Am Ende bin ich nur ich selbst

Kurzgeschichte

von  Judas

Ich kam gerade von der Selbsthilfegruppe für lyrische Ichs. Die heutige Sitzung hat mir einmal mehr gezeigt, dass ich anders bin als die anderen. Freilich – vielen geht es viel schlechter als mir. Aber wenigstens haben sie das gemeinsam.

„Wisst ihr, ich habe nicht einmal einen Namen!“, hatte das eine Mädchen, das wie ein hässlicher Junge aussieht, heute geschluchzt.
„Mein Autor identifiziert sich immer viel zu sehr mit mir... ich habe Angst, dass wir sogar eine Person sind!“, hatte ein anderer der Gruppe uns mitgeteilt.
„Da hast du ja noch Glück gehabt!“, hatte darauf ein Dritter erwidert, der immer schlecht gelaunt zur Sitzung kam, „Ich habe nichts mit meinem Autor gemeinsam, aber die Leser denken trotzdem immer, wir wären dieselbe Person!“

Es ist nicht einfach, nur Ich zu sein, nur ein Ich zu sein. Ich bin mir dessen heute bewusst geworden und habe deshalb beschlossen, nie wieder zu dieser bekloppten Gruppentherapie zu gehen. Ich kann mich ganz gut alleine in Selbstmitleid ertränken, das muss ich nicht mit irgendwelche Typen, Stereotypen, gemeinsam erleben. Aus dieser Erkenntnis heraus folgte ein sinnvoller Beschluss – ich besuchte die nächst beste Bar.

Es handelte sich dabei um meine Stammkneipe, einen Irish Pub. Ihr Name tut nichts zur Sache, wichtig ist nur, dass es dort Whisky und Joe gibt. Was den Whisky anbelangt bin ich nicht so wählerisch, bei der Auswahl meiner Gesprächspartner aber umso mehr.

Die Bar war relativ leer. Trotzdem waren die wenigen Gäste in dem schummrigen, orangen Licht kaum zu sehen, der Rauch unglaublicher vieler Pfeifen und Zigarren hing wie Nebel unter der Decke. Ich setzte mich an den Tresen und es dauerte nicht lange, da erschien Joe um meine Bestellung entgegen zu nehmen. Einige Minuten später hielt ich eine Flasche in der Hand und trank Rotwein aus ihr, zündete eine Zigarette an.
Ich war nur kurz verwundert, dass ich Zigaretten bei mir hatte. Tief inhalierte ich den Rauch und er vermischte sich mit dem bittersüßen Geschmack des Weines auf meiner Zunge. Gerade wollte die Stimme in meinem Kopf eine Erinnerung auskramen über vergangene Beziehungen zu Menschen, mit denen ich nur nackt im Bett gelegen und nie geredet hatte, mit denen ich Rotwein aus Plastikkartons getrunken und immer geraucht hatte, so viel geraucht... - da unterbrach Joe meinen Gedanken. Er nahm mir die Zigarette aus der Hand, stellte die Weinflasche bei Seite und mir einen Whisky vor die Nase. Zwei Eiswürfel in Form von Pinguinen schwammen darin. Mit dem Bauch nach oben.

„Seit wann rauchst du?“, fragte er mich und irgendwie klang er wütend.
„Seit heute.“, entgegnete ich. „Wenn ich eines in meiner Selbsthilfegruppe gelernt habe, dann, dass man rauchen muss.“
Joe blickte mich verständnislos an. Ich holte Luft für eine längere Erklärung.
„Das machen alle so, da musst du mal drauf achten, nicht nur in meinem Alter. Sie hatten Sex mit Menschen, die sie nicht wirklich lieben oder von denen sie nicht wirklich geliebt werden. Und dann rauchen sie. Oder sie laufen allein im Regen die Straße hinab, oder allein in der Nacht die Straße hinauf. Und dabei rauchen sie und es erscheint so unglaublich wichtig, genau zu beschreiben, was sie mit dem Rauch tun. Ihn tieeeef inhalieren, in kleinen Wolken zwischen den Zähnen dem Mund entweichen lassen, nachdenklich gucken, nächste Zigarette anzünden. Ständig wird schales Bier getrunken oder saurer Rotwein aus Flaschen. Offenbar drückt man damit Charakter und Tiefe aus, und vielleicht sind das auch Metaphern für eine Jugend ohne Ziel und Sinn und irgendwelchen Problemen mit den eigenen Gefühlen...“
Joe unterbrach meinen Monolog mit einem harschen Kopfschütteln.
„Und du musst genauso sein?“, fragte er.
„Nein, ich weiß nur nicht, wie ich sonst sein soll.“, antwortete ich. „Es ist so leicht, über das Unglück und das Schlechte im Menschen zu schreiben, über Depressionen und Orientierungslosigkeit einer Generation. Ist es denn falsch, wenn ich versuche den Leuten zu erklären, wie einfach es ist, glücklich zu sein?“ Mit einem hilflosen Kopfnicken deutete ich auf die Zigarette, aber Joe gab sie mir nicht zurück. Stattdessen sagte er: „Nein. Aber nimm nicht an, dass sie dann auch glücklich sein können.“

Jetzt wollte ich die Zigarette nicht mehr. War ja auch dämlich von mir, ich bin Nichtraucher und deswegen kratzte mein Hals nun unangenehm. Ich schaute den Eiswürfelpinguinen dabei zu, wie sie schmolzen und den Whisky verwässerten. Whisky trinken ist metaphorisch gesehen mindestens genauso tiefsinnig und cool wie Rotwein aus Flaschen saufen.

