Bevor der Himmel dreizehn schlug.

Erzählung zum Thema Lebensbetrachtung

von  franky

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Kurz nach dem in der Volksschule in Laufnitzdorf ein Hitlerbild und Hakenkreuzfahnen gegen das Kreuz ausgetauscht wurden, fingen die stressigen Tieffliegerwarnungen an. Da das Schulgebäude über keinen bombensicheren Keller verfügte mussten wir Kinder alle Kopf über nach Hause laufen, wenn die Sirene aufheulte. Jeder hatte einen längeren oder kürzeren Heimweg vor sich. Die ersten beiden Male konnte ich rechtzeitig die Schützenden Mauern unseres Hauses oben am Waldrand erreichen. Dann aber erwischte es mich kalt auf dem relativ kurzen, steilen  Anstieg zu meinem Elternhaus. Ich lief um mein Leben, Berg auf unter erbärmlichem Seitenstechen.
Als der erste Flieger mit höllischem Geballer über mich hinweg donnerte, ließ ich mich auf die Erde fallen. Kein Baum, kein Zaun, nichts wo ich mich verstecken konnte, nur Wiesen so weit das Auge reichte, gnadenlos ausgeliefert. Kaum ein paar Schritte keuchend hinauf zum Elternhaus getorkelt, höre ich in den Bergen schon das Echo des nächsten heran fegenden Tieffliegers. Während sie eine enge Spitzkehre flogen, ratterten schon die automatischen Bordkanonen. Sie hatten alle das Elektrizitätswerk im Visier. Am Boden kauernd, sah ich den Schatten des Fliegers über mich hinweghuschen. „Noch einmal davongekommen, ich lebe noch.“ Aber da stürmte schon der nächste Tiefflieger um den Bergvorsprung, alle Rohre feuerten Richtung E.-Werk. Das Heulen der Motoren und das Krachen der Automatischen Waffen mischten sich zu einem riesigen unheimlichen, akustischen Feuerwerk, welches hundertfach in den Steirischen Bergen widerhallte. Ich rappelte mich auf und meine Beine wurden zu Blei, die zwar Schritte hinauf zum Haus bewegten, aber nicht vorankamen. Mein offener Mund versuchte Luft in die Lunge zu pressen, da hatte eine Todesangst meine inneren Organe gänzlich in seine Kontrolle gebracht. Mein Brustkorb stieß im hektischen Stakkato die Luft in die Lunge, es hörte sich an, wie eine Lokomotive, an der sich bei der Steigung die Räder durchdrehten. Meine Lunge und Herz waren total überfordert und ich hatte noch einigen Weg bis zum Haus zurückzulegen. Ein weiterer Tiefflieger wand sich mit Höllen Getöse um den Felsvorsprung, die Geschosse gingen über mich in den Wald und Wiesen. Auf allen Vieren versuchte ich die Steigung zum Haus zu überwinden, doch mein Gewinn war  so zermürbend gering, es war zum Verzweifeln! „Warum wird auf mich geschossen, ich habe mit diesen Krieg doch überhaupt nichts zu tun.“ Das kleine Tor im Weidezaun im Blick, wollte ich laufen, doch da war nur noch der Wille vorhanden, mein Körper reagierte nicht mehr. Als der letzte Tiefflieger sein Werk beendet hatte und das grausige Echo in den Bergen verhallte, lag ich zu Tode erschöpft vor dem kleinen Tor. Meine Geschwister und Mama versuchten mich unter größter Vorsicht in die schützenden Mauern zu führen.
Meine junge Seele musste nun versuchen einen der kleinen Tode zu verarbeiten. Durch die Überanstrengung dürften in der Lunge ein paar der Bläschen zerplatzt sein, was man später in einem CT gut sehen konnte.
Das Schicksal versuchte mir ständig habhaft zu werden, doch es dauerte noch einige Monate bis zum
13.04.45 .

*

11.05.95
Kindheit 1

  Zu den häufigen Möglichkeiten leichtsinniger weise ums Leben zu kommen, zählte
auch die eine. Ich hatte als Kind immer gerne und bei jeder Gelegenheit versucht Erwachsene zu
imitieren. Wollte immer schon gern erwachsen sein. Dazu zählte auch das rauchen. Aus allem dürren Kraut drehte ich Zigaretten und rauchte sie heimlich. Angefangen hat es wie jeder zünftige Schulerpup mit Irlauch. Das begann eklig auf der Zunge zu brennen. Da saß ich eines Nachmittags mitten in einen Überaus trockenen Heuhaufen in der alten zerfallenen Scheune und fabrizierte mit Vaters Zigarettenpapier eine Zigarette aus Brenn-Nesseln. Nach jedem Zug gab es einen wunderschönen Sternenball, der zerstob in alle Richtungen. Ich saß in mitten staubtrockenem Heu und rauchte wie eine Dampflokomotive. Nicht aus zu denken, der kleinste falsche Funkenflug und das ganze Haus hätte in Sekunden Schnelle lichterloh gebrannt. Aber nichts dergleichen geschah. Ich hatte wieder mal glück.

  Das mit dem Pferd war auch so eine Sache. Das Ungarische Militär hatte
schöne feurige Pferde die ihre Wagen, die sie bei der Flucht vor den Russen
verwendeten zogen. Diese Pferde liefen nicht weit vor unserem Haus frei auf der Wiese herum.
Pferdenarr wie ich war, ging furchtlos frontal auf das Pferd zu und wollte es
Streicheln. Das hat aber dem Gaul gar nicht in den Gram gepasst. Das Pferd stieg mit den
Vorderbeinen hoch, stieß ein gellendes Gewieher aus! Mir blieb vor Schreck das Herz fast stehen. Sah die Hufe bedrohlich nahe vor meinem Gesicht. Konnte auf dem steilen Gelände nicht rückwärts ausweichen, Stolperte nach hinten. Das Pferd schwenkte dann aber seitlich ab.

