Die Worte sterben in Nichtigkeit.

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Anifarap

Der minzgrüne Himmel legte sich über die Dächer und die Wipfel der Bäume, spiegelte sich in den Scheiben, auf den Teichen, glitzerte in den Augen der Spaziergänger, die den leichten Hügel erklommen auf dem sie stand und auf die Dunkelheit wartete. Den Wind, der ungebeten kühl durch die Straßen floss und dicke Wolken vom Horizont her mit sich zerrte, erreichte mit einem Fingertippen ihre Stirn, doch berührte sie nicht.
Ihr Blick schien in der Ferne zu liegen. Gefangen von einem Bild, vielleicht, oder einer Erinnerung.
Die grünen Hügel ringsumher waren übersäht mit Blumen. Das silberne Läuten von Glocken schlich in ihr Gehör, als ihr Blick auf dem westlichen Horizont ruhte. Dort erwachte er und nahm die riesige Silhouette eines Baumes wahr. Ein scharfer Atemzug entsprang ihr und sie blinzelte einige Male. Ihr Gesicht war blass und ihr Haar hing wie ein Schleier über den Schultern. Verwirrt blickte sie sich um und entdeckte schnell, dass sie allein war.
Wieder blieb ihr Blick an dem Baum hängen, am Westhorizont, wo die Sonne hin entschwand. Zu seinen Wurzeln entsprang ein scheinbar goldenes Licht und zog sich zu einem Bächlein in die umgebenden Hügeltäler hinab. Ein Gedanke huschte plötzlich vorbei und ein Schritt folgte, sie folgte der Sonne zum Baum hinab. Völlig fixiert auf diesen Schatten, rempelte sie jemanden an.


Die Hände in den Hosentaschen, den Kopf in den Nacken gelegt und mit leicht geöffnetem Mund hing er zwischen den Welten.
Die ausgeweiteten Pupillen auf die Schafherde gerichtet, die von einem unsichtbaren Schäfer über den weit entfernten Himmel getrieben wird, sich mit seiner verworrenen Menge an unklaren Gedankenfetzen alleine während, schwebte er fast über den Boden.
Verzückt von der Zügellosigkeit, mit der sich das Chaos in einem Kopf wie ein reißender Strom seinen Weg bahnte, nahm er seine Umgebung auf die einen watteartigen Punkt in der Ferne reduziert wahr. Fasziniert von der Unlösbarkeit der Fragmente und den scheinbar fehlenden Zusammenhängen starrte er gen Himmel. Als ihn eine, sogleich weit entfernt, als auch unmittelbar nahe Berührung streifte, zerplatzte seine ausschweifende Gedankenwelt wie ein Ballon und innerhalb von unermesslich kurzer Zeit, fiel alles, was sich wie eine Blase um ihn ausgebreitet hatte in einem kleinen Punkt zusammen. Holz knallte auf Holz, Metall kratzte an Metall und die Kiste in seinem Kopf war wieder verschlossen, als sei sie nie geöffnet und nie zum öffnen bestimmt gewesen. Der Abstand zwischen Fußsohlen und Boden wird geringer und wieder gewinnt der Stand an Festigkeit. Mit endloser Langsamkeit, als würde Zeit keine Rolle spielen, gerade so, als währe sie nicht existent, fuhr Bewegung durch seinen Körper. Erst durch den Kopf, dann, einen Schauer hinterlassend den Rücken hinab in die Füße. Mit der Geschwindigkeit eines in Zeitlupe wachsenden Grashalmes drehte er sich herum und wandte seine Augen, mit dem verklärten Blick und dem wabernden Schatten anderer Dimensionsebenen auf die Nadel, die seine Geistesabwesenheit auf dem Gewissen hatte.


Das Rempeln an sich spürte sie nicht. Es war eher eine kleine Öffnung. Die Tür war aufgesprungen. Irgendeine Tür in der Dunkelheit. Sie spürte etwas anders, vielleicht nur ein Partikel, der sie hinter der Stirn an stupste. Innehaltend blieb sie auf dem Weg stehen, wandte den Kopf vom Horizont ab und blickte nach dem was sich hinter dem Türspalt verbarg. Sie blinzelte, ihr Haar lag schwer im Nacken, doch sie begann das Gewicht zu spüren. Die Schwerkraft wieder zu fühlen. Sie lehnte sich an die halb geöffnete Tür und blickt hinaus in die Welt. Ihre Augen fingen den Ursprung des Partikels ein. Sie waren klar, wie die felsigen Küsten Schottlands und erfassten ihn mit einem Erstaunten Ausdruck. Der Kies unter ihren Füßen knirschte leise, als sie ihr Gewicht verlagerte, und ihm ins Gesicht blickte.
Das Licht aus der Tür ergriff sie, hob sie empor, sog sie in den Raum, ließ die Öffnung verschwinden. Ihre Nasenflügel blähten sich leicht, der Atem floh warm über ihre Lippen. Kein Gedanke durchbrach die Geschwindigkeit des Lichtes, sie nahm mit einem Schlage alles wahr, was sie umgab, sie spürte die Erde unter sich und die Wurzeln darin, die Energie sogen aus dem schwarzen Gold der Natur. Ein Schauer ran ihr den Nacken hinab. Das Rotieren der Erde zog sich durch ihr Bewusstsein, das Rauschen der Meere, ihr Gewicht, das Wogen. Unendlich viele Lebens funken verteilt auf der Weltkugel. Als ihre Augen seine trafen.

