Das perfekte Kunstwerk

Erzählung

von  EkkehartMittelberg

Der große Bildhauer hatte besessen an seinem Werk gearbeitet. Es sollte Charis, die Göttin der Anmut, darstellen, und das war seine bisher größte Herausforderung.

Jetzt hielt er erschöpft inne, um sein Opus einer letzten kritischen Musterung zu unterziehen.
Er wusste, dass es gut war, aber es war nicht vollendet.
Es fehlte ihm noch etwas, damit es das Leichte, Schwebende der Anmut verkörperte. Aber wo sollte er ansetzen?

Den in Gedanken Versunkenen unterbrach ein Anruf aus New York. Das berühmte Kunstmuseum wusste von seiner Arbeit und wollte die Charis unbedingt für die nächste Ausstellung haben.
Die Zeit drängte, vor allem, wenn man an den unerlässlich sicheren Transport dachte. Man erwartete eine kurzfristige Entscheidung von dem Meister.

Er hatte es sich bisher zum Prinzip gemacht, nie etwas aus der Hand zu geben, was nicht in seinen Augen perfekt war. Doch nie zuvor war die Versuchung so groß. Ihm war klar, dass seine Schöpfung sehr schön war, aber gemessen an seinem höchsten Maßstab war sie nicht perfekt.

Sollte er mit seinem Grundsatz brechen? Eine Ausstellung in diesem Museum zu Lebzeiten war eine einmalige Auszeichnung.
Da schrillte das Telefon wieder in seine Zweifel hinein. Man schmeichelte ihm, und er tat den Schritt und gab sein Werk frei.

Das Echo der Medien war überwältigend. Die begeisterten Rezensionen überwogen. Keine war wirklich negativ. Doch einige feinsinnige Kunstkritiker hatten bemerkt, dass der Charis die entscheidende Leichtigkeit fehlte. Sie waren es ihrer Kunst schuldig, dies sublim in unterschiedlichen Variationen zu bemerken. Er hatte es geahnt, und gerade die vornehm moderate Kritik schmerzte ihn. Doch auf der anderen Seite war seine Charis das Kunstereignis des Sommers.

Als die Leihgabe wieder in seinem Atelier stand, wusste er, wo er ansetzen musste. Er konnte seine Ungeduld nicht zähmen, die Göttin zur Vollendung zu bringen. Schließlich schien es ihm  so, als habe sie alle materielle Schwere verloren.

Seine Glückseligkeit wurde von einem neuen Anruf aus Paris wegen der Charis gesteigert. Diesmal kannte er keine Skrupel. Das optimale Geschäft war schnell ausgehandelt.

Doch zu seiner Überraschung war die Reaktion der Medien auf das perfekte Kunstwerk verhaltener als bei der Ausstellung in New York. In einigen Feuilletons fand sich überschwängliches Lob. Andere reagierten nicht mehr. Doch woran lag das? Gab es unter Kunstliebhabern eine unterbewusste Aversion gegen das Perfekte? Hielten sich Kunstkritiker zurück, die sich auf Lob allein nicht beschränken wollten? Er sann darüber nach und konnte keine befriedigende Antwort finden. Sie wäre ihm sehr wichtig gewesen; denn er hatte den Plan für ein neues Opus vor Augen.

Für einen Moment kam ihm der verwerfliche Gedanke, um der maximalen Publicity willen
in das neue Werk einen Fehler einzubauen, den nur die feinsten Kenner entdecken würden.
Doch die Anfechtung dauerte nicht lange. Er würde nicht ruhen, bis er wieder sein Bestes gegeben hatte.

© Ekkehart Mittelberg, Juli 2013


Anmerkung von EkkehartMittelberg:

Anmerkung: Diesmal konnte ich unter den Themen nichts Entsprechendes finden. Für zutreffend halte ich: Der Anspruch eines Künstlers an sein Werk

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (26.07.13)
Mit diesem Text triffst du sicherlich bei vielen Kreativen den Nerv.
Perfektion!
Ich persönlich sehe das etwas prosaischer: Es gibt kein perfektes Werk! Außerdem ist es "irgendwann Zeit", da muss die Sache raus, denn eigentlich dreht der Schaffende sich ab einem gewissen Punkt nur noch um sich selbst. Dem Schreibenden sollte das spätestens klar werden, wenn er eine schon verbesserte Stelle in seinem Text umändert und wieder zu der ursprünglichen Formulierung zurückkommt.