  Der Erste Fliegerangriff ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Vater hat uns mit
blauem Stift auf ein hellgelbes Blatt die drei verschiedenen Sirenen Alarminterwalle optisch genau aufgezeichnet. Die Warnung mit den langen Wellen und der Alarm mit den kurzen Wellen. Diese Melodie hat uns später die Angst den Blutdruck hochjagen lassen. Das war alles erst reine Theorie, Information wenn es ernst werden sollte.
Und dann wurde es Ernst, rascher als wir es uns gedacht hatten. Bei
Fliegeralarm alles Flach auf den Boden liegen, den Mund öffnen zum Druckausgleich wenn die Bomben in der nähe explodieren sollten. Schwere Bombengeschwader waren schon viele Wochen vorher Über uns in großer Höhe mit unheimlichem Motorengedröhne hinweg geflogen. Die Formationen von 5Maschinen
in einer Gruppe. Zu erst noch ohne Kondensstreifen. Das hat sich aber später
bald geändert, da die Verluste bei freier sicht für die Verantwortlichen der Flugzeuge zu hoch waren.
Man konnte mit freiem Auge zusehen, wie die Flak so einen Bomber ins Visier nahm
und die Geschosse zu erst links, rechts, oben und unten explodierten. Plötzlich gab es
eine Stichflamme, wenn der Benzintank getroffen wurde und die Männchen aus dem brennenden Flugzeug purzelten. Die Flugzeugbesatzung konnte man an den hellen Fallschirmen baumelnd noch lange beobachten wie sie zu Boden schwebten. Das Flugzeug selber verschwand rasch als brennende Fackel hinter einer Bergspitze
der steirischen Berge. Das Wrack fand man später auf einer Almwiese.

  Eines Nachmittags war es dann so weit, es wurde blutiger Ernst
mit dem Alarm! Nach den ersten gellenden Tönen der Sirene packte uns Mama und wir mussten alle im kleinen Vorraum flach auf den Boden liegen. Den Mund weit offen, in der ängstlichen Erwartung: „Jetzt hat die letzte Stunde geschlagen.“
Die Tiefflieger kamen dann mit höllischem Getöse Angebraust. Sie mussten eine
enge Spitzkehre fliegen und gleichzeitig aus allen Rohren auf unser Elektrizitätswerk schießen. Einer um den Anderen kamen mit schaurigem Motorgeheule gemischt mit Maschinengewehrsalven um den Berg und ballerten auf das Elektrizitätswerk, ohne dass ein Schuss sein ziel traf.
Es läuft mir heute noch ein kalter Schauer Über den Rücken, wenn ich an diesen ersten Fliegerangriff zurückdenke. Wir lagen alle Mama und fünf Kinder am Boden, das Herz schlug mir so heftig, ich hatte das Gefühl mein Brustkorb zerspringt. Die Schleimhäute im Mund total ausgetrocknet. Als es dann ruhig wurde, ertönte das erlösende langgezogene Sirenensignal.
Diese Tieffliegerangriffe wurden dann in kurzen Abständen immer wiederholt, so dass es für uns schon zum Tagesablauf gehörte. Unser Haus stand frei auf einer Anhöhe, wir konnten sogar den Piloten in die Kanzel sehen. Wenn diese Doppelrumpfigen Jagdflugzeuge eine Schleife flogen um einen weiteren Angriff zu starten. Wurden dabei Öfters Beute von raffiniert postierten kleinen Abwehrgeschützen.
Ich erinnere mich daran, es war für uns immer eine innere Befriedigung wenn es ein solches Flugzeug erwischte und brennend abstürzte. Da war kein Funke Mitleid vorhanden, dass dabei auch Menschen ums Leben kamen.