Als hätte sich ein nur langsam lichtender Schleier über seine Wahrnehmung gelegt, begann er nach und nach, Schicht für Schicht, von einem dumpfen dröhnen  in den Ohren und dem verhallenden Schrei eines über ihnen schwebenden Vogels begleitet, baute sich ein Bild vor seinem geistigen und vor seinem biologischen Auge auf. Wie ein rückwärts laufender Film, einer auf den Boden fallenden und zerberstenden Skulptur aus buntem Glas, setzte es sich zusammen. Stück für Stück. Scherbe für Scherbe. Ein Teil passte ans andere und so fügte es sich zu einem ganzen. Während seine Augen in der endlosen tiefe der Geisterwelt an einer Endlosschleife zerbrechender und sich wieder zusammensetzender Glasskulpturen fest hing, wurden seine Augen in der vier Dimensionalen Welt, die seinem ich einen Körper und eine oberflächliche Umgebung gab, von einer bislang unbekannten Energie in Beschlag genommen. Ein tief sitzendes, allgegenwärtiges Kribbeln. Gnadenlos brennende Kälte. Feurig beißende Hitze. Für den Bruchteil einer Millisekunde vereinte sich alles zu dem Ansatz eines Gefühls und zuckt wie ein unverhoffter Blitz quer durch seinen Körper, Verstand und Geist. Bis in die hintersten, tiefsten Fasern seiner selbst drang es und ward ebenso so rasch vergangen, wie es aufgetaucht war. Einbildung? Realität? Wenn ja, warum? Wie konnte etwas aus dieser Welt an der Oberfläche seines Kokons kratzen? Ihn gar durchbrechen? Eine schiere Unmöglichkeit, die allen Naturgesetzen trotzte, dennoch war es geschehen. Oder nicht? Der Kokon war unversehrt, doch das Echo des Sturms hallte schwach nach. Während die Skulptur erneut zerbarst und sich in einem Strudel aus Licht wieder zu einem lückenlosen ganzen fügte, huschte der Schatten eines Blinzelns über seine Lieder und entgegen jeglicher Form der Normalität, begann sich der sanfte Anflug eines Lächelns an seinen Mundwinkeln zu manifestieren, während ein weiterer Schrei des großen Vogels scheinbar ungehört über die Hügel hinweg glitt. 

Das Rauschen der Luft, das durch das Durchschneiden der Luft mit seinen Schwingen verursacht wurde, erfüllte den Vogelleib mit tiefer Freude, die sich auch in ihrem Inneren manifestierte. Sie blickte noch immer in seine Augen, bemerkte die leichte Änderung seiner Mimik, jede Wimper, jeden Schatten, eingebrannt in einen zeitlosen Moment. Ein seichter Klang löst sich in ihrem Innern. Ein Gefühl des Taumels, des Schwindels schraubt sich hinauf in ihr Bewusstsein, das sie endlich einholt.
Ein Befehl. Sie schließt langsam die Lider, nur um sich nicht völlig im Strom zu verlieren. Die Grenzen schaffen den Raum, ihr Bewusstsein fängt sie ein, doch stellt fest, dass es auf verlorenen Posten kämpft , gibt das Steuerrad auf. Die Lider öffnen sich wieder. Ein Duft gesellt sich zu dem Bild. Sie spürt seinen Atem unter ihrem halb geöffneten Lid. Fühlt, wie sein Blut pulsiert. Eine ungeahnte Tiefe. All dieses fühlt sich verblüffend vertraut an. Ihr Mund gewährt sich ein Räuspern, dann ein stilles Lächeln. Ein Blick schneidet ihre nackte Seele auf. Legt alles frei. Sie gewährt es. Quecksilber rinnt ihr übers Haar. Die Sonne winkt ein letztes Mal vom Rande und über ihnen beginnen die Sterne zu blinzeln. Wie ein weißer Schatten aus den windenden Pappeln vom Hügel hinter ihr, scheint er zu sein. Bringt ihr Sein zum Vibrieren. Wie eine Saite. Mit einem Mal formt sich die Frage, lautlos- Wie tief geht ein Mensch?