Perfektion?
Sorry, gibbets nich! Alles was noch so schön ist, hat irgendwo einen Fehler.

Ganz davon abgesehen: Wenn man an einen Schöpfergott/-götter glauben will, erinnert mich dein Meister stark an ihn/sie. Auf jeden Fall würde das erklären, warum der Mensch so ist wie er ist.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Du hast völlig recht, Trekan. Das perfekte Kunstwerk gibt es nicht. Selbst wenn ein Schöpfergott ein Opus für perfekt erklären würde, fielen gläubige Künstler vom Glauben ab, weil ihnen die Wahrung ihrer individuellen Betrachtung über alles geht und die wäre angesichts des Perfekten kaum noch möglich.
Auf der anderen Seite setzen sich aber große Künstler zum Ziel, das Perfekte anzustreben, wohlwissend, dass sie die Perfektion nie erreichen. Man erzählt von Beethoven, dass er eine Synfonie für vollendet nielt, nachts aber wieder aufstand, um einen einzigen Ton zu ändern, der ihm missfiel. Die Anekdote ist wahrscheinlich erfunden, aber typisch.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 26.07.13:
Theoretisch:
Nach Perfektion zu streben ist etwas ganz anderes, als die Perfektion als feststehender Gedanke. Und ja, da stimme ich dir zu, dass man danach streben sollte, wobei das Streben aber - wie du geschrieben hast - das Ziel seien sollte und nicht die Perfektion an sich und man sich dessen bewusst seien muss. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass nur das Streben, im Bewusstsein der eigenen Unvollkommenheit, einem der Perfektion nahe bringt, während man ohne Zweifel scheitern muss, wenn man glaubt, sie erreichen zu können.

Praktisch:
Die Perfektion hängt einzig und allein nur vom Auge des Betrachters/der Betrachterin ab. Ich kann z.B. ein Gemälde perfekt finden, weil ich eben von der Deutung von Bildern und Kunstgeschichte nicht sehr viel weiß.

Was zu einem weiteren interessanten Punkt führt: Vernichtet Wissen über einen Bereich die Perfektion? Erkenne ich nicht die Unvollkommenheit eines Werkes, ganz gleich ob künstlerisch, technisch oder z.B. sportlich, besser, je mehr ich über den Bereich, in dem dieses Werk angehört, weiß?

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 26.07.13:
Trekan, ich denke, das maximale Wissen über ein Werk kann dazu führen, dessen Unvollkommenheit zu erkennen, aber auch dessen relative Vollkommenheit. Vor einigen Wochen hat hier Regentrude eine metrisch perfekte alkäische Ode veröffentlicht, und es hat sehr lange gedauert, bis jemand ihre Vollkommenheit erkannt hat, weil niemand dieses Versmaß präsent hatte.

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 26.07.13:
"(...) aber auch dessen relative Vollkommenheit.
Ich weiß nicht, ob Vollkommenheit hier das richtige Wort ist. Das Wissen kann sicherlich den Genuss auch auf eine ganz andere Ebene heben. Je mehr ich z.B. über Tolkien, sein Leben, sein Werk (insgesamt) und seine Art weiß, desto mehr Freude habe ich an seinen einzelnen Werken und erfreue mich nicht nur an den Geschichten und der wunderbaren Sprache.