  Im Gefangenenlager im Laufnitzgraben befanden sich ein paar dunkelhäutige Soldaten,
Amerikanische Piloten. Die begegneten mir einige male als ich auf dem Weg zu Großmutter war. Die dunkelbraunen jungen Männer waren groß und schlank und hatten schönes schwarzes lockiges Haar. Trugen zum teil noch ihre originaluniformen. Die gaben sich ungezwungen, leger, das machte auf mich Eindruck. Die Männer kauten eigenartig lässig, bestimmt handelte es sich um unsere später so beliebten Kaugummis.
Die Gefangenen gingen in den kleinen Einkaufsladen im Dorf, wie wir auch, um Brot und
Fleisch, nein eher nur Brot und Butter zu kaufen. Der kleine Laden mit Besitzer
Herr Solat hieß er, der hat es mir angetan. Mama schickte mich sehr oft zum Einkaufen
Ich kam ständig zu spät zurück oder brachte etwas Total falsches, oder vergaß überhaupt was mir aufgetragen wurde. Meine Fantasie war immer schon sehr lebendig und ausgeprägt. An der Decke des Geschäftraums hing ein einfacher Tretroller aus Holz. Ich musste jeden Tag da hinauf schielen und Überlegen wie
könnte ich zu diesem Gefährt kommen. Eines Tages entschloss ich mich, obwohl ich wusste dass dies nicht gut gehen konnte, mit den 50 Pfennig Wechselgeld die ich retour bekam, denn Roller zu verlangen. Der Herr Solat beugte sich Über die Pfennige und beschwor mir: „Da bekommst du höchstens einige Karamellbonbons“.
Er gab sie mir und ich wollte sie nicht nehmen! Musste sie aber notgedrungen nehmen.  Daheim gab's wie Üblich Schläge wegen den fehlenden Wechselgeldes.
Ich versuchte dann tagelang in Papas Werkstätte mir selber so einen Roller zu basteln.  Ich schnitt Papas schönste Bretter zu Schanden. Schlug unzählige Nägel ins Holz. Das schwierigste war ein Rad aus dem Holz zu schneiden, daran ist mein ganzes Projekt schließlich gescheitert. Wie so viele andere auch.
Ideen hatte ich genug! Die reichten für 476 Tage im Jahr.
  Nicht nur Papas Werkbank war mein Betätigungsfeld, Auch Mamas Nähmaschine musste daran glauben.  Nadel und Zwirn und Stoffreste die Mama für andere wichtige Sachen vorgesehen hatte kamen unter meine Hände. Da gab es Schläge in hülle und Fülle. Meine Fantasie war aber ungebrochen. Eine Strafe
einzufangen hielt mich nie ab meine Ideen auszuführen.
  Nachbars Sohn Leopold kam kurz von der Front auf Heimurlaub. Der hatte an seinen Hosenbeinen an statt Bügelfalten eine ganz feine Nat. Die Hose brauchte man nie mehr bügeln und sah immer elegant aus. Ich entschloss: „Das muss ich auch haben.“ Musste es jedoch selber anfertigen. Mit Stopfwolle und gröbsten Stichen
machte ich mich morgens früh um 4 ur ans Werk meine Garderobe zu verschönern. Als Mama
vom Schlafzimmer herunter kam, flog die Türe auf! Mamas strafender blick und die dazu prasselnden Ohrfeigen
waren eins. Dann machte ich mich auf den Schulweg. Wurde auch noch von den Mitschülern ausgelacht. Mein Geistiges Auge war weit voraus. Ich sah immer die Dinge schon in den schönsten Farben fertig, bevor ich
noch einen Handgriff gemacht hatte.
  Meine längste Reise mit dem Zug kam so zu Stande. Vater war im Jahre 43 zu der Fliegerabwehr eingezogen worden. Nach längerer Ausbildung landete er als Kanonier einer 8-8 Fliegerabwehrkanone in Kapfenberg, 30km von Laufnitzdorf entfernt. Diese Einheit war zum Schutze der Böhlerwerke stationiert worden. Mama brachte den Vorschlag: „Wir besuchen Vater bei seiner Einheit.“ Dazu mussten wir früh aufstehen. Es war im Winter 44, es war ein sehr kalter Winter. Ich schlief auf einem Strohsack in der Küche. Das sollte auch gegen mein chronisches Bettnässen gut sein. Diese Wärme am Boden hatten auch die Kakalaken für ihre Nachtruhe entdeckt. Bei Dunkelheit krochen sie geräuschlos unter meinen Strohsack. Aber Als Mama morgens mit der Petroleumlampe in die Küche kam, stoben die dunkelbraunen niedlichen Käfer mit lautem geraschen in alle Richtungen davon in
die nächste Ritze oder Löcher. Alles war in diesem alten Gebäude reichlich vorhanden. Mit der Urzeit hatte man damals so seine Probleme. Die einzige öffentliche Orientierung, war ein Nebelhorn ähnlicher Ton von der Papierfabrik morgens um 6h. Das war aber zu so früher Stunde kein Anhaltspunkt. So machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof.
  Mama hatte eine Gangart, ein Tempo wie ein Rennpferd. Ich konnte mit meiner kindlichen Schrittlänge hinten und vorne nicht mithalten. So rannte ich ein paar Schritte, dann ging ich wieder ein paar Turboschritte mit Mama. Gegen Hälfte der Strecke bekam ich fürchterliches Seitenstechen, dass mir die Tränen in die Augen trieb. Auf mein Gejammer das es mir zu schnell sei hatte Mama nur einige wütende Reaktionen für mein Anliegen übrig. Als Kind waren mir alle Wege zu lang und mühsam. Auf der Murbrücke angelangt, wo die Bahnhofstrasse begann, sahen wir und hörten es
auch wie ein Zug aus der Station abfuhr. Alle Überlegungen den Zug doch noch zu erreichen gab Mama vorschnell auf. Wir beschlossen die Reise am nächsten Tag zu wiederholen. Das Beste war aber: Auf den halben Rückweg sahen wir plötzlich einen Zug Richtung Bruck fahren. Diesen Zug hätten wir spielend erreichen können. Der andere war ein verspäteter Nachtzug, der hatte uns indirekt die ganze Misere eingebrockt. Nichts desto trotz. Am nächsten Morgen das gleiche Prozedere. Mit einsteigen in den Zug und Ankunft irgendwann in Kapfenberg. In Kapfenberg ging ein Suchen los. Es war vom Militär aus alles so gut getarnt, dass wir Laufnitzdörfler keine Chance hatten die Einheit der Fliegerabwehr ausfindig zu machen. Schließlich gelang es uns doch! Nach vielen fragen, und suchen und fragen, die Fliegerabwehrposition zu finden. Soldaten und Kanonen waren alle in einen Schützengraben gut versteckt und getarnt. Wir konnten mit Vater noch kurze Zeit reden. Er war sehr guter Laune, machte Scherze mit Kameraden. Er zeigte uns auch noch die 8-8 Flak, wo er als Kanonier versuchte die feindlichen Flugzeuge vom Himmel zu schießen. Dieses Riesen Ding war sorgfältig mit einer Tarnplane abgedeckt. Bald aber mussten wir uns wieder auf den Weg zum Bahnhof machen. Der war für mich wieder viel zu lange. Ich hatte Mama die Ohren vollgesumst, wegen, zu schnell und Seitenstechen. Am Bahnhof mussten wir auf den Zug warten. Wir platzierten uns im Wartesaal der gleichzeitig auch als Restaurant diente. Genau in meinem Blickfeld saß eine hübsche junge Frau die hat mich in ihren Bann gezogen. Hellgraues Kostüm, schulterlange braune Haare. Einen natürlich roten Mund, in den sie abwechselnd Sauerkraut und Röstkartoffel schob. Sie strahlte in ihren Bewegungen so eine Ruhe aus. Eine kleine Lampe hinter ihren Kopf tauchte alles in magisches gelbes Licht. Diese Frau hat mich so beeindruckt, ich könnte sie heute noch zeichnen. Ihre Erscheinung hängt wie ein Foto in meiner Erinnerung.
  Noch etwas zu den Fliegerabwehrkanonen. Vater hatte uns bei einem seiner kurzen Besuche in Laufnitzdorf, die er einige male sogar zu Fuß unternommen hatte, eine spannende Geschichte erzählt. Wie bekannt war dem Feind diese zum Schutz der Böhlerwerke installierte Abwehrposition ein riesiger Dorn im Auge. Deshalb starteten sie eines Nachts einen Grossangriff auf diese Flak-Abwehrstation. Der Alarm riss alle Soldaten aus dem Schlaf und auf ihren Posten. Sie durften aber nicht schießen, weil das Mündungsfeuer die Positionen verraten hätten. So warteten sie was da kommen würde. Die feindlichen Flugzeuge warfen einen Leuchtbaum um den anderen Über die vermeintliche Stellung ab. Da war alles taghell erleuchtet, man hätte eine Zeitung lesen können. Nach menschlichem Ermessen würde nach diesem Bombenangriff keine Maus mehr lebendig Übrig bleiben. Unerwartet zog ein Sturm auf und trug den gesamten Beleuchtungspark zu einer in der nähe liegenden Bergspitze.  Die Flugzeuge Bombardierten dann mit allen ihren Sprengbomben diese Bergspitze. Mein Vater mit seinen Kameraden kamen wie durch ein Wunder mit dem Leben davon. Der Berg wo die ganzen Bomben eingeschlagen hatten war am nächsten Tag einige Meter kleiner.
  Mich führte die Reise kurz vor meinem Unfall noch einmal in diese Richtung, nach Bruck. Vater hatte unterm Arm einige eitrige Drüsen zu entfernen. Das war der Grund unseres Besuches. Wir hatten vorher Tabakblätter getrocknet und fein geschnitten und mit Honig gewürzt. Das war unser Geschenk. Ich bin mir heute nicht mal sicher ob dieses Kraut Überhaupt zum rauchen geeignet war. Das Lazarett hatte man in einem Schulgebäude untergebracht. Der Saal schien gestopft voll mit weiß überzogenen Betten. Es gab die verschiedensten Verletzungen zu sehn. Der Eine hatte eine Wunde am Pobacken, der andere wieder hat den ganzen Kopf verbunden. Bei dieser Gelegenheit machte ich auch die erste Bekanntschaft mit einem Wasserklosett.
  So eine schöne, weiße Klomuschel. Man getraute sich fast nicht seine Kacke hinein zu drücken. Ein derartig krasser Unterschied zu unserem Plumpsklo bei uns zu Hause in Laufnitzdorf. Dann lag diese raune Wurscht da wie auf einem Tablett und ich konnte sie nicht hinabspülen. Musste Vater zu Hilfe holen. An der Kette zu ziehen kam mir nicht in den Sinn.
Im Nachhinein hatte ich das Gefühl, dass das Schicksal mir noch in der verbleibenden Zeit so viel als möglich zeigen wollte, damit ich es für später in mein Gehirn speichern könne. Wir fuhren von Bruck wieder zurück nach Frohnleiten. Der Brucker Bahnhof war noch ganz in Ordnung. Die Züge Voll gepfercht von Menschen. Frauen Kinder und viel Militär. Diese wurden genausten von der Militärpolizei kontrolliert ob sie wohl einen gültigen Urlaubschein besäßen.

