Schneekugelland

Erzählung zum Thema Wünsche

von  Seelensprache

"Schneekugelhand schüttel mir ein Schneekugelland". Leise hallt ihre Stimme von kalten Fenstern wider. Dicke Schneeflocken fallen auf warmen, schwarzen Teer und verschwinden sogleich im tristen Grau eines vorweihnachtlichen Dezemberalltags. Aus einem hübsch verzierten Erker fallen sehnsüchtig Blicke auf das geschäftige Treiben hektischer Zeitgenossen und wünschten sie wären woanders. "Hach, ach wäre doch", summt es schwer belegt aus ihren Mundwinkeln. Die Arme missmutig auf die kalte Fensterbank gestützt, den Kopf über einer großen, schweren Tasse dampfenden Tees. In ihrer linken Hand, eine Schneekugel, hervorgekrammt aus Kindertagen. Leise flüstert es "Schneekugelhand schüttel mir ein Schneekugelland. Schneekugelhand schüttel mir ein Schneekugelland"....

Weite Fenster auf festen, dicken Dielen offenbaren eine winterliche Sicht. Dichtes Reet liegt schwer auf den Balken eines spitz zulaufenden Giebels. Darauf, dichtgedrängte Schichten festen Schnees. An den Rändern hängen stolz, wie Tasten einer Klaviatur, funkelnde Eiszapfen, die ein erstes Dämmerlicht in wundervolle Farben brechen. Aus einem rauchigen Schlot zieht die Erinnerung brennender Scheite zu einem bitterkalten Firmament. Und an einem schmalen Pfad, der kaum mehr zu erkennen ist und irgendwo dort unter weißem Schnee seiner Wege zieht, säumen sich Dicht Tannen und Fichten. Es duftet eine Stimmung wie aus Zapfen, Nadeln, Maronen und Nüssen. Von Zeit zu Zeit wirbelt flüchtig Schnee umher, als ob von Kinderhänden hochgeworfen.
Sie sieht hinaus. Die nackte Haut ihres jungen Körpers, verborgen unter weichen Fasern eines teuren Morgenmantels. Ihr warmer Atem bleibt einen Moment lang an einem der Fenster hängen, an dessen Aussicht ihr Blick sich nicht sattsehen kann, verfangen hat und verfallen ist, wie die Unschuld einer ersten Liebe. Sie beobachtet ihren Atem, der zart eine weiche Schicht auf kaltes Glas drückt, die gleich darauf vergeht, wie Tau im ersten Sonnenlicht. Sie tritt hinaus. Lässt ihren Mantel sanft über die Schultern zum Boden hin fallen. Sie spürt das kalte Holz unter ihren Füßen. Einen Moment lang bleibt sie stehen. Die Kälte zieht von den Füßen an durch ihren ganzen Körper, der sich einen Moment lang so nackt und unbeholfen, so anmutig und anstandslos zeigt, wie eine solche Umgebung es fordert. Dieses Eingeständnis einer Verletzlichkeit, das Fallenlassen in eine Natur, die einen geschenkt hat und zu einem Teil dieses lebendigen Geschehens macht. Ein fröstelnder Schauer überzieht ihre Haut, wie ein kalter Kuss in einen warmen Nacken, es gleichzutun vermag. Ihr langes braunes Haar, das weit über die Schultern reicht, fällt weich auf Arme, Brust und Rücken. Sie atmet tief, schließt die Augen und einen Augenblick später fällt heißes Wasser dampfend aus den Poren eines breiten kannenförmigen Gefäß, zwischen den Dielen eines reetbedeckten Vordachs eingelassen.
Darunter ihr Körper. Sie zuckt und ist verzückt, verzaubert und zauberhaft. Dichter Dampf verwirbelt nun wild in den Wirren umherirrender Winde. Es ist prachtvoll, eine tiefe, eigentümliche Gewalt.

Als sie zurückkehrt, ist es bereits dunkel. Auf den vereinsamten Straßen, dort unten, vor der Eingangstür zu ihrer Wohnung, fallen die Lichter, vereinzelt vorbeifahrender Wagen und verschwinden sogleich darauf mit dem verhallenden Brummen ihrer Motoren. Schläfrig reibt sie sich ihre Augen. In der Hand die Schneekugel aus Kindertagen, ruhig, mit klarem Wasser und einem schneebedeckten Boden. Und in dem Fenster, das hinaus in die Nacht zeigt, spiegelt sich ein dampfend warmer Körper in einem warmen, weichen Mantel.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter Wal (20.08.16)
Dichte poetisch-bildhafte Sprache. Äußerst genaue Details. Es wäre interessant, dem Autor dabei zuzuhören, um zu beobachten, wie seine Erzählung auf eine Zuhörerschaft wirkt und wo eventuell gekürzt werden sollte.
(Kommentar korrigiert am 20.08.2016)

 Seelensprache meinte dazu am 27.08.16:
Lieber Dieter, danke für deinen Kommentar. Ich stimme dir zu. Als ich mir den Text durch deine Anmerkung nochmal selbst vorlas, merkte ich einige Stolpersteine und bekam auch Anregungen für das Kürzen. Vielleicht wird der Text ja mal vor Publikum verlesen :)
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