Aber vielleicht meintest du ja genau das?

 susidie (26.07.13)
Kann und wird jemals ein Künstler diesen Perfektions-Anspruch an sein Werk haben? Sich wünschen, ja, aber, dass es ihn wirklich gibt? Ich denke kein Künstler, jedweder Art, hat das je geschafft. Und wenn, dann ist er einen Egomanenflug geflogen, der ihn mit nichts mehr verbindet, nicht mal mit sich selbst. Ich liebe deine Anmerkung Ekki :) PS.: Jedes Auge sieht anders

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 26.07.13:
Merci, Susi, meine Antwort ist relativ einfach. Es gibt unter großen Künstlern, die oft Egomanen sind, den Perfektions-Anspruch. Über die Perfektion urteilen Kritiker, und die werden den Begriff nie akzeptieren, weil ihre Maßstäbe selten konvergieren. Die Perfektion wird es aber immer als Zielvorstellung geben so wie ein Ideal. Beide sind nicht erreichbar, aber ihre Motivation ist fast perfekt. ))
LG
Ekki

 susidie meinte dazu am 26.07.13:
Sind nicht oft Kritiker selbsternannte Götter, die einem Zeitgeist folgen? Den sie sich irgenwann zu eigen machten? Egomanischer Natur? Ist nicht jedes Menschen Ideal die eigene Wertvorstellung? Erreichbar oder nicht, aber vorhanden? Viele Fragen tun sich auf.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Ich lasse deine Fragen mal wirken. Der Autor muss ja nicht immer selbst antworten.
chichi† (80)
(26.07.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Grazie für dein aufmerksames Lesen, Chichi. Ja, es ist mein Ziel, die Relativität der so genannten Perfektion anhand dieser Erzählung spürbar werden zu lassen.
LG
Ekki

 loslosch (26.07.13)
davon hörte ich aus diversen quellen, die ich nicht mehr zuordnen kann. meist literatur, seltener malerei. man findet von einem berühmten schriftsteller im nachlass "beeindruckendes", was der künstler verworfen hatte. nun wird es der große renner am markt. der künstler hatte nicht den markterfolg im visier.

mit einschränkungen! sogar picasso hat für sein tägl. brot gearbeitet. die vielen kubistischen gemälde, bes. gesichter. da hat er vermutlich an die "portokasse" gedacht. lo (kunstbanause?)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Danke, Lothar, wenn du mit dem hoch geschätzten Schriftsteller, einen Perfektionisten, jenen meinst, dessen Freund Max Brod heiß, denken wir an denselben.
Was Picasso angeht, er ist ein gutes Beisiel dafür, dass auch Perfektionisten Ausnahmen machen, zum Beispiel, wenn es ums Brot geht. Leicht nachvollziehbar, meine ich.

 loslosch meinte dazu am 26.07.13:
klar, kafka. in goethes nachlass fand sich vieles, was der alte nicht mehr selbst regeln konnte. sicher auch einiges, was er nicht regeln wollte, zb agnostische gedanken. alles posthum, wohl im sinne von johann.

 ViktorVanHynthersin (26.07.13)
Miguel de Unamuno y Jugo schrieb: ""Das Vollendete, das Perfekte, ist der Tod, und das Leben kann nicht sterben." So betrachtet, lieber Ekkehart, sollten wir das Perfekte nicht allzusehr anstreben )
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Grazie, Viktor, du hast ein glänzendes Zitat zur Erhellung gefunden. Ja, weil Kunst Leben, also Weiterentwicklung ist, kann es das perfekte Kunstwerk nicht geben.
Herzliche Grüße
Ekki

 moonlighting (26.07.13)
Perfekt ist etwas immer erst dann,
wenn es nicht mehr realisierbar ist.

© Damaris Wieser

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Merci Moonlighting, auch das Zitat ist sehr anregend. Das perfekte Kunstwerk ist so wenig realisierbar wie der perfekte Traum herstellbar ist.
LG
Ekki
ichbinelvis1951 (64)
(26.07.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.07.13:
Vielen Dank, Klaus. Wenn wir das Thema auf alle Lebensbereiche ausweiten, denke ich schon, dass Menschen, zum Beispiel in der Technik, Perfektes geschaffen haben. Das heißt jedoch nicht, dass das technisch Perfekte ewig funktioniert.
Kunst jedoch kann wegen der ihr immanenten Forderung der ständigen Weiterentwicklung nicht perfekt sein und weil sie sich in den Seelen ganz unterschiedlicher Betrachter unterschiedlich spiegelt.
Beste Grüße
Ekki

 irakulani (26.07.13)
Ein perfektes Kunstwerk kann es nicht geben, lieber Ekki, es ist ein Widerspruch an sich. Wenn der Künstler strebt, sein Bestes zu geben, so kann er für sich (vielleicht) zur Zufriedenheit gelangen.