  Essentragen zu Vater in die Papierfabrik.
Eine Tätigkeit mit der ich, bevor Vater einrücken musste, beauftragt wurde. Das war für mich die meiste Zeit ein Spießrutenlauffen. Nicht nur dass ich den kurzen Weg in einer relativ langen Zeit zurücklegte. Das Essen war kalt, wenn es nicht schon zur Hälfte verschüttet war. Kurz vor dem Ziel führte der Weg Über die Murbrücke. vor der hatte ich höllische Angst. Wenn ich darüber ging und
gleichzeitig ins fließende Wasser sah, hatte ich immer das Gefühl, die Brücke läuft und das Wasser steht. Wegen diesem Phänomen lief ich so schnell ich konnte die letzten Meter über die Brücke. Da hatte ich wahrscheinlich den größten teil der Speisen verschüttet. Anfangs durfte ich den Essenskorb bis in Vaters Büro bringen. hier saß Vater an einem Schreibtisch und hatte sogar ein Telefon vor sich. Keine Schmutzigen Kleider an. Er hatte in der Fabrik einen führenden Posten inne. Was ich zur Papierfabrik noch sagen möchte. Das Büro von Vater war im ersten Stock einer Halle wo unten die Papiermaschinen installiert waren und die ein Ohrenbetäubendes sausen und surren von sich gaben. Mir schmerzten die Ohren, ich musste öfter den Korb abstellen und mit beiden Händen die Ohren verschließen, um mich einigermaßen wieder zu erholen. Eines Tages machte Vater mit mir eine Führung durch die Papierproduktion. Diese Eindrücke sind mir deshalb nicht so im Gedächtnis geblieben, weil dieser Schmerz in den Ohren durch den übergroßen Lärm meine
Konzentration gestört hatte.

    Brandkatastrophen.
  Erlebnisse mit Feuer muss ich auch noch festhalten. Die brennenden Getreidewagons.  Durch den Funkenflug der Dampfloks die vor unserem Haus gegenüber eine Steigung Überwinden mussten, dadurch
wahrscheinlich mehr Funken versprühten und in der Sonnenhitze, wo alles noch viel trockener war fingen die beiden vordersten Wagons Feuer.  Den ganzen Vorgang konnte man wie in einer riesigen Arena beobachten, alles aus sicherer
Entfernung. Das passierte interessanter weise zweimal genau an derselben Stelle. Sogar der nahe Wald hat einiges davon abbekommen. Das war aber kein Vergleich, wie unser Hausberg „Gschwent“ in Flammen stand. Ein Zündelfreudiger junger
Mann hatte sich den Jux  geleistet das Feuer zu legen um dann selber die Meldung zu machen um als Feuerlöscher dann tätig zu werden. Das entwickelte sich als schauriges Schauspiel. Wie gesagt das alles aus sicherer Entfernung.
Am Höhepunkt der Feuersbrunst war es So. Die Flammen ergriffen am brennenden Waldboden den
Baumstamm. In kürzester Zeit stiegen die Flammen bis zur Baumspitze hoch,
Kurze Zeit brannte er wie eine riesige Fackel um dann in sich zusammenzubrechen um durch das aufstoben der Funken fing es rasch wieder einen nächsten Baum. Das ging eine ganze Nacht so. Der Fels glühte vor Hitze.
Den Zündler hatte man ausfindig machen können, festgenommen und bestraft.

    Lichtkugel.
  Dann noch ein Erlebnis das wir die ganze Familie gesehen hatten aber zu den
unerklärlichen Phänomenen zählt. Eines Abends es war schon stock dunkel, da sah man hinter der kleinen Kapelle links vor unserem Haus ein grelles Licht und Gelächter wie auf einem Fest. Menschen Lachten und riefen durcheinander. Wir standen zu erst wie gebannt und getrauten uns nicht nahe heran zu gehen. Dann gingen wir doch näher und sahen eine große Kugel, ein Feuerball der rollte am Boden. Aus diesem Feuerball kamen die Stimmen. Dieser Ball rollte den Berghang hinunter, die Stimmen wurden leiser, sie entfernten sich. Wir liefen dann noch den Berg ein Stück hinab, aber dann war das seltene Gefährt schon so weit weg, dass nichts mehr zu sehen war, nur noch Stimmen hörbar waren. Zu diesem Spuk, hatte
nicht mal Vater eine vernünftige Erklärung dafür.

