J.

Text

von  MrDurden

„Warum redest du nicht mit mir?“

Würde ich jedes Mal einen Penny bekommen, wenn J. mir diese Frage stellt, wäre meine nächste Anschaffung ein 67er Shelby Cobra, Metallic Blau, Kilometerstand 50, vollgetankt und bereit, in Richtung sonstwo zu fahren. Sonstwohin, nur weg von hier. Warum ich dennoch hier bei J. bin? Habe ich vergessen. Vor langer Zeit vergessen. Vielleicht, weil ich mir den Bus in Richtung sonstwo nicht leisten kann und mir niemand einen Penny gibt für jedes Mal, wenn J. mich fragt, warum ich nicht mit ihr rede. Blick auf die Uhr. Ich könnte gehen. Worauf warte ich?

„Wie meinst du das? Wir unterhalten uns doch den ganzen Tag.“

„Ich hab das Gefühl, du sagst nie, was du wirklich denkst.“

Würde ich jedes Mal einen Penny bekommen, wenn ich J. nicht sage, was ich wirklich denke, wäre meine nächste Anschaffung ein Motorradführerschein, schwarze Harley Davidson, verchromter Lenker und Motorblock, vollgetankt und bereit, in Richtung sonstwo zu fahren. Sonstwohin, nur weg von hier. Blick auf die Uhr. Ich könnte gehen. Worauf warte ich?

„Warum reicht es dir nicht, dass ich einfach gerne bei dir bin?“

„Weil das einfach nicht genug ist.“

Würde ich jedes Mal einen Penny bekommen, wenn ich J. einfach nicht genug bin, wäre meine nächste Anschaffung ein Flugschein, himmelblaue Propellermaschine, Schwimmer für Wasserlandungen, vollgetankt und bereit, in Richtung sonstwo zu fliegen. Sonstwohin, nur weg von hier. Blick auf die Uhr. Ich könnte gehen.

„Ich kannte mal einen Kerl, der einen wirklich großen Freundeskreis hatte. Er war sehr beliebt und knüpfte auch ohne große Mühe schnell Kontakte. Ein ehrlicher Mann, der nur sprach, wenn er es für angemessen hielt. Nach außen hin schien er ein glücklicher Mensch zu sein, doch das war er nicht. Denn je mehr Menschen er kennenlernte, desto mehr verzweifelte er. All diese Menschen verlangten eine Sache von ihm, deren Konsequenz ihm vollkommen bewusst war. Sie alle forderten, er solle immer aussprechen, was ihn beschäftigte und was er gerade dachte. Weil dieser Kerl all die Menschen so gerne hatte, vergaß er seine Bedenken, und von diesem Tag an plapperte er jeden Gedanken aus, der ihm gerade einfiel. Willst du wissen, was mit diesem netten, ehrlichen Kerl passiert ist?“

Da J. noch immer nicht zu kapieren scheint, worauf ich hinaus will, nickt sie kurz und lässt mich fortfahren.

„Innerhalb weniger Wochen gingen all die Menschen auf Distanz, mit denen er sich angefreundet hatte. Der sonst so beliebte Mann, der niemals jemanden belogen hatte, war plötzlich einsam. Und das nur, weil er alles Nötige getan hatte, um gut genug für Menschen wie dich zu sein. Weißt du, was uns beide unterscheidet?“

J. schüttelt den Kopf und lässt mich abermals fortfahren.

„Dir ist nichts gut genug. Mir ist Nichts gut genug.“

Einen Augenblick lang ist es still. Blick auf die Uhr. Worauf warte ich?

„Ich denke, ich gehe jetzt.“

„Wohin willst du denn gehen?“

„Sonstwohin, nur weg von hier. Machs gut J..“

Kein Geld für den Bus. Kein Penny für jedes Mal, wenn ich J. oder irgendjemand anderem einfach nicht gut genug war. Warum ich dennoch bei ihnen sein wollte? Habe ich vergessen. Vor langer Zeit vergessen. Ich gehe zu Fuß in Richtung sonstwo und J. begegnet mir an jeder Straßenecke. Manchmal schlank, zierlich, mit blondem Haar und blasser Haut. Manchmal übergewichtig, kahlköpfig, mit Dreitagebart und buschigen Augenbrauen. Vielleicht sollte ich manchen Menschen einfach das geben, was sie verdienen. Vielleicht sollte ich ihnen immer sagen, was ich wirklich denke.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 linkeln (30.07.12)
der text faellt im letzten drittel etwas ab...er laesst dann wenig spielraum zum nachdenken...er ist dann nicht offen

 MrDurden meinte dazu am 30.07.12:
Man darf den Leuten nicht immer dichte Gedankenirrgarten bauen. Irgendwann haben sie die Schnauze voll von all den Klugscheißereien Das hier ist einfach eine Momentaufnahme über einen Menschen, den ich wirklich kannte und der so unerträglich gewöhnlich war, dass ich ihn an jeder Straßenecke treffe. Ich denke nicht, dass der Text an irgendeiner Stelle fällt. Er zeigt einfach die Realität. Meine Realität. Danke dir fürs Kommentieren!

 linkeln antwortete darauf am 30.07.12:
...ist es wichtig das du ihn "wirklich kanntest" ?

 MrDurden schrieb daraufhin am 30.07.12:
Wichtig ist relativ, was ist schon wichtig? Ist es wichtig, Texte zu schreiben und sie auf KV der Öffentlichkeit zu präsentieren? Für mich schon. Für mich ist es wichtig, dass ich sie wirklich gekannt habe, weil ich diesen Text sonst nicht hätte schreiben können. Im Grunde ist mein ganzes Leben auf diesen Text hinausgelaufen, also ist jedes noch so unwichtige Detail wichtig für die paar Zeilen hier. Um deine Frage zu beantworten: Ja, es ist wichtig.
starfish (51)
(30.07.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 MrDurden äußerte darauf am 30.07.12:
Dann freut mich deine Wertung umso mehr Ja, da hast du wohl recht.
fragilfluegelig (49)
(30.07.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 MrDurden ergänzte dazu am 30.07.12:
Ich stimme dir in jedem Punkt zu und bedanke mich für deinen lieben Kommentar. Hab mich sehr gefreut Lächle ebenso. David

 Melodia (31.07.12)
guter text! und guter automobilgeschmack^^

lg

 MrDurden meinte dazu am 31.07.12:
Danke dir Jetzt nur noch ein Händchen für Frauen und alles passt.
Scrag (24)
(01.08.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 MrDurden meinte dazu am 01.08.12:
Freut mich, wenn ich begeistern konnte! Danke auch für deine Empfehlungen! Grüße, David.

 engelsgleich (01.08.12)
Toll geschrieben. Wahre Worte.
Liebe Grüße

 MrDurden meinte dazu am 01.08.12:
Danke dir für Kommentar und Empfehlung! Grüße, David.

 Unbegabt (02.09.12)
„Dir ist nichts gut genug. Mir ist Nichts gut genug.“

ich liebe es, wirklich!

 MrDurden meinte dazu am 02.09.12:
Eine bessere Kritik kann man kaum bekommen Danke dir und noch einen schönen Abend! David

 SunnySchwanbeck meinte dazu am 20.09.12:
schließe mich da einfach mal, meiner besseren hälfte an. bravo!
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram