Auch junge Götter werden alt

Text zum Thema Allzu Menschliches

von  max.sternbauer

Der kettenrauchende Zivi saß in der Küche und tat was er des öfteren tat, er trank Kaffee. Schwarz und schlierenartig sah er aus, wie Öl. Das Zeug kochte schon einige Stunden in der Kanne. Die Aromen hatten sich in einen beißenden Geruch verwandelt. Wortlos hob und senkte sich sein Arm.  Der Hals schluckte das bittere Zeug.
Kurze Beschreibung des Typen: lang und dürr war er. Seine Haut war bleich, wie bei einer Wasserleiche. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, wie bei einem Raubtier, das lauert. Die Chefin der Station kam herein und warf der Dunstglocke, in der der kettenrauchende Zivi auf einmal saß, einen abwertende Blick zu.
„Du bringst dich um“, sagte sie. Ihre Stimme klang dumpf hinter der Glaswand, die die Teeküche spaltete. Während sie ihren Thunfischsalat auspackte, murmelte sie für die Welt: „So jung und schon so klar, woran du mal sterben wirst.“ Aus dem Regal holte sie Essig. „Komm mal zu mir, dann zeige ich dir Bilder, was mit deiner Lunge passiert.“ Der kettenrauchende Zivi kommentierte das Gesagte nicht, sondern hob nur seine Tasse. Für sie verwandelte sich die Kaffeemaschine in ein blutendes Stück Fleisch, das jemand vergessen hatte weg zu räumen. Sie hob die Kanne hoch, roch daran und schüttelte sich. „Du säufst das doch nicht, oder?“ Der kettenrauchende Zivi kommentierte das in dem er seine Tasse anhob. „Also ich trinke nur Kräutertee.“, sagte die Chefin als sie Küche verließ.

Die letzte Minute seiner Pause war vorbei, er stand vor dem Lift. Als sich die Metallkabine öffnete, starrten seine Augen einen keuchenden Berg Muskeln an, der Klimmzüge machte.
Sein Arbeitskollege hieß Wayne oder Jack. Er merkte sich das nie. Ja eigentlich  hieß er Janosch, nur war ihm das nicht männlich genug. Er hob sich noch zweimal der Decke entgegen hoch, dann sprang er runter und grunzte: „Ja, das ist ein Monument“. Er säuselte andächtig als er seine Arme anstarrte. Doch dann hob er seine Hand und bat um Ruhe. Weihevoll drehte er sich um seine eigene Achse und deutete mit seinen  Daumen dahinter. „Das ist ein Monument“. Da spannte er seine Arschmuskeln an. Der kettenrauchende Zivi starrte auf das zuckende Etwas und nickte. Als hätte Wayne es gesehen, drehte er sich wieder um und grinste triumphierend.
Kurze Beschreibung von dem da: Männliches Exemplar der Gattung Homo Sapiens. Ausgeprägter Muskelbau vor allem am Oberkörper. Die Kopfbehaarung durch chemische Einwirkung gebleicht und dann blond gefärbt. Durch starke direkte Bestrahlung wurde die Haut gebräunt, zur Folge erhöhtes Hautkrebsrisiko.
Jack betrat wie ein Mammut die Demenzstation. Im Fahrwasser der kettenrauchende Zivi. „Heute ist mein Tag!“, brüllte Jack und wanderte die Tische entlang, an denen alte Menschen saßen und in Zeitschriften blätterten oder andere Dinge taten. Er ging zu niemandem und fragte den- oder diejenige, ob er oder sie etwas brauchte. Er wirkte wie ein Straßenschläger, der sein Revier abging.
Der kettenrauchende Zivi nahm sich einige gelbe und grüne Notizzettel von einem Bord. Das waren Anweisungen  der Stationsschwester, was heute zu erledigen war. Kisten mit Desinfektionsmittel nach oben tragen. Auf Herren Dubrovic aufpassen. Dement und gehörlos, wobei er immer noch durch die Gänge rasen konnte. Der kettenrauchende Zivi sortierte die kleinen Nachrichten nach ihrer Dringlichkeit. Da bekam er einen sanften Stoß einer Hüfte an die seine. „Ich stell es mir vor, wie scharf die alten Mumien mal waren, weißt du eh, vor der letzten Eiszeit und so. Die Frau Grabner (sie hieß anders) hat Titten so groß wie Basketbälle. Und ich kriege immer noch ein Rohr, wenn ich mir vorstelle, was diese über den Boden schleifenden  Ballone mal für Brüste waren.“
Wayne machte mit seinen Händen einen Trichter und rollte seine Augen als würde er in Ohnmacht fallen. Ein schlurfendes Geräusch hallte durch einen dunklen Flur zu ihnen herüber. Jack sprang dem kettenrauchenden  Zivi zur Seite. Die Stationsschwester kam auf sie zu. „Da sind ja meine beiden Helden.“  Doch ihre beiden Augen bohrten sich wie Speere in ein Klemmbrett. „Habt ihr alles verstanden, was ich euch aufgeschrieben habe?“ Der kettenrauchende Zivi hob und senkte sein Kinn und seine Chefin tat es ihm gleich. Obwohl sie ihn keine Sekunden angesehen hatte. Wayne stand mit einer Miene wie ein Denkmal daneben. Er nahm seinem Kollegen die Zettel aus den Fingern und betrachtete sie mit dem intensivsten Blick, den er auf Lager hatte. Was genau das sagen sollte, war wohl egal. Als sie ging, räusperte er sich. „Mann, das ist eine untervögelte Fotze. Die hat sicher dreißig Tage im Monat ihre Periode.“, diagnostiziere er mit Kennermiene.