Die Schäfchen. Sich zur Ruhe begebend geben sie ihn frei. Den Blick auf eine bläuliche Scheibe, die sich vollkommen geräuschlos durch das Schwarz des Himmels schiebt. Sacht’ und unaufdringlich zieht sie einen matten Schein hinter sich her. Obwohl von unaufdringlicher, zurückhaltender Natur, geben die funkelnden Sterne ihr den Vortritt und machen sie zum Mittelpunkt des Himmels. Ganz ohne Glanz, ohne Licht, ohne unnötige Auffälligkeit ist sie für die Dauer eines endlos währenden Moments zum Zentrum der Ewigkeit geworden. Still. Allein. Bläulich schimmernd. Über allem stehend, als würde sie über den Schlaf der Welt wachen. Über den Schlaf der Welt und über verloren geglaubte Seelen. Seelen denen ein alleiniger Platz im Raum der Welt verwehrt geblieben und die nie zu einer Begegnung miteinander bestimmt gewesen.
Mit Verwunderung registriert er das Lächeln. Stumm und doch voller Kraft. Auf seiner Flucht vor ihm und auf seiner Flucht vor sich selbst, sieht er sich mit noch verwunderungswürdigerem konfrontiert. Der Seltsamkeit seines höchst eigenen Lächelns. Wie kam ’s? Was hatte das schon für einen Stellenwert? Keinen. Und so verschwinden die Fragen in der tiefe der Bedeutungslosigkeit. Je mehr er es zu akzeptieren beginnt, je tiefer die Fragen versinken, desto kleiner wird die innere Unruhe. Während sein Herz zu schlagen beginnt, läuft ein Zittern durch seinen irdischen Körper und lässt ihn für einen kurzen Moment erschauern. Seinen Blick an den ihren gefesselt steht er da. Er steht da und in ihm stemmt sich alles mit ganzer Stärke gegen die Unfähigkeit sich zu rühren. Vollkommen unvorbereitet war etwas aufgetaucht. Etwas von der Mächtigkeit eben jener Vorkommnisse die immer nur dann aufzutauchen im Stande sind, wenn man absolut nicht damit rechnet. Etwas, ungewohntes, verstörendes und doch voll und ganz vereinnahmendes. Etwas, dass gleichzeitig ein tiefes Feuer entfachen und einen eisigen Überzug aus Reif erzeugen vermochte. Die Skulptur aus Glas gleitet in den See des Vergessens. Etwas anderes hat seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Etwas in weiter ferne und doch im selben Augenblick so nahes. Während er sich an ihr Lächeln gewöhnt und sein eigenes langsam an Kraft gewinnt, beginnt sich etwas in seinem Innern zu entknoten, zu entspannen. Vergangenheit, Zukunft, der Schwall an Gedanken, alles tritt weit in den Hintergrund, um Platz für die Komplexität des jetzt zu machen. Sein tiefer werdender Atem, Ausdruck sich ausbreitender, wohliger Ruhe. Sein gefesselter Blick, auf eine andere Ebene entschwunden, an eine goldene Korona aus Energie gekettet. Eine Energie so unbändig, dass sie jede kleinste Ecke, jeden noch so versteckten Winkel seines Ichs überschwemmt, erhellt und Dunkelheit, Zweifel und nagende Schatten der Vergangenheit fort spült. Sein Verstand ist längst entrückt. Für die Winzigkeit eines Atemzugs vermeint er silberne Flügel in der Dunkelheit zu erkennen, doch einen flackernden Hauch, einen Wimpern schlag später ist es vorbei. Kein goldenes Licht, kein silberner Glanz. Keine bunte Skulptur aus Glas und auch keine Schäfchen mehr. Er ist vollkommen allein. Allein mit ihr. Allein mit dem wabernden Strudel aus warmer Energie, der sich immer schneller und schneller tief in ihm zu drehen beginnt. Allein mit ihr, die sie seinen Blick noch immer gefangen hält, als sei es das normalste der Welt. Beschützt von der Scheibe zwischen den Sternen, die sie in ihren bläulichen Schimmer hüllt und die Umgebung geisterhafte Schatten werfen lässt.

Eine Welle umspült den Keim des Gedankens, zerspühlt ihn in winzig kleine Teile, löst ihn auf. Der Punkt ist beinahe erreicht, diese Grenze, von der man ahnt, dass ihr Durchbrechen, der Geist nicht ertragen kann, weil das Begreifen der Welt viel zu großartig ist, viel zu mächtig.
Ein leises Klirren zerschneidet die Stille. Ihre Hand hat losgelassen, der Dolch schimmert matt im hellen Kies. Mit einem Ruck löst sie ihren Blick von seinem und die Zeit setzt langsam wieder ein. Ihr Herz beginnt zu rennen, mit einem Male sind die Bruchteile wieder da, aber sie sehen anderes aus, wirken fadenscheinig, wie ein lang zurückliegendes andere Leben. Ein Windstoß berührt ihn und sie. Doch anstatt den Dolch aufzuheben, anstatt sich abzuwenden und weiter zu gehen, anstatt der plötzlich wieder aufgetauchten Unruhe Folge zu leisten, hebt sie ihren Blick ihm entgegen. Wieder wird sie ruhig, wieder zerfällt die Zeit und ihr Lächeln wird breiter, ein leichtes ungläubiges Schütteln des Kopfes, Reste der Fassungslosigkeit, die schon auf dem Weg des Rückzuges sind. Einem plötzlichen Impuls folgend, tut sie einen Schritt auf ihn zu. Langsam, zögernd hebt sie den Arm, den leichte Vibrationen zum Zittern bringen. Streckt die Finger aus, spürt wie aus ihnen die Energie fließt, unsichtbar und doch vorhanden. Hin- und her gerissen zwischen Anziehung und Grenzwahrung, stockt ihre Bewegung, die Fingerspitzen hängen in der Luft einige Millimeter vor seinem Arm. Sie fühlt seine Wärme. Eine, in der sie sich gern aufgelöst hätte. Sie würde ihn berühren, das war eine Gewissheit, die sich in ihrem ganzen Sein manifestiert hatte, denn sie hatte es schon ein Mal getan. Doch sie zögert. Ihre Augen sehen ihn an, ihr ganzes Sein ist darin verwirkt. Die Finger hängen in der Luft. Ein leises Lachen ertönt in ihr, lautlos und doch mächtig. Ringsumher hat die Nacht sie sanft umhüllt, mit all ihren Geheimnissen, Lichtern und Schatten. Sein Gesicht schimmert leicht im silbernen Licht. Es ist ein Betrachten, kein Lesen, kein Deuten. Es ist ein Innehalten. Schließlich senkt sich ihre Hand in Zeitlupe auf seinen Arm, die Fingerspitzen stupsen vorsichtig dagegen.

