Imperfektes Lebewesen, oder: Mensch, ehrlich mal.

Bild zum Thema Menschen

von  Fuchsiberlin

Das alte Graffito an der Hauswand verblasst immer mehr. Ein letztes Relikt aus der Vergangenheit einer Stadt. „Wut gepaart mit Elend“.

In den Mülleimern im Kiez sucht ein Mann nach Pfandflaschen. Im Haus davor, versteckt im Hof, wirft eine Frau noch essbare Lebensmittel in die Mülltonne.

Eine ältere Frau winkt Seelen verloren anderen Vorbeilenden zu. Murmelt dabei irgendwelche Formeln. Menschen gaffen. Was dem „Normalen“ des Einzelnen entrückt, wirkt interessant, verwirrend, irritierend, abschreckend, schockierend, berührend u.v.m.

Köpfe füllen sich mit Dingen, die sinnlos erscheinen. Dem Schädel brüchigen fehlen die stummen und nach außen hin emotionslos wirkenden Mauern. Pferde tragen, als Vorsorge vor angstvollen und ablenkenden Augenblicken, Scheuklappen. Ihnen fehlen zwei Beine.

Vor einem Hauseingang schaut jemand seinem Hund dabei zu, wie er ein Häufchen legt. Er belässt alles so wie es ist, und zieht von dannen. In seine saubere Wohnung.

Irgendjemand malt einen Kreis auf dem Bürgersteig. Ein anderer wirft einen Cent hinein. Die Wut verdrückt sich außerhalb des Kreises.

Auf einer Bank am Marktplatz verfolgen stumpfe Augen die neuesten Skandale in einem Boulevardblatt. Auf Seite zwei drücken Zeilen auf Tränendrüsen, während drei Seiten weiter das Kochen vor Wut gelehrt wird.

Ein Verzweifelter vor der Sparkasse nimmt Steine in die Hand. Doch seine Ratlosigkeit verhindert einen Gewaltakt.

Ein Alltagstrottel wird von manch einem verächtlich von oben bis unten gemustert. Altmodisch oder modisch alt, irgendetwas dazwischen lässt manch einen dazu hinreißen, den Respekt in den nächsten U-Bahnschacht zu werfen. Die Arroganz der Überlegenheit prügelt seelisch auf Schwächere ein. Nur der Mut zur Zivilcourage, weg vom krankhaftem Ego, hin zum Mitmenschlichen, hilft Schlimmeres zu verhindern. Die selbstlosen Ehrenamtlichen arbeiten leise, aber emotional hörbar, für die Betroffenen.

Menschen können nie ein Leben lang fair zum anderen und zu sich selbst sein. Das Leben, in dem sich Mensch bewegt, ebenso wenig.

„Komme mal klar mit deinem Leben“, ein Satz als schallende Ohrfeige, scheint für manch einen, der diesen ausspricht, manchmal angenehmer und besser zu sein, als ein empathisches Auseinandersetzen mit dem Ich des anderen. „Bleib mir fern mit deinen negativen Gedanken und Emotionen“, ein Denken, welches dahintersteckt?

Menschen können verdrängen. Doch nicht alles vergessen. Die Seele bahnt sich ihren Weg, wenn diese dafür die Zeit gekommen sieht. Manch einer bemerkt es, einem anderen fällt dies bewusst nicht auf. An sich arbeiten, bedeutet schließlich auch ein hartes Stück Arbeit. Die Seele kann unter Umständen viel mehr an Energie verbrauchen, als dies ein Arbeiter mit körperlicher Schwerstarbeit schafft.

"Seele", ein Begriff, den manch einer nicht hören mag oder will? Weil dieses Wort nicht greifbar ist? Vielleicht sogar teilweise negativ besetzt erscheint? Angst oder Unbehagen bereitet? Weil schwer steuerbar? Ich mag das Wort „Seele“ übrigens auch nicht. Allerdings aus anderen Gründen heraus.

Schon wieder ein Hundehaufen. Ich trete hinein. Zu spät. Nicht alles kann Mensch sehen. Als imperfektes Wesen. Welcher Mensch ist schon ein Leben lang gut, in seinem Agieren und Reagieren!?

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (22.06.14)
Der Text gefällt mir, weil er sich vorurteilslos mit verschiedenen Situationen, in denen der Mensch steckt, auseinandersetzt.

 Fuchsiberlin meinte dazu am 22.06.14:
Freut mich sehr, Regina, dass mir dies so gelang:)

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
Phaedra (28) antwortete darauf am 22.06.14:
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 Fuchsiberlin schrieb daraufhin am 22.06.14:
Unter anderem ist dies genau so, aber zum Glück nicht nur. Ehrlich gesagt, zu tief, und dies mit Sportschuhen, mit zu viel Rillen.
Graeculus (69)
(22.06.14)
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 Fuchsiberlin äußerte darauf am 23.06.14:
Deinen Satz mit "sich selber an die eigene Nase fassen" stimme ich zu.
Denn wir sind und bleiben als Menschen imperfekt.

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
BabetteDalüge (67)
(22.06.14)
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 Fuchsiberlin ergänzte dazu am 23.06.14:
Ich glaube, diese Menschen werden auch unterschätzt, die augenscheinlich, nur oberflächlich betrachtet, nicht mit ihrem Leben klar kommen.

Bezüglich Deines Viertels: Ich denke, dies gibt es leider auch viel zu oft.

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
Pocahontas (54)
(01.07.14)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 03.07.14:
Liebe Sigrun,

das einzig Perfekte am Menschen ist sein Imperfekt sein.

Ich befürchte, die Oberflächlichkeit und Rücksichtslosigkeit nahm in den letzten 20 Jahren zu. Dazu gesellt sich dann die Arroganz. Wo soll dies alles nur hinführen!?

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
alpeko (69)
(06.07.14)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 08.07.14:
Ja, das imperfekte Lebewesen Mensch.

Es könnte von Mensch zu Mensch vieles so einfach sein ... Könnte ...

Selbstreflexion wäre manchmal nicht verkehrt, doch der Blick in den eigenen Spiegel zeigt alles auf, und ist dadurch für viele Menschen nicht immer einfach zu händeln.

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
Teichhüpfer (56)
(06.07.14)
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 Fuchsiberlin meinte dazu am 08.07.14:
Ja ...

Ich danke Dir.

Liebe Grüße
Jörg
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