Der kettenrauchende Zivi belud einen Servierwagen mit den braunen Paketen und sah Jack nicht dabei zu, wie er mit seinem braunen Bauchnabel spielte. Beim Militär durfte er mit seinen kaputten Knien nur in der Küche Dienst tun. „Aber ich habe so eine soziale Ader, deswegen habe ich mich für den Zivildienst entschieden.“
Eigentlich sollte der kettenrauchende Zivi Herren Horvath in das Schwimmbad bringen. Aber Frau Zapatero glaubte, wie jeden Tag, dass ihre Handtasche gestohlen worden war. Der Modus Operandi in diesem Falle war es, das Zimmer zu durchsuchen und die Tasche zu finden. Wobei es Frau Zapatero bald gelingen sollte, ihre Kunst zu perfektionieren, nämlich die immer neuen Verstecke für ihre Tasche auf 9 Quadratmetern zu finden. Als der kettenrauchende Zivi zum Lift zurück gekehrt war, fand er einen verwirrten Herren Horvath, der aber mal einen klaren Tag hatte. „Dein Kollege war auf einmal weg.“, sagte er. In einem benachbarten Stock kam ihnen Jack entgegen. „Ja, Herr Horvath, sind wir mal kurz ausgerissen, hä?“ Herr Horvath schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen. „Du hast ihn im Lift vergessen!“, antwortete der kettenrauchende Zivi ruhig und übergab den mit der Gehhilfe in einer humpelnden Art tanzenden Menschen Waynes in Obhut.

Der kettenrauchende Zivi ging noch zu dem Zigarettenautomaten. Daneben zählte er Geld ab. Unten war eine Bäckerei, wo manche Bewohner, die dazu noch in der Lage waren, vorbei schauen konnten.
Sie schob ihre Gehhilfe nach oben. Immer nur ein kleines Stück. Ihre Schritte waren so abgehackt,  als steckten  ihre Beine in Fußeisen. Sie fixierte ihre Gehilfe und drehte sich leicht zitternd nach hinten um. Jack stand am Ende der Straße und ratschte noch  mit einem Freund. Ihr Manöver wiederholte sie nochmals. Wayne fuchtelte mit einer Hand. „Gehen Sie schon mal ein paar Schritte vor, ich beeile mich.“ Der kettenrauchende Zivi kannte die Frau. Sie war noch sehr fit. Für einen Augenblick sah sie die leicht aufsteigende Straße hoch. Dabei befühlte sie ihren Hals und konnte wieder das Metall der Medaille spüren, die ihr bei einem Leichtathletikwettbewerb einmal überreicht worden war.  Sie seufzte.
Mit einem Scheppern fielen die Zigaretten in das Fach. Der kettenrauchende Zivi ging.