Das winzige Geräusch erklingt. Es verhallt. Scheinbar ungehört, wie das rauschen des Windes. Ein Schritt. Schrumpfender Abstand. Instinktive Fluchtimpulse setzen ein, doch ehe sie die Kontrolle übernehmen können, werden sie, mit gekonnter Eleganz, von einem aberwitzigen Querläufer nieder gestreckt. Mit einem hämischen Grinsen lässt er seine Beute in der Dunkelheit verschwinden, um sie vor Ober- und Unterbewusstsein zu verbergen. Seinen eigenen, undurchsichtigen Plänen folgend, entschwindet er. Entschwindet dorthin wo er einst hergekommen, seinen ausgeheckten Plan zu verwirklichen. Und so kommt es, dass er entgegen seiner Natur stehen bleibt. Angst, ihrer Stimme genommen, eingekerkert und machtlos. Kein Weglaufen, kein Verstecken und kein Verkriechen. Es hat an Bedeutung, an Notwendigkeit verloren. Eine neue Überschrift. Ganz oben, auf einer neuen Seite. Einer leeren Seite. Bereit neue Zeichen aufzunehmen und zu verewigen. Ganz deutlich spürt er nun ihren Atem. Ganz deutlich. Auch ihren Duft vernimmt er plötzlich deutlicher als je zuvor. Für einen kurzen Moment ist er gewillt die Augen zu schließen, doch es offenbart sich als unmöglich. Von ihrem Antlitz, ihrem Duft, dem schimmern ihrer Augen und der schwach, unendlich schwach, nahezu verblassenden Korona aus Energie gebannt hat er sich von allen Gedanken, allen Zweifeln und Instinkten gelöst. Wie ein Blatt hat er sich dem Wind ergeben. Die Zügel fallen und sich auf das wundersame neue einlassend, nimmt er immer mehr und mehr Reize auf. Das melodische Rauschen des Windes dichtet eine unbekannte Sinfonie in seine Ohren und als ihre Fingerspitzen seinen Arm berühren, sanft wie das Flüstern einer friedlichen Nacht, beginnt eine unsichtbare Hand mit sengendem Feuer Zeichen auf das leere Blatt zu setzen. Zuerst zögerlich, dann immer schneller, sicherer folgt Zeichen auf Zeichen. Einzeln ergeben sie keinen Sinn. Aneinandergereiht ergeben sie keinen Sinn. Wie sich zusammensetzende Fragmente von etwas Abstrakten erscheint sich nach und nach ein Bild zu formen, sich zu verändern und wieder zu verschwinden. Sich mit jedem Teil verändernd, bleibt es unverständlich. Vorerst unverständlich. Vorerst? Etwas schmilzt. Langsam und bedächtig schmilzt es vor sich hin. Wie ein Eis im Sommer, wie das Wachs einer brennenden Kerze. Es hat den Kampf auf- und sich der unbekannten Macht ergeben. Nicht kapituliert, sich lediglich der überwältigenden Schönheit des Moments hingegeben.
Ein Muskelzucken. Ein Gedanke wie ein Blitz. Nein. Jetzt keine Worte. Keine überflüssigen Löcher in die zerbrechliche, seidene Atmosphäre reißen. Mit der zögernden Vorsicht eines zum ersten Mal auf sich allein gestellten Rehs hebt er den Arm. Die Hand. Streckt die Finger und wendet seinen seelenruhig lächelnden Blick keinen Moment von dem ihren. Er blinzelt nicht um der Angst, alles könnte mit dem nächsten Wimpern schlag vorbei sein, keinen halt, keine Stimme zu geben. Wie eine Feder die auf einem Bett aus reinster Watte landet, wie ein Wassertropfen der die feinen Äderchen eines Blattes entlang rinnt, so leicht, doch nur für den Bruchteil einer Sekunde, erlaubt er seinen Fingern die ihren zu berühren. Die Korona aus Energie zu durchbrechen und ihre Wärme zu fühlen.

Schneller als das Licht, breitet sich die leichte Berührung seiner Hand in ihr aus, wie eine Lawine. Eine Farbe weitet sich in ihr aus, teilt sich in viele Farben und zieht sich wieder zusammen, als sie instinktiv die Hand zurückziehen will, das Band zerbrechen, in einem letzten aufbäumenden Akt der Angst. Sein Blick. Er hält sie gefangen, genauso, wie es ihr Blick tut. Die Ruhe fließt wieder in sie hinein, hält einen Moment inne, aus der Geburt dieses Bandes, beginnen sich ihre Lippen lautlos zu rühren. Ein Gebet aus fremden Worten löst sich aus den Tiefen, steigt auf wie eine Luftblase, befreit, herauf vom Meeresgrund. Sie lässt ihre Hand ruhen, ergibt sich dem Schicksal. Ein Faden der aus ihr immer noch pulsierenden unsichtbaren Kraft löst sich ganz langsam von einer ihrer Fingerspitze, zwirbelt sich langsam um seine Hand, liebkost seine Haut, um sich mit seiner Aura zu vermengen. Die Reste der Zweifel zerfallen, mit ihr die Angst, mit ihr die Ruhelosigkeit, das ständige Kämpfen. Alle Lüge wird zerschlagen, der Schein aufgegeben, der Trug vertrieben. Sie sieht das Bild, das sich selbst gemalt hat, sieht es klar, schmeckt die Zeit, auf ihren immer noch bebenden und betenden Lippen. Und plötzlich wird dieser Moment voller Ewigkeit ein Gesicht, ein Gesicht aus der Vergangenheit, aus der Zukunft, aus keiner Zeit. Alles hat sich verändert, die Wege neu verlegt. Ohne es zu bemerken tritt sie noch ein wenig näher an ihn heran, schon völlig verloren in einem höheren Strom. Sie sieht seine Seele leuchten, sieht wie etwas ihn ihm erwacht, etwas, das vielleicht bis zu jenem Moment geruht hat, tief verborgen unter den Schatten vergangener Tage. Ganz leicht drückt sie auf seinen Arm, lächelt breiter. Es war kein Erwägen mehr. Sie sind verbunden durch ein Band jenseits ihrer Willenskraft, verbunden. Ihre Lippen halten inne. Verstummt im Anblick seines Wesens. In ihrem Augenwinkel löst sich ein Faden und fließt silbern über ihre Wange hinab. Gebt es auf euch zu verstecken.