Perfektion hat nichts mit Kunst gemein, dazu ist Kunst ein zu individueller Begriff. Kunst lebt, spiegelt den Moment, die Lebenssituation des Künstlers, Gedanken, Träume, Fantasien - sowenig ein Mensch perfekt sein kann, sowenig kann es Kunst sein.

Schönheit erfreut den Betrachter auch ganz ohne Perktion!

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.07.13:
Merci, Ira, deine sorfältigen Kommentare sind immer wieder ein Gewinn für mich. Ich möchte sie nicht missen.
LG
Ekki

 TassoTuwas (26.07.13)
Sicherlich ist es das Bestreben des Künstlers das perfekte Werk zuschaffen, obwohl er doch weiß, dieses ist unmöglich. Wo ist die übergeordnete Instanz deren Urteil verbindlich und unantastbar ist? Die Einschätzung jedes Werkes kann nach formalen Kriterien erfolgen, darüberhinaus bildet sich der Kritiker, Beschauer, Leser ein Urteil, das letztendlich subjektiv bleibt.
Auch hier gilt, derWeg ist das Ziel.
Herzliche Grüße TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.07.13:
Gracias, Tasso,
so ist es. Da der Betrachter/Leser /Hörer das Werk macht, kann es wegen der unterschiedlichen Rezeptionen letztlich nicht perfekt sein.
Herzliche Grüße
Ekki

 Lluviagata (26.07.13)
Ich bin auch so sehr pingelig, Ekki. Doch was nützt es, pingelig zu sein, wenn die Geschmäcker sooo verschieden sind? Einer hat immer was zu gackern.
Und das zurecht. Kein Kunstwerk kann je vollkommen sein sowie es auch der Mensch nicht sein kann. Daphne musste Osgood auch davon überzeugen: "Niemand ist vollkommen." ;)

Gern gelesen, Ekki!

Liebe Grüße
Llu ♥
(Kommentar korrigiert am 26.07.2013)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.07.13:
Grazie, Andrea es zeichnet sich eine breite Übereinstimmung darüber ab, dass ein Kunstwerk nicht perfekt sein kann. Hoffen wir, dass das niemand missversteht und es als Freibrief ansieht, nicht sein Bestes zu geben.
Liebe Grüße
Ekki
(Antwort korrigiert am 28.07.2013)
Fabi (50) meinte dazu am 30.07.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.07.13:
Merci, das ehrt mich Fabi.

 Dieter Wal (29.07.13)
Wer ein nicht vollkommenes Kunstwerk erschafften möchte, sollte vielleicht stattdessen besser Briefmarken sammeln, aber nicht schreiben.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.07.13:
Ich hoffe, du hast den thread gelesen, Dieter.
Ein Künstler, der den Namen verdient, will ein vollkommenes Kunstwerk schaffen. Jedoch bezweifeln die meisten Kommentatoren, dass dies realisierbar ist. Es ist müßig, die Argumente noch einmal zu wiederholen.
LG
Ekki

 Dieter Wal meinte dazu am 29.07.13:
Lieber Ekki, da gibt es für mich nichts zu diskutieren. Wer nach dem Absoluten strebt, aber weiß, dass er es nie erreichen wird, kann ein guter Theologe werden. Schriftsteller besser nicht.
(Antwort korrigiert am 29.07.2013)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.07.13:
Doch, "wer immer strebend sich bemüht, den werden wir erlösen", und zwar deshalb, weil er strebt, nicht deswegen, weil er das Vollkommene erreicht.
Steyk (61)
(05.08.13)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.08.13:
Grazie, Stefan, vielleicht muss man sogar so weit gehen, dass das perfekte Kunstwerk im Betrachter keine kreativen Kräfte freisetzt, und das wäre der Tod der Kunst.
Herzliche Grüße
Ekki
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