      Bruder Georg
  Jüngster Bruder von Vater, Georg, war von beginn Hitlers Kriegshandlungen als Freiwilliger zur S.S. gegangen und stand auch bald an der Russischen Front. Er kam einige male auf Heimaturlaub. Dann  besuchte er auch uns in Laufnitzdorf. Er war viel größer als die übrigen Brüder meines Vaters und sah blut jung aus. In seiner dekorativen Uniform mit Schirmmütze sah er oder wirkte
er noch viel größer. In Mitte der Mütze glänzte ein silbriger Totenkopf. Ich muss gestehen ich weiß heute noch nicht genau was dies für Bedeutung hatte. Ja ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Er war auf jedenfalls ein sehr sympathischer Mensch. Eines Tages kam per Post ein schwarzumrandeter Brief. Als Mama ihn geöffnet hatte begann sie laut zu weinen und schluchzen. Der Onkel Georg ist
gefallen. Er kommt nie mehr zurück. Das war eine schlimme Nachricht.
Monate später kam auch ein Brief der hatte zwar keinen schwarzen Rand aber Mama weinte auch sehr und schluchzte: „Onkel Hans ist schwer verwundet. Es besteht nur geringe Chance dass er mit dem Leben davon kommt, wieder gehen kann. Seine Schädeldecke wurde von einem Geschoss zertrümmert. Nach einigen Wochen war es wieder so weit. Mama sagte zu mir: „Jetzt fahren wir nach Graz und besuchen meinen Bruder Onkel Hans im Lazarett. Wir fuhren wieder mit dem Zug. Diesmal nach Süden. Das war die nächste Himmelsrichtung die ich noch mit eigenen Augen erleben durfte. Meine Erinnerung an Graz ist sehr schlecht. Ich meine die Häuser waren Großteils zerbombt, zerfallen, mir schien alles ein Trümmerhaufen zu sein. Im Lazarett standen viele weiß überzogene Betten im Saal. Onkel Hans konnte schon wieder sprechen und lachen. Er war immer für Späße aufgelegt. Er lag im hintersten Bett in der Reihe. Ein Mann, ein Patient ist mir stark in Erinnerung geblieben. Der hatte am Kopf eine große Beule. Eine Faustgrosse runde Wölbung an der
Stirnmitte, ohne eine äußerliche Wunde. Sie erzählten er habe die Hinfallende.
Epileptische Anfälle. Tatsächlich verträte er plötzlich seine Augen und wäre
fast zu Boden gestürzt, wenn ihm nicht die mitpatienten schnellstens, so gut es ging auf ein Bett gehievt hätten. Schaum floss aus seinem Mund. Er sprach nicht mehr. Für mich war das unbegreiflich und neu. Nach einiger Zeit kam er wieder zu Bewusstsein und war schrecklich müde, er fiel dann in einen tiefen Schlaf. Der Vorfall hatte alle etwas durcheinander gebracht. Wir spazierten mit Onkel Hans ein bisschen herum. Er konnte nur mit zwei Stöcken oder Krücken laufen. Bei der Heimfahrt stiegen wir in Gösting „Ein. Ein Außenbezirk von Graz“, weil der Hauptbahnhof von Graz bereits von den Bomben zerstört war. Ich hatte schreckliche angst vor der herannahenden Lokomotive. Das war aus der Nähe, ein schwarzes Ungetüm. Es zischte und rauchte, pfiff und quietschte. Rollte auf so großen Metallräder heran. Bis der Zug endlich mit kreischenden Bremsen zu stehen kam. Das Kühlwasser für die Kühlung des Dampfkessels der Lokomotive schwappte links und rechts Über den Rand. Man musste Abstand halten um nicht wie ein Pudel begossen zu werden. Die großen Lampen der Lokomotive waren, bis auf einen schmalen Schlitz abgedeckt, damit sie kein Ziel für
Feindliche Flugzeuge werden konnte. Ich versteckte mich ängstlich hinter Mamas Faltenrock.
In Frohnleiten angekommen mussten wir dann noch 4 km bis zu unserem Haus in Laufnitzdorf zurücklegen. Diesen Weg rannte Mama nicht mehr so rasch, ich konnte  ohne Mühe mit ihr Schritthalten.

    Schweineschlachten. 
  Im Spätherbst 44 kam Onkel Hans schon halbwegs genesen  zu uns, um das Schwein, die Mama jedes Jahr
gemästet hatte zu schlachten. Onkel Hans konnte wieder gut ohne Stock gehen. Sein Gang hatte etwas Schwankendes, Unsicheres an sich. Ich half auch mit das tote Schwein zu rasieren, damit der Speck nicht so eine Haarige Schwarte bekam. Das störte sonst beim verspeisen des guten Geräuchertem. Mama machte die herrlichsten Würste. Sie blies mit dem Mund die Gedärme sauber. Mit Wasser durchgespült und mit würzigem Brät gefüllt ergab es dann Würste am Laufmeter. Mama konnte
alles vom Schwein verwenden, von der Nase bis zur Schwanz¬spitze. Auf diese
weise hatten wir eigentlich nie Hunger zu leiden. Das bekam ich erst viel später zu spüren.

.Maus erschlagen)
  Mir ist ganz eigenartig zu Mute, wenn ich daran zurück denke wie ich die erste Maus erschlagen habe, es war auch die letzte. Das kam so zu Stande: Dadurch das das Schwein zum größten Teil mit Kuckerutz gefüttert wurde, war der ganze Vorrat an Futter am Dachboden aufgehängt.  Im Herbst wenn es kalt wurde und am Acker gab es nichts mehr zu knabbern, dann kamen die kleinen Mäuschen auf die Idee der Sau ein winziges Teilchen weg zu schnabulieren. Mutter und Vater gefiel dieses aber nicht so sehr! Das Haus schwirrte und piepste nur so von munteren Mäusetierchen.
Da Wurden An Maß  Mäusefallen aufgestellt. Der Mäusebestand wurde durch unsere
Aktion nicht wesentlich verringert. Eines Morgens rief jemand vom Dachboden: „Da ist eine Maus in der Falle sie hängt nur mit dem Schwanz im Eisen. Sie zappelte fürchterlich. Keiner getraute sich in die Nähe.  Trotz heftigem Herzklopfen schlich ich mit einem Eisenstück bewaffnet in die nähe der Mausefalle. Machte die Augen zu und blindlings schlug ich in die Richtung wo das Mäuslein herumzappelte bis es keinen Pieps mehr von sich gab. In der Magengegend hatte ich ein mulmiges Gefühl. Fühlte mich aber wie ein Kriegsheld. Stolz bin ich nicht darauf. Später habe ich mich bei den Mäusen Revanchiert. eine Katze spielte mit so einem herzigen kleinen Mäuschen, wie das so Üblich ist, bevor sie verspeist wird. Ich ging hin und nahm ihr die Maus aus dem Maul und ich kuschelte sie dann in meinen hohlen Händen. Ich zeigte es Mama und sagte schau wie herzig. So schnell konnte ich gar nicht reagieren, hat mir Mama links und rechts eine heruntergehauen.
Ich ließ vor schreck die Maus fallen. Mutter sah die Maus springen und wollte sie mit ihrem klobigen Schuh zusammentreten. Das wendige Mäuslein war aber viel schneller und verschwand in der nächsten Mauerspalte. Vor lauter Zorn bekam ich noch eine Draufgabe von Links und rechts.
  Auf die Rettung einer kleinen Schwalbe bin ich auch noch stolz. Jedes Jahr besuchten die Turmschwalben unter unseren Dachbalken ihre Niststätte. Da die Schwalben ihr Nest sauber halten, kam es immer zum Fluch: „Die Schwalben verscheißen uns ständig die ganze Hausmauer!“  Da kam Vater mit einer langen Stange und wenn die Jungen flügge waren stieß er mit der Stange das kunstvoll gebaute Nest herunter. Die Schwalbeneltern beobachteten dies in einiger Entfernung, ich glaube sie waren sehr traurig. Aber der Mensch ist halt ein Untier. Am Abend fand ich auf der Wiese ein hilflos herum hüpfendes Schwalbenkind. Das konnte noch nicht fliegen. Ich nahm es in die Hand und versuchte mit einem leichten Schwung dem Vögelchen das Fliegen bei zubringen. Ich machte einige vergebliche Versuche, dann war es dafür schon zu dunkel. Ich bereitete ein weiches Nest aus Heu und sammelte Fliegen, die der verschreckte Vogel einfach ignorierte. Am nächsten Morgen war mein erster Weg zum Schwalbenkind und hob es vorsichtig aus dem Nest. Nach den ersten paar Flugversuchen klappte es. Der Vogel flog bis auf einen Baum. Da er nicht mehr herunter fiel, war ich
der Überzeugung: „Jetzt kann er fliegen und in den Süden ziehen.“ Für mich ist es
heute immer noch ein Fest wenn die Schwalben im Frühling wieder kommen. Ich bin traurig wenn sie im Herbst fortfliegen. Das Leben ist und bleibt ein Kommen und Gehen.  Was stehen bleibt, ist Erinnerung. Was liegen bleibt ist Vergessen, begraben. Gleich ob es Gut oder schlecht gewesen ist. Ich ruhe mich aus auf den Blättern der Zukunft sie schreitet und ich lass mich mittragen bis
ich auch einmal stehen bleibe.  Jetzt bin ich aber noch auf der Jagt von Bildern der Vergangenheit.  Was da so durch den Gedankenwald schwirrt ist oft sehr amüsant. Wenn es auch nicht immer rühmlich ist. Ich stehe am Anfang der Vergangenheit und pflanze sie in die Gegenwart.

