witterte es, wie ein hungriger Hund. Spürte das Unsichtbare, das sich wie eine kalte Faust in meinen Nacken drückte. In wilder Entschlossenheit inspizierte ich sämtliche Räume, kroch auf den Knien jeden Millimeter ab und riss in atemloser Gewissheit, den Eindringling dahinter zu enttarnen, die Vorhänge mit festem Ruck aus den Schienen! Doch ergebnislos.
Das unruhige Gefühl folgte mir auch in den nächsten Tag hinein. Und in den folgenden Abend. Und in die nächste Woche. Es wimmelte unter meiner Haut wie eine Ameisenarmee, raubte mir Schlaf und jeden klaren Gedanken. Wie ein Tier kroch ich witternd und heischend durch die Räume.
Ich konnte die Ursache meines Verdachtes nicht ausmachen und doch war ich sicher, dass ich sie ständig um mich hatte. Plötzlich fand  ich Gegenstände an Orten, wo ich sie ursprünglich nicht zurückgelassen hatte.  Beim ersten Mal schob ich es noch auf meinen wirren Verstand, doch es passierte immer wieder.

Von den Geistern meines beginnenden Wahns gejagt, suchte ich meinen einzigen Freund auf, um ihn ins Vertrauen zu ziehen. Doch dieser schien meine Qual nicht zu bemerken. Er lehnte sich amüsiert in seinem Schalensessel zurück und grinste hämisch. Er verstand nicht! Und dabei war es mir doch solch ein wichtiges Anliegen!
Belustigt erklärte er mir, dass man Schatten auch formen könne, wenn man nur lange genug ins Dunkle starre. Sein Gesicht wurde zur Maske, während er redete. Irgendwann verschwanden die Konturen und einzig sein spöttischer Mund blieb klar und biss sich mir in die Augen, seine Worte fraßen sich in mein Gehör, zogen mir das Innerste, zogen mir den Boden weg, ich keuchte erstickt -
und zögerte kaum, als ich die Steinfigur neben mir ergriff und zuschlug.
Als er zusammensackte, stürzten meine Enttäuschung, meine Frustration und meine verzweifelte Angst mit ihm zu Boden. Doch nur er stand nicht mehr auf. Nie mehr.

Zurück zu Hause fühlte ich mich sofort wieder überwältigt von der Erahnung der unsichtbaren Präsenz. Ein herber Geruch lag in der Luft und die Stühle im Esszimmer schienen vertauscht. Nein, das war keine Einbildung! Wieder und wieder durchkroch ich sämtliche Räume. Suchend. Ahnend, dass es sich heute zeigen würde. - doch es blieb nur ein Gefühl. Und es begann unter meiner Haut zu brennen.
Abend für Abend. Woche  für Woche. Sekunde für Sekunde.
Nie hätte ich geglaubt, dass Panik auch eine Art Gewohnheit werden konnte.
Irgendwann kamen Polizisten und befragten mich zu meinem Freund, doch ich schien sie schnell zu langweilen und sie gingen genau in dem Moment, als ich mich entschlossen hatte, ihnen von meinen Dämonen zu erzählen.
Alleine und stumm ertrug ich es nun. Mehrmals täglich kontrollierte ich geflissentlich meine Zimmer.
Vielleicht hatten sie ja Recht, dachte ich manchmal, wenn ich nachts wach lag, vielleicht bin ich ja wirklich verrückt..
Dabei starrte ich in die Dunkelheit und formte einen Schatten, während meine Zimmertür leise knarrte...


Anmerkung von mondenkind:

retro

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Kommentare zu diesem Text


 Lluviagata (17.07.12)
Spannend und echt gruselig!
Erinnert mich ein wenig an E. A. Poes "Das Grab der Lygeia".

Klasse! ♥

 mondenkind meinte dazu am 19.07.12:
ui. danke! :)

 irakulani (17.07.12)
Klasse geschriebener und super-spannender Text ! Sehr gerne gelesen! Bitte mehr davon!

Herzlichst,
Ira

 mondenkind antwortete darauf am 19.07.12:
noch mehr? da muss ich mal tief in den dunklen ecken suchen gehen... ;)
danke dir!
magenta (65)
(17.07.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 mondenkind schrieb daraufhin am 19.07.12:
yay! vielen dank. :)
fragilfluegelig (49)
(18.07.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 mondenkind äußerte darauf am 19.07.12:
das freut mich. vielen dank dir!
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