Kleine Äste aus reinster Energie bilden sich aus ihren Auren. Wachsen lautlos und unbemerkt  aufeinander zu. Treffen sich. Verknoten  sich. Gehen ineinander über und werden eins. Der Raum zwischen ihnen schrumpft während das Band, welches sie verbindet stetig an Kraft gewinnt. Zwar langsam und vorsichtig, doch unaufhaltsam wird es stärker. In seinem Kopf ertönt ein Klopfen. Ein dumpfes, rhythmisches Klopfen. Wie ein Herzschlag. Sein Herzschlag? Es ist wie durch Entfernung gedämpft und doch klar zu vernehmen. Fasziniert ergibt er sich dem reißenden Strom der ihn durch fährt. Wie eine Nussschale auf dem Ozean treibt er dahin. Ohne Kontrolle, von der Laune der Wellen hin- und her geworfen, doch unsinkbar wie ein Ballon. Angst vor dem untergehen hat er keine mehr. Jegliche Angst hat auf der kleinen Nussschale keinen Platz gefunden, keinen Platz verdient. Ein unbekanntes Gefühl hat sich als Segel manifestiert und gibt der kleinen Schale ein wenig mehr Sicherheit. Es ist das Gefühl der Sicherheit. Ohne erkennbaren, aber dennoch vorhandenen Kurs dümpelt er auf dem Ozean umher. Als sie näher tritt und seinen Arm wieder leicht berührt, wirbeln farbenfrohe Partikel und vermischen sich mit den verschlungenen Ästen aus reinster Energie, bilden mit ihnen eine Kugel. Eine Kugel aus nahezu unsichtbarer Energie. Einer Energie, die sie von der Außenwelt und all ihren Einflüssen abschirmt. Für kurze Zeit existiert nichts, außer dem sanften Sturm im Innern der Kugel. Von ihrem breiter werdenden Lächeln angesteckt, wächst auch sein Lächeln. In seinen Augen glimmt etwas auf. Mit einer endlos langsamen Bewegung nähert sich seine Hand ihrem Gesicht. Sie hält inne, bewegt sich weiter. Vorsichtig wischt er den silbernen Faden beiseite, umschließt ihn mit den Fingern. Mit einer ruhigen Bewegung führt er die Hand zurück, drückt sie sanft gegen seine Brust. Erhebt sie und lässt sie zwischen ihren Gesichtern wieder zur Ruhe kommen. Ein silbernes Leuchten dringt durch die Zwischenräume seiner Finger, als er die Hand ganz langsam öffnet. Mit sachtem Schlag, Silber schimmernder Flügel, erhebt sich ein winziger Schmetterling. Schwebt zwischen ihnen umher. Schlägt mit dem Flügelchen und erhebt sich weiter. Über ihre Köpfe. Mit einem weiteren Flügelschlag durchbricht er die Kugel aus Energie, lässt sie flackern, verschwinden. Er fliegt davon. In Richtung Himmel. Hinauf zu den Sternen.

Ein breites Band hat sich um sie gelegt, sie eingeschlossen. Ein Zeichen leuchtet kurz vor ihrem Auge auf, während sie atemlos seiner Geste folgt, die sie in helle Aufregung versetzt.  Gebannt blickt sie auf seine Hand, das silberne Glitzern, das langsam offenbart wird, als er seine Hand öffnet und schließlich verfolgt sie mit leicht geöffneten Lippen den Tanz des kleinen Schmetterlings, der nach oben steigt, langsam durch das Band gleitet und sich zu seinen funkelnden Brüdern gesellt. Ihr Atem gleitet mit dem Auf blitzen einer Erinnerung aus ihr heraus, mo crihdre. Ein Blitz zuckt über ihr Gesicht und sie erkennt ihn wieder, beginnt plötzlich leise zu lachen, verloren in den Wirren eines großen Uhrwerks. Ihre Hand wandert ihm entgegen, wie eine Ranke, und mit einem Ruck schmiegt sie sich an ihn, legt ihren Kopf an seine Brust, horcht nach seinem Herzschlag, trinkt gierig seine Wärme und labt sich an seinem Duft. Wie viele Leben sind verstrichen? Die Augenlider schließend verliert sie sich ganz im Aufnehmen seines Seins, völlig selbstvergessen. Sie begreifen beide kaum, fassen nichts, lassen sich lenken, von den Strudeln. In ihr spürt sie sein Leuchten, sein Fühlen und kurz, nur einen Wimpern schlag lang, all das, was er seit ihrer Trennung gefühlt, erlebt hat. Ganz vorsichtig um gleitet ihre Hand seine Taille, nur die Fingerspitzen berühren seinen Rücken, streichen leicht über die Wirbelsäule, so als tasteten nach Bestätigung. Die Herzschläge gleiten ihm gleichen Rhythmus fort, sie atmet erleichtert aus, löst sich von seiner Brust, um ihn anblicken, ohne Worte sich seiner zu versichern. Sein Blut in ihrem, ihr Fleisch von seinem.