    Mir flattert gerade ein Bild durch den Gedanken Himmel.
  Eines Tages kam ein sehr ungleiches Pärchen zu unserem Haus. Der Mann war groß  und stämmig. Die Frau war klein und runzelig. Beim sprechen konnte man feststellen, dass sie keinen einzigen Zahn im Mund besaß, dadurch hatte sie eine eigenartige, flutschige Aussprache. Nicht unsympathisch.  Die beiden suchten Unterkunft für längere Zeit, bis der Krieg zu ende sei. Es waren Volksdeutsche Flüchtlinge aus Jugoslawien. Die Deutschsprechenden Ansiedler würden vom Titoregime verjagt.
Irgendwie wurden sich meine Eltern mit ihnen einig. Sie bekamen einen Raum zur Verfügung. Eine ehemalige Rauchküche, aus  dem neunzehntem Jahrhundert, die von uns nicht benutzt wurde. Die Wände vom Russ geschwärzt. Es war aber noch ein funktionierender gemauerter Kochherd vorhanden. Herr Pohl so hatte der Familienname geheißen, musste sich nur ein ziemlich breites Bett zu Recht zimmern, welches für ihn und seine Frau reichen musste. Töpfe und Pfannen und Teller brachten sie in ihrem bescheidenen Gepäck mit. Die Brennholzbeschaffung gab das meiste Problem. Herr Pohl ging zu erst mit einer scharfen Axt bewaffnet, kurz entschlossen in den Wald und fällte zwei mittlere Bäume. Ich sah ihm interessiert zu, er hatte eine wesentlich andere Methode Bäume zu fällen als mein Vater. Herr Pohl wollte den einen Baum nach Hause schaffen. Plötzlich stand da zu seiner größten Überraschung der Verwalter des Schweizerhofes Herr Pirka vor ihm und hatte einige strenge Sätze zu ihm gesprochen.  Herr Pirka hatte zum glück nur den einen Baum gesehen Da ließ er es bei einer Mahnung bewenden und stiefelte wieder den hang hinunter. Wieder einmal Schwein gehabt. Die kleine alte runzlige Frau Pohl musste später dann fast jeden Tag in den Wald gehen um Tannenzapfen und dürre Äste sammeln damit sie sich das Essen kochen konnte. Die Pohls waren nur die Ersten von einer ganzen Reihe von Flüchtlingen. Ganze Familien fanden Unterkunft im Dorf mit Kindern im unserem Alter. Die gingen auch mit uns in die Schule.  Das hatte aber nur einige Wochen gedauert.  Die ständigen Fliegerangriffe und das durchziehende Militär hatten uns den Platz streitig gemacht. Mein letztes Halbjahreszeugnis bestand nur aus Dreiern.  Ich hatte Freude dass keine 6 darunter war. Aber weil ich keine Zwei und Eins gebracht habe bekam ich trotzdem meine Ohrfeigen. Schläge waren für mich wie das tägliche Brot. Die Freuden des Lebens waren für mich nur dünn gesät, musste  ich mir selber holen, manchmal heimlich stehlen. Eines Abends Ende Oktober, es war schon dunkel, war ich mit einer Kanne voll Milch auf den Heimweg. Meinte in der Nähe der Laufnitzdorfbrücke eine seltsame Unruhe bemerkt zu haben. Es war gerade die Kürbisernte im Gange. Nicht ahnend ging ich Über die Brücke, Plötzlich klotzten mich eine Reihe von Totenköpfen an. Die Schulkinder machten sich mit mir den Scherz, die ausgehöhlten und ausgeschnittenen Kürbisköpfe mit rotem Krepppapier und Kerze zu versehn. Den Kürbis auf einer Stange unter der Brücke hochgehalten, Mit unheimlichem Geheule begleitet, jagten sie mir eine Heiden Angst ein. Ich konnte kommende Gefahren nie recht voraussehen, ich schwebte immer einige Meter Über der Wirklichkeit. So knallte ich DES Öfteren  SEHR UNSANFT AUF den  Boden der Realitäten. Ich war immer ein Fantast und ein Träumer das hab ich mir zum Teil bis heute bewahrt.
  Herr Pohl traf sich am Wochenende Öfters mit bekannten aus seiner Heimat. In diesen Gesellschaften war es anscheinend Üblich viel Schnaps zu trinken. Selbstgebrannten versteht sich. Da erlebte ich das erste Mal einen Betrunkenen Menschen. Für mich war das unheimlich und Beängstigend.  Der Mann schwankte und torkelte zur Tür herein. ging in seine Wohnung und schrie mit seiner alten kleinen runzligen zahnlosen Frau. Oft kam es vor das er sie auch verprügelte.
Eines muss ich noch erzählen. Herr Pohl nach einer Sauftour kam nach Hause hatte verständlicher
Weise sehr großen Hunger. Er wärmte sich die restlichen Käferbohnen auf. Nein es war ein Bohnensalat. Der hungrige Pohl setzte sich vor den Teller und fing an zu löffeln.  Die Bewegungen wurden immer langsamer und schließlich legte er seinen Kopf auf beide Arme und diese Arme lagen mitten im noch halb vollen Teller. Es vergingen keine zwei Minuten da fing er an zu schnarchen. mit dem Gesicht im Teller, rundherum der Bohnensalat. Ich muss heute noch lachen wenn ich daran denke. Meine Schwester Franziska hatte schnell mal herausgefunden wann Herr Pohl im Begriff war sich auf so eine SaufTour zu begeben. Sie hockte sich auf das Fenstersims im Innern der Küche und sang ihm ein freches Liedchen hinterher. „Der Pohl der Pohl der geht aus dem Haus dann kommt er wieder besoffen nach Haus. So ungefähr. Das hatte ihm schon geärgert, er konnte uns aber nichts.“ Anhaben, das hatte die schlaue Schwester schon herausbekommen. Im Laufe der Zeit nahm die Flüchtlingswelle mehr und mehr zu. Jeden tag stürmten Kolonnen von Menschen unser Haus.  Unser Haus stand so schön auf einer Anhöhe. Von weitem machte es den Eindruck eines Herrschaftshauses. Bei näherem hinsehen war da nicht viel Platz zum wohnen. Außer unseren 3 Räumen war nur noch der verfallene ehemalige Kuhstall. Der war sogar für ärmste Flüchtlinge ungeeignet. Die wildesten Typen stürmten zum Haus und rissen die Stalltüre auf um mit enttäuschter Miene wieder abzuziehen.
Eine junge Frau mit einem Baby Vielleicht ein paar Wochen alt stand eines Tages vor dem Haus und bedeutete Mama ob sie nicht mit ihrem Kind in der Nacht auf dem Küchenboden schlafen dürfte. Mama ließ sich erweichen. Als der Abend kam trauten wir unseren Augen nicht. Es standen plötzlich Mutter und Kind und Großmutter und Tante ich weis nicht der Küchenboden war mit Menschen gerammelt voll. Morgens zum Kaffeekochen mussten wir Über einige schlafenden Körper hinwegsteigen um an den Herd zu gelangen. Das waren dann schon Ungarische Leute. Angehörige von Ungarischem Militär, auf der Flucht vor den Russen.  Das waren alles noch durchwegs gepflegte Menschen.  Relativ gut gekleidet. Im Gegensatz zu uns, wir hatten da nur Bescheidenes zum Anziehen. Ich konnte beobachten, wie die junge Mama ihren kleinen Sohn auf dem Esstisch wickelte. das kleine Würmlein strampelte und die Mama des Kindes lachte und redete mit ihm und nahm sein kleines Zipfelchen in den Mund und lutschte daran. Das Knäblein quietschte in den höchsten Tönen. Für mich war das eine ganz Neue Erfahrung. Ich hatte nur zwei kleinere Schwestern. Da hatte ich jedoch nie beobachten können dass Mama derartiges getan hätte. Ich konnte mich auf solche Liebkosungen nicht erinnern, an mein Zipfelchen hatte meines Wissens niemand gesogen.
  Wie so oft in den letzten Kriegsmonaten, zogen endlose Flüchtlingskolonnen Über die Strasse nach norden. Es wurden aber auch Jüdische Gefangene, wie Tiere in  Gruppen nach Mauthausen getrieben, wenn sie nicht unterwegs an Erschöpfung schon gestorben sind. Es war allgemein bekannt, dass wenn ein Gefangener nicht mehr weiter konnte, zu schwach war um zu marschieren, musste er sich in die nähe des Flusses knien und wurde mit einem Genickschuss kaltblütig ermordet. Ich stand wieder mal am Straßenrand und sah wie eine Kolonne von Juden auf der Straße getrieben wurde. Nicht wie Menschen, wie Tiere: Zu forderst die Frauen mit offenem Haar, barfuss in gebückter Haltung, mit unvorstellbarer Angst  im Gesicht. Am Schluss dieser Gruppe ging ein Mann. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben,  die Jacke Über die Schulter gezogen. mit dem Hosengurt um den Hals geschlungen hatte der Mann einen Schubkarren vor sich an den Griffen befestigt und, schob ihn mit äußerlicher Gleichgültigkeit, fast geschlossenen Augen vor sich her. Hier wurden wahrscheinlich persönliche Habseligkeiten transportiert. Am Rücken der Jacke den Davidstern genäht. Das war ein unbeschreiblich trostloser Anblick. Zur Bewachung dieser Menschen Marschierte nicht weniger müde ein unrasierter Soldat mit Karabiner bewaffnet hinter her. Der ließ seinen Tross ziemlich weit vorausgehen.  Er musste sich auf jeden zweiten Randstein Ausruhen. Das waren noch die Grossen Steine die mit den Eingebauten Katzenaugen. Zum Schutz für die Automobilisten in der Nacht, damit sie nicht die Strasse verfehlen konnten.
Bei einem Tieffliegerangriff wurde ein Pferd von Flüchtlingen getroffen. Jüdische Gefangene in der nähe stürzten auf das tote Pferd und schnitten mit Messern das Fleisch in Stücke und verschlangen es im rohen Zustand. Nicht vorstellbar was der Mensch für Hungerqualen leiden muss um so was zu essen.