In einem dunklen Zimmer löffelte der kettenrauchende Zivi Pudding.
In einem dunklen Zimmer lag ein Mann und träumte. Sein Kopf war nicht riesig, aber sein Körper war ein Meister der Illusion, in dem er einfach viel zu klein und zerbrechlich wirkte. Er träumte von Frauen und dass er mit ihnen schlief. In Autos, teuren Hotels, auf Stränden und Schiffen. Jack hielt seinen Bauch umschlungen und klappte seinen Kiefer zu einem stummen Lachen heraus. Beide hörte sie Dinge, die der Mann noch nie jemanden erzählt hatte. Die Erinnerungen gehörten nur ihm. Der kettenrauchende Zivi hörte nicht zu, das machte er wirklich und kratzte den letzten Rest von der Puddingschicht heraus. Neben ihm ging Wayne einer ab. „Bitte, steig  nicht ein!“, hauchte der alte Mann. Jack konnte das Lachen gerade nochmal so zwischen seinen Zähnen halten. „Fahr nicht weg, ich weiß  nicht was ohne dich geschehen soll!“ Draußen sprang Wayne herum, lachte und brüllte. „Hat der viele Weiber geknallt.“ Im Sprung prallte er gegen eine unsichtbare Mauer. Er rutschte wie ein Tropfen zu Boden und ging nachdenklich weiter. „Da wird man richtig neidisch.“
Der kettenrauchende Zivi schaute auf seine Uhr und warf den Becher weg.

Fern von allen Pflichten saßen die beiden auf Matratzen und rauchten Joints. „Wenn bei mir mal der Kalk rieselt, sitze ich am Meer mit einer Gewichtsbank und trinke jeden Tag  frischen Orangensaft und esse grünen Salat. So wie du dich ernährst, wirst du nicht alt werden.“ Der kettenrauchende Zivi hob die Schultern und lehnte sich gegen die Wand. Jack drehte einen neuen Jolly. Seine Gedanke waren aber bei dem Haus am Meer. „Kochen kann ich. Meine Frau wird sich fernhalten  von der Küche. Wir zwei und das Meer. Ja, das ist es. Wie ich sterben werde, weiß ich auch schon. Willst du es wissen? Ich werde aufs Meer hinaus schwimmen. Ganz weit. Bis ich nicht mehr kann.
Dann versinke ich.“

Der Tag an dem Jack/Wayne nicht auf der Station erschien, war ein Mittwoch. Kein Urlaub, kein Feiertag weit und breit. Der kettenrauchende Zivi  fragte bei der Stadionschwester nach. Ja, er habe abgestempelt, also war er hier. Der kettenrauchende Zivi durchsuchte das ganze Pflegeheim. In einem Flur kam ihm eine Prozession entgegen. Es gab keine Kerzen, keinen Chor und keine weinnden Verwandten. Alte Menschen trugen jemanden zwischen sich. Es war Janosch. Sein Kopf  war eine blutende Quelle. Die Prozession hatte ihn auf den Boden vor einer Treppe gefunden. Gestürzt war er. Im Krankenhaus sagten die Ärzte, dass er eine Schlaganfall erlitten hatte. In einem Nasenloch fanden sie die Reste von Speed. Starkes Zeug.

Eine Frau mit drei Stricknadeln in den Haaren weinte am Kopfende eines Bettes.  Eine Schwester kam mit einer Waschschüssel herein. Die Frau richtete ihre aufgeschwemmten Augen der Schwester hin. „Kümmert man sich gut um ihn, wenn ich nicht da  bin.“ Die Schwester legte die Waschutensilien beiseite. Ihr Lächeln war warm.
Beide sahen Janosch an. Der starrte an die Decke. Der kettenrauchende Zivi kam herein. Er fragte die Frau, wie es ihr ging, besorgte ihr etwas aus der Kantine, holte ihr neue Taschentücher. Dann, als die Besuchsstunde vorbei war, sah er nochmal zu Janosch hin. Er sah, wie die Schwester mit dem Schwamm zwischen seine Beine fuhr. Janosch lächelte und wirkte tief zufrieden.


Anmerkung von max.sternbauer:

Der Kettenrauchende Zivi und die alten Menschen machten im Pflegeheim genau dasselbe wie jeden Tag....

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Kommentare zu diesem Text

Vokalanästhesie (44)
(10.08.12)
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Vokalanästhesie (44) meinte dazu am 10.08.12:
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