Apologie des Trolls

Erörterung zum Thema Internet

von  toltec-head

Ich möchte den Internet-Troll mit zwei anderen Figuren vergleichen und so auf eine gewandelte Wertschätzung hinarbeiten.

Die beiden anderen Figuren sind: Der Dekonstruktivist und der Trickster.

Alle Diskurse haben ihren "blinden Fleck", das heißt sie mögen vordergründig noch so sehr um Wahrheit, Gerechtigkeit und Toleranz bemüht sein, sie klammern trotzdem unendlich viel aus. In diesen blinden Fleck springt der Dekonstruktivist, indem er nicht an einen bestehenden Diskurs bejahend oder verneinend anknüpft, sondern indem er "stört". Bejahung und Verneinung sind ja beides nur gleichermaßen Möglichkeiten der Fortsetzung des Bestehenden. Wer innerhalb eines bestehenden Diskurs auf dessen "blinden Fleck" hinweisen möchte, darf daher nicht die Bejahungs/Verneinungs-Schiene wählen. Er muss etwas Originelleres machen. Er muss Sand im Getriebe, "Unfall", Wal im Gartenteich sein. Während die am bestehenden Diskurs Interessierten sowohl mit der Bejahungs- als auch der Verneinungsschiene keine Probleme haben und derartige Teilnehmer sofort "einverleiben", reagieren sie auf Dekonstruktivisten allergisch: Der Betrieb wird in seinem reibungslosen Ablauf gehemmt. Der Dekonstruktivist ist ein Troll.

Machen wir jetzt einen Sprung von der Postmoderne in die Archaik. Die zweite Figur, mit der ich den Troll vergleichen möchte ist der Trickster.

Als Trickster (engl. Gauner, Betrüger und Schwindler) werden Figuren in der Mythologie genannt, die mit Hilfe von Tricks die Ordnung im (göttlichen) Universum durcheinander bringen. Ich zitiere Wikipedia. Die typischen Trickster sind oft an ihren zwiespältigen Charakteren zu erkennen, die auf der einen Seite Regeln brechen, um den Menschen Gutes zu tun, auf der anderen Seite Regeln brechen, um Konflikte (meist zwischen den Göttern) zu provozieren.

"Der Trickster ist als Kulturheros ein Stifter von Kultur und ein Medium kultureller Veränderung. Er sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive und hat daher die Möglichkeit, sie kreativ umzudeuten. Das passt auch zu seiner Eigenschaft als einem professionellen Tabubrecher, der sich über alle Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzt, dennoch aber Teil dieser Gemeinschaft bleibt. Der Preis für diesen Tabubruch ist aber meistens Isolation. Andererseits genießt der Trickster oft eine gewisse Immunität und kann sich der Höchststrafe entziehen. Auf seine Sexualität bezogen, bedeutet Tabubruch Inzest, Homosexualität (in vielen Kulturen eine geächtete Normverletzung) und Geschlechtswechsel (Transgender, ebenfalls in vielen Kulturen eine geächtete Normverletzung)."

Wir können daher mit Recht sagen: Ein richtig guter Troll ist etwas Tolles. Er ist ein Trickster!

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (44)
(27.01.13)
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 toltec-head meinte dazu am 27.01.13:
trollig :)

 Dieter Wal (30.01.13)
Unter Göttern wären z. B. Hermes, Loki oder Seth Trickser.

Außer Hermes sorgten die Genannten dafür, dass Mythologien umgewertet wurden oder Apokalpsen erhielten.

Wäre ein Troll tatsächlich an einem best. Thema interessiert, könnte man ihn wohlwollend als Dekonstruktivisten wahrnehmen. Aber nur, wenn sich andere darauf einlassen.

Eine Pipi Langstrumpf funktioniert innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft bestens. Kämen mehrere, siehe Canettis Masse und Macht, würde die Masse sich ihrer vermutlich entledigen, es sei denn, sie würden eine Kolonie gründen und unter sich bleiben.

 toltec-head antwortete darauf am 31.01.13:
War Pipi Langstrumpf eigentlich trans-gender?

Bei den germanischen Göttern gibt´s da was, bin jetzt leider zu faul es zu googlen :)

 Dieter Wal schrieb daraufhin am 01.02.13:
Ditte war Loki. Mir persönlich sympathischer Purschi. So mehr ein kindlich spielender Trickser, dem man nicht wirklich böse sein kann, dass er alles kaputt macht, was die Germanen sich so schön poetisch-mythisch konstruierten. Ohne Lokis Fiesheiten hätte Baldur das Totenreich nicht erhellt und freundlich gestaltet. Darin ähnelt Loki etwas dem zelotischen Judas im jüdisch-christlichen Mysteriendrama. Seth als Gott war eher ein schlimmer Finger, mit dem ich lieber nicht zu Mittag gegessen hätte.

Pipi Langstrumpf als Transgender wäre vermutlich eine skandinavistisch-germanistisch neue Lesart, hab ich husten hören, weil ich zufällig den Unterhaltungen zum Thema selbiger lauschte. Pipi wird im Roman als Kind jenseits der Geschlechtsreife beschrieben. Eindeutig weiblich. Die Autorin ließ eine Menge subversive Kritik an der bestehenden Gesellschaft im Roman in Pipi durchschimmern. Auch in dieser Hinsicht. Muss die Bücher aber endlich einmal wirklich lesen und sie hoffentlich bald unserer Tochter vorlesen. Sie ist noch 4, also tendenziell zu jung für viele Kapitel.
(Antwort korrigiert am 04.02.2013)
MelodieDesWindes (36)
(04.02.13)
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 Dieter Wal äußerte darauf am 04.02.13:
Seit ich die Kommentare und vereinzelt literarische Beiträge von tolti und Aron lese, hat sich meine Beurteilung, dass Trolle eine virtuelle Abart der gemeinen Stubenfliege sind, derer man sich dringend per Fliegenklatsche oder Insektenklebeband entledigen sollte, verändert. Halte virtuelle Entitäten genannt Trolle der Netzkultur in gewissen Grenzen noch für bereichernd im Sinne tendenziell destruktiver Impulse, die von Kreativen konstruktiv aufgegriffen werden. Aber recht hast du, dieses Exemplar schlägt momentan vereinzelt deutlich über die Stränge. Schade, finde ich, weil mir seine Prosa bisher überwiegend anregend erschien und seine Lyrik inhaltlich vereinzelt interessante Aspekte aufweist.
(Antwort korrigiert am 04.02.2013)

 toltec-head ergänzte dazu am 04.02.13:
Zitat: "Na, wenn du den Troll mit dem "Trickser" und dem "Dekonstruktivisten" zusammenbringst, muss man sich ja eine neue Bezeichnung für dich einfallen lassen."

MdW und Dieter: als anständige Bürger dieses Forums dürft ihr mich gerne einfach "Dieb" bezeichnen. Meinetwegen auch "Melodie der Filzlaus". Aber Vorsicht: Ich stehle und filze nicht bei jedem. Es muß schon die Libido anspringen.

 Dieter Wal meinte dazu am 04.02.13:
Trollophilie ist unheilbar. Und das ist auch gut so!
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