  Die letzte Weihnacht ist mir noch gut im Gedächtnis. Als Hauptpreis bekam ich eine Kanone aus Gusseisen. Zur Beigabe ein Bilderbuch in wunderschönen Farben. Brennende Spitäler, Sinkende Schiffe, Rauchende Trümmerhaufen. Alles Kriegsbilder der Naziprobagander. Ein Bild ist mir in guter Erinnerung. Eine blutrot orange goldene Sonne die im Meer versank und auch das Wasser in diesen Farben spiegeln ließ. Deshalb kann ich dieses wunderschöne Schauspiel im Nachhinein gut nachvollziehen, wenn wir in Griechenland am Strand stehen und Claudia schwärmt ganz hingerissen: „ Wenn du das sehen könntest wie schön die Sonne im Meer versinkt“. Dann habe ich dieses Bild vor mir. Wir alle fünf Kinder hatten etwas bekommen. Ich erlaubte mir noch die kurze Folgenschwere frage: „Ist das alles?“ Da hat sich mein Konto an Ohrfeigen rasch um einiges erhöht.   
  Das musste auch ein komisches Bild abgegeben haben. Ich lief diesen Winter meist mit Vaters großen Stiefeln herum, um den Bauch einen viel zu langen Militärgurt. Die Stiefel reichten bis Über die Knie. Das war Stiefelnummer 42 So groß wie Ofenrohre. Dass ich da nicht Öfter auf die Schnauze gefallen bin wundert mich heute noch. Als dann zu Weihnacht 44 mit der Schule zu Ende war. Das Militär nahm das Gebäude in Beschlag.  Die Ausbildung zu Frontsoldaten fand auf dem Gelände vor unserem Haus statt. Ich konnte das mit kindlichem Interesse verfolgen. Ein ganzes Regiment wurde auf den Wiesen und Gräben vor unseren Hause ausgebildet. Zu diesem Zweck wurde in Nähe unseres Hauses ein Schießstand installiert. Am Waldrand eine Grube ausgeschaufelt. So tief dass ein Mann sich hineinstellen konnte. Hinter diesem Loch wurde die Zielscheibe postiert. Der Mann in der Grube musste immer signalisieren ob getroffen wurde und wo. Es gab Einige die die Scheibe Überhaupt nicht trafen. Es war gar nicht so ungefährlich, die Querschläger pfiffen um unser Haus. Die einberufenen zukünftigen Soldaten standen vor Kälte klappernd im Gänsemarsch, bis sie zum Schießen an die Reihe gerufen wurden. Alte Männer, kleine, Grosse, krumme, und ein Winzling dem musste der Schiessmeister ein Kissen unter seinen dürren Arsch schieben das er Überhaupt in eine vernünftige Schiessposition kam. Schließlich brachte er alle drei Schüsse ins Schwarze. Da schrie der Schiessmeister voll Begeisterung: „Super Du kommst gleich an die Front!“ Ob das für die Nachfolgenden nicht eine Warnung war;
Nach dieser etwas kläglichen Vorführung der restlichen Mannschaft hielt man ein Manöver ab.  Es lag eine ziemlich dicke Schneedecke über der Landschaft. Durch diesen Schnee musste nun gerobbt und gesprungen geklettert und gerutscht werden. Die Kommandierenden sahen sich dieses Geplemper von ferner oder auch näher an.  Als die Gruppe durch den Schnee nicht schnell genug Über einen steilen Hang hinauf klettern konnte, schrie der junge Hupfer von Kommandeur den schon älteren Soldaten nach: „Rascher! Rascher! Schneller sonst schieße ich euch mit der Pistole in den Arsch hinein“. Es handelte sich um einen etwa 20 jährigen Burschen, aber mit Fronterfahrung und deshalb schon Dekoriert.  Offizier oder so Ähnliches. Die rechte Hand etwas verkrüppelt, die Verwundung an der Front eingefangen.