Immer mehr verliert die Umgebung an Schärfe. An Bedeutung. Sie waren längst Gäste in ihrer ganz eigenen, ihrer ganz alleinigen Welt, in der die Geräusche der Bäume, das Rauschen des Windes, das Wachsen des Grases zu Bruchteilen ihrer selbst verebben und sich zu einer friedlichen Sinfonie vereinen. Ein wohliger Schauer, überwältigend, einzigartig wie ein warmer Sommerregen in einer stillen Nacht, der zart die Haut derer streichelt, die sich seiner Schönheit hingeben. Ein Schauer, ausgelöst von der gleitenden Berührung, jagt seinen Rücken hinauf und explodiert in seinem Kopf wie eine Rakete. Ein kurzes Pfeifen legt sich über das in seinem Kopf hallende Echo ihres Lachens und verglüht in den bunten Funken des Schauers. Als sie sich für einen Blick von ihm löst, ist es, als ob sie einen Großen Stein aus der Mauer bricht, die etwas in seinem Innern gefangen hält. Der Beginn einer Befreiung. Wieder beginnen sich die Figuren auf dem kosmischen Schachspiel zu Bewegen. Zug um Zug. Aus der Reihe. Ihr Blick trifft auf seinen und er taucht für den Bruchteil eines Moments ein, in die Welt hinter dem Spiegel. Ein Tropfen, ein Tropfen wie Schmelzwasser, fällt auf die Seite in ihm, auf der von unsichtbarer Hand noch immer Hieroglyphen aneinandergereiht werden. Der Tropfen rollt über einen der Buchstaben und bringt ihn dazu grünliche Flammen zu schlagen, bevor er seinen Weg fortsetzt und die Lichter kette aus grünem Feuer ihren Anfang nimmt. Als er wieder aus dem Universum hinter dem Spiegel auftaucht, fällt die Seite zu. Ein Tropfen Wachs stürzt aus unermesslicher Höhe auf eine Ecke und erkaltet langsam. Worte kriechen über das Wachs, brennen sich ein und versiegeln die Seite auf Ewigkeit in seinem Geiste. Für einen Augenblick gibt es keine schwammigen Halbwahrheiten mehr. Innerhalb dieses freien Moments erhascht er einen Krumen der unendlich klaren, kosmischen Wahrheit hinter der Kulisse jeglicher subjektiven Zwänge. Erblickt die Inkarnation dieser Freiheit, in einer fremden Seele, die nicht wie alles andere verblasst, verschwindet. Sie bleibt. Sie bleibt und blickt zurück. Zurück in die Seele aus ruhendem Wasser, das die Füße der ihren zu benetzen begonnen hat. Zurück in den Leuchtturm aus Kristall, der gemeinsam mit ihrem inneren Licht, die kleine Welt im Zentrum der Realität erhellt. 

Gelöst in seinen Tiefen, zusammengefügt in schwindelerregenden Höhen. Völlig bodenlos und doch tief verwurzelt. Völlig gefesselt, völlig gefangen. Einen Augenschlag noch, einen Atemzug noch.
Doch der Moment Ewigkeit zerfällt just in dem Moment, an dem ihr Körper sämtlich Warnsignale zu einem einzigen Sog vereint. Mit einem Male reißt sie sich los, weicht zurück vor ihm, in voller Panik zu ertrinken, zu ersticken, zu verlieren. Sie wird bleich, blickt ihn mit geweiteten Augen an, die sich in ein kühles türkis wandeln. Ihr Atem geht schwer. Taumelt, fängt sich, rennt wieder, wir wieder langsamer. Eine Schwärze legt sich über sie, greift in sie, versiegelt sie wieder, versucht es zumindest. Doch sie bäumt sich innerlich auf, schwach und doch stetig, unermüdlich, schlägt sie vor ihrem geistigen Auge die fallenden dunklen Vorhänge auseinander, rennt zwischen ihnen umher. Noch immer fühlt sie sein Sein in ihr, noch immer ist er da. Immer noch. Sich an dieser Gewissheit fest klammernd, läuft sie umher, um wieder ganz sein zu können, bei ihm sein zu können. Sie schließt die Augen, umklammert sich mit ihren eignen Armen, fliehend vor dem Sog der Illusion, des Schmerzes, der Dunkelheit, der Unzulänglichkeit.
Eine Stimme taucht auf, eine zweite, und noch eine. Du solltest was sagen...die eine. Du solltest weglaufen...die andere. Du solltest töten...die dritte. All das nicht zulassen. Niemals mehr zulassen. Und plötzlich ist er einfach da, der stechende Schmerz, lähmt sie. Ihre Hände krallen sich tief in ihre Haut. Verliert sich Stück für Stück, strauchelt, fällt immer tiefer und tiefer in den Abgrund. Ein Schrei sammelt sich in ihrer Kehle, doch auch die Stimme versagt ihr den Dienst. Wieder und wieder sucht sie nach einem Halt, nach einer Kraft, doch ihr Blick ist mit Blindheit geschlagen, und dann formen sich ganz still zwei Silben in ihr, wie aus dem Nichts, zwei Klötze in der Leere und sie schlägt auf.
Ihr Körper, eine Armlänge von seinem entfernt, schwankt, fällt auf die Knie, ins Kies, krampft sich zusammen, windet sie sich, der Kokon ihrer Welt, wird durchzogen von Rissen, zerfällt jedoch nicht, im Gegenteil, absorbiert die dunkle Energie, die aus ihr ausströmt, wie Gift aus einer Wunde. Alles an ihr strahlt ein Sehnen aus. Unermessliches Sehnen.
-Ich will nicht, dass du das siehst. -  - Zu spät. - Sie streckt eine zitternde Hand in seine Richtung aus.
-
Und dann ward Stille...
-
In dieser alles aussperrenden Stille, vollmundig,  wird ein Klang geboren, verwebt sich zu einer Silbe, um zum Wort zu werden, zur Melodie, die sich in Vibrationen über ihre Verbundenheit in sie ausbreitet, eindringt ohne Widerstand in alle Ritzen und Fugen, in alle Tiefen und in alle Höhen klingen diese Worte und beginnen sie beide zu erleuchten, mit dem gleichen Licht und doch auf jeden von ihnen auf eine andere Weise.

