Blogging als eine "Variation von Autobiographie, in der der Autor selbst zum Charakter, im gewissen Sinne zu einem Performer wird" - Lars Iyer über das Schreiben im Internet

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von  toltec-head

Mein Bruder machte mich gestern auf Lars Iyer, einen neuen Kultautor aus England, aufmerksam, dessen noch nicht ins Deutsche übersetzte Romantrilogie ("Spurious", "Exodus" und "Dogma") als Blog begann. In allen drei Büchern reisen zwei gescheiterte Existenzen, die ehemalige Philosphiestudenten sind, durch Europa und Amerika und begutachten die Trümmer der Zivilisation. Von Kritikern wird Iyer mit Beckett und Thomas Bernhard verglichen.

Hier ist ein sehr interessantes Interview mit ihm, in dem es vor allem auch darum geht, wie Blogging unsere traditionellen Vorstellungen über Literatur und Autorschaft unterläuft: 

 externer Link

Perhaps what blogging encourages is a kind of autofiction, a variation on autobiography or memoir, where the author becomes a character him- or herself, a performer in some sense. In this way, you can foreground a kind of imposture in the very act of being an author. You can undercut your own status as a would-be auteur with all the high seriousness this can entail. This is part of attesting to the marginality of literature in contemporary culture, and the inappropriateness of older senses of "being an author".

Sehr viel der publizierten Internetliteratur ist einfach auch deshalb so langweilig, weil ihre Urheber keinen sehnlicheren Wunsch haben, als ein Autor im traditionellen Sinne zu sein. Die neuen Möglichkeiten des Internets (sich selbst zum Charakter machen, statt Autor ein Performer sein) interessieren sie nicht, sie wollen einfach nur dasselbe in Grün machen. Ein Gedicht wie die Großen schreiben, wie Rilke, wie Hesse; dass ein Rilke, ein Hesse nie für das Internet geschrieben hätten, dass dies von der Form und dem Inhalt ihrer Werke her nicht passt, das lassen sie außer Acht.

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Kommentare zu diesem Text

EikeFalk (60)
(17.06.13)
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 toltec-head meinte dazu am 17.06.13:
In Anbetracht der Möglichkeiten überrascht meist vielmehr die Einfalt. Aber das ist natürlich nur meine Meinung.
parkfüralteprofs (57)
(02.12.13)
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 toltec-head antwortete darauf am 02.12.13:
Rilke & Co konnten ab einem bestimmten Punkt in ihrer Karriere eben keine freien Performer ihrer selbst mehr sein, sondern mussten Rilke, Hesse oder Bernhard sein. Darin waren sie professionell. Aber darin liegt dann eben doch auch ein Problem. Die einen müssen bei Balzac Tablette wegräumen, während jemand wie Handke freigestellt wird, um seine irgendwie interessante Persönlichkeit zu entwickeln und daraus Literatur zu machen. Prinzip der Arbeitsteilung. Bei beiden Personengruppen aber! Also auch beim Handke! Das heißt: auch die irgendwie "interessante", entwickelte Schriftstellerpersönlichkeit ist so gesehen eine bloße déformation professionelle, wie sie halt alle Mitglieder arbeitsteiliger Gesellschaften davontragen. Am Internet-Blogging ist deshalb interessant wie das Prinzip der Arbeitsteilung unterlaufen wird. Du kannst als Harz4-Empfänger die von der Solidargemeinschaft dir zur Verfügung gestellte Stütze, die dazu dienen soll, dass du dich fit für den Arbeitsmarkt machst, gebrauchen, um Tag für Tag über deine Erfahrungen mit der ARGE zu bloggen. Von der Form her ist das poetischer als alles, was ein Handke jemals zustande gebracht hat. Das geht wirklich wider den Strich und behauptet dies nicht nur. Und ich behaupte, jeder gute Blog muss dieses parasitäre Element auf irgendeine Weise haben, um ein guter Blog zu sein. Das Unterlaufen des Prinzips der Arbeitsteilung entschädigt mehr als genug für eine große Schriftstellerpersönlichkeit oder einen elaborierten Schreibstil. Gute, parasitäre Blogs lassen einen etwas von einer künftigen Gesellschaft ahnen, meine ich.
parkfüralteprofs (57) schrieb daraufhin am 03.12.13:
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