Joe blickte mich mit Mitleid in den Augen an.

„Am Ende bist du nur du selbst.“, sagte er, „Du wirst nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen und den klügsten Rat geben. Du kannst es nicht allen Menschen Recht machen. Und wenn du es doch tust... dann wirst du irgendwann jemand anderes sein.“


Anmerkung von Judas:

Tocotronics "Ich möchte irgendwas für dich sein" lieferten den Titel.

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Kommentare zu diesem Text

gaby.merci (61)
(25.04.13)
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 Judas meinte dazu am 25.04.13:
Dann hat der Text genau das erreicht, was er erreichen sollte. Vielen Dank für deinen Besuch :)
MaricaMistaken (25)
(25.04.13)
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 Judas antwortete darauf am 25.04.13:
Wurde aber auch Zeit, dass es die gibt! Danke :)

 Lluviagata (25.04.13)
Barkeeper wissen alles. Dein lyrisches Ich hats hoffentlich geschnallt! :D

Liebe Grüße
Llu ♥

 Judas schrieb daraufhin am 25.04.13:
Mir war das ja schon immer klar. Dem lyr. Ich hoffentlich nun auch!

 RomanTikker (25.04.13)
Holla, es kann am Einfluss meiner Selbsthilfegruppe liegen, aber das liest sich wie die beste Judas-Kurzgeschichte aller Zeiten! Klar hat sie Kanten - aber das sind Markanten, wie ich finde. Außerdem trifft sie den Zahn der Zeit: Ich bin auch Nichtraucher, habe aber heute eine geraucht. In der Küche stehen vier offenen Flaschen Rotwein - umgekippt und sauer, weil falsch gelagert. Nur Zufall? Oder treibt Weltgeist seine Scherze mit der Generation ohne Kosenamen? Ich habe kein Praktikum außerhalb der Schule gemacht und fahre keinen Golf, kann dezidiert erklären, warum die Welt Scheiße und der Mensch ein Arschloch ist, aber wer ich bin und wie das geht mit dem Glücklichsein, das braucht Vermittlungszeit, weil es eben in keine Schublade passt. Und auch auf keinen schalen Bierdeckel. Whisky kann dabei ungemein helfen, beim Vermitteln. Aber nicht zu viel. Ich hab noch ein bisschen im Keller. Prost!
Mit besten Empfehlungen
das lyrische Über-Ich von Roman Tikker

 Judas äußerte darauf am 26.04.13:
Beste Judas-Kurzgeschichte aller Zeiten und das aus deinem Mund? Ich geh jetzt los und bilde mir tierisch was drauf ein! :D
bookishasearlgrey (29)
(05.06.13)
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 Judas ergänzte dazu am 05.06.13:
Schade, war doch das Ende eigentlich zu erst da und der Rest baute sich irgendwie drumherum :) Ich danke dir trotzdem! (und ein kleines Highfive unter Tocotronic-Fans!)
Simon (27)
(07.07.13)
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 Judas meinte dazu am 07.07.13:
:D Vielen Dank! Ich errötete ein bisschen im Gesicht :)

 Dieter Wal (11.02.14)
"Sie hatten Sex mit Menschen, die sie nicht wirklich lieben oder von denen sie nicht wirklich geliebt werden."

Schlimm ist die Jugend, schlimm, schlimm, schlimm! :) Ich wünsche mir im Text meinen Rimbaud-Lieblingssatz: "Ich ist ein Anderer". Ist das machbar? Er fehlt mir sehr an dieser Stelle.

Sonst witzig und unterhaltsam, aber noch nicht hinreichend gekürzt.

 Judas meinte dazu am 11.02.14:
Danke! Aber: ich kürz hier jar nüscht :p
"Ich ist ein Anderer" gefällt mir, vielleicht bau ich ihn in meinen nächsten Tilde-Text ein. Der kommt nämlich bald.

 Dieter Wal meinte dazu am 11.02.14:
Autoren sind immer so eigensinnig, wenn's um ihre Texte geht. ;) Hör doch mal auf Großpapa. Der weiß: besser kurz und gut als lang und breit.

Das mit dem Tilde-Text merk ich mir.

 Judas meinte dazu am 11.02.14:
Nein, in diesem Fall sehe ich nichts, was es zu Kürzen gäbe. Ich denke mir schon was bei dem, was ich schreibe und wie ich es schreibe, es muss nicht jedem in der Form so gefallen, aber jeder Satz hat hier seine Richtigkeit :)
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