Leg Deinen Atem an meine Wangen

Dein Lächeln soll auf den Lippen monden

In Deine Worte sterne mich,

wie Dein Lachen mich beblüht,

von den Wangen tief hinab in mein traurigzartes Gemüt.


Wir haben uns durch finstren Schlaf gewacht,

als Feuerlilien in unseren Adern brannten,

und Du mich flügelstark über den Winter trugst,

als Dämonen ihre Schatten sandten.



So muss ich nicht um Deine Sternenzeiten bangen,

leg Deinen Atem an meine Wangen.

Die Melodie webt sich in ihre Zellen, in jede einzelne, klingt dort noch eine Weile fort, wandelt sich um, in Energie und fließt über in den Schild, den Schild der sie umgibt, ihre Welt.
-
Der Schmerz zerspringt, der plötzliche Bruch der Blockade schleuderte sie wieder auf die Füße, die Schatten zerfallen ins Nichts. Der Boden ist wieder stabil, sie zieht die Hand etwas zu sich heran. Das Haar sträubt sich in sämtliche Richtungen, zerwühlt, jedoch lebendig.
Die Augen leuchten wieder im sanften grau, blicken nun wieder ihn an. Erleichtert der Blindheit entflohen zu sein. Entschlossen streckt sie ihre Hand wieder aus und greift seine. Die Wärme, die davon ausgeht, lässt sie wieder ein wenig leuchten. Ihr Gesicht wandert auf seines zu, greift sich jeden sichtbaren Fleck daraus, jeden Luftzug seines Atems und webt es weiter ein, immer weiter in ihr beiderlei Sein. 


Verschreckt. Fest gefroren. Verwurzelt. Von der Flucht verunsichert ist sein Hals plötzlich wie zugeschnürt. Es ist ihn unmöglich zu atmen. Mit einem schweren Schlucken kämpft er gegen die Fesseln an. Hatte es je einen Sinn gehabt? War es nicht abzusehen gewesen? Seine eigenen Gedanken wie etwas Fremdes betrachtend, abwehrend, schließt er die Augen und zieht sich in eine schützende, schwarze Kapsel gefüllt mit Dunkelheit zurück. Krachend schließen sich die Schotten und mit bitteren, klagenden Wellen setzt die Stille des ewigen Verlustes ein. Eine Woge der Übelkeit durchflutet ihn und hinterlässt unangenehme, stechende Kälte die sich rasch ausbreitet und seinen Körper taub werden lässt. Die Knie fangen an zu zittern, seine Beine werden schwach und der Boden unter seinen Füßen beginnt zu wanken und in einem  sich in seinen Verstand bohrenden Bild reißt er auf, bereit ihn zu verschlingen und in der Einsamkeit der Tiefe einzukerkern, verschwinden zu lassen und von der Oberwelt zu trennen.
Während die Umwelt außerhalb der Kapsel in gegenstandsloser Bedeutungslosigkeit versinkt, wachsen um ihn herum himmelhohe, schwarz graue Mauern aus blanker, matt kalter Angst in unüberwindliche Höhen. Schmerzhafte Unruhe breitet sich wie ein Schwarm Heuschrecken aus, fällt über seine Welt her, vergiftet sie, zerfrisst sie. Wie ein Stein beginnt die Nussschale zu sinken. In die Tiefe des Vergessens hinab zu gleiten.
Durch seine Adern kriecht sie. Die Erkenntnis. Wie ein lähmendes Gift kriecht die Erkenntnis, dass er seine eigene Passivitätsgrenze und mit ihr einige andere, unantastbare Grenzen überschritten und somit alles zu quälender Verdammnis verurteilt hatte. Enttäuschung. Bodenlose Enttäuschung über sich selbst, legt sich wie ein Mantel aus Feuer über seine Haut und versengt die Klarheit seines Verstandes immer weiter.  Als er sie durch den nebeligen Schleier seiner Barriere auf die Knie fallen sieht, setzt sein Herz für einen Moment aus. Das Bewusstsein der Schuld hämmert durch seinen Schädel und lässt seine Welt mit jedem schlag stärker, bedrohlicher wanken. Jeden Moment war es soweit. Jeden Moment musste sie kippen. Kippen und hilflos auf der Seite liegen bleiben. Liegen bleiben wie ein Käfer auf dem Rücken. Allein gelassen. Zum Untergang bestimmt. Ein unvorhergesehener Umschwung greift die letzten Sekundenbruchteile mit fester Hand. Zieht. Zerrt. Entreißt und zerknüllt sie wie unnützes Papier. Wirft es fort. Wie ein Phoenix aus der Asche erhebt sie sich. Gestärkt. Leuchtend. Eine Berührung wie eine Errettung. Die elektrisierende Wärme ihrer Finger überträgt sich auf seine. Seine Hand. Seinen Arm. Seinen Körper. Zaghaft beginnt es wieder zu schlagen. Seine zweifelnden Gefühle der Lüge zu bezichtigen. Sich an das Versprechen nicht mehr aufgeben zu wollen erinnert wird es von wohltuender Erleichterung durchströmt und blüht auf. Von dem Gefühl zurückkehrender Sicherheit gehoben, erscheint die Nussschale wieder an der Oberfläche. Klein. Zerbrechlich. Doch im Willen unsinkbar.
Ein jeher Windhauch bläht die Segel und scheucht den Fetzen gleichen Nebelschleier fort. Zerstreut ihn in alle Himmelsrichtungen, bis er unwiderruflich verschwunden ist.
Der Eispanzer ist gesprengt. Die Kapsel aufgelöst, das sengende Feuer gelöscht. Von den Fäden all weltlicher Fremdbestimmung gelöst kehrt wieder Ruhe ein.
Zeiger los läuft die Uhr. Unaufhaltsam auf einen Knoten, einen Wendepunkt zweier unbedeutender Stränge im Pool verstrickter Zusammenhänge zu.
Nicht nachvollziehbar geht sie ihren unbeugsamen weg weiter und weiter. Ständige Veränderungen mit sich tragend und doch vieles unangetastet lassend. Lauter kleine auf und ab schwappende Strudel verursachend. Unzählige kleine Glückserlebnisse im Meer aus trister Monotonie, Zweifel und anderer licht scheuer Errungenschaften der weltlichen Sphäre. Winzig aber hell, am Horizont auftauchend, sich vermehrend wie Sterne am Himmel über den allmählich die Nacht hereinbricht. Jeder Tag, jeder Moment bringt etwas Neues mit sich. Dieser Moment trug gleich zweierlei auf seinem Wege mit sich. Sowohl Die Rückkehr der inneren Ruhe, Grundpfeiler des Friedens als auch das unbegründete doch unbeschwerte Gefühl der Sicherheit, Dach wohliger Behaglichkeit. Er hatte sich nie auf diese Weise geöffnet. Nie den Mut, nie den Grund gehabt. Selbst wenn es noch nicht ersichtlich war. Für ihn nicht ersichtlich war. Bald würde sich das ändern. Ein Rempler hatte ihn aus der Bahn gestoßen. Aus einer Ziellosen, grauen Welt gerissen und in eine vollkommen andere verschoben. Eine neue Perle war auf den Faden des Seins gezogen worden. Ein neuer Stein war in die Treppe zu einer höheren Ebene gesetzt worden. Ein kleiner Rempler hatte seine Welt aus den Fugen geraten lassen und auf eine Reise jenseits der Vorstellungskraft geschickt. Ihre Nähe war wie der sanfte Aufwind unter den Schwingen eines Adlers. Der entschuldigende Blick in seinen Augen verschwindet um einem Glanz der Erleichterung und Freude platz zu machen. Ihrer Initiative dankbar löst er sich ein Stück von seiner alten selbst. Lässt einen Fuß vorwärts schweben. Der anderen folgend. Wieder findet sein Blick ihre Augen. Diese fesselnden, magischen Augen. So unendlich tief und klar. So Bände sprechend Still und doch sprühend vor lauter Leben. Voller Zurückhaltung begibt er sich erneut in ihren Bann. Zieht sie näher. Kann wieder lächeln. Einer plötzlichen Eingebung, einem unterschwelligen Bedürfnis nach nähe, dem Wunsch zu teilen folgend macht er noch einen weiteren Schritt auf sie zu und schließt sie in seine Arme. Er spreizt die von ihr verliehenen Flügel, die rein weißen Flügel der unerschütterlichen Zuversicht, und legt sie wie einen federweichen Schild um sie. Lächelnd. Erleichtert. Beruhigt.