  Der Rang höchste Inspektor war ein Korpulenter alter Mann mit teilnahmslosem Gesichtsausdruck. Mit Gold verzierten Schulterklappen und vorne dran auch noch etwas Knöpfe und Glizerndes.  Der Mann bewegte sich nicht zu Fuß durch diese Übungstruppe, er ritt auf einen zierlich weißen kleinen Muli.  Das kleine Tier kletterte scheinbar mühelos die steilsten Hänge hinauf und wieder hinunter. Die Beine des großen Mannes auf seinem Rücken berührten fast den Schnee. Der Muli war so klein und der Koloss Mensch auf seinem Rücken so unbarmherzig groß.  Sein fader Gesichtsausdruck kam wahrscheinlich aus der Überzeugung, dass dieser Krieg das sinnloseste Unternehmen war was man in der Zeit veranstalten konnte. 
  Links neben unseren Gartenzaun lag die längste Zeit ein Soldat mit einem Maschinengewehr in Stellung. Der schien eingeschlafen zu sein. Nach einiger Zeit hatte man nach ihm gerufen, weil anscheinend keiner dieses gefährliche Schießgerät orten konnte. Das ganze war zum grüssten Teil ein ziemlich lächerliche Inszenierung.        Nach dieser Vorstellung zog die ganze Truppe mit Mann und Maus nach norden ab.  Unser Dorf blieb aber nicht lange leer.  Es rollten täglich neue Kolonnen von Flüchtlingen auf der Straße Richtung norden. Oder sie schlugen ihr Nachtlager auf. Durch den Ausfall der Schul¬stunden hatte ich keinen festen Tagesplan.  Meine Tage waren gezählt, wo ich noch das Augenlicht genießen durfte. Ich hatte viel Zeit mich herumzutreiben. Musste mich hin und wieder zuhause melden. Um zu essen und auch etwaige Ohrfeigen abzuholen.  Mir hat man immer nachgesagt ich sei viel empfindlicher als ein Mädchen. Das stimmte auch gewisser Massen. Die vielen Schläge die ich kassieren musste taten mir doppelt weh.  In den letzten Schulwochen war da ein Brüderpaar aus Wien zu uns in die Klasse gekommen. Sie flohen auch vor den Bombenangriffen auf die Wiener Stadt. Der Kleinere von beiden Brüdern  Willi hatte irgendetwas ausgefressen. Der Lehrer rief ihn zu sich vors Pult. Der Lehrer Schmied schrie erst mit ihm, bekam dabei einen hoch roten Kopf. Dann aber rastete er total aus! Der Lehrer schlug auf Willi ein. Dieser Anblick war schrecklich! Innerlich aber froh, nicht selber da vorne stehen zu müssen und selber verprügelt zu werden. Das bewundernswerte aber war, Willi das kleine Bürschchen verzog keine Miene. Der Kopf flog durch die Schläge von einer Seite auf die Andere. Keine Träne lief aus seinen Augen kein Laut kam Über seine Lippen.  Als der Lehrer Schmitt seinen Jähzorn abgeregt hatte durfte der Schüler wieder auf seinen Platz gehen. Für mich war das vollkommen unverständlich.
In den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden mischte ich mich, wenn möglich unter die Mitschülerinnen und machte mit ihren Spielen mit. Das entsprach vielmehr meinem Naturell. Dieser Hang zu schönen Mädchen begleitete mich mein ganzes Leben lang.

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© by F. J. Puschnik

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