Abschiedsbrief an das Gehirn

Brief zum Thema Krankheit/ Heilung

von  Anifarap

Langsam wird es. Dunkel. Schleichend, wie ein Monster, das nicht gesehen wird, weil es aussieht, wie der Schwamm in der Spüle oder die Antenne des Weltempfängers. Langsam bricht sie herein. Die Dämmerung ist schon da. Ein eisiger Griff packt mein Gefühl und schüttelt mich in Angst und Schrecken. Doch diese beiden kommen nur als neutrale Information an, werden als Gefühl nicht mehr erkannt.
Langsam bricht sie herein. Die Dunkelheit. In mein Gedächtnis. In mein Denken, in meinen Geist, in mein Gehirn.
Zuerst dachte ich, es ist eine normale Entwicklung. Das Älterwerden schränkt den Geist in seiner Beweglichkeit etwas ein, aber dafür ist er dann auf anderen Gebieten besser.
An etwas, wie Ausgleich, habe ich geglaubt.
Nach einiger Zeit setzte die Dämmerung ein und ich fand mich damit ab, dass ab und an einige Nordlichter am Horizont aufleuchteten.
Doch nun...
Es wird Nacht. Ich kann es nicht mehr abstreiten und ich habe keine Zeit mehr, ein Licht zu entzünden, das mich tröstet.
Mein Geist dunkelt.
Und das ist vielleicht der am schwersten zu ertragende Verlust, er raubt mir eigentlich meine letzten, noch vorhandenen anderen Kräfte und Fähigkeiten, so schwer wiegt er.
Nie wird er wieder so wendig sein, wie er einst war. Der Geist dämmert vor sich hin in seiner ganz eigenen Demenz. Und wird vielleicht oberflächlich glücklich mit einem nur kleinen Hauch der Ahnung für den tatsächlichen Verlust der Denkfähigkeit.

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Kommentare zu diesem Text


 susidie (07.02.14)
Es wird Nacht. Ich kann es nicht mehr abstreiten und ich habe keine Zeit mehr, ein Licht zu entzünden, das mich tröstet.

Ein interessanter und starker Text. Bewußt erleben, wie es mehr und mehr dunkelt. Die Phasen einer Demenz. Sehr nachdenklich. Gruß von Su :)

 Anifarap meinte dazu am 07.02.14:
Dankeschön. Hier fließen tatsächlich die Erfahrungen mit ein, die ich mit Klienten in einer Wohngemeinschaft für an Demenz Erkrankte, sammeln durfte.

Es freut mich, dass er offensichtlich zur Nachdenklichkeit anregt!

Angenehme Grüße,
A.

 franky (07.02.14)
Hi Anifarap,

Das sind die Worte eines Ertrinkenden, dem der letzte Strohhalm aus den Fingern gleitet.
Macht nachdenklich und bedrückt.

L-G Franky

 Anifarap antwortete darauf am 07.02.14:
Ja, Franky. auch das schwingt darin mit. Danke Dir für diese sehr treffend beschreibende Aussage.

Liebe Grüße,
A.
Sardinenfischer (48)
(07.02.14)
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 Anifarap schrieb daraufhin am 07.02.14:
Redito (?). Danke Dir für Deine Gedanken!

Mentale Kerzengrüße, E.
Graeculus (69)
(07.02.14)
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 Anifarap äußerte darauf am 07.02.14:
Ja, auch das schillert da heraus aus diesem Text. Vielen Dank.

LG, A.
Teichhüpfer (56)
(03.03.14)
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 Anifarap ergänzte dazu am 05.03.14:
Darf ich Dich darum bitten, konkreter zu werden? Mir ist nicht ganz deutlich, was du meinst. :)
Teichhüpfer (56) meinte dazu am 06.03.14:
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 Verlo (30.08.22, 22:13)
Langsam bricht sie herein. Die Dunkelheit. In mein Gedächtnis. In mein Denken, in meinen Geist, in mein Gehirn.
Anifarap, wäre "Finsternis" nicht treffender?

Ich mag Dunkelheit und empfinde sie keinesfalls negativ. 

Geh einmal während Dunkelheit in den Wald, und du wirst lebendig, wie du es in Helligkeit nie sein wirst. 

Dunkelheit im Gedächtnis, im Geist ist für mich dementsprechend belebend und fokussierend. 

Dunkelheit als stärkerer Schatten ist erholsam.
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