Auflösung. Erlöschen. Erwachen. Sterben. Geburt. Beginn und Anfang. Verloren, gefunden. Entstanden, vergangen. Mag sein, dass es Zeit war, aber es konnte genauso gut auch was anderes sein...vielleicht ein Tropfen Wasser oder ein Fleck auf einen Teppich in irgendeiner Wohnung in irgendeiner Stadt eines unbekannten Landes. Ein grauer Fleck in der Masse. Es hätte alles sein können. Vielleicht ein Atemzug einer Ratte, irgendwo tief unten in der Kanalisation, ein Aufbäumen gegen das aktive Eingreifen und somit das Beschleunigen der so genannten Evolution, ein Auswuchs, ein neuer Zweig, eine Möglichkeit, vielleicht eine kleine Geschmacksknospe auf der Zunge eines fünfjährigen Jungens, der gerade sein Eis genoss in einer von Hitze getränkter Atmosphäre...was auch immer es sein konnte, sie ergab sich dem, löste sich in seiner Umarmung auf, verlor sich selbst und erblickt das alles mit dem blinden Augen. Die blinden Augen einer Wahrnehmung, die verpönt war. Wie auch sollte sie anerkannt sein?! War sie doch verblendet, verdreht von Angst, Dunkelheit und Gerüchten.
Während sie sich in die Symbiose mit seiner Nähe, Wärme, seinem Sein begab, erfühlte sie eine Bilderflut von Ahnungen und Wegen, die sie jedoch sanft zur Seite schob, um sich dem Moment zu widmen, diesem einzigartigen Wendepunkt der Gewissheit einer gegenwärtigen Realität mit sich brachte, die sie unwiderruflich veränderte, einen Teil ihres Seins in sein Jetzt webte. Wie lange dieser Vorgang fortdauern würde, wusste sie nicht. Sie wusste nur, als sie sich sanft etwas aus seiner beschützenden Umarmung löste, dass sie ihn ansah ohne Angst gesehen zu werden. Dass sie ihn ansah mit dem ganzen Wesen, das sie beschrieb und...dass sie eine Springflut in sich aufsteigen fühlte, die alles hinweg fegte, was in den letzten Minuten durch ihren Verstand gefegt war. Ihre Hände fuhren blind an seinen Armen hinauf. Ein Blick senkte sich in den nächsten. Ein leichtes unsicheres Zittern raste durch ihren Körper. Doch was spielte schon noch eine Rolle, außer dieser einen leuchtenden Wahrheit?! Sie trat in den Hintergrund, legte sich selbst ab und sein Sein füllte sie aus. Und die Worte starben in Nichtigkeit.

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Kommentare zu diesem Text

AiKa (46)
(